Streiks im Transportsektor - Wildcat Nr. 60, Oktober 1992, S. 16-24 [w64lkw92.htm]


[Startseite] [Archiv] [Wildcat] [Bestellen] [Kontakt]

Streiks im Transportsektor:

Angriff auf die dezentrale Fabrik

Der Streik der LKW-Fahrer in diesem Sommer war nach den Kampf der Eisenbahner 1986 (siehe Wildcat 41 und 43) und der Bewegung der Krankenschwestern (siehe Wildcat 46) der dritte große Arbeiterkampf in den letzten Jahren in Frankreich, dem es gelungen ist, die ganze Gesellschaft einzubeziehen. Die kapitalistische Verwertung kam von einem ihrer »modernsten« Sektoren aus unter Beschuß.

Vor dem Druck der Klassenkämpfe aus den großen Fabriken flüchtete sich das Kapital seit den 70er Jahren in eine weitgehende Dezentralisierung des Produktionsprozeß, die Zusammenarbeit von Hunderttausenden von ArbeiterInnen wurde durch die räumliche (auch internationale) Zerstreuung der produktiven Kooperation vor ihnen versteckt, unsichtbar und für den Kampf unbenutzbar gemacht. Die alten Formen von Klassenkollektivität wurden aufgelöst - und zwar nicht nur von oben zerstört, sondern auch von unten durch Flucht in Selbständigkeit usw. durchlöchert. Der Transportsektor war ein Paradebeispiel für diese Entwicklung und bot durch die starke Zunahme des LKW-Verkehrs dafür besondere Spielräume. Dieser Bereich wird von den klassischen Institutionen der Arbeiterbewegung so gut wie nicht erfaßt; nicht nur in Frankreich gelten die LKW-Fahrer als rechtslastig und ausländerfeindlich.

Hinter der oberflächlich stark individualisierten Arbeitsform entwickeln sich aber Formen der Kooperation auf den Straßen: die Kommunikation über CB-Funk, die bekannten Treffpunkte an den Raststätten usw. Dem entspricht auch die zunehmende Einbindung der scheinbar unabhängigen Arbeit in ein perfekteres Kommunikationsnetz seitens der Unternehmer - was mittlerweile bis zur Einsatzkoordination über Satellitenfunk, Fernschreiber im LKW und elektronischer Standortbestimmung geht. Unter den Bedingungen von Just-in-time zerbricht der Mythos der Unabhängigkeit auf der Straße, die Autobahn wird zum verlängerten Fließband.

Andererseits wächst auch die Anfälligkeit der neuen Produktionsordnung. Sowohl ein Streik in einem Teile-Werk als auch die Blockade des Transports wirkt sich sofort auf den gesamten Produktionsverbund aus. Schon kleine Gruppen von ArbeiterInnen an marginalen Bereichen der Produktion können das ganze System lahmlegen. Die Zahl der neuralgischen Stellen hat sich multipliziert. Deshalb werden Streiks im Transportwesen heute innerhalb kürzester Zeit gefährlich für die kapitalistische Verwertung.

Aus dieser Widersprüchlichkeit speist sich der Streik der LKW-Fahrer: Die Fähigkeit zur Organisation und die Dimension der Machtentfaltung, d.h. das Ausmaß der möglichen Blockierung des Wirtschaftszyklus, greift auf die neue Stellung des Transportsektors zurück. Dieses Phänomen ist nicht so neu, nur tritt es jetzt besonders deutlich hervor: angefangen bei den LKW-Fahrer-Aktionen gegen die Benzinpreiserhöhungen in den USA über einen ganzen Zyklus von LKW-Fahrer-Kämpfen seit Mitte der 80er Jahre in Europa - Italien, Spanien, Holland ... - bis zu den Problemen im Musterland von Just-in-time, Japan, mit dem Transportsektor, der mittlerweile die höchsten Fluktuationsraten der Arbeitskräfte aufweist.

Als im Oktober 1990 die spanischen LKW-Fahrer streikten, gab es sehr schnell Versorgungsengpässe in den großen Städten - vor allem hatte aber die auf Just-in-time eingestellte Industrie mit großen Problemen zu kämpfen. In wenigen Tagen legten die LKW-Fahrer die extreme Verwundbarkeit der »neuen Produktionsweise« bloß. Die spanische Zeitschrift Etcetera hatte damals einen sehr guten und ausführlichen Artikel über die politischen Konsequenzen aus diesem Streik veröffentlicht. (Auf Deutsch ist er bisher nur im Reader 1 des November-Workshops erschienen; wir wollen ihn aber demnächst zusammen mit anderen Texten als TheKla 16 rausbringen.) Wir haben den Autor dieses Artikels also angerufen, um Informationen über die Auswirkungen des Streiks in Frankreich auf die iberischen Halbinsel zu bekommen - zu unserer Überraschung erzählte er uns, daß die LKW-Fahrer in Spanien auch gerade am Streiken sind ... (siehe S. 21).

Aber wie alle neuen Streikbewegungen der vergangenen Jahre beziehen sich die Aktionen der LKW-Fahrer nur auf die eigene Berufsgruppe, ihre Forderungen (schneller fahren usw.) tragen auch selbstzerstörerische Züge. Aber unter den gegebenen Bedingungen ihrer Ausbeutungssituation ist die Ablehnung der Verkehrskontrollen die unmittelbarste Form, ihre Forderung nach Lohn und weniger Arbeit auszudrücken.


Der Streik der LKW-Fahrer in Frankreich

Noch vor zwanzig Jahren wurden die LKW-Fahrer (Routiers in der französischen Alltagssprache) in zahllosen TV-Serien als Ritter der modernen Zeit dargestellt, »Kapitäne der Landstraße«, die ihre mächtigen Fahrzeuge bändigen, und dabei frei sind und keinen autoritären Chef im Nacken haben wie ihre Kameraden in der Fabrik. Eine sehr bekannte Radiosendung hieß dementsprechend »die Routiers sind sympathisch«. Diese Umwelt aus Sympathie betraf sogar die jungen Aussteiger, die sich von Kerouac ernährten ... Obwohl dieses Bild schon damals weit von der Wirklichkeit entfernt war, hatte der Straßentransport noch nicht die Entwicklung der letzten Jahre durchgemacht, und die Routiers waren noch nicht die modernen Sklaven wie heute, die für miserable Löhne ihr eigenes Leben (und das anderer Leute) riskieren, um die Ware am Zirkulieren zu halten.

Das Inventar

Die Männer

Von 265 000 Personen, die im Straßentransport arbeiten, sind 195 000 lohnabhängige Fahrer (die übrigen 70 000 sind die Unternehmer, Führungskräfte, Verwaltungsangestellte, Wartungsarbeiter bei den großen Transportunternehmen und die 14 - 15 000 Kleinunternehmer, die nur einen LKW besitzen). Die meisten dieser Lohnabhängigen haben als einzige Ausbildung den LKW-Führerschein, nur 5% haben eine weitere Berufsausbildung.

Durchschnittlich bekommen sie für eine 39-Stundenwoche zwischen 6000 und 6500 Francs brutto (das entspricht 5100 bis 5300 Francs netto - ein Franc sind etwa 30 Pfg.). Das Problem ist aber, daß die durchschnittliche reale Arbeitszeit 53,2 Stunden beträgt und auf bestimmten internationalen Strecken bis zu 60 Stunden. Diese zusätzlichen Stunden werden mit Prämien bezahlt, die es den Fahrern ermöglichen, ihren Lohn zu verdoppeln.

Die Rate an tödlichen Unfällen ist bei den Routiers zehnmal höher als im nationalen Durchschnitt, sie sind an 6% der tödlichen Unfälle und an 15% der Unfälle mit Personenschaden beteiligt (es gibt ungefähr 10 000 Tote und 200 000 Verletzte pro Jahr auf den französischen Straßen).

Der Verkehr

Mit der Umstrukturierung der französischen Industrie stieg die Bedeutung des Transports auf der Straße weiter an (die traditionellen Güter der Bahn gehören zu Industrien im Niedergang: Kohle, Eisenerz, Stahl usw.). Die Regierung hat diese Umwandlung wie überall unterstützt: seit den 60er und 70er Jahren gingen die meisten staatlichen Verkehrsinvestitionen in den Straßenbau (mit Ausnahme der TGV, der Hochgeschwindigkeitszüge). Diese Entwicklung wurde in den 80er Jahren durch die zunehmende Einführung von Just-in-time verstärkt.

Von 1980 bis 1989 ist die Zahl an Tonnenkilometern auf der Straße von 104 auf 116,7 Mrd. gestiegen (von 1980 bis 1985 um 14% gesunken und von 1985 bis 1989 um 31% gestiegen). In derselben Zeit sank der Verkehr auf der Schiene um 23%, der Flußverkehr um 40%. Die Gesamtzahlen veränderten sich in derselben Periode folgendermaßen: Schienentransport von 32% auf 27%; Schiffahrt von 5,5 auf 3,6%; Pipeline-Transport (Gas und Öl) von 15,5 auf 11,8% und nur der Straßentransport stieg von 47 auf 58%. Wobei zu beachten ist, daß die Zunahme der Tonnenkilometer den längeren Strecken geschuldet ist (die durchschnittliche Streckenlänge stieg von 68 auf 77 km). Die Vormachtstellung des Straßentransports ist in allen Sektoren total (landwirtschaftliche Produkte, Rohstoffe und Halbfertigprodukte genauso wie Endprodukte), außer bei den Energierohstoffen.

Im selben Zeitraum hat auch die Gesamtzahl an Lieferwagen, LKWs und Spezialfahrzeugen um 37% zugenommen, wobei sich das Verhältnis aufgefächert hat: Fahrzeuge unter 3 to gingen von 10% auf 7% zurück, während die Fahrzeuge über 25 to von 108 000 auf 150 000 zunahmen (Gesamtanzahl der Fahrzeuge 1989: 230 000).

Die Unternehmen

Im Straßentransport arbeiten 34 500 Unternehmen, davon:

Es gibt einen Trend zur immer stärkeren Konzentration im Straßentransport, dabei werden wenige große Unternehmen übrigbleiben, »Spezialisten für schnellen und modernen Transport samt der dazugehörenden Logistik«. Andererseits vervielfacht sich die Zahl der Selbstfahrer. Man schätzt, daß die Zahl der Unternehmen von 1983 bis 1989 um 30% zugenommen hat, aber daß allein 1990 2400 Unternehmen Bankrott gemacht haben. Andererseits befinden sich 25% der Unternehmen (also ungefähr 3000) unterhalb der Rentabilitätsschwelle und sind dazu verurteilt, als Sub-Unternehmer der großen Gesellschaften zu arbeiten, meistens schwarz, das heißt, ohne die Mehrwertsteuer und die sozialen Abgaben zu bezahlen. Oft verpflichten die Unternehmer ihre Lohnabhängigen dazu, selbst Unternehmer zu werden, so daß sie keine Löhne und Sozialleistungen mehr für sie bezahlen müssen, stattdessen vermitteln sie ihnen Subunternehmer-Arbeit zu ihren Bedingungen. Man kann sich vorstellen, in welchem Zustand die gebrauchten LKWs sind, die diese »neuen Unternehmer« benutzen.

Die Verstöße

Bisher gibt es in den LKWs über 3,5 to einen Fahrtenschreiber, den die Routiers Spitzel (mouchard, das heißt gleichzeitig auch »Kontrollapparat«) nennen. Der Apparat zeichnet die Geschwindigkeit, die zurückgelegten Entfernungen und die tägliche Arbeitszeit auf einer Scheibe auf. Diese Scheiben werden von der Polizei, von den Transportkontrolleuren oder den Arbeitsinspektoren kontrolliert. Die Spitzelapparate führen zu 68% der gegen Routiers verhängten Geldstrafen (von jährlich 33 000), davon die Hälfte wegen Nichteinhalten der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten. Wobei die Routiers natürlich deswegen die vorgeschriebenen Ruhezeiten nicht einhalten, weil die Unternehmer sie unter Druck setzen, die Fristen einzuhalten.

Dazu muß man wissen, daß der Bordcomputer voll im Anmarsch ist. Der ist mit dem Motor gekoppelt und speichert alles, was der Fahrer macht, zudem natürlich wie bisher Geschwindigkeiten, Fahr- und Ruhezeiten usw. Damit ist dann eine lückenlose Überwachung möglich. Ein Fahrer sagte mir: »In zwei Jahren haben das alle LKWs«. Darüber kann dann ein Akkordsystem perfektioniert werden, das schon heute durch die Prämienlöhne und durch den Einbau von Telefon in fast jedem LKW in Ansätzen besteht. Schon jetzt sind die meisten Fahrer vom Unternehmer ständig erreichbar.

Die Ereignisse

Der Auslöser

Bisher wurden Verkehrsrowdies (chauffards, Wortspiel mit Chauffeur, in etwa: Heizer) selten bestraft, seien es Routiers oder andere, die unter Alkoholeinfluß tödliche Unfälle verursachten (die letzten Verurteilungen beliefen sich auf drei Jahre Gefängnis und Einzug des Führerscheins). Um gegen die hohe Zahl von Toten und Verletzten vorzugehen, entschied die Regierung, einen Punkteführerschein einzurichten, der mit 12 Punkten beginnt, von denen bei jedem Verkehrsverstoß etwas abgezogen wird. Wenn man bei null angekommen ist, müßte man dann mehrere Monate warten, bis man wieder einen Führerschein machen kann. Für die Routiers, die sich so zwischen dem Druck der Unternehmer und der polizeilichen Bestrafung in die Enge getrieben sahen, war das unerträglich. Das Inkrafttreten der neuen Regelung war für Anfang Juli vorgesehen, die Bewegung begann am 29. Juni.

Der Ablauf

Die Routiers blockierten den Straßenverkehr, um Druck auf die Regierung auszuüben, wobei ihnen der Ferienbeginn zugute kam. Die Forderung war: Rücknahme des Punkteführerscheins und der bereits existierenden Kontrollmaßnahmen. Seit dem 6. Juli gab es 150 Straßensperren mit Tausenden von LKWs, vor allem im Norden (Lille, Maubeuge), in der Pariser Gegend (im Umkreis von 80 km), in der Rhone-Alpen-Region (um Lyon herum und in den Alpen), in der Gegend von Toulouse und im Südosten (Marseille). Die Routiers benutzten drei Arten von Blockaden: mehrere hundert LKWs fahren mit 10 km/h auf dem rechten Fahrstreifen oder in der Mitte von Autobahnen und Nationalstraßen (»Operation Schnecke«); »fliegende Straßensperren« (z.B. fahren mehrere LKWs ununterbrochen um einen Kreisverkehr und blockieren damit vollständig eine Kreuzung); feste Straßensperren, wobei alle Fahrstreifen von LKWs blockiert werden. Mit diesen Aktionsformen gelang es den Fahrern recht schnell, das ganze Land zu blockieren. »`Wenn Frankreich Hunger bekommt, wird die Regierung schon nachgeben', hatte am ersten Tag ein wütender Fernfahrer gesagt. Belächelt noch von ungläubigen Reportern. Inzwischen lächelt niemand mehr. Die Fernfahrer kennen die neuralgischen Punkte des französischen Verkehrssystems nur zu gut ... Etwa vier Millionen Touristen sollen in Frankreich festsitzen.« (Berliner Zeitung 6.7.92) Wichtig war vor allem, daß auch die Industrie betroffen wurde, am bekanntesten ist das Beispiel von Renault/Douai, das nach fünf Tagen fast vollständig geschlossen werden mußte, da diese Montagefabrik von der Teilelieferung aus Cléon und Spanien abhängt (siehe Wildcat 58).

Nach einer Woche Streik standen viele Fabriken vor demselben Problem. Deshalb und angesichts der Drohung der Fernfahrer, Paris zu umzingeln, reagierte die Regierung und setzte seit dem 6. Juli 13 000 Mann (CRS-Bullen, Gendarmen und Soldaten), 12 (Berge-)Panzer, 21 Hubschrauber, 9 schwere Räumfahrzeuge sowie mehrere Transportflugzeuge der Luftwaffe in Bewegung ...

Über mehrere Tage hinweg organisierten die Routiers dagegen den Widerstand in mehreren Formen: Zusammenstöße mit der Polizei, Wiedererrichten der Straßensperren ein Stück weiter weg, wobei sie manchmal unterstützt wurden, z.B. kamen ihnen Vorstadt-Jugendliche in der Nähe von Lyon gegen die Polizei zu Hilfe, oder in Senlis, nördlich von Paris kamen Arbeiter, um sie bei einer Straßensperre zu unterstützen (siehe Kasten). Die Aktionen der Routiers stießen auch bei anderen Leuten größtenteils auf Sympathie, die allerdings meist passiv blieb. Ich habe oft gesehen, wie vorbeikommende AutofahrerInnen und FußgängerInnen lautstark ihre Sympathie bekundeten, Sprüche gegen die Bullen riefen oder anhielten, um mit den Fahrern zu diskutieren usw.

Trotz ihrer Entschlossenheit konnten die Routiers Paris nicht treffen und mußten die Straßensperren aufgeben, nachdem Hunderte von der Polizei festgenommen, ihre LKWs beschlagnahmt und ihre Führerscheine eingezogen worden waren. Im Gefolge eines Unfalls am 4. Juli in Montpellier (ein Auto mit Urlaubern knallte an einer Straßensperre gegen die LKWs, drei Tote) wurde gegen drei Fernfahrer Anklage wegen Mord und fahrlässiger Körperverletzung erhoben. Beim Versuch, sich der Räumung einer Straßensperre zu widersetzen, starb ein Routier am 7. Juli in Maubeuge unter den Rädern des LKWs, dessen Bremsleitungen er durchschnitten hatte. In den Zeitungen kam das Foto, wie ein CRS in Lyon einen Routier mit seinem Revolver bedrohte, an mehreren Orten kam es zu kurzen, aber heftigen Zusammenstößen mit der Polizei, aber was meiner Ansicht nach die Entschlossenheit der Routiers zerschlagen hat, waren die systematischen Festnahmen mit Beschlagnahme der LKWs.

Die Bewegung der Fernfahrer ist minoritär geblieben, obwohl sie mehrheitlich auf Zustimmung stieß. Sie war weder in ihren Zielen (von der Ausgangsforderung abgesehen) noch in ihren Methoden homogen. Und in der Tat, obwohl sie oft die Solidarität der Autofahrer suchten, indem sie sie an den Straßensperren vorbeifahren ließen, war die Liebenswürdigkeit der Routiers selektiv: ihre hauptsächlichen Opfer waren die »reichen Touristen« (bekannterweise die deutschen), aber vor allem die »armen Immigranten« aus dem Maghreb auf dem Weg nach Marseille zur Fähre (Schläge, rassistische Beschimpfungen usw.). - Auf der anderen Seite gab es eine große Solidarität gegenüber den Truckern aller Nationen, die aufgrund des Streiks in Frankreich festsaßen und sich beteiligten.

Die Zugeständnisse

Zur selben Zeit verhandelte die Regierung mit den Unternehmerorganisationen und den Gewerkschaften. Sie bot Zugeständnisse im Gegenzug zur Aufhebung der Blockaden, u.a.: keine Kontrollen mehr durch »Spitzelapparate« bei den LKWs über 3,5 to; keine juristische Ahndung von Verkehrsverstößen, die den Routiers vom Unternehmer oder vom Kunden aufgezwungen worden sind; Aufschub einiger Regelungen des Punkteführerscheins; Abschaffung aller Prämien in Arbeitsverträgen oder als Lohnbestandteile; Lohnformen, die die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften belohnen; erhöhte Entlohnung der Bereitschaftszeiten (also der Zeiten, in denen der Routier nicht fährt) von 66 auf 85%. usw..

Die Wiederaufnahme

Zur gleichen Zeit, in der sie die Repression organisierte und Zugeständnisse anbot, machte die Regierung Druck, die Straßenblockaden zu beenden und die »freie Zirkulation von Personen und Waren« wiederherzustellen; im Fernsehen konnte man live die Wiederaufnahme der Arbeit im Norden sehen; Unterpräfekt, Abgeordneter, Bürgermeister und mehrere Technokraten diskutierten einer nach dem anderen mit den Routiers - von denen einige vor Wut und Verzweiflung heulten »die Gewerkschaften haben uns verraten« -, um sie zur Aufhebung der Straßensperren zu bewegen. Dabei benutzten sie Argumente wie »Ihr habt Euch zu Gehör gebracht, Ihr habt Euch gut geschlagen, Ihr habt einige Vorteile herausgeholt, nehmt die Arbeit wieder auf, seid vernünftig und verantwortungsbewußt«. In dieser Arbeit wurde dem Staat von den Zeitungen und dem Fernsehen geholfen mit einer Mischung von paternalistischem Verständnis und Entrüstung über die Verkehrsbehinderer, die nicht einmal in der Gewerkschaft sind und keinen verantwortungsbewußten Chef haben.

Die Organisation

Entsprechend ihrer individualistischen Mentalität, der Natur ihrer Arbeit und der Repression der Unternehmer sind die Routiers schon immer wenig oder nicht gewerkschaftlich organisiert. Aber das heißt nicht, daß sie gar nicht organisiert sind: sie kommunizieren zum Beispiel ständig über CB-Funk miteinander, sie müssen beim Be-, Um- und Entladen zusammenarbeiten, sie treffen sich zum Essen in denselben Kneipen. Die Routiers haben ihren Kampf - so wie die Eisenbahner 1986 - an der Basis organisiert, indem sie Straßensperrendelegierte gewählt und abberufen haben. Die Aufgabe der Delegierten war es, Verbindung zu den anderen Straßensperren zu halten, die gewöhnlichen Tätigkeiten beim Streikpostenstehen zu organisieren und später dann, mit den Bullen zu reden. Sie weigerten sich aber, mit der Regierung zu verhandeln. Die Teilnahme an den Blockaden war nach dem Gebiet organisiert, wo die Leute meistens arbeiten oder einfach danach, wo der einzelne Fahrer zu Beginn des Streiks sich gerade aufhielt.

Die Delegierten hielten sich während der Wiederaufnahme der Arbeit auch nicht an die nationalen Weisungen der Gewerkschaften (was ein schönes Durcheinander anrichtete, als die Regierung die Wiederaufnahme verkündete, die Autofahrer sich wieder ins Getümmel stürzten und sofort wieder an Straßensperren im Stau standen usw.). Es scheint, daß sie schnell begriffen haben, was die Funktion einer Gewerkschaft ist. Andererseits sind sie »modern»: obwohl sie die Gegenwart von Journalisten nicht ablehnen, weigern sich die Routiers zum großen Bedauern der Journalisten, die immer scharf drauf sind, Chefs zu finden, einen Starrummel um ihre Delegierten zu veranstalten (man mußte bis zum 1. September warten, bis einer von ihnen mit Spitznamen Tarzan vom Premierminister empfangen wurde. Dieser Beschäftigte einer kleinen Firma in Gennevilliers, in der Nähe von Paris, erklärte danach im Fernsehen, daß das Gespräch lediglich informativ gewesen sei und daß er sich nicht engagieren könne, da er dazu von seinen Kollegen nicht delegiert sei). Da sie untereinander über Funk verbunden waren und die Bewegungen der Polizei auskundschafteten, konnten sie diesen oft ausweichen.

Die Begrenzungen

Nach der Schlacht ist es leicht, Plus- und Minuspunkte zu verteilen, aber wenn wir uns für den Arbeiterkampf interessieren (anders als die linke Meinung, für die die Routiers »Spießer« und »Faschos« sind), dann müssen wir seine aktuellen Schwächen aufzeigen. Die größte Schwäche war es, nicht anstatt des Punkteführerscheins die wirklichen Probleme herauszustellen (Lohn, Arbeitsbedingungen), sich nicht von den Unternehmern abzugrenzen und die Arbeit nicht zu kritisieren, denn man muß sagen, daß die Routiers, als Lohnabhängige, zu Beginn dafür gekämpft haben, daß sie weiterhin gegen Verkehrsregeln verstoßen dürfen, um mehr arbeiten zu können (wie es ein Routier ausdrückte: »wir wollen 80 Stunden schuften für 8000 Francs und noch dazu geht man uns auf den Geist«). Es ist klar, daß sie die ganze Repression der Regierung auf sich gezogen haben, in dem Moment als ihre Aktion die Wirtschaft lahmzulegen drohte (vor allem die Autoindustrie, die mit Just-in-time arbeitet), und die kurze Dauer der Bewegung verhinderte deren Reifung.

 

»Die Dauer der Fahrerblockaden führt zunehmend zu einer Blockierung von 300 000 Bauunternehmen«, schätzt die Federation Nationale du Bâtiment. Ihren Angaben zufolge haben im Rhonegebiet »15 von 25 der größten Firmen am Montag die Produktion eingestellt. Wir riskieren in den nächsten Monaten eine Serie von Prozessen, in denen Kunden sich weigern werden, einem Unternehmen des BTP (öffentliche Bauten) Geld zu zahlen, weil diese nicht die im Vertrag festgehaltenen Fristen zur Übergabe der Bauten einhalten können. Aber dies ist ein Fall höherer Gewalt und in diesem Falle können die Unternehmen von BTP nicht zur Verantwortung gezogen werden.«
Das Hotelgewerbe ist davon betroffen, daß vor allem Touristen aus Nordeuropa ihre Buchungen stornieren. Die nationale Hotelvereinigung schätzt, daß die Auslastung der Hotels je nach Region schon um 10-50% zurückgegangen ist.
Die Autofabriken in Frankreich werden zunehmend lahmgelegt. Die 6300 Arbeiter des Renault-Werkes von Douai sind gestern in die »technische Arbeitslosigkeit« [Kurzarbeit] geschickt worden. Alle haben auf Null-Lager und Null-Fristen [just-in-time] umgestellt. Gestern wurden die 7000 Arbeiter des Peugeotwerkes in Poissy (Yvelines) »aufgefordert, zu Hause zu bleiben«, sagt man bei Peugeot. Seit dem Beginn der Blockaden sind von den Typen 205, 309 und Citroën ZX über 2800 weniger als sonst vom Band gerollt.
In Mulhouse, wo der 106 gebaut wird, wurde die Produktion gestern morgen gestoppt und die 10 000 Arbeiter der Anlage in die technische Arbeitslosigkeit geschickt. »Aus Mangel an geeignetem Lagerplatz sind wir gezwungen, die Takte/Anzahl der Elemente, die wir selber herstellen, zu reduzieren« meint ein Verantwortlicher der Logistik. Wegen den seit Anfang der Woche ausbleibenden Lieferungen befinden sich die 20 000 Arbeiter der Fabrik von Sochaux, wo der 205er, 405er und 605er produziert werden, seit gestern ebenfalls in der technischen Arbeitslosigkeit.
Auch bei Michelin wurde gestern ins Auge gefaßt, einige Werkstätten in Kurzarbeit zu schicken. »Wir sind mit zwei Arten von Problemen konfrontiert«, erkennt man in Clermont-Ferrand: »Erstens das Risiko der Thrombose bei den fertigen Produkten, die wir nicht mehr zu unseren Lagerzentren ausfahren können. Die Reifen sammeln sich in den Fabriken, aber unsere Lagerkapazitäten sind beschränkt. Zweitens ein Mangel an Vorprodukten an einigen Produktionsbändern.«
Die Autobahngesellschaften, direkte Opfer der Bewegung der LKW-Fahrer, haben bereits eine vernichtende Bilanz aufgestellt. Die Autobahnen sind nur halb so stark ausgelastet wie sonst bei Ferienbeginn ... Die Verluste betragen bereits jetzt bis zu 150 Mio. FF ...
Alle Sektoren sind mehr oder minder betroffen. Angesichts dieser Gefahr der totalen Paralyse wirtschaftlicher Aktivitäten fordert Francois Perigot, Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes, von der Regierung ein Moratorium für die Bezahlung der sozialen und steuerlichen Belastungen der Unternehmen.
 
Liberation 8.7.92

 

Das Eingreifen der Polizei läuft aus der Bahn
»Schickt Verstärkung, wir werden überrollt«

 
Die Entscheidung für eine harte Haltung zur Räumung der Straßen, die die Regierung herausposaunte, entlud sich am 7. Juli in Lyon in einem Nachmittag der Gewalt in dem Viertel von Gerland. Am Morgen wurde Pasteur-Brücke, die angeblich härteste Blockade der Region, ohne größere Zwischenfälle geräumt. Zwei Journalisten, gegen welche der Verantwortliche der Ordnungsmacht, der Divisionskommissar Hezard, Anzeige wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt stellen wollte, weil sie keine Pressearmbinden trugen, wurden ihre Presseausweise von zwei nervösen Polizisten abgenommen. Doch dies war nur der Auftakt für die Zwischenfälle am Nachmittag.
Gegen 14 Uhr unternahmen auf der linken Seite der Rhone gegenüber der Pasteur-Brücke einige Dutzend Ambulanzwagen und Taxis eine Operation Schnecke um den Platz Antonin-Perin. Drei LKWs mischten sich unter die Menge der Wagen. Die Ordnungskräfte intervenierten. Ohne Warnung zerrten sie einen Fahrer aus seiner Kabine und knüppelten lange auf ihn ein. Der Mann blieb am Boden liegen. Ein Ambulanzfahrer gab ihm erste Hilfe und da er merkte, daß »sein Puls schwächer wurde«, ließ er ihn schnell von der Feuerwehr abtransportieren.
Die Menschenansammlung, die sich bildete, wurde mit aller Härte zerstreut. Polizisten stürmten in ein Restaurant und schlugen auf die flüchtenden Demonstranten ebenso wie auf die am Tisch sitzenden Gäste ein.
Es verbreitete sich das Gerücht, daß der LKW-Fahrer tot sei: Plötzlich fing die Frau, die während der Polizeiaktion an seiner Seite war, an zu heulen. Die hundert Demonstranten sahen darin eine Bestätigung für den Tod des Fahrers. Die Neuigkeit verbreitete sich über CB-Funk. Zwei Fahrer kommen mit ihren LKWs zurück und fahren auf die Sperre der Polizei zu. Einer der Fahrer ist mit einer Pistole bewaffnet und steigt aus seiner Kabine aus. Der Druck ist groß. Der Kommissar Hezard brüllt in sein Walkie-Talkie: »Schickt Verstärkung, wir werden überrollt.«
Erster Angriff. Granaten, Steinwürfe. Ein Polizist wird im Gesicht getroffen. Die Einwohner des Viertels ergreifen Partei für die Fahrer. Die Polizei, verhöhnt und beschimpft, stürmt erneut den Platz, und greift ein Kamerateam von TF 1 an, das die gewaltsame Festnahme von zwei Männern filmt, die auf dem Boden liegen, mit Handschellen auf dem Rücken. Zweiter Angriff. Diesmal schlagen die Polizisten auch auf den Lieferwagen eines Frittenverkäufers ein. Die Bevölkerung kommt herunter auf die Seite der Demonstranten und greift zum drittenmal an. Der Tränengasnebel dringt in die Hotels Mercure und Ibis an der Pasteur-Brücke ein. Die Polizisten verfolgen die Menschen bis in die Aufgänge der Häuser, sie schlagen einen 70jährigen auf der Schwelle der Eingangstür zu seinem Appartement. Eine Tränengasgranate wird in ein Treppenhaus geworfen.
Um 19 Uhr ist der Platz geräumt. Die Polizei fährt unter dem Gejohle der Einwohner weg.
 
Le Monde 9.7.92

 


Der internationale Transport der Iberischen Halbinsel blockiert

Die Auswirkungen des Streiks der  LKW-Fahrer in Frankreich Anfang Juli waren auf der Iberischen Halbinsel unmittelbar zu spüren. Die Blockade der französischen Autobahnen und Landstraßen bedeutete praktisch die vollständige Lähmung des Warenverkehrs an den Grenzübergängen von oder nach Spanien und Portugal. Z.B. ging am Grenzübergang La Jonquera (Girona) der Verkehr von 2000 auf 100 oder 200 LKWs am Tag zurück.

Wenn wir die realen Auswirkungen des Streiks in Frankreich bewerten wollen, müssen wir berücksichtigen, daß sowohl die Presse als auch die großen Transportunternehmen daran interessiert waren, die Zahlen der in Frankreich festgehaltenen LKWs zu übertreiben, um von der französischen Regierung entsprechende Entschädigungen zu bekommen.

Jedenfalls nannte die Presse am Dienstag, den 7. Juli die Zahl von 10 000 blockierten spanischen LKWs; d.h. LKWs, die auf den französischen Straßen und in Spanien mit Waren für den europäischen Markt blockiert waren. Zum Streik der französischen LKW-Fahrer kam der Streik der Zöllner, die gegen ihr Verschwinden im Jahr 1993 protestierten. Dadurch war die Blockade der Grenzen total, und der internationale Verkehr von Portugal und Spanien kam zum Erliegen. Der Verband der Fuhrunternehmen, ASTIC, sagte, daß 100% des Fuhrparks blockiert sei, und gab gleichzeitig zu, daß die Unternehmen den Kontakt zu ihren LKWs verloren hätten.

Auch die Auswirkungen auf andere Bereiche waren beträchtlich. So wurden die Verträge für den Export von verderblichem Obst, das von spanischen LKWs transportiert wurde, die vom französischen Streik betroffen wurden, annulliert. Der größte Teil der Melonen, Kirschen, Pfirsiche und Wassermelonen aus Huelva, Almería, Valencia und Murcia, die für den europäischen Markt bestimmt waren, verfaulten in den Lastern. Die Kunden weigerten sich, die Rechnung zu bezahlen und die Verluste für die spanischen Agrarunternehmer betrugen ca. 5200 Mio. Peseten [ca. 76 Mio. DM].

Auch der Tourismus an der Costa Brava hatte unter dem Streik zu leiden. 40% der Kapazitäten standen leer...

Die Automobilindustrie reagierte sofort

In der Industrie waren die Auswirkungen stärker. Z.B. charterten Seat-Volkswagen und Hewlett-Packard Flugzeuge für die Teileanlieferung aus anderen Ländern. Bei Nissan war die Ersetzung von Dunlop durch einen anderen Zulieferer vorgesehen, falls der Streik länger dauern sollte, und Sony versuchte, sich über den Hafen von Bilbao zu versorgen. Fasa-Renault verhinderte den Stillstand der Bänder nur durch den Umstieg auf die Eisenbahn. Citroën hatte nur noch Teile, um die Produktion bis zum Dienstag, den 7. Juli aufrechtzuerhalten. Talbot-Peugeot legte seine Produktionswerke am Montag, den 6. Juli still.

Dies sind, ganz kurz, einige der Hauptfolgen des LKW-Fahrerstreiks auf die Wirtschaft der Iberischen Halbinsel. Von den Auswirkungen auf Portugal kann ich nicht einmal geschätzte Zahlen nennen, obwohl es anzunehmen ist, daß sie ähnlich waren wie in Spanien. (Es klingt wie gelogen, aber in Barcelona ist keine portugiesische Zeitung zu kriegen, und die spanische Presse beschäftigt sich nicht mit dem anderen iberischen Land.)

Ich muß hinzufügen, daß die Behandlung des Konflikts in den Medien der öffentlichen Meinungsbildung wie üblich ziemlich widersprüchlich war. Einerseits finden sie es notwendig, die Folgen der Konflikte zu übertreiben, um deren Kriminalisierung und die Repression zu legitimieren. Andererseits versucht man, sie herunterzuspielen und manchmal zu verheimlichen (wie den Streik der Weinleser in Jerez im letzten Jahr) mit dem Ziel, die enorme Fähigkeit dieser Aktionen zu verbergen, Druck auf die Wirtschaft auszuüben oder sie zu blockieren, wie es im Transportsektor der Fall ist. Was auf jeden Fall sicher ist, daß die großen Unternehmen, welche die Methode des Just-in-time praktiziert haben, die Lektion aus dem Streik der spanischen LKW-Fahrer von 1990 gelernt haben und nun alternative Zuliefersysteme wie Flugzeug, Schiff und Eisenbahn benutzen.

Neuer Transportarbeiterstreik in Spanien

Am 1. September begann ein Streik im Straßentransport mit unterschiedlichen Auswirkungen in den verschiedenen Regionen. Der Grund für diese neue Mobilisierung ist - laut den Initiatoren - die Nichterfüllung der im Streik von 1990 getroffenen Abkommen von seiten der Regierung. Die Forderungen drehen sich um Frühverrentung, die hohe Steuerbelastung (mehr als 60% des Brennstoffpreises, 73 Pt./Liter sind Steuern), Verfolgung der Illegalen usw.

Nach dem Streik von 1990 hatten Vertreter der LKW-Fahrerverbände und die Verwaltung einen Plan für den Warentransport auf der Straße ausgearbeitet, der niemals umgesetzt wurde. Diesesmal ist die Trennung der großen Unternehmen von den kleinen viel klarer geworden: Die Initiative ging von den drei Provinzorganisationen des Baskenlands und einigen andalusischen Transportkooperativverbänden aus; das heißt, der Streik wurde hauptsächlich von Kleintransporteuren des Baskenlands (80%) und Andalusiens (geringere Beteiligung) ausgerufen und unterstützt.

Das Innenministerium gab den Zivilgouverneuren Anweisung, mit aller Härte die Ley de Seguridad Ciudadana (Gesetz der Öffentlichen Sicherheit) anzuwenden; ein Gesetz, das unter dem Vorwand Kampf gegen den Drogenhandel eine richtiggehende Blankovollmacht für das Eingreifen der Polizei gegen jeden Konflikt ist, der das Zusammenleben der Bürger stören könnte. Auch die Ertzantza (autonome baskische Polizei) hat ihre Rolle als Garant der öffentlichen Ordnung und des freien Warenverkehrs gespielt.

Geringere Auswirkungen als 1990

Die Auswirkungen des Konflikts waren hauptsächlich im Baskenland (wo der Streik praktisch total war) und Andalusien zu spüren. Während des Streiks gab es weder schwere Auseinandersetzungen noch beeinträchtigte er die Versorgung der großen städtischen Zentren wie 1990. D.h. er hatte weder die Dimension noch die Radikalität des Streiks von 1990, obwohl das Streikkomitee erklärte, daß der Streik in Asturien und Galizien 80%, in Kantabrien und Navarra, Katalonien und Valencia 50%, La Rioja und Aragon 40%, Castilla-La Mancha, Castilla-León und Madrid 60%, Extremadura 30%, Murcia 70% und Andalusien 90% des Transports beträfe.

Trotzdem zogen sich im Laufe des Konflikts einige Verbände vom Streik zurück. Außerdem ist hervorzuheben, daß die Verladeunternehmen Druck auf die Fahrer ausüben und ihnen drohen, sie nicht mehr unter Vertrag zu nehmen, wenn sie sich dem Streik anschließen. Einige Transportkooperativen, die Fenadismer angehören (einer der größten Verbände, der sich nicht dem Streik angeschlossen hat), sind ausgeschert und haben sich am Streik beteiligt.

Wie bereits gesagt, riefen auch die großen Organisationen der Transportunternehmen nicht zum Streik auf. Am 31. August - einen Tag vor Streikbeginn - veröffentlichte die Zeitung El País einen Artikel des Präsidenten der CETM (Spanischer Verband der Spediteure), der sich radikal gegen den Streik wandte und das Eingreifen der Polizei forderte, um den freien Verkehr zu garantieren.

Diesmal gab es keinen Überraschungseffekt. So konnten die großen Warenhäuser Vorräte anlegen, um sich gegen einen allgemeinen, langen Streik zu wappnen. Der Streik war in einer Versammlung der Provinzorganisationen der Transporteure im Juli beschlossen worden. Damals gab es Vorschläge, ihn mit den Olympischen Spielen zusammenfallen zu lassen, aber die Idee wurde fallengelassen, um nicht dem Ansehen des Sektors zu schaden und die Bürger nicht zu beeinträchtigen. Dieser Aspekt ist wichtig, denn in der Streikstrategie hat man immer versucht, nicht die »Interessen der Bürger« zu beeinträchtigen. Es ist merkwürdig, aber der offizielle Diskurs, der die Streikaktionen kriminalisiert, geht in dieselbe Richtung und scheinbar hat er sich auch in den Köpfen derjenigen festgesetzt, die die Mobilisierungen tragen.

Jedenfalls hatten die großen Handelszentren zu Beginn des Streiks die Läger zu 100% voll. Am 5. September sprach die Handelskammer von Guipúzcoa ihre Besorgnis aus wegen der Folgen, die ein längerer Streik auf die Versorgung einiger Industriesektoren haben könnte, und weil es unmöglich sei, die nötigen Transporte durchzuführen.

Andererseits wurde am 10. September die Unterbrechung der Bauaktivitäten in der Provinz Vizcaya angekündigt. Inzwischen gab es einige Zusammenstöße, in deren Verlauf einige LKWs verbrannt wurden. Die Streikenden garantierten eine Reihe von Notdiensten, die die Versorgung mit lebensnotwendigen Produkten sicherstellen sollten, wie Medizin, Brot usw. Jedoch hatte die Ertzantza den Befehl, die Fahrzeuge zu beschlagnahmen, die den Notdienst machten, weswegen die Fahrer beschlossen, sie außer den 24 Stunden am Sonntag nicht mehr zu leisten.

Restrukturierung und Konzentration

Sowohl unter den Initiatoren als auch unter den Fahrern, die den Streik nicht unterstützen, besteht Einigkeit darüber, daß der Sektor tiefgreifend reorganisiert werden muß. Wie wir bereits aus anderen Erfahrungen wissen (Textil, Elektronik, usw.) ist es die Taktik der sozialistischen Regierung, die Restrukturierung eines Sektors zu seiner Liberalisierung und Deregulierung zu benutzen, sodaß nicht wettbewerbsfähige Unternehmen oder Tätigkeitsbereiche verschwinden, wenn sie nicht teilweise von den großen europäischen, japanischen oder nordamerikanischen Transnationalen absorbiert werden.

Nach dem Standpunkt der Streikenden wäre die Frühverrentung eine Möglichkeit, ohne große Traumata zur Selbstregulierung des Sektors zu kommen (72% der Fahrer sind über 44 Jahre). Damit, meinen sie, könnte man den Umfang des Sektors um 16% bis 18% verringern. Dafür ist es notwendig, daß das Transportministerium die Transporterlaubnis übernimmt und denen, die den Beruf verlassen, eine würdige Pensionierung garantiert.

Im spanischen Transportsektor gibt es eine große Atomisierung, außerdem einen Überschuß an Fahrzeugen und dieser Angebotsüberschuß läßt die Tarife unter die Rentabilitätsgrenze sinken, was die Vermehrung der Piraten- oder illegalen Transporteure und die Umgehung vieler Sicherheitsbestimmungen bedeutet. In Spanien gibt es mehr als 120.000 Unternehmen (in Frankreich 36 000, in Deutschland 54 000, in Italien 200 000). Einige Quellen nennen eine Zahl von 275 000 schwerer und leichter Fahrzeuge.

86% sind Selbstfahrer mit einem einzigen LKW. Zur hohen Steuerbelastung auf dem Brennstoff (60%) kommen die hohen Kreditzinsen (18%) und zudem kostet dasselbe LKW-Modell in Spanien vier oder fünf Mio. Peseten mehr als in Frankreich. Andererseits sind auch die Arbeitsbedingungen nicht zu beneiden. Das Subunternehmersystem im Transportsektor, das die großen Unternehmen benutzen, zwingt ihnen drakonische Bedingungen auf, die die Transporteure dazu zwingen, gegen die Gesetze zu verstoßen bezüglich Ruhezeiten, Geschwindigkeit usw. Wir dürfen nicht vergessen, daß das Just-in-time-System in letzter Instanz vom Transporteur abhängt.

Mit dieser Situation kann man sich leicht vorstellen, daß der Kampf für das Überleben in einem Moment losging, in dem die Restrukturierung immer dringlicher wird. Aktuell operieren die großen transnationalen Transportfirmen bereits in Spanien und intensivieren ihr Eindringen. Weder bezüglich ihrer kritischen Masse noch ihrer Angebotsbedingungen sind die spanischen Transporteure in der Lage, der Konkurrenz der holländischen oder deutschen Gesellschaften standzuhalten.

Nur einige der spanischen Unternehmen haben eine gewisse Lebensfähigkeit, um sich mit den Transnationalen zu verbünden oder sich in sie einzugliedern - deshalb haben sie sich nicht am Streik beteiligt. Aber die Mehrzahl der kleinen Transporteure ist zum Verschwinden verurteilt, und die überlebenden werden zu immer härteren Bedingungen und nach neuen technischen Erfordernissen arbeiten müssen. Schließlich hat das Streikkomitee am 11. September den Streik abgeblasen, der bereits durch »Erschöpfung« zu Ende gegangen war. Nun werden die Transporteure versuchen, die Verhandlungen fortzusetzen, um die brutalsten Auswirkungen der Restrukturierung abzuwenden. Auf jeden Fall bleibt die Situation, die den Streik auslöste, dieselbe.

D.C. - 12. September 1992


[Startseite] [Archiv] [Wildcat] [Bestellen] [Kontakt]