Los Angeles brennt. Und ungeachtet aller Kommentare − von »Rassenunruhen« bis hin zu »Verbrechern, die die Bevölkerung terrorisieren« − sehen wir deutlich das Lachen auf den Gesichtern der Leute, die ihr Paradies in Schutt und Asche gelegt haben...
"Am Anfang" steht ein Justizskandal. Nicht, daß die Bullen Rodney King halbtot geprügelt haben − so was kommt in L.A. mehrmals am Tag vor −, sondern daß sie freigesprochen wurden, obwohl die ganze Fernsehnation das Video gesehen hat, das das Gegenteil beweist. Das Verfahren war in den Vorort Simi Valley verlegt worden, einen beliebten Altersruhesitz für pensionierte Bullen. Dies war nicht in erster Linie ein pro-weißes, sondern ein Pro-Bullen-Urteil. »Die Geschworenen dachten nicht, die Bullen seien unschuldig. Sie wußten, daß sie schuldig waren, aber das war ihnen scheißegal«, heißt es in einem Flugblatt aus Oakland.
Die Liberalen, die etablierten "afrikanisch-amerikanischen" Organisationen, die politisch einflußreiche schwarze Mittelschicht, zu der auch Bürgermeister Bradley, ein Ex-Polizist, gehört: Sie alle sind empört über das Urteil. Dies eine Mal hätte der Rechtsstaat aktiv werden müssen... Aber während sie noch staunen und protestieren, sind schwarze und Latino-Jugendliche in South Central Los Angeles schon zum Angriff übergegangen. Unter »No Justice, No Peace«-Rufen ziehen sie zum Polizeipräsidium und bewerfen das Gebäude und die herumstehenden Streifenwagen mit Steinen. Dann laufen sie weiter in die Innenstadt und greifen Rathaus, Staatsgericht und das Gebäude der Los Angeles Times an. Und während Mitglieder der vielen Jugendgangs bewaffnet in "weiße" Gegenden gehen und Autos plattmachen, passiert in South Central etwas unerhörtes: Zigtausende von BewohnerInnen des Viertels ziehen auf die Straßen und feiern einen Aufstand. Wo die Bullen auftauchen, werden sie angegriffen. So halten sie sich erstmal zurück und sehen nur zu.
In der ersten Nacht, am Abend des 29. April, beschränkt sich die Revolte vor allem auf South Central − das schwarze Ghetto von Los Angeles, die Gegend mit der geringsten Lebenserwartung, der höchsten Arbeitslosigkeit, vor allem unter Jugendlichen, den meisten Schulabbrechern. Hauptziele der Plünderungen und für den Haß sind die Läden der Viertel. Wie in den meisten proletarischen Innenstadtvierteln der USA gibt es in South Central L.A. nur wenige Läden, und die sind schlecht und teuer. Besitzer sind oft koreanische Immigranten. Im Viertel wohnen hauptsächlich Schwarze und Latinos (um zwei der nur beschränkt brauchbaren rassisch-ethnischen Kategorien zu benutzen, mit denen die Bevölkerung der USA eingeteilt wird − und sich selbst einteilt). Auslöser des Aufstands ist die Wut über die besonders beschissene Situation der "nicht-weißen" Arbeiterklasse, die sich auch ideologisch im schwarzen Nationalismus ausdrückt. Insofern ist es faktisch ein "schwarzer Aufstand", und die Medien greifen weltweit begierig das Schlagwort von den "Rassenunruhen" auf. Es werden auch weiße Passanten und Autofahrer angegriffen, das sind aber eher Ausnahmeerscheinungen. Stattdessen beteiligen sich auch viele Weiße aus den umgrenzenden Vierteln. »Ich hoffe, sie fackeln die ganze Scheißstadt ab,« sagt einer am Telefon. Die New York Times gibt immerhin zu: »In einigen Gegenden wirkte es wie ein Straßenfest, denn Schwarze, Weiße, Hispanics und Asiaten haben sich vereinigt, um an einem Karneval der Plünderungen teilzunehmen. Wie die allermeisten Polizisten bemerkten, gingen Menschen jeden Alters und aller Arten, einige mit Kindern, in den Kaufhäusern ein und aus, Einkaufstüten und Arme voll mit Schuhen, Spirituosen, Radios, Lebensmitteln, Perücken, Ersatzteilen für Autos, Fußbällen, verschiedenen Gebrauchsgegenständen und Schußwaffen. Einige stellten sich geduldig an und warteten, bis sie an der Reihe waren.«
In der zweiten Nacht greift der Aufstand auf das ganze Stadtgebiet der riesigen Metropole über: Die ganze Stadt brennt − auch die "weißen", "Chicano-" und "asiatischen" Viertel, und auch die BewohnerInnen dieser Viertel sind dabei.
Noch am ersten Abend springt der Funke auch schon auf andere Städte über: In San Francisco plündern hunderte von Jugendlichen aller Hautfarben dieses Planeten das schicke Einkaufsviertel um die Market Street. Die Fernsehbilder, die zeigen, wie sie lustvoll Boutiquenschaufenster eintreten und ausräumen, strafen die Kommentare von den "Rassenkrawallen" genauso Lügen, wie das Prügelvideo das Urteil von Simi Valley. Ähnliches geschieht in Seattle. Die Nachricht (schätzungsweise eher die vom Aufstand in Los Angeles als die vom Urteil) löst ein Mobilisierungsfieber aus, das in den Formen und der Zusammensetzung stark der Mobilisierung gegen den Golfkrieg ähnelt. In über hundert Städten der USA gibt es kleinere Aktionen, zum großen Teil Protestdemos gegen das Urteil. In verschiedenen Städten Kaliforniens verlassen SchülerInnen und StudentInnen ihre Klassenräume und blokieren Autobahnen (in San Diego, San Francisco, Berkeley und Oakland) und besetzen staatliche Gebäude (Olympia/Washington, Eugene/Oregon und Austin/Texas). Dabei sind es in den Großstädten der alten Südstaaten wie Tampa/Florida, Las Vegas, Birmingham/ Alabama ... vor allem junge Schwarze... In Atlanta/Georgia belagern die Bullen den Campus der schwarzen Universitäten (eine örtliche Politikerin sagt: »Das hat nichts mehr mit Rodney King zu tun. Die besten Studenten am Morehouse College wissen, daß sie in einem Jahr bei McDonalds arbeiten werden.«) Sogar nach Kanada breitet sich die Bewegung aus: Eine Demo in Toronto läuft den antirassistischen Veranstaltern aus dem Ruder und geht in Plünderungen über. Ein Riot, der Anfang Mai 1991 im Stadtviertel Mount Pleasant von Washington/D.C. stattgefunden hatte, wiederholt sich am 10. Mai.
Die Polizei von Los Angeles, der Auslöser des Riots, ist ein Besatzungsregime, das seit Jahren mit permanenter Hubschrauber-Präsenz, mit flächendeckenden Razzien, mit Massenverhaftungen von tausenden Jugendlichen versucht, die Herrschaft über Los Angeles aufrechtzuerhalten. Ihr Chef hatte Präsident Carter 1979 schon angeboten, mit seinem SEK die US-Botschaft in Teheran zu stürmen. Sie handelt schon lange nach dem Motto: »Das hier ist Vietnam« (tatsächlich sind viele L.A.-Bullen Ex-Vietnam-Soldaten). Aber sie wird der Lage nicht mehr Herr. Schon in der ersten Nacht werden 4 .000 kalifornische Nationalgardisten hereingebracht, und am Ende schickt Bush (unter dem Beifall des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Clinton) tausende seiner Panama-erfahrenen Marines nach L.A.. Angesichts der Zerstörungen und der Soldaten auf den Straßen macht das Wort "Beirut" die Runde. (Allerdings funktioniert dieser Vergleich wohl eher andersrum, denn die neuesten Nachrichten aus Beirut berichten nicht von Kämpfen verfeindeter Milizen, sondern von einem wütenden proletarischen Mob aus Moslems, Drusen und Christen, der gemeinsam die Villa des Finanzministers stürmt und abfackelt.)
Zu Anfang versuchen die Politiker aller Schattierungen noch hektisch, den Schaden zu begrenzen. Bush sagt, im »amerikanischen Gewissen« sei kein Platz für Rassismus, und der Generalbundesanwalt der USA verspricht hektisch ein neues Verfahren gegen die vier Bullen. Vielleicht hört ihnen jemand im Fernsehen zu, aber niemand in der realen Welt, in L.A., außer den "schwarzen Führern". Die sind völlig ratlos und rufen im Namen der Gewaltlosigkeit dazu auf, den Riot sofort zu stoppen, allen voran natürlich Bürgermeister Bradley. Sogar Rodney King selbst wird verstört als Kronzeuge gegen den Riot vor die Kameras gezogen. Je deutlicher es wird, daß der Riot nicht bloß eine militante Übertreibung "schwarzer Politik" ist, daß es nicht um Chancengleichheit für Schwarze in der amerikanischen Gesellschaft geht (wovon diese "Führer" ja direkt profitieren), desto klarer grenzen sie sich von ihm ab und sprechen von »Verbrechern«, die das Rodney-King-Urteil nur als »Vorwand« nähmen.
Allerdings sprechen − zumindest für einige Tage − auch die schwarzen Führer nur noch mit den weißen Führern und dem Fernsehen: »Wenn das Justizsystem nicht mehr funktioniert, hören die Leute, die normalerweise auf uns hören würden, nicht mehr zu«, klagt ein schwarzer Priester. Der "afrikanisch-amerikanische" Nationalismus, der ideologische Kitt, der die sogenannte schwarze ""Community"" zusammenhält, wird brüchig. Er funktioniert wie jeder "Befreiungs-Nationalismus": Immer wenn kulturelle "Klassengrenzen" sich tendenziell mit angeblichen "rassischen" (physischen) und/oder "ethnischen" (sprachlich-kulturellen) Grenzziehungen decken, bauen sich "Mitglieder" der "unterdrückten Gruppe" als Führer auf. In den USA gibt es eine lange Tradition "schwarzer Führer". Es gibt natürlich eine Reihe von Unterschieden zwischen den politischen Vorstellungen von Leuten wie L.A.'s Bürgermeister Bradley und Generalstabschef Colin Powell und denen von militanten Führern wie Louis Farakhan. Aber der Unterschied ist nur relativ: Bradley und Powell propagieren die Teilnahme am "amerikanischen Traum"; sie selbst beweisen ja, daß er wahr ist. Die schwarzen Nationalisten dagegen sagen, da das schwarze Proletariat von der Existenz schwarzer Kapitalisten profitiere, hätten diese auch besonderen Anspruch auf die Unterstützung des schwarzen Proletariats. Allen ist gemeinsam, daß sie ArbeiterInnen, die "ihre Hautfarbe" teilen, als Sprungbrett für ihre persönliche Karriere benutzen.
Während das schwarze Establishment immer weniger politisch legitimiert ist, treten als Machtfaktor in den armen Vierteln von Los Angeles zunehmend Straßengangs auf den Plan. Straßengangs sind in den USA nichts Neues: Ihre Vorläufer gehen auf Formen proletarischer Selbstorganisation unter jungen irischen Einwanderern in den Städten der amerikanischen Ostküste zurück. Los Angeles, das heute 15 Millionen Einwohner hat, war bis zur Jahrhundertwende eine Kleinstadt und wuchs vor allem durch die Rüstungsindustrie des zweiten Weltkriegs. Ihre Arbeitskräfte rekrutierte sie aus den Millionen von schwarzen Landarbeitern, die die Baumwollplantagen der alten Südstaaten verließen und in die Industriezentren des Nordens und Kaliforniens gingen. Die Gangs dienten gleichermaßen dem Selbstschutz gegen rassistische Angriffe von Weißen wie der städtischen Sozialisation der frisch eingewanderten "Landeier". Als 1965 in Watts (einem Viertel in South Central L.A.) ein Riot von ungekannten Ausmaßen losbrach, waren es vor allem die Gangs, die jubelnd ihre Feindseligkeiten untereinander einstellten und die Bullen mehrere Tage aus dem Viertel vertrieben. Tatsächlich kam ein großer Teil der Militanten der Black Panther Party, die als schwarz-nationalistische Selbstverteidigungsorganisation begann und, vom Maoismus beeinflußt, immer mehr zu einem allgemeinen Klassenstandpunkt überging, aus den Gangs wie den Slausons. Die BPP wurde Anfang der 70er Jahre vom FBI praktisch physisch vernichtet − zig ihrer Militanten wurden von den Bullen erschossen.
Das amerikanische Kapital hat weltweit vielleicht die radikalsten Konsequenzen aus den Klassenkämpfen der 60er und 70er Jahre gezogen (siehe Zerowork − TheKla 10). In den Montagefabriken arbeiteten Mitte/Ende der 60er Jahre mehr Schwarze als Weiße: Die Schwarzen waren zur zentralen Fabrikarbeiterklasse geworden und gleichzeitig zirkulierten ihre Kämpfe zwischen Fabriken und Wohnvierteln (gegen die Arbeit und für Lohn und Sozialhilfe) derart, daß sich z.B. die US-Automobilindustrie nie mehr davon erholt hat. Das amerikanische Kapital hat den keynesianischen Deal aufgekündigt. Ganze Industrien wurden am Standort USA dichtgemacht, in L.A. z.B. die Rüstungs- und Flugzeugindustrie; neue Industrien entstanden z.T. in den "weißen" Vororten, die durch kein öffentliches Verkehrsmittel mit den "schwarzen" Ghettos verbunden sind. In den neuen Sweatshops der Textil- und Spielzeugindustrie arbeiten vor allem mexikanische und asiatische Immigranten. In der Tourismus-Industrie, die mit der Olympiade von 1984 ihren großen Push kriegen sollte, arbeiten meist Weiße. Während die überlebenden schwarz-nationalistischen Führer der 60er Jahre zum großen Teil in die herrschende Klasse der USA integriert sind (obwohl sie immer noch eine "schwarze" Rhetorik pflegen, denn ein schwarzer Bürgermeister weiß, was er seinen schwarzen Wählern schuldig ist), ist ein großer Teil der schwarzen Arbeiterklasse permanent aus dem normalen kapitalistischen Produktions- und Reproduktionsprozeß herausgedrängt worden. Gleichzeitig hat auch der Staat praktisch sämtliche ABM-Programme für Jugendliche gestrichen. Offiziell sind 45 Prozent der männlichen Schwarzen im ganzen Bezirk von L.A. arbeitslos: eine Arbeitergeneration, die außerhalb der Lohnarbeit aufgewachsen ist. Aus Sicht des Kapitals hat hinter Los Angeles vielleicht die Vorstellung gesteckt, die produktive Kooperation könnte nach einer neuen Version des alten amerikanischen Modells funktionieren, »fünf Italiener, fünf Iren und fünf Polen in derselben Fabrik« zu beschäftigen, »damit sie nicht reden und sich organisieren können«, so der Soziologe Michael Hardt aus L.A., der das aber für gescheitert hält: »Bei uns sagt man, daß alles nur von einem blauen Faden zusammengehalten wird, und der ist die Polizei, die man überall in L.A. sieht.« Und selbst die Vorstellung, L.A. funktioniere für das Kapital mit diesem "blauen Faden", gehört wohl der Vergangenheit an. Die Wirtschaftswoche vom 8. Mai 1992 addiert hämisch die Sach- und Personenschäden des Aufstands zur bestehenden öffentlichen Verschuldung von L.A. und erklärt »den Traum von Los Angeles als der künftigen Metropole des Pazifik-Raums« für beendet.
Dafür floriert die Drogen-Ökonomie: Der Haupteinfuhrweg für südamerikanisches Kokain hat sich von Florida nach Südkalifornien verlagert. Drogenkartelle und Kleinbauern haben den peruanischen und bolivianischen Rohcoca-Export, und damit auch den kolumbianischen Kokain-Export stark ausgeweitet. Zur Rettung der Nachfrage kam dann 1983/84 Crack, das "Arme-Leute-Kokain" auf den US-Markt. Den Endverkauf überlassen die Kartelle schwarzen Jugendgangs. Nach Angaben der Bullen gibt es inzwischen mehrere hundert Rock Houses genannte Häuser, in denen die Gangs Kokain verkaufen − mehr als Alkoholgeschäfte − in South Central L.A., von denen jedes zwischen 5.000 und 25.000 Dollar Umsatz am Tag macht. Crack wird an die Armen verkauft, Schnee an die Reichen. In diesem Geschäft geht es um viel Geld, und die Gangs verteidigen nicht nur ihre "Ehre", sondern Märkte. Für viele Jugendliche scheint der Einstieg ins Geschäft der einzige Weg, am "amerikanischen Traum" Hollywoods teilzunehmen, den sie sich sonst nie leisten könnten.
Seit Anfang der 80er Jahre haben sich die paar hundert Gangs zu zwei verfeindeten Netzwerken, den Bloods & Crips verbündet, die an ihren roten bzw. blauen Hemden, Schnürsenkeln usw. zu erkennen sind. Hollywood hat darüber den ziemlich verlogenen Bullenfilm Colors gemacht. Und längst entstehen die Jugendgangs auch in den Vierteln der salvadorianischen und kambodschanischen Immigranten und in denen der Weißen...
Während die Gangs untereinander blutige Kriege führen, sind sie zum neuen Hauptfeind ernannt worden: Die Bullen erklären nicht-weiße Jugendliche von vornherein zu "Gang-Mitgliedern" und verbieten ihnen faktisch den Zutritt zu wohlhabenden Vierteln. In ihrer Gang-Mitglieder-Datei sind Tausende von Namen irgendwann mal zufällig aufgegriffener Jugendlicher. In die Schulen werden Zivilbullen eingeschleust, die im Rahmen einer Aktion School Buy Schüler zu Drogendeals verleiten sollen. Ständig kommen neue Anti-Gang-Gesetze heraus.
Und während der weiße Polizeichef Gates der proletarischen Jugend den »Krieg« erklärt, überlegen Vordenker der sozialdemokratischen Democratic Socialists, ob man nicht Internierungslager auf dem Land bauen sollte, und schreiben auch schwarze Politiker die Jugend ab, so wie Harry Edwards, Ex-Propagandaminister der Black Panthers: »Man muß sich darüber klarwerden, daß sie es nicht schaffen werden. Die Städte, die Kultur und ganz besonders schwarze Menschen müssen anfangen, sich zu bewegen, um den Müll von der Straße zu kriegen.« Daher sind gerade aus dieser Ecke immer wieder Rufe nach mehr Polizei-"Schutz" für ihre Viertel zu hören.
Willie Wilson, der designierte neue Polizeichef von L.A. ist schwarz und kommt aus Philadelphia, wo die Bullen das Problem der Move-Kommune mit dem Abwurf einer Bombe gelöst haben, wobei ein halbes Stadtviertel abbrannte. Er steht angeblich für ein neues Repressionskonzept, ganz in der "Community" verwurzelt...
Zu Recht hat ein bis ins Mark nationalistischer und rassistischer Film wie Boyz'n the Hood das Problem der Gewalt untereinander aufgeworfen. Für das Kapital hatten die Gangs bisher eine Reihe von Vorteilen: Die proletarische Jugend bringt sich untereinander um; sie geben einen erstklassigen Vorwand für eine totale Repressions-Strategie ab; der Drogenhandel findet flexible, risikobereite und unternehmerisch denkende Verkäufer.
Die Gangs stellen bildlich die kapitalistische Barbarei dar: das, was passiert, wenn der Kampf der Klasse mit sich selbst die Form des Kampfs aller gegen alle annimmt. Gleichzeitig steckt in ihnen der Keim des bewaffneten Aufstands, und der Aufstand von Los Angeles hat allen recht gegeben, die gehofft hatten, die ganze Scheiße würde irgendwann explodieren.
"Kulturell" hatte sich der Aufstand angekündigt: Die US-Musikindustrie verdient so gut an Hip-Hop, weil die Ghetto-Jugendlichen (und nicht nur die) am liebsten radikal antiamerikanischen Texte hören. Die Medien müssen immer wieder eine Welt zeigen, die ihnen nicht paßt. Während Bush im Schutz der Marines und seiner Bodyguards ein paar Ruinen in L.A. besichtigt, kommen an der Wand hinter ihm Graffiti ins Bild: »Bloods & Crips united!« Angeblich hat es schon eine "Konferenz" zwischen beiden Gruppen gegeben, und sie wollen den Kampf gegen die Bullen aufnehmen.
Dabei bleiben viele Fragen offen, nicht zuletzt, in welches Verhältnis die Gangs bewaffneten Kampf und Drogengeschäft setzen werden...
Die wichtigste Frage ist allerdings, in welches Verhältnis sich der Rest der Arbeiterklasse in den USA zu den Aufständischen setzen wird. Die am weitesten entwikelten revolutionären Kämpfe der 60er Jahre in den USA blieben unter anderem deshalb stecken, weil sie als "schwarze Kämpfe" isoliert wurden (von verschiedenen Seiten). Die Bewegung gegen den Golfkrieg hatte zum ersten Mal seit Jahren verschiedene "Minderheiten"-Bewegungen, Ökologie-Bewegungen, Frauen-Bewegungen und eine völlig neue Jugendbewegung zusammengebracht. Die "zentrale Arbeiterklasse" der 60er Jahre, die so eine Bewegung vereinheitlichen könnte, gibt es heute nicht mehr. Obwohl Kämpfe in der Arbeit in den USA oft und z.T. sehr militant geführt werden, wäre eine unmittelbare Verbindung mit dem Aufstand von Los Angeles sicher an den Haaren herbeigezogen.
Politisch gibt es in den USA immer noch eine "weiße Mittelschicht", auf die sich ein repressiver Staat stützen kann, die vor der Glotze sitzt und es gut findet, wenn Bush die Marines nach L.A. schickt. Die es auch gut fand, daß die Marines nach Panama und an den Golf geschickt wurden, die es noch besser fand, daß das nichts kostete und vor allem, daß sie dabei vor der Glotze sitzen bleiben konnten.
Aber die patriotische Begeisterung für den billigen Krieg im Golf hat sich keine paar Monate gehalten, und rein zahlenmäßig schrumpft diese "Mittelschicht" immer mehr zusammen.
Obwohl die Angst der VorortbewohnerInnen vor den GhettobewohnerInnen sicher größer ist als die vor Saddam Hussein oder Noriega und diese Angst von den Medien sorgsam gepflegt wird, birgt der Krieg im eigenen Land doch die "Gefahr" der Ansteckung: Auch Weiße haben sich bei den Riots beteiligt. Der Spaß und die tiefe Befriedigung aller, die sich beteiligt haben, war unübersehbar. Es heißt sogar, daß die Zahl der Gewaltverbrechen in den Aufstandsgebieten drastisch gesunken sein soll.