.wildcat

14.10.2017

aus: Wildcat 58, Februar/März 1992

Interview mit einer Krankenschwester aus Köln

über die unterschiedlichen Bedingungen auf einer »alten« Station und in einer »modernen« weißen Fabrik.

Ich arbeite bei den Kölner Unikliniken und bin seit kurzem im Bettenhaus. Das ist ein Hochhaus, auf 14 Etagen sind jeweils 4 Stationen. Vorher war ich auf einer anderen Station, ein extra Gebäude auf demselben Gelände, wo alles noch altertümlich organisiert ist. Wir waren dort für viele Laufarbeiten zuständig, mußten z.B. Akten holen und wegbringen, Röntgenbilder besorgen, teilweise Patienten zur Untersuchung bringen. Wir mußten sämtliche Materialien bestellen, vom Schreibpapier, Bleistift bis zu Kanülen, Verbandsmaterial usw. Und das alles auch wieder in Schränke packen und umpacken, wenn es gebraucht wurde. Das hieß, sich pro Woche einmal den ganzen Nachmittag Zeit nehmen und alle Schränke kontrollieren, was fehlt, Nachbestellungen machen. Dafür gab es tausende von Zetteln und manche Sachen standen auf keiner Liste. Dann mußtest du raten, wo du das dazuschreiben kannst. Wenn du Pech hattest, warst du fünfmal damit beschäftigt, die gleiche Sache zu bestellen. Das war ziemlich nervig, und damit verbunden war das Durch-die-Gegend-Laufen, um Sachen auszuleihen, die ausgegangen sind.

Wieviele Krankenschwestern wart ihr auf der Station?

Wir haben 24 Betten gehabt und 11 Planstellen, von denen aber nie alle besetzt waren. Als wir im Sommer gesagt hatten, so arbeiten wir nicht mehr, ist zwar immer gesagt worden, wie haben keine Leute und wissen nicht, wo wir die herkriegen sollen. Aber als ich aus dem Urlaub zurückkam, waren auf einmal drei Stellen mehr besetzt. Das hat schon was bewirkt, daß wir Briefe an die Pflegedienstleitung geschickt haben, diese Überlastungsanzeigen ...

Was waren deine Gründe, dich von der Station weg zum Bettenhaus zu bewerben?

Das war einmal der Krach im Sommer. Da hatten viele von den Ärzten gesagt, sie würden die Station trotzdem weiter belegen. Wenn wir zu zweit nicht die Arbeit schaffen, die eigentlich vier Leute machen, dann seien wir einfach zu doof. Nach dem dritten Treffen mit Ärzten und Pflegedienstleitung, wo wieder nichts bei rausgekommen war, haben drei Frauen gesagt, 'hier bleibe ich nicht'. Wir vier sind dann auch nacheinander gegangen. Das ist was schief gelau­fen, weil wir uns überlegt hatten, daß wir alle gleichzeitig gehen, damit klar wird: Das ist kein Zufall.

Ich wollte auch weg von der Station, weil du da doch ziemlich isoliert bist. Von dem, was im Bettenhaus passiert, und wie die Stimmung da ist, kriegst du gar nichts mit. B. hatte bei dem Krach im Sommer sofort die Idee, wir sollten mal Flugblätter im Bettenhaus verteilen, damit die das auch mitkriegen. Dazu ist es leider nicht mehr gekommen.

Du hast dir vom Wechsel ins Bettenhaus versprochen, mehr Kontakt zu bekommen ... hat das geklappt?

Es ist auch da nicht so einfach, weil alles so geregelt ist. Es gibt Leute die Blut holen und wegbringen, EKG, Röntgen usw., für jede Arbeit ist jemand zuständig. Nur Leute in den OP bringen und wieder abholen müssen wir selbst. Wenn mal Medikamente ausgegangen sind, ist das eine Möglichkeit, auf ne andere Station zu gehen. Aber das kommt selten vor. Im Großen und Ganzen hast du höchstens Kontakt zu den Leuten, die auf der gleichen Etage arbeiten. Früher, als Schülerin, waren die Rundgänge für uns die beliebtesten Jobs, weil du da von der Station wegkamst.

Für welche Arbeiten, die ihr in der alten Station selber machen mußtet, gibt es im Bettenhaus andere Leute?

Zum Beispiel für die ganze Materialbeschaffung: In jedem Zimmer sind Schränke, die du vom Flur und vom Zimmer aus aufmachen kannst. In der Schranktür hängt ein Zettel, auf dem genau steht, was in dem Schrank drin sein muß - Infusionsbestecke, Kompressen, Kanülen, Mülltüten ... also im Prinzip alles, was du irgendwann mal brauchen könn­test. Und dann gehen mehrmals am Tag Leute von der Zentralversorgung mit einem großen Wagen über die Stationen. Die nehmen Sachen mit, die schmutzig oder voll sind, und füllen das auf, was fehlt. Wir müssen nicht mehr aus dem Zimmer rauslaufen, einen langen Flur entlang und irgendwas holen oder suchen gehen. Das ist ein ziemlich großer Unterschied.

Was ist mit Terminen, die mit den Funktionsbereichen gemacht werden müssen?

Das macht die Sekretärin vorne. Auf jeder Etage gibt es für die vier Stationen eine Sekretärin. Die macht auch ziemlich viele Schreibarbeiten, füllt z.B. die Zettel für die Pathologie aus, für die Blutbank, usw. Das hält sonst immer ziemlich auf. Die macht auch die Kurven fertig und die ganzen Anmeldescheine. Wir müssen das nur noch bei Notaufnahmen am Wochenende machen, wenn die Sekretärin nicht da ist.

Führt denn die Entlastung von den »nicht-pflegerischen« Tätigkeiten dazu, daß sich jetzt alle auf die »gute Pflege« konzentrieren?

Also es ist nicht so, daß sich die Krankenschwestern um den armen kranken Patienten scharen in ihrer Freizeit ... Arbeitszeit! ... in ihrer freien Arbeitszeit. Nee, das ist wie überall, jeder ist froh, wenn er nicht arbeiten muß. Wir sitzen dann ziemlich viel rum. Es ist halt weniger hektisch und wir gehen z.B. im Spätdienst zweimal durch die Zimmer. Du hast mehr Zeit und da bleibst du schon ein bißchen länger im Zimmer drin, und so ergibt es sich schon mal, daß man mit dem Patienten etwas länger redet. Aber es ist auf keinen Fall so, daß du nix zu tun hast und deswegen denkst, ich könnte ja mal zum Herrn soundso gehen. Das macht niemand.

Bis auf diese zwei Durchgänge durch die Patientenzimmer ist da auch im Spätdienst nicht groß was zu tun. Es wird ziemlich viel geschrieben im Unterschied zu der alten Station. Die machen eine ziemlich genaue Pflegeplanung und -dokumentation. Aber das ist auch nach Schema F. Es gibt diese fertigen Bögen und du mußt nur abhaken, wann du was gemacht hast.

Du bist mehr kontrolliert durch das Pflegedokumentationssystem. Auf meiner Station achten die anderen auch sehr darauf, daß die angeordneten Sachen gemacht werden. Das wird aber auch deshalb eher gemacht, weil du mehr Zeit hast. Wenn du im Kopf hast, du mußt noch Urinflaschen sauber machen und irgendwelche Pöttchen spülen und Zellstoff schneiden und so'n Scheißdreck, der mit den Patienten nicht viel zu tun hat, dann nimmst du dir für so Sachen auch weniger Zeit.

Wie empfindest du die Situation für Euch im Bettenhaus?

Für mich ist es erstmal eine Erleichterung. Die alte Station hatte den Vorteil, daß du alles unbeobachtet machen kannst, wie es dir in den Kram paßt. Da haben auch mehr ältere Schwestern gearbeitet. Bei denen gibt es vielleicht eher noch die Sehnsucht nach einem kleinen gemütlichen Krankenhaus. Bei den jüngeren ist das nicht mehr so. Oder Klatsch und Tratsch - das war da großgeschrieben. Da wußte man immer, welcher Chefarzt mit wem gerade ... furchtbar interessante Geschichten. Das kriegst du im Bettenhaus gar nicht mit. Da wird auch nicht so rumgetratscht. Etwa wie der Unterschied zwischen Dorf und Großstadt... Der Nachteil ist, daß du jetzt nichts mehr mitnehmen kannst. Selbst das Frühstück müssen wir selber einkaufen, weil alles schon fertig auf die Station kommt.

Wie ist denn euer Verhältnis zu dem übrigen Personal?

Das Verhältnis zu den Ärzten ist hier streßfreier. Z.B. ist klar, daß wir kein Blut abnehmen, da muß ich mich mit niemandem drüber streiten, und wenn der Arzt keine Lust hat, dann bleibt das Röhrchen halt stehen. Bettenüberbele­gung gibt es auch nicht mehr. Wir haben zwanzig Betten auf der Station und mehr Betten sind nicht da. Die Ärzte sind hier stärker der ganzen Organisation unterworfen und haben sich daran zu halten. Da läuft es nicht so, daß Ärzte gegen Krankenschwestern stehen, weil jemand zusätzlich aufgenommen werden soll. Auf der anderen Station war uns das gleich als Unmenschlichkeit ausgelegt worden, wenn wir uns geweigert haben. Im Bettenhaus läuft das auf einer anderen Ebene ab: das sind die Gegebenheiten und damit müssen wir umgehen. Ich bin da nicht schuldig, wenn jemand nicht aufgenommen werden kann. Und diesen Gegebenheiten fügen sich auch die Ärzte, ohne großartig zu murren.

Zu den Leuten, die die übrigen Arbeiten wie Transport oder Einräumen machen, haben wir kaum Kontakt. Ich bin aber auch noch nicht so lange da. Insgesamt ist es im Bettenhaus eher ein technisierter Ablauf, das hat ne Struktur von Fließbandarbeit, wo Arbeitsschritte nicht hintereinander sondern nebeneinander laufen. Es ist alles sehr aufgeteilt. Es gibt nicht mehr eine Person, die für alles zuständig ist. Aber ich empfinde das bis jetzt als eine Entla­stung und nicht als störend.

Als der Konflikt auf der HNO anfing, hattest du ja gewisse Hoffnungen, daraus könnte sich was entwickeln. Woran lag es, daß das dann ziemlich schnell verebbt ist?

Das hat stark an unserer isolierten Situation gelegen. Der Konflikt konnte sich nicht ausweiten. Die anderen Stationen in dem Haus wußten schon Bescheid, aber das blieb unsere Sache. Ich denke, im Bettenhaus würden sowas recht schnell mehr Leute mitkriegen. Wie sich das dann weiterverbreiten würde, kann ich nicht einschätzen, weil die Etagen doch ziemlich abgeschottet sind.

Auch hier im Bettenhaus wird oft gesagt, wir müßten mindestens 500 Mark mehr kriegen. Das wird damit begründet, daß alles teurer wird, wir brauchen einfach mehr Geld. So'n bißchen berufen sie sich natürlich auch auf die Qualifika­tion und die besondere Arbeit, so Sprüche: 'Was wir hier machen, würd ja eh kein anderer machen! Bald macht es gar keiner mehr!' Ich glaube aber, daß die Forderung nach einer besseren Pflege in der Bewegung immer eine Art Schutzbehauptung gewesen ist, um die eigenen Forderungen zu legitimieren, um zu sagen, wir wollen nicht einfach so mehr Geld, sondern aus gutem Grund. Die alten Argumente von WWU1, das war ja immer die Arbeitsüberlastung, und daß wir soviel Sachen machen müssen, die gar nicht dazu gehören, daß wir lieber Pflege machen wollen. Das können wir hier nicht mehr sagen. Heute ist das eher auf der Ebene, daß Arbeit immer blöd ist. Ob du da sitzt und Kaffee trinkst oder ob du dir die Hacken abrennst - du mußt halt da sein.

Ich weiß nicht, ob die, die mehr Geld fordern, auch wirklich was dafür machen würden. Du kommst ja auch in Bedrängnis, wenn du dich immer auf der Ebene bewegt hast, mit der Arbeitsüberlastung zu argumentieren und daran die Forderung nach mehr Geld festgemacht hast. Aber daß die hingehen und sagen, sie brauchen einfach aufgrund der Gegebenheiten mehr Geld, weil alles andere teurer geworden ist und wir unseren Lebensstandard halten bzw. erhöhen wollen, das ist schwierig, das machen die wenigstens.

Fußnoten

[1] WWU – Wir Wehren Uns, war ein von der Gewerkschaft unabhängiger Zusammenschluß von Krankenschestern und Pflegern in Köln, der Ende 1988 aus einer Veranstaltung zu den Streiks der Krankenschwestern in Frankreich hervor­ging und bis zum Tarif­abschluß der ÖTV im Sommer 89 ein Bezugspunkt für die Mobilisierung an den Krankenhäu­sern war.

 
 
 [Seitenanfang] [Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]