Die neue Arbeitsmigration
Vorschlag für eine »militante Untersuchung«
Seit gut einem Jahr powern Bundesregierung und ihre Medien gegen die wachsende Zahl von Menschen, die aus Bürgerkrieg oder politischer Verfolgung oder ganz einfach aus Armut fliehen, sich in Deutschland niederlassen wollen und zu diesem Zweck politisches Asyl beantragen. Der Staat betreibt auf der einen Seite Abschreckungspolitik (neue Gesetze, ständige Verschubung in immer schäbigere Lager, medienwirksame Darstellung der Brandanschläge und Schlägertrupps), auf der anderen Seite gibt es zwischenstaatliche Abkommen über geplanten Import von billigen ArbeiterInnen.
Um die ImmigrantInnen herum haben sich in den letzten Monaten - besonders seit der Welle von Angriffen auf Flüchtlingswohnheime - sehr viele Initiativen entwickelt: von ländlichen Kirchengemeinden, die Sammlungen und bunte Abende organisieren bis zu linksradikalen Gruppen, die versuchen, die Flüchtlinge zu »schützen« bzw. mit ihnen zusammen eine organisierte Struktur für den Kampf ums Bleiberecht aufzubauen. »Antirassistische Politik« ist das aktuelle große Thema der Linken oder was davon übrig geblieben ist. Eine Politik mit sehr hohem moralischem Anspruch, die oft in Konflikt gerät mit den Bedürfnissen der Einwanderer.
Die Kategorie »Flüchtlinge« für alle Ankommenden verschleiert, daß es sich bei einem Großteil einfach um »Arbeitsmigration« handelt, für die es keine legale Form gibt. Die Argumente, die der Hetze gegen die »Wirtschaftsflüchtlinge« entgegengehalten werden, ignorieren meist die Probleme, die die Einwanderung von ArbeiterInnen, die bereit sind, für weniger Geld zu arbeiten, für die Leute bedeutet, die sich bisher am unteren Rand des Arbeitsmarktes bewegt haben... Wenn wir Fragen von Rassismus in der Arbeiterklasse offensiv angehen wollen, müssen wir uns mit der Veränderung und Neukonstituierung von Ausbeutungsverhältnissen auf der Basis der Migration auseinandersetzen.
Arbeitsmigration geht immer dorthin, wo ein Bedarf besteht. Einkommensansprüche, materielle Not, Wille nach Veränderung durch Auswandern treffen auf Rekrutierungsstrategien des Kapitals. Die Auswanderung wirkt oft als Ventil für aufgestauten Klassenhaß im Auswanderungsland und gleichzeitig als Spaltung der Arbeiterklasse im Einwanderungsland. Denn die einwandernden ArbeiterInnen begreifen sich zunächst nicht als Teil der Klasse hier - gerade Leute, die vorher nicht Arbeiter waren, aus eher feudalen Verhältnissen kommen, sehen die deutschen Arbeiter erstmal als Teil der Gesellschaft hier, die sie ausschließt von ihrem Lebensstandard. Der riesige Einkommensunterschied rechtfertigt für einige auch die Erzielung von Einkommen egal mit welchen Mitteln, und sei es durch Heroinhandel. Die Einwanderung nach Westeuropa hat zwar im letzten Jahr stark zugenommen, doch es ist trotz der informellen Strukturen, über die sie »sich selbst« organisiert, kein kollektiver Prozeß, sondern individuelle Flucht nach Einkommen. Die EinwandererInnen tauchen als vereinzelte hier auf, als isolierte Verkäufer der einzigen Ware, die sie besitzen: Arbeitskraft. Kämpfe der neuen Einwanderer gegen die verschärfte Ausbeutung können auch Prozesse von Neuzusammensetzung der Klasse insgesamt auslösen. Wenn es zu dieser Verbindung nicht kommt, enden die Kämpfe allerdings, wenn die üblichen Ausbeutungsstandards erreicht sind.
Speziell in Deutschland konnte das Kapital nie eine Ausweitung der Mehrwertproduktion mit der vorhandenen Arbeiterklasse durchsetzen und hat daher die Immigration in den verschiedensten Formen gefördert. Ein neuer Akkumulationszyklus war und ist immer verbunden mit einer Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Unerfahrene, »kulturell« isolierte, rechtlich benachteiligte ArbeiterInnen sollen die bestehenden Arbeitsbedingungen aufbrechen: die bestehende Starrheit der Löhne nach unten, den Acht-Stunden-Tag, die Arbeitsrhythmen. Im folgenden wollen wir einen Überblick gegen über die Entwicklung der Arbeitsmigration nach Deutschland.
1. Die Massenarbeiter-Immigration bis 1974
a) Die Immigration nach 1945 spielte sich in Deutschland in mehreren Phasen ab: Zuerst wurde die Produktion - das mit 12 Millionen ZwangsarbeiterInnen gebaute größte und modernste Industriepotential Europas - mit neun Millionen »Ostflüchtlingen« wieder in Betrieb genommen. Bis zum Bau der Mauer 1961 wurden außerdem zwei Millionen Hochqualifizierte aus der DDR integriert. Danach probierte die BRD wie die anderen nordwesteuropäischen Staaten »Gastarbeiter«-Rotationsmodelle aus.
b) Die Anwerbung von ProletarierInnen aus Süd- und Südosteuropa auf eine begrenzte Zeit verschaffte dem Kapital (auch in der DDR) die notwendige billige Arbeitskraft für die Ausweitung der Massenproduktion in den Metropolen. Die Reproduktion dieser Arbeitskraft sollte außerhalb der (Sozial-)Staatsgrenzen stattfinden. Die gewollte Spaltung der Arbeiterklasse in Deutschland in einen national integrierten und einen anderen, aus dem Staat ausgeschlossenen Teil, sollte ein höheres Niveau von Klassenkampf verhindern.
c) Wie in ganz Europa und Nordamerika sind in den 60er Jahren die Wanderarbeiter vom Kapital direkt in die zentrale Arbeiterklasse gestellt worden (v.a. in die Montageindustrien). Von dort aus sind sie zu Protagonisten der politischen Neuzusammensetzung jener Phase geworden. Der gemeinsame Kampf mit »ausländischen« ArbeiterInnen begann die politische Integration der »Deutschen« in den Staat zu zersetzen. Wo das Kapital durch die Rotation die Unerfahrenheit zirkulieren lassen wollte, ließen 'zig Millionen ArbeiterInnen ihre Erfahrungen zirkulieren und damit auch die Kämpfe zwischen den Peripherien und den Industriezentren Europas (oft mehreren Stationen hintereinander, z.B. von Süditalien zuerst in die BRD und dann nach Turin). Der Krisenangriff 73/74 zielte auf diese Klassenzusammensetzung und stoppte folgerichtig auch die Anwerbung.
2. Die Entwicklung nach 1974: Prekarisierung
Die Krisenpolitik nach 1974 mit ihren Massenentlassungen trieb viele WanderarbeiterInnen zur Rückkehr. Mit dem neuen Akkumulationszyklus kam dann auch die Immigration wieder in Gang.
a) Die Rekrutierung neuer FabrikarbeiterInnen aus den »deutschen Minderheiten« in Osteuropa machte eine kanalisierte Einwanderung von Arbeitskräften möglich, ohne Deutschland offiziell zum Einwanderungsland zu machen. Der deutsche Staat förderte den »Ausreisedruck« aus Polen, Rumänien und der SU. Von den »Aussiedlern« erwartete das Kapital die Mobilität und Unerfahrenheit von frischen ImmigrantInnen und weitgehende politische Loyalität (nicht zuletzt Antikommunismus). Die Größenordnung dieser Immigration liegt allerdings mit ca. 60.000 pro Jahr weit unter den »Gastarbeiterströmen der frühen 70er.
b) WanderarbeiterInnen aus der Türkei und Jugoslawien hatten wegen der anhaltenden schlechten Wirtschaftslage in ihrer Heimat wenig Gründe zurückzugehen. Sie holten ihre Familie nach und wurden zu dauerhaften BRD-BewohnerInnen. Der Staat versucht, sie über sozialarbeiterische »Integrationsprogramme« an den Staat anzubinden. Scheinbar gegenläufig dazu werden selbst hier geborene Kinder von WanderarbeiterInnen rechtlich als »Ausländer« nicht den Deutschen gleich-, sondern unter permanenten Vorbehalt gestellt.
c) Der Personalabbau in den Fabriken und die Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse hat die Immigration aus Staaten wie der Türkei nicht beendet. Sie findet jetzt unter »prekären« Bedingungen statt, z.B. im Rahmen des Familiennachzugs und durch Einheirat. Die Beschäftigungsquote von Türken in der BRD sank von 71% im Jahre 1970 auf 35% im Jahre 1990 (gegenüber 40% im BRD-Durchschnitt). Diese Zahlen lassen nicht nur auf die größere Kinderzahl schließen, sondern auch auf Arbeitslosigkeit und v.a. vermehrte Schwarzarbeit, vom Staat durch restriktive Vergabe von Arbeitserlaubnissen gefördert. Viele dieser Jobs entstehen in einem neuen Niedriglohnsektor von Familien- oder »ethnischen« Betrieben, wo z.T. ehemalige Fabrikarbeiter die Kapitalisten sind.
3.
Nach den Militärputschs in der Türkei und Polen, dem Umsturz im Iran dem Bürgerkrieg in Afghanistan, Sri Lanka und im Libanon kommen zigtausende von Menschen, die politisch verfolgt sind oder die einfach einen Weg raus aus der Armut suchen. Die einzige legale Aufenthaltsform ist der Asylantrag. Gleichzeitig wird dies eine neue Form der Arbeitsmigration.
Das Arbeitsverbot während des Verfahrens und nach Ablehnung des Antrags zwingt zur illegalen Arbeit.
* Das Asylverfahren ist ein flexibles Instrument, um die Migration zu selektieren und bei Bedarf auszudehnen oder zu verengen, die Bedingungen zu verschärfen oder zu lockern.
* Das Verfahren hat es bislang erlaubt, eine gewisse Kontrolle über den Schwarzarbeitsmarkt ausüben.
* Außerdem werden alle Einwanderinnen und Einwanderer politisch überprüft (Geheimdienste cheken Verfolgungsgeschichte und kontrollieren die Leute weiterhin.)
* Die Ausgrenzung der AsylbewerberInnen aus dem legalen Arbeitsmarkt trägt dazu bei, sie als ArbeiterInnen zu entpolitisieren - d.h. sie können sich kaum als Teil der hiesigen Arbeiterklasse begreifen. Dies fördert eine Orientierung nach ethnischer Zugehörigkeit, die gut in die modernen Sozialstaatskonzepte der multikulturellen Gesellschaft passen. (Die auf Nordeuropa beschränkte Erscheinung, daß AsylbewerberInnen Sozialhilfe bekommen, hat nur solange als sozialstaatliche Schutzmaßnahme gegenüber der einheimischen Arbeiterklasse funktioniert, wie das Asylverfahren als Übergang zur Eingliederung in den offiziellen Arbeitsmarkt bzw. das Ausbildungssystem verstanden wurde. Die fast nur noch aus Sachleistungen bestehende Sozialhilfe ist heute hingegen ein Grundeinkommen, das mit Schwarzarbeit aufgestockt wird. D.h. auch ein niedriger Stundenlohn wird akzeptiert, wie die Teilnahme an den Sozialamts-Jobs zeigt.)
4.
1988/89 setzte das osteuropäische Proletariat seine eigene Mobilität durch. Die dauerhafte oder zeitweilige Auswanderung nach Westen sprengte nicht nur die Klassenzusammensetzungen in Osteuropa, sondern auch in Westeuropa. Speziell die BRD ist nun Ziel der osteuropäischen Immigration, deren unterschiedliche Kategorien sich v.a. aus den vorhandenen Gesetzen ableiten: »Übersiedler«, »Aussiedler«, »Asylanten« und »Illegale«.
a) Galten die ersten Flüchtlinge aus der DDR im Sommer 1989 als »stark motiviert«, schuf die »Wiedervereinigung« das Problem, wie ein gespaltener Arbeitsmarkt aufrechterhalten werden kann. In Ostdeutschland gelten niedrigere Tarife, aber die 8 Mio. ArbeiterInnen können sich frei auf dem deutschen Arbeitsmarkt bewegen. Die Übersiedlung in den Westen (seit 1989 etwa eine Million Übersiedler) oder das Pendeln v.a. von jungen und ledigen ArbeiterInnen (500 000 täglich) nimmt den Abwehrkämpfen in den abgewickelten Betrieben einige Kraft. Gleichzeitig akzeptieren die Ostdeutschen in den Westbetrieben oft niedrigere Löhne, was zu erheblichen Konflikten führt. Spezielle »Ossi-Abteilungen« entstehen, in denen von den Ansässigen (bzw. Alt-Immigranten) niemand arbeiten würde (z.B. im Hamburger Hafen).
b) Seit der »Wiedervereinigung« scheint kein Interesse mehr an »Aussiedlern« aus Osteuropa zu bestehen, die sich dauerhaft hier niederlassen und für deren Reproduktion und Ausbildung der Staat aufkommen muß. Bis heute sind ca. 1,2 Mio. von ihnen eingebürgert worden, aber aufgrund der schlechteren Qualifikation, der fehlenden Deutschkenntnisse ist ihre Arbeitslosenrate bis heute sehr hoch. Als Konsequenz werden jetzt die Kontrollen zum Aussieben »nichtdeutscher« MigrantInnen, die als »Aussiedler« in die BRD zu kommen versuchen, verschärft und in die osteuropäischen Länder vorverlegt. Angesichts der Zahlen von zwei Millionen weiteren ausreisewilligen »Sowjetdeutschen« will die SPD den Aussiedler-Paragraphen ganz abschaffen; die Regierung verhandelt mit Rußland über Privilegien für »Rußlanddeutsche« dort.
c) Gleichzeitig haben sich die Zahlen der Asylbewerber mehr als verdoppelt (insgesamt 700 000 seit 88). Die Regierung geht zudem von z.Zt. 500 000 illegalen Einwanderern in der BRD aus.
* Legal Eingereiste, deren Touristenvisa abgelaufen sind. Neben Schwarz-Kleinhandel arbeiten sie v.a. in klassischen, großteils von »illegalen« Sklavenhändlern kontrollierten Schwarzarbeitersektoren wie Bau, Gebäudereinigung, Obst- und Weinernte usw., wobei sie die bisherigen Schwarzarbeiterlöhne drücken. Falls sie Asylanträge stellen, dann, um sich abzusichern oder auch, um eine Zeitlang von Sozi zu leben.
* PolInnen können ohne Visum einreisen, bekommen aber i.d.R. keine Arbeitserlaubnis. Sie können jederzeit abgeschoben werden und bei »Fehlverhalten« durch Stempel im Paß »gesperrt« werden. Dumping-Löhne im BRD-Schwarzarbeitssektor sind, in Zloty umgewechselt, immer noch recht hoch.
* Illegal Eingereiste. Sie werden meistens in der Türkei und Südosteuropa von Schleppern direkt als ArbeiterInnen angeworben. Einige setzen ihre Hoffnungen auf die Hilfe der Landsleute hier, um eine Arbeit zu finden. Andere kommen sowieso mit der Perspektive, sich hier als Händler zu betätigen oder krimineller Arbeit nachzugehen. Viele werden trotz der hohen Preise für Schlepper an der Grenze erwischt. Sie wissen, daß sie »Asyl« sagen müssen, um nicht sofort abgeschoben zu werden. Diesen Migranten ist die Sozialhilfe vielleicht ganz recht, aber nicht der entscheidende Grund für ihr Kommen.
Bei allen Gruppen bestimmt v.a. der Staat die Grenze zwischen Asyl und Illegalität.
d) Die Asyl-Immigration wirft für den Staat einige Probleme auf: Die Leute können nicht einfach ohne Verfahren abgeschoben werden, sie lassen sich aber auch nicht alle in die Ausbeutungsordnung einbauen. Die BRD verhandelt mit den Balkan-Staaten, damit die Roma dort bleiben.
e) Im Sommer 1991 steigerte der Staat bewußt die Zahl der Asylanträge (indem er einfach die Überwachung der grünen Grenze verschärft) und initiierte eine neue Kampagne gegen die »Asylanten«, z.T. indem er sie selbst noch mieser behandelt (sofortige ED-Behandlung für alle; Internierungslager...), v.a. aber, indem er gezielt kommunale Kassen belastet und über die Medien an rassistische Strömungen appelliert, dem angeblichen Volkswillen nachzuhelfen. Der Osten wird zum Faschistengebiet erklärt. Damit werden drei Ziele erreicht, von denen zwei mit den ImmigrantInnen so gut wie nichts zu tun haben:
* die sich entwickelnden Arbeiterkämpfe in der Ex-DDR werden über die unmittelbar Beteiligten hinaus kaum bekannt;
* es werden neue Legitimationen für den Ausbau der staatlichen Gewalt im Osten geschaffen (v.a. die »Ausländerfreunde« fordern: Bullen, Bullen, Bullen);
* alle ImmigrantInnen sollen von vornherein eingeschüchtert werden und Forderungen, wenn überhaupt, nur noch als Opfer stellen.
5. Die Bundesregierung legt die Grundlagen für eine neue Migrationspolitik:
a) EG-Politik: Die EG-Staaten erwarten im Binnenmarkt 93 zwar keine größeren Wanderungen von EG-Bürgern, aber die einzelnen Länder versuchen, die unterschiedlichen Situationen (z.B. geschätzte 2 Mio. völlig Illegale in Italien) zu vereinheitlichen, u.a. über europaweite Repressionsorgane (Schengener Abkommen/TREVI). Auch das Asylrecht wird vereinheitlicht werden.
b) Lösung von »Altlasten«: TürkInnen/KurdInnen und JugoslawInnen sind dauerhaft eingewandert, haben sich aber nicht kulturell »assimiliert«, sondern ethnische Communities gebildet, in denen Erfahrungen über ein weites Spektrum von staatlicher Sozialarbeit über garantierte Fabrikarbeit bis zu ethnischen Klitschen (in denen z.B. das starre BRD-Ausbildungssystem faktisch außer Kraft ist) und halblegalen Familien-Minibetrieben zirkulieren. Die in der BRD aufgewachsene Generation löst sich von den Begrenzungen des bäuerlichen Hintergrunds ihrer Eltern und ist gleichzeitig institutionell aus der BRD-Gesellschaft ausgeschlossen. Was Pädagogen und Bullen als Probleme sehen (Schulversagen, Kriminalität), drückt aus, wie wenig ein Teil dieser Generation in die produktive Kooperation der BRD integriert ist. Das seit 1991 gültige neue Ausländergesetz ist eine Art Wasserscheide: Den Angepaßten wird die Einbürgerung erleichtert (Ausbildungsinvestitionen des deutschen Staats gehen nicht verloren), die Unangepaßten werden stärker prekarisiert. Im wesentlichen ist der Zwang zur Arbeit verschärft: Wer zu lange nicht arbeitet, kann ausgewiesen werden. (Laut einer Umfrage unter Jugendlichen mit türkischer Staatsangehörigkeit wollen 70% hier bleiben und die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen - trotz der rassistischen Hetze!)
c) Zum ersten Mal seit 1974 hat die BRD letztes Jahr wieder Anwerbeabkommen abgeschlossen und zwar mit Polen, Ungarn, CSFR, Jugoslawien, Portugal. Dabei sollen die Fehler der alten nicht funktionierenden Rotationspolitik vermieden werden, indem statt der 3-5jährigen »Gastarbeiter«-Verträge diesmal nur 3-Monats-Verträge abgeschlossen werden und z.B. auf dem Bau ungarische und deutsche Kolonnen nacheinander arbeiten. Es gibt aber schon Stimmen (z.B. im Gaststättengewerbe), die eine Verlängerung auf 9 Monate fordern. Damit werden die Löhne und Arbeitsbedingungen in legalen Bereichen wie Bau und Krankenhaus und die Kämpfe der hier Beschäftigten direkt angegriffen. (Es gab in einem Krankenhaus schon Flugblätter, die den gleichen Lohn für jugoslawische Schwestern fordern.)
d) Über den illegalen Sektor wissen wir z.Zt. wenig. In Paris, Amsterdam oder London gibt es seit Jahren bestimmte Sektoren, in denen fast nur illegale ImmigrantInnen arbeiten, allen voran die Konfektionsindustrie (siehe Artikel in wildcat Nr. 57). Es gibt Stimmen, die das nun auch für Deutschland erwarten ....
Migration und illegale Arbeit - Überlegungen zu einem Untersuchungsprojekt
Die Arbeitsmigration findet heute in anderen Formen statt als in den 70er Jahren. Da die meisten veröffentlichten Zahlen nur die jeweiligen politischen Forderungen untermauern sollen, widersprechen sie sich oft und gegen nur wenig Einblick in die Realität der WanderarbeiterInnen. Eine Untersuchung ihrer Bedingungen und ihrer Erwartungen ist die erste Voraussetzung, um gemeinsam handeln zu können. Dabei geht es nicht um eine Untersuchung »von außen«, sondern um die gemeinsame Diskussion der Lebens-, Arbeits- und Kampfbedingungen hier als ersten Schritt zu gemeinsamer Aktion.
Mittel der Untersuchung: Wir haben begonnen, Interviews mit ausländischen KollegInnen, ihren Familienangehörigen zu machen. Wir gehen in türkische oder polnische Cafés, die oft Vermittlungsbörsen für Jobs sind. Fragebögen als Leitfaden zu nehmen, kann dabei sehr hilfreich sein.
Die ersten Fragen sind:
1) Welche Dimensionen hat die Migration: wie viele »MigrantInnen« sind hier, wie viele kommen gerade, woher, aus welchen Gründen? Wieviele sind es im Vergleich zu früheren Einwanderungswellen - und zur Einwanderung in andere Länder, Regionen?
2) Welche Arbeiten machen sie hier? unter welchen Bedingungen, zu welchen Löhnen? Warum machen sie gerade diese Arbeiten? Wie ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt, wie entwikeln sich Ansprüche an Arbeit, welche Qualifikationen bringen sie mit? Wie wirken Ausbreitung von prekärer und illegaler Arbeit und Migration zusammen?
Während früher die im Heimatland angeworbenen »Gastarbeiter« zum großen Teil in »legale« Ausbeutungsverhältnisse rekrutiert wurden, ist heute für die Mehrheit der illegalen Einwanderer diese Möglichkeit versperrt. Sie bilden die hauptsächliche Arbeitskraft in bestimmten Branchen.
Da der »informelle Sektor« die Ausgangsbasis für fast alle neuen MigrantInnen ist, setzt hier unsere Untersuchung an. Die politische Einschätzung dieses Sektors bewegt sich zwischen zwei Extremen:
* Für die einen ist der illegale Sektor Druckmittel, um die Löhne und die sozialstaatlich abgesicherten Bedingungen zu untergraben. Gerade in der gewerkschaftlichen Propaganda ist der illegale Bereich (oder oft noch platter: »die Illegalen«) Hauptübel der aktuellen Deregulierungstendenzen; im Kampf dagegen sind deswegen alle Mittel recht, und seien es Ausländerbullen, die Illegale abschieben, oder schärfere Gesetze, um sie schon am Herkommen zu hindern.
* Anderen erscheint der illegale Bereich als Beginn einer alternativen, selbstbestimmten Produktion: das Proletariat verwerte sich hier selbst, der Staat habe nur marginale Bedeutung.
Die erste Position schlägt in die altbekannte Gewerkschaftsposition um: das Erreichte sichern, die eigene Klientel verteidigen - das gleiche Schema wie in den 80ern: Stammbelegschaften verteidigen, die Prekären dem Kapital zum Fraß vorwerfen. Die zweite Position bemüht sich, die Interessen der »neuen MigrantInnen« zu vertreten und übersieht oft u.a. die Ausbeutungsstrukturen innerhalb der »ethnischen« Betriebe.
Daraus ergaben sich weitere Fragen:
3) Über welche Kanäle kommen sie auf den Arbeitsmarkt?
4) Verhältnis zum Arbeitgeber: Ausbeuter vs. Landsmann
5) An welchen Biographien, Karrieren orientieren sie sich; wie sehen sie ihr eigenes Fortkommen?
Die Antworten geben uns hoffentlich Anhaltspunkte, um allgemeinere Fragen zu beantworten:
- Weitet sich in Deutschland der informelle Sektor aus? wie verhält er sich zu »garantierten« Bereichen (Lohnkonkurrenz; Ausweitung)? Entstehen bestimmte Sektoren (wie z.B: Konfektionsindustrie) neu auf der Basis von Niedriglöhnen?
- Wie entwickeln sich die Löhne in den bisherigen Sektoren von Schwarzarbeit?
Diesen Teil der Untersuchung dürfen wir nicht vorschnell auf die Arbeit der ImmigrantInnen einengen: es geht um die Frage der Ausweitung des gesamten prekären Bereichs - und welche Rolle darin die Migration spielt.
Wir haben in Berlin mit dieser Untersuchung begonnen. Jede/r von uns kennt Leute, die in solchen Arbeitsverhältnissen stecken. Oft genug arbeiten wir am selben Arbeitsplatz. Wir wollen versuchen, daraus ein Verhältnis von gemeinsamer Diskussion und Aktion zu machen.