In der Beilage zur Wildcat 60 (Oktober 1992) hatten wir die wichtigsten Passagen aus einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung abgedruckt, hier der vollständige Artikel:
Polizisten in Rostock: Verraten und mißbraucht?
Die ohnmächtige Wut der Sündenböcke
Drei Wochen nach den Krawallen verdichtet sich bei vielen Beamten der Verdacht, daß die ihnen zur Last gelegten Pannen politisch gewollt gewesen sind.
Von Stephan Lebert (Süddeutsche Zeitung, 21.9.1992)
Rostock, im September - Wenn sich Wolfgang Richter, Ausländerbeauftragter von Rostock, über die Polizei seiner Stadt äußern soll, erzählt er von zwei Nächten. »Als alles anfing«, sagt er, »also in der ersten Nacht der Krawalle waren gerade mal dreißig Beamte da, die das Asylbewerberheim vor den anstürmenden Radikalen beschützen sollten.« Diese Leute seien unwahrscheinlich mutig und tapfer gewesen, »die haben ihr Leben eingesetzt, damit den Ausländern nichts passiert. Diese Menschen habe ich bewundert. Wolfgang Richter weiß, wovon er spricht. Er verbrachte alle drei Nächte der Rostocker Unruhen in dem Heim, er wollte die Asylbewerber nicht alleine lassen. Einige der lokalen Medien verlangen deshalb, daß er von der Stadt wegen seines vorbildlichen Verhaltens eine Medaille, »wenn nicht sogar ein Denkmal« bekommen müsse. Vor allem in der Nacht, als das Heim brannte, habe er wesentlich dazu beigetragen, daß kein Massaker passiert sei.
Ungeheuerliche Worte
Das war diese Nacht, in der er die andere Seite der Polizei kennenlernen mußte. Als die Polizisten für Stunden plötzlich verschwunden waren und auch der Notruf nicht mehr funktionierte, als die Vietnamesen, die Journalisten und er den rechtsradikalen Schlägern und Brandstiftern ausgeliefert waren. Als sie sich auf der Flucht vor den Flammen nur mit Hilfe einer Eisenstange auf das Dach des Heimes retten konnten. »Wenn man sich den Einsatz heute genau ansieht und alle Faktoren berücksichtigt, muß man zu dem Schluß kamen, daß die vielen Fehler gar nicht allein Schlamperei gewesen sein können. Das sieht so aus, als wäre da Absicht dahinter gewesen.« Wolfgang Richter, ein großer bärtiger Mann, sitzt in seinem Zimmerchen im Rostocker Rathaus und seine Worte fallen ihm nicht leicht. »Ich weiß, wie ungeheuerlich das ist, was ich da sage. Ich fürchte mich selber davor. Ich habe Angst, diese Sache zu Ende zu denken. Ich drücke mich davor. Auch weil ich dann meine Tätigkeit hier in diesem öffentlichen Amt sofort aufgeben müßte.«
Rostock, drei Wochen danach: Wie Hoyerswerda ist die Stadt zum Inbegriff des neuen, häßlichen Deutschlands geworden. Es gibt bereits mehrere ausländische Firmen, die ihre angekündigten Investitionen in der Hansestadt angesichts der schrecklichen Bilder zurückgezogen haben. Und auch wenn es in Rostock seither auch weitgehend ruhig geblieben ist und dafür Nacht für Nacht in ganz Deutschland, vor allem aber im Osten, in anderen Städten Asylbewerberheime mit Steinen und Molotowcocktails angegriffen und zerstört werden, haben die Vorfälle hier eine besondere Dimension. Zwei Untersuchungsausschüsse, im Rostocker Senat und im Schweriner Landtag, sollen nämlich klären, wie es zu dem Versagen der Polizei kommen konnte. Sie müssen sich dabei unter anderem mit einer brisanten Frage befassen, die gerade im Hinblick auf die deutsche Geschichte auch zunehmend im Ausland diskutiert wird: Existiert eine Nähe oder wenigstens eine gewisse Sympathie zwischen den Polizeiorganen und den rechten Gewalttätern? Oder täuscht der Eindruck, daß die Ordnungsmacht gegen linke Demonstranten und autonome Gewalttäter weit schärfer, weit erfolgreicher vorgeht?
Dieter Hempel, der neue Polizeichef von Rostock, wirkt fast schon wütend, wenn er über die vergangenen Ereignisse spricht. Auch er sagt, dieser Einsatz sei so unglaublich, so fehlerhaft gewesen, daß man kaum mehr an Schlamperei glauben könne. Was war aber dann der Grund? »Ich kann mich an keinen Spekulationen beteiligen«, sagt er, »das ist Sache der Untersuchungsausschüsse.« Hempel wurde erst nach dem Skandal bestellt.
Sein Vorgänger Siegfried Kordus, dem unter anderem vorgeworfen wird, daß er in der schlimmsten Nacht zu Hause gewesen sei und geschlafen habe, befindet sich derzeit im Urlaub, aber nicht etwa zerknirscht und degradiert, sondern »besten Mutes«, wie ein Mitarbeiter von ihm sagt und mit einer Beförderung in der Tasche. Kordus ist der neue Leiter des Landeskriminalamts von Mecklenburg-Vorpommern, eine Entscheidung, die allerdings schon vor Wochen getroffen wurde.
Hempel ist ein erfahrener Mann, stammt aus Schleswig-Holstein und war unter anderem häufig in Wackersdorf bei den Auseinandersetzungen um die WAA im Einsatz. Zuletzt war er Chef der Schweriner Bereitschaftspolizei. Er betont, er möchte keinerlei Vorwürfe an die Adresse der einfachen Polizisten machen, im Gegenteil, die hätten trotz katastrophaler Ausrüstung »sehr engagiert gekämpft«. Nein, er will auf keinen Fall das den Ossis in die Schuhe schieben (was ja schon deshalb unsinnig wäre, weil sowohl Kordus als auch der zeitweilige Einsatzleiter Jürgen Deckert hochrangige Westimporte sind). Hoffentlich, sagt Hempel, komme bei der ganzen Sache wirklich die Wahrheit heraus, »alles andere wäre verheerend für uns«. Vielleicht könnten ja auch die Journalisten bei der Aufklärung helfen, meint Hempel in seinem Büro, »reden Sie doch mal mit den Polizisten, die dabei waren und fragen Sie, was die von alldem halten«.
Zum Beispiel mit Frank Laufer (Name von der Redaktion geändert), 37 Jahre alt. Er war einer von den Polizisten, die von mehreren Steinen getroffen wurden. »Ich habe den Leuten in die Augen gesehen, die waren wie wahnsinnig. Einer wollte mir eine Steinplatte ins Gesicht werfen. Der bin ich ausgewichen, aber immer ging das nicht. Das war ja wie eine Schlacht.« Seine Beine sind mit nur allmählich heilenden Wunden übersät. Kollegen von ihm, sagt er, seien in Sportgeschäfte gegangen und hätten sich auf eigene Kosten Knieschoner für Eishockeyspieler gekauft, »wir im Osten haben so was ja nicht«. Laufer sagt, er sei für eine Änderung des Asylrechts, er glaube auch, daß es viele Asylanten gebe, »die uns gehörig ausnützen«. Aber ihn ärgere das, wenn dieses Thema mit den Vorfällen von Rostock in Verbindung gebracht werde: »Diese Typen waren reine Kriminelle. Die waren bereit zu töten. Das sind Verbrecher, nichts weiter und ich verstehe nicht, warum das keiner sagt.«
Mit dieser Meinung steht Laufer nicht alleine. Dies wird bei Gesprächen mit rund einem Dutzend Rostocker Polizisten deutlich, Gespräche, die überraschend offen geführt werden, allerdings unter der Bedingung, daß weder Name noch Dienststelle genannt werde. Sie alle sind wütend darüber, daß es überall heißt, die Polizei habe kläglich versagt. »Auf diese Schläger. die einem Steine entgegenschleudern, hat man ja eine Wut. Denen will man doch zeigen, wer hier der Stärkere ist. Aber wir durften es nicht zeigen«, sagt einer. Sie erzählen von einem Plan, der am Sonntag, dem zweiten Krawalltag, verwirklicht werden sollte. Er lief unter dem Codenamen »Die Sonne scheint«. An diesem Tag seien reichlich Polizeikräfte dagewesen, »da hieß es, wir sollen die Randalierer einkesseln. Und die Spezialtrupps hätten dann einem nach dem anderen rausgeholt. Wenn wir so vorgegangen wären, hätten wir schon am Sonntag Ruhe gehabt«. Sie erzählen, wie sie stundenlang darauf gewartet haben, daß über Funk das Signal »Die Sonne scheint« gegeben würde. Aber es passierte nicht.
Dann der Skandal-Montag. Die Polizisten erzählen, daß die meisten der Kollegen der Ansicht seien, der verkorkste Einsatz sei aus irgendwelchen Gründen gewollt gewesen. »Warum«, spekuliert einer, »weiß keiner so recht. Vielleicht sollte es einfach die große Katastrophe geben.« Einer sagt, wie sehr er sich gewundert habe, »als wir plötzlich von dem Heim weggezogen wurden«. Ein anderer meint, schon den ganzen Tag seien so merkwürdige Dinge« über Funk gelaufen, die keiner verstanden habe. Ein dritter, der in einer Hundertschaft nahe des Schauplatzes postiert war, weiß noch, wie alle den Kopf geschüttelt haben, als sie das brennende Haus gesehen haben, »aber nicht los durften. Das darf doch nicht wahr sein.«
Es ist anscheinend so, daß sich viele Polizisten in Rostock verraten und mißbraucht fühlen. Und das angesichts einer sowieso schon angespannten Situation, in der sie sich befinden: Sie sind nur als Beamte auf Probe eingestellt worden, müssen also mindestens ein Jahr lang ihre Demokratietauglichkeit beweisen; ihre finanzielle Lage ist schlecht (zumeist ein Nettogehalt von 1700 Mark), die Ausrüstung indiskutabel. Und nun der Vorwurf, sie würden gemeinsame Sache machen mit den glatzköpfigen Skinheads.
»Das ist einfach Quatsch«, sagt einer im Aufenthaltsraum eines Reviers und die anderen stimmen ihm zu, »vor dem Heim haben uns normale Bürger aus den Fenstern beschimpft, wir sollten aufhören, die Ausländer zu verteidigen. Es mag bei uns auch Leute geben, die Asylbewerbern skeptisch gegenüberstehen. Aber wir sind Polizisten. Wir sind dafür da, Ordnung zu schaffen. Das ist unser Job und das wollen wir auch tun.« Ein Kollege meint, diesen Vorwurf müsse man viel mehr an die Adresse der Justiz richten. Die ersten Urteile im Zusammenhang mit den Krawallen seien »einfach unglaublich, da bekommt einer, der brennende Flaschen auf Menschen geworfen hat, gerade mal drei Wochen Arrest. Und das höchste der Gefühle sind bisher in einem einzigen Fall neun Monate gewesen. Für uns bedeutet das, daß wir uns morgen wieder mit den gleichen Leuten eine Schlacht liefern dürfen.« Ein Zorn, den man schon verstehen kann, vor allem auch, wenn man die Rostocker Urteile mit anderen Gerichtsentscheidungen vergleicht. Etwa mit der Entscheidung in München von vergangener Woche, wo ein afrikanischer Asylbewerber zu einem Jahr ohne Bewährung verurteilt wurde, weil er unrechtmäßig 6000 Mark Sozialhilfe kassiert hatte.
Trotz solcher Aussagen muß natürlich darauf hingewiesen werden, daß der Vorsitzende der Republikaner in Rostock ein Polizist ist. Von einem Flächenbrand zu reden, wäre allerdings des Guten zuviel, denn Mark Hannemann ist der einzige Rostocker Polizist, der bei den REP's ist. 32 Mitglieder hat die rechtsradikale Partei derzeit in der Hansestadt, »und ich bin der einzige«, sagt Hannemann, »der einen Job hat. Alle anderen sind arbeitslos.« Überhaupt gewinnt man bei dem Besuch des jungen REP-Führers den Eindruck, daß es mit der Organisation seiner Partei nicht zum besten steht. Er werde demnächst sein Amt niederlegen, sagt er, »weil ich alles immer aus meiner Tasche bezahlen muß. Jede Briefmarke, jede Saalmiete, alles. Von der Partei kommt nichts.« Er engagiere sich für die Rechtsradikalen, weil »es mit den Ausländern so nicht in Deutschland weitergehen kann«. Er beklagt, daß er wegen seiner Ansichten und seiner politischen Tätigkeit zunehmend bei der Polizei in die Rolle des Außenseiters gedrängt werde. Was wiederum nicht so verwunderlich ist, wenn er zum Beispiel sagt, daß er persönlich die Taten der Skinheads vor allem zu Beginn der Krawalle sehr gut verstehen könne und »zum Teil auch gutheißen kann«.
Hoffen auf die Wahrheit
Wer war nun verantwortlich für das Fiasko der Polizei? Wer hat schuld daran, daß die Aktion »Die Sonne scheint« nicht verwirklicht wurde, daß sich die Polizei so skandalös zurückgezogen hat? Einer, der es wissen müßte, ist Jürgen Deckert, zeitweiliger Chef der Krawalleinsätze. »Es ist richtig«, sagt er, »daß die Aktion ,Die Sonne scheint' geplant war. Ich selbst habe dieses Konzept entwickelt. Und es ist auch richtig, daß sie nicht in die Tat umgesetzt wurde.« Und warum nicht? »Dazu kann ich nichts sagen«, meint Dekkert, »gegen mich laufen mehrere Verfahren. Ich weiß nicht, ob ich in ein paar Wochen überhaupt noch Polizist bin. Mein Anwalt hat mir geraten, in der Öffentlichkeit erst mal besser zu schweigen.« Stimmt es denn, was man in den Gängen des Rostocker Rathauses erzählt, daß von der Landesregierung in Schwerin, vermutlich aus der Umgebung von Innenminister Kupfer, »starker Einfluß« auf den Einsatz genommen wurde? Ob er denn auch schon von dem ungeheuren Verdacht gehört habe, daß eine Katastrophe im Asylbewerberheim sogar beabsichtigt gewesen sei? »Kein Kommentar«, sagt Jürgen Deckert und fügt hinzu: »Es gibt ja nun die beiden Untersuchungsausschüsse, und ich kann nur hoffen, die sind wirklich daran interessiert, die Wahrheit herauszufinden.«
Auch alle Politiker, die man in diesen Tagen fragt, begründen ihr Schweigen mit der laufenden Arbeit der Untersuchungsausschüsse. Da sitzen allerdings auch Leute drin wie der CDU-Fraktionschef im Schweriner Landtag, Eckhardt Rehberg, der das Scheitern der Polizei unter anderem damit erklären wollte, daß die Beamten von den Kameras der Fernsehanstalten geblendet worden und »manchmal deshalb völlig handlungsunfähig« gewesen seien. Überhaupt geschieht in ostdeutschen Parlamenten derzeit manch Sonderbares. Ende Juli hatte zum Beispiel in Dresden ein anonymer Anrufer mehrere Male über den Polizei-Notruf erklärt, er werde jetzt »mit einer Kalaschnikow ein Blutbad unter Ausländern« anrichten. Als sich durch eine Fangschaltung herausstellte, daß niemand anderes als der Kämmerer der Stadt, Günter Rühlemann, der gefährliche Anrufer war, wurde dessen Entlassung gefordert. In einer geheimen Sitzung des Hauptausschusses des Dresdner Stadtrats wurde diese Forderung jedoch abgelehnt.