Wildcat Nr. 57 - Oktober 1991 - S. 5-8 [w57illeg.htm]


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Niederlande:

Illegale ArbeiterInnen organisieren sich.

»Dritte Welt« mitten in den Metropolen: In Amsterdamer Hinterhofklitschen arbeiten illegale türkische Näher unter miserabelsten Bedingungen. Sie stellen die Kleidung her, die in Großkaufhäusern wie C&A verkauft wird. Auch die Holland-Tomaten werden von Illegalen für mieseste Löhne gepflückt.

1989 haben die türkischen Näher in Amsterdam das Solidaritätskomitee Illegale Konfektionsarbeiter (SKIKA) gegründet, eine Selbstorganisation mit inzwischen ca. 300 Mitgliedern. In anderen Städten Hollands haben sich ähnliche Komitees gebildet. Und auch die illegalen Arbeiter in den Treibhäusern bauen jetzt ein Komitee auf. Bei einer Demo im Juli durch das Viertel Schilderswijk in Den Haag, in dem viele illegale MigrantInnen wohnen, brachten sie 1000 Leute auf die Straße. Die Komitees kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen und für Legalisierung, nach dem Motto: Legalisiert die Arbeiter, nicht die Ausbeutung!

In den Niederlanden arbeiten zehntausende illegale ausländische ArbeiterInnen. Sie kommen v.a. aus der Türkei und Marokko, und seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre auch aus anderen nordafrikanischen Ländern wie Ägypten oder Tunesien. Die Schätzungen über ihre Anzahl gehen auseinander. Der niederländische Staat spricht von höchstens 100 000 illegalen ArbeiterInnen. Zählt man aber die Schätzungen der einzelnen Gemeinden zusammen, kommt man auf mehr als 150 000. Wie dem auch sei, die tausenden Illegalen stehen in der Pyramide der Ausbeutung ganz unten. Sie arbeiten da, wo die Arbeit unqualifiziert, schwer, dreckig und gefährlich ist: Auf dem Bau, in der Landwirtschaft, im Fischereigewerbe, im Hafen, in der Konfektions- und Metallindustrie.

Waren es in den 60er Jahren vor allem die Großbetriebe, die ArbeitsmigrantInnen rekrutierten, so sind es heute die Mittel-, Klein- und Kleinstbetriebe. Neue Technologien und Dezentralisierung von Produktion und Dienstleistung haben den Bedarf an billiger, unqualifizierter und unorganisierter Arbeitskraft in die Klitschen verschoben.

Zum Beispiel: Konfektionsindustrie

Bis in die 70er Jahre hinein wurde die Kleidung nah am Markt produziert. C&A hatte eigene Fabriken in den Niederlanden. Dann begannen die Verlagerungen in die sog. Billiglohnländer. Die Fabriken in Brabant, Twente und Amsterdam wurden geschlossen, die Arbeiterinnen flogen auf die Straße. Die neuen Fabriken entstanden in Ländern wie Tunesien, Südkorea und Taiwan. Die Zahl der Arbeitsplätze im niederländischen Konfektionssektor nahm zwischen 1972 und 1974 um 36% ab; Ende der 70er Jahre waren von den ehemals 70 000 Arbeitsplätzen nur noch 15 000 übriggeblieben.

In den 80er Jahren gibt es dann nicht nur Verschiebungen zwischen verschiedenen Trikontländern (»Neue« Länder der Konfektionsindustrie sind u.a. Bangladesh und Indonesien). Ein Teil der Kleidungsproduktion kehrt wieder in die Metropolen zurück. Die westeuropäischen Konfektionszentren erleben eine ungekannte Blüte. Statistisch ist dieser Aufschwung schwer zu erfassen, denn der größte Teil der neuen ArbeiterInnen in diesem Sektor sind Illegale, ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Für Amsterdam wird geschätzt, daß dort 3-4000 illegale Arbeiter, meist türkische Männer, 60% der Kleidungsproduktion herstellen. Andere Zentren in Europa sind Paris, London und Emilia Romagna.

Als Gründe für die Rückkehr der Kleidungsproduktion werden der immer schnellere Wandel der Mode und gestiegene Qualitätsansprüche genannt. Schnelles Reagieren auf den Markt und Qualitätskontrolle sind für die Großkonzerne bei kurzen Zulieferwegen einfacher. Besonders die modische Kleidung wird wieder in Europa produziert, während die Massenproduktion weiterhin in sog. Billiglohnländern stattfindet. Es gibt aber bereits Anzeichen dafür, daß auch sie zunehmend nach Europa verlagert wird. Denn vor allem ist es den Großkonzernen durch Auslagerungen gelungen, die Produktionskosten in den Metropolen drastisch zu senken. Die Einkaufspreise sind in Amsterdam in den letzten zehn Jahren zwischen 100 und 200% gefallen.

In Amsterdam sind hunderte von kleinen Nähstuben entstanden. Meist werden sie von Migranten betrieben, z.B. von türkischen ehemaligen Fordarbeitern. Sie stehen in harter Konkurrenz zueinander. Konzerne wie C&A können die Preise diktieren. Um die sinkenden Gewinnspannen aufzufangen, greifen die Kleinunternehmer in den Sweatshops zu zwei Mitteln: Sie rekrutieren die billigsten Arbeiter - Illegale - und sie lagern selbst weiter aus. Kleinstnähstuben haben sich auf Knöpfe Annähen, Knopflöcher Machen, Bügeln oder Verpacken spezialisiert, und eine wachsende Zahl von HeimarbeiterInnen bildet das unterste Ende der Zulieferpyramide.

Eine ähnliche Strukturveränderung ist auch im

Putzgewerbe

festzustellen. Die Zahl der PutzarbeiterInnen ist in fünf Jahren von 60 000 auf 130 000 angewachsen. Auch die Zahl der Putzbetriebe ist explodiert: Zur Zeit sind mehr als 2500 Firmen registriert, von denen aber 15 einen Marktanteil von etwa 80% haben. Die Konkurrenz der übrigen kleinen Firmen führt zu einem enormen Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen. Die kleinen Putzunternehmer sind gezwungen, Illegale einzustellen. Hintergrund der Strukturveränderungen in der Branche ist die Politik der Großbetriebe und Verwaltungen, die die Putzarbeiten seit 1985 zunehmend auslagern. Sie benutzen nun die Konkurrenz zwischen den Putzfirmen, um die Preise zu drücken.

Organisierungsversuche in den Treibhäusern

Nach dem Vorbild von SKIKA haben illegale ArbeiterInnen aus den Treibhäusern im Frühjahr 1991 in Den Haag ein ähnliches Komitee aufgebaut. In den holländischen Treibhäusern arbeiten schätzungsweise 16 000 Illegale. Die Arbeitsbedingungen sind mit denen in der Konfektionsindustrie und in anderen Sektoren, in denen Illegale arbeiten, vergleichbar: Arbeitstage von 10 Stunden und mehr, niedrige Löhne, miserable Bedingungen, Einschüchterungen und Gewalt, Razzien und Repression von staatlicher Seite. Es gibt jedoch auch einige Unterschiede, die die Organisierung in diesem Bereich schwieriger machen.

Die illegalen TreibhausarbeiterInnen arbeiten viel isolierter voneinander. Die Kontakte bei der Arbeit sind weniger zahlreich und intensiv. Die Arbeitsplätze in den Treibhäusern sind geografisch weit verstreut und von den Wohnorten entfernt. Die Nähklitschen in Amsterdam liegen dagegen in den Vierteln, in denen die Illegalen auch wohnen. Dies führt auch zu einer unterschiedlichen Rekrutierungspraxis. Die Nähstuben-Unternehmer stellen die Illegalen direkt ein, indem sie z.B. bei einem Kaffeehaus einen Bus volladen. In den Treibhäusern sind meist Sklavenhändler dazwischengeschaltet; die TreibhausarbeiterInnen müssen so gegen zwei verschiedene Chefs kämpfen. Außerdem wird die Organisierung durch die vielen verschiedenen Nationalitäten und Sprachen erschwert.

Das Den Haager Komitee will deshalb zunächst versuchen, in einzelnen Betrieben »Brückenköpfe« aufzubauen, um so einzelne Unternehmer unter Druck setzen und Verbesserungen durchsetzen zu können. Sie wollen dabei auch die Zusammenarbeit mit radikalen legalen Arbeitern verstärken, die ebenfalls von dem Druck auf die Löhne betroffen sind, der von der Beschäftigung von Illegalen ausgeht. Damit wollen sie auch gegen die rassistische Spaltung der Arbeiter vorgehen. Außerdem will das Komitee in den Vierteln, in denen viele Illegale wohnen, mobilisieren. Ein Beispiel dafür war die Demo vom 13.Juli im Den Haager Schilderswijk, für die bewußt eine »Kaffeehausroute« genommen wurde. Mit Erfolg: Die Zahl der teilnehmenden MigrantInnen wuchs im Verlauf der Demo auf mehr als 1000 an. Für Oktober ist eine weitere Demo in Den Haag geplant.

Unterstützungsgruppen - »Saubere Ausbeutung«?

Angestoßen durch die Selbstorganisation der Konfektionsarbeiter, beschlossen mehrere niederländische Organisationen, die Forderung nach Legalisierung zu unterstützen. Sie gründeten dafür das »Unterstützungskomitee Illegale Konfektionsarbeiter« OKIKA, das mit SKIKA zusammenarbeitet. Darüberhinaus gibt es eine »Kampagne Saubere Kleidung« von verschiedenen Solidaritätsgruppen aus Holland. Diese Kampagne fordert die Konsumenten mit Aktionen vor Kaufhäusern auf, bewußter einzukaufen, und fördern den Verkauf von »sauberer« Kleidung in Dritte-Welt-Läden. Sie unterstützen TextilarbeiterInnen, die sich in Trikontländern in Gewerkschaften oder Frauengruppen organisieren. Der Schwerpunkt der Kampagne liegt in der Öffentlichkeitsarbeit gegen C&A, die in den Philippinen, Bangladesh, Indien und den Niederlanden produzieren lassen, den größten Marktanteil in den Niederlanden haben, Trendsetter der Branche und schon öfter durch »fehlende Betriebsdemokratie und Gewerkschaftsfeindlichkeit« aufgefallen sind. Insgesamt läuft die Kampagne eher auf eine Legalisierung und »Säuberung« der Ausbeutung hinaus, wenn etwa die Unternehmen aufgefordert werden, nur Kleidung zu verkaufen, die legal und »auf eine verantwortliche Weise produziert worden ist, d.h.,

* daß die ArbeiterInnen und HeimarbeiterInnen, die die Kleidung herstellen, ausgehend von einer 40-Std.-Woche, genug verdienen, um den Lebensunterhalt von sich und den von ihnen direkt abhängigen Familienmitgliedern zu bestreiten, wie er durch unabhängige Organisationen in den betreffenden Ländern festgestellt wird;

* daß die Sicherheit, Gesundheit und andere Arbeitsbedingungen der ArbeiterInnen garantiert werden nach Feststellung von unabhängigen Organisationen in den betreffenden Ländern; usw.«

Saubere Maßstäbe - das sind ziemlich genau die Kriterien einer »gerechten« Ausbeutung!

Die Argumente dieser Kampagne für eine Legalisierung der Textilarbeiter in Holland sind genauso defensiv: Eine Legalisierung sei auch zum Wohle der niederländischen Gesellschaft und des Kapitals gerechtfertigt, denn es gäbe gar nicht genügend NiederländerInnen, die diese Arbeit machen wollten oder könnten. Da die Illegalen überlange Arbeitszeiten haben, würden durch eine Legalisierung den Niederländern keine Arbeitsplätze weggenommen, sondern sogar noch neue geschaffen. Das ist Bettelei und Anerkennung der Ausbeutung statt Klassenkampf: bitte legalisiert die Leute, sie sind doch bereit, eure Drecksarbeit zu machen! Aber diese Argumentation ist sowieso unsinnig, denn gerade diese Gruppen wissen sehr gut, daß der Boom der Amsterdamer Textilbranche auf den niedrigen Löhnen der Illegalen beruht, die nach einer Legalisierung schnell steigen würden.

Obwohl SKIKA unter jedes Flugblatt die Parole »Wir bekommen keine Rechte, wir müssen sie uns nehmen!« schreibt, begrüßt es solche Kampagnen, da sie davon ausgehen, daß sie alleine, ohne Unterstützung anderer gesellschaftlicher Gruppen in den Niederlanden, die Forderung nach Legalisierung nicht werden durchsetzen können. Die Aktivitäten der »Kampagne Saubere Kleidung« brächten zumindest das Thema in die Öffentlichkeit, und erleichterten ihnen dadurch die Diskussion über die Situation der illegalen Arbeiter.

Staatliche Legalisierungspolitik = Kontrolle des Arbeitsmarktes

Die niederländische Regierung hat eine Reihe von Maßnahmen angekündigt, um die Zahl der illegalen Arbeiter drastisch zu senken. Sie wollen einen Teil der illegalen Arbeit aus der Schattenwirtschaft herausholen. Durch schärfere Kontrollen und Ausweisungen von Illegalen ist es bereits gelungen, Millionen an zusätzlichen Steuern und Sozialabgaben einzutreiben. Die Nähstubenbesitzer führen unter dem verschärften Druck mehr als vorher ab. Diese Erhöhung der Produktionskosten kompensieren sie dadurch, daß sie die Arbeiter in ihren Nähstuben noch mehr auspressen.

Außerdem wird die Produktion durch diese Politik noch unsichtbarer. Es wird weiter spezialisiert und ausgelagert, um die Produktivität zu erhöhen. Nähstuben mit z.B. 20 Arbeitern und 15 Maschinen werden in 4 oder 5 kleinere Nähstuben aufgeteilt. Dies trifft wiederum die Arbeiter, die dann im Kampf gegen ihre Chefs noch isolierter und schwächer dastehen.

Die Staatspolitik gegen die illegale Produktion treibt praktisch die Ausbeutung der Illegalen voran. Die ökonomische Bedeutung der Sektoren, in denen Illegale arbeiten, untermauert diese Schlußfolgerung. Die Konfektionsindustrie ist eine der am meisten florierenden und schnellsten wachsenden Branchen der niederländischen Wirtschaft. Auch die Treibhäuser haben für den niederländischen Export große Bedeutung. Sie exportieren jährlich Tomaten, Gurken und Blumen für 6 Milliarden Gulden.

Unter diesem Aspekt müssen auch die absurd strengen Vorbedingungen gesehen werden, die der Staat für eine Legalisierung stellt. Für eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis müssen Illegale nachweisen, daß sie 6 Jahre lang ununterbrochen gearbeitet und dabei Steuern und Sozialabgaben bezahlt haben. Dazu ist selbstverständlich kaum jemand in der Lage. Eine ähnliche »Regularisierungs-Verordnung« wurde 1987 erlassen. Seit dieser Zeit konnten noch keine 50 illegalen ArbeiterInnen die erforderten Nachweise vorlegen. Die Legalisierung von einzelnen, kleinen Gruppen (wie kürzlich im August eine Gruppe von Marokkanern) ist von daher nur Augenwischerei. Die Selbstorganisationen fordern die bedingungslose Legalisierung sämtlicher Illegaler.


Interview mit einem Aktivisten von SKIKA in Amsterdam (Sommer 91)

»Wann und wie habt ihr mit euren Aktivitäten begonnen?

Wir haben 1989 mit einigen politisch bewußten Leuten angefangen. Wir haben zunächst ein Flugblatt gemacht, in dem die Arbeitsbedingungen in den Nähstuben beschrieben wurden. Außerdem enthielt es unsere Forderungen und den Aufruf zu einem Treffen im Gewerkschaftshaus (FNV - vergleichbar dem deutschen DGB). Dort beteiligten sich einige Gewerkschaftsfunktionäre und wir hatten gehofft, die Unterstützung der Gewerkschaft zu gewinnen. Die sagten aber, sie könnten für uns leider nichts tun, solange die Leute nicht Mitglied in der Gewerkschaft sind. Daraufhin haben wir 2-300 Aufnahmeanträge gesammelt und ihnen gesagt, diese Leute werden eintreten, wenn ihr sagt, was ihr für uns machen könnt. Aber sie konnten uns keine konkreten Antworten geben.

In dieser Zeit [Frühjahr 1989] wurde vom holländischen Staat in Abstimmung mit den Unternehmern eine Maßnahme beschlossen, die die Beschäftigung illegaler Arbeitskräfte einschränken sollte. Nach dieser »Maßnahme 3. April« sollten die Nähstuben und andere Unternehmer nachweisen, daß sie Steuern und Sozialversicherungsbeiträge für ihre Beschäftigten entrichtet haben, bevor sie Aufträge von den großen Firmen wie C&A erhalten. [In Holland ist es möglich, für Illegale Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Allerdings haben diese dann aufgrund ihrer Illegalität keinen Anspruch auf die Leistungen der Sozialversicherung im vollen Umfang.] Wir haben an dem Punkt gesagt, o.k., die illegalen Arbeiter sollen diese Beiträge zahlen, aber dann sollen sie auch Anspruch auf die Sozialleistungen der Kranken- oder Arbeitslosenversicherung haben, was nicht der Fall ist. In Wirklichkeit verschärft diese Maßnahme die Ausbeutung, weil die Nähstuben-Besitzer die Beiträge oft vom Lohn abziehen. Die Preise für die hier gefertigten Waren sind sehr niedrig und oft verdienen auch die Besitzer der Nähstuben nicht sehr viel. Im Grunde handelt es sich bei diesen Beiträgen um 'Schutzgelder', die der Staat den Nähstuben abpreßt.

Die Beiträge werden auch nicht vollständig bezahlt. Der Staat hatte mit 20 Mio. f gerechnet, es wurden aber nur 4 Mio. gezahlt. Die Nähstuben-Besitzer geben nicht die wirkliche Arbeitszeit der Leute an, noch nicht einmal 40 Stunden, sondern nur 10-12 Stunden pro Woche.

Nachdem wir mit einer Handvoll von Leuten angefangen hatten, haben wir für das Komitee geworben und heute sind 99% unserer Mitglieder Arbeiter aus diesem illegalen Bereich. Es sind bisher nur Leute aus der Türkei. Wir betrachten das nicht als eine nationale Angelegenheit, aber 95% der Arbeiter in den Nähstuben kommen aus der Türkei. Wir bemühen uns auch um Kontakt zu Leuten aus Pakistan, Ägypten und anderen afrikanischen Ländern, die dort arbeiten, aber da gibt es große Sprachprobleme. Im Unterschied zum legalen Bereich, wo die überwiegende Mehrheit der Arbeitskräfte Frauen sind, arbeiten in den illegalen Nähstuben fast nur Männer.

Wieviele Leute arbeiten in den illegalen Nähstuben von Amsterdam, unter welchen Bedingungen ...?

Nach den offiziellen Zahlen sind es 5-6000 Leute. Aber diese Berechnungen sind unserer Meinung nach falsch. Sie gehen von einer 40-Stunden-Woche aus, aber in Wirklichkeit arbeiten die Leute durchschnittlich 12 Stunden am Tag, und das an 6 Tagen in der Woche, manchmal sogar an 7 Tagen. Wir werden das selber noch genauer untersuchen, aber wir denken, daß es insgesamt nicht mehr als 2-3000 sind.

In Amsterdam gibt es 2-300 solcher Nähstuben, in denen jeweils 10, 15 oder 20 Leute arbeiten.

Die Löhne der Arbeiter sind unterschiedlich, je nach Kategorie. Die Arbeit ist wie ein Bandsystem organisiert. Da sind die Näher an den Maschinen, sie werden je nach Arbeitsgeschwindigkeit unterschiedlich bezahlt (aber kein Stücklohn), das schwankt zwischen 9 bis 15 f pro Stunde (1 Gulden sind ca. 90 Pf.). Aber ein qualifizierter Näher kommt in der Regel auf 14-15 f. Dann gibt es Leute, die die Sachen herumtragen und alle möglichen Hilfsarbeiten machen. Sie bekommen 7-8 f. Nach dem Nähen werden die Kleidungsstücke vor dem Bügeln auf Restfäden durchgesehen und gesäubert. Dies ist die am schlechtesten bezahlte Arbeit, in der Regel 5 f, manchmal auch nur 3 oder 4 f. Die Bügler, die am längsten (15-16 Std.) und schwersten arbeiten, wegen der Hitze und weil sie die ganze Zeit stehen, bekommen 12-13 f Nach dem Bügeln werden die Sachen nochmal kontrolliert, dafür gibt es etwa 6 f Und danach werden Fehler korrigiert, nochmal Restfäden abgeschnitten usw., was eine sehr staubige Arbeit ist. Diese Leute bekommen 9-10 f.

Geleitet werden die Nähstuben von den Chefs, die auch vom Besitzer angestellt sind und etwa 20 f verdienen. Die Besitzer treten mit ihren Arbeitern kaum in Kontakt. Die Chefs, es sind auch Leute aus der Türkei wie die Besitzer, organisieren daher alles. Sie bringen die Muster, bestimmen die Arbeitsabläufe, legen Zeitvorgaben für die Arbeiten fest und sie stellen auch die illegalen Arbeitskräfte ein oder entlassen sie.

Ja, es ist im allgemeinen so, daß die Ausbeutung von den Leuten aus der Türkei untereinander organisiert wird.

Wie erreicht das Komitee die illegalen Arbeiter?

Wir haben in den Nähstuben Flugblätter ausgelegt. Dann gibt es bestimmte Kaffeehäuser, in denen auch die Chefs der Ateliers anrufen, wenn sie Arbeitskräfte brauchen. Da haben wir unsere Flugblätter ausgelegt und unsere Telefonnummer ausgehängt. Und viel geht über Mundpropaganda. Die Leute erzählen sich weiter, daß es das Komitee gibt, daß sie mit ihm zusammen ihre Rechte durchsetzen konnten usw. Wenn etwas ansteht machen wir Treffen, die wir auf Flugblättern ankündigen.

Wir wollen aber nicht, daß das Komitee zu einer Institution wird. Entscheidend ist, wer sich aktiv beteiligt. Wir haben daher auch keinen Vorstand und sowas. Es gibt jetzt etwa 300 Mitglieder, aber wir haben aufgehört, Mitglieder zu werben, weil es darauf nicht ankommt, sondern darauf, sich aktiv an dem Kampf zu beteiligen.

Welche Aktionen macht ihr, welche Kämpfe gibt es ...?

Wir arbeiten in zwei Richtungen. Das eine ist die Öffentlichkeitsarbeit. Wir wollen den Skandal aufzeigen, daß in einem Land wie Holland noch 16 Stunden am Tag gearbeitet wird, unter miesesten Bedingungen ... und damit unsere Forderung nach Legalisierung, also Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis verbreiten. Diese Arbeit wird aber zum größten Teil vom Unterstützungskomitee OKIKA gemacht. Natürlich wird der Kampf mit der Legalisierung nicht aufhören, aber die Illegalität ist der Hauptgrund für die schlechten Arbeitsbedingungen.

Die praktische Arbeit von SKIKA besteht darin, zusammen mit den Leuten für ihre Rechte zu kämpfen. Dabei ist es uns wichtig, daß wir das nicht für die Leute tun, sondern daß sie selber aktiv werden. Ein Problem ist z.B. immer wieder, daß die Löhne nicht ausgezahlt werden. Wir sagen den Leuten dann, sie sollen selber hingehen, und den Lohn einfordern. Wir gehen auch mit ihnen zu den Chefs, aber dann sollen sie selber reden. Wir helfen ihnen auch, wenn sie Probleme mit den Behörden haben. Nein, Streiks in den Nähstuben hat es noch nicht gegeben.«


Wir haben diesen Artikel zusammen mit der holländischen Gruppe »Opstand« (dtsch: Aufstand, Revolte) gemacht. Diese Gruppe in Amsterdam beschäftigt sich mit den Veränderungen in der Klassenzusammensetzung, um neue Grundlagen für den revolutionären Klassenkampf zu finden. Sie beschreibt ihre Untersuchungsmethode als »Aktions-Untersuchung«. Eines ihrer Projekte ist die internationale Migration in der europäischen Textilindustrie, wobei sie sich an den oben geschilderten praktischen Versuchen beteiligen. Als Einstieg in dieses Projekt haben einige von ihnen für ein paar Monate in diesen Nähstuben gearbeitet. Außerdem haben sie ein Projekt zur Reinigungsindustrie (s.o.) und zur Umstrukturierung der Industrie durch Dezentralisierung (Auslagerung von Teilefertigung an Zulieferer, »Just-in-time« etc.) und die Einführung neuer Formen der Arbeitsorganisation wie Gruppenarbeit, wobei sie dies mit ArbeiterInnen aus holländischen Fabriken diskutieren. In einer Nummer der Zeitschrift »De Onderkrant« (die mittlerweile eingestellt wurde, stattdessen geben sie jetzt einen »Rundbrief des Untersuchungskollektivs Opstand« heraus - auf holländisch) beschreiben sie das neue Fabrikkonzept des sogenannten »Toyotismus«, nachdem sie eine Fahrt durch Japan gemacht hatten.
Von dort stammt auch ihre Idee von Stadtteil-Gewerkschaften (s. den Artikel zu Tagelöhnern in Japan in dieser wildcat). Sie sehen darin kein Patentrezept, schlagen aber vor, die Möglichkeit einer solchen Organisierung der untersten Klassenteile zu untersuchen. Denn, ähnlich wie wir in der BRD Ende der 80er Jahre, stellen sie fest, daß die Organisationen von SozialhilfeempfängerInnen und Arbeitslosen in eine Sackgasse gelaufen sind. Sie konnten keine politische Macht entwickeln, sondern wurden zu Interessenvertretungen spezifischer Kategorien von Hilfeempfängern. Durch theoretische Kategorien wie »Unterklasse« oder »unteres Drittel« seien nur künstliche Identitäten entlang der staatlichen Wohlfahrtsgelder geschaffen worden, in denen sich die Leute selbst nicht wiedererkennen, sondern die höchstens neue Zielgruppen für Sozialarbeiter abgeben. Soweit ein kurzer Überblick über die Aktivitäten von »Opstand« - wir werden die Diskussion mit ihnen weiterführen.
Kontaktadresse: Stichting Opstand, Postbus 11127, 1001 GC Amsterdam


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