Proto-faschistische Elitetheorie?
Detlef Hartmanns Kritik an Empire von Hardt/Negri
Detlef Hartmann hat eine vernichtende Kritik am zum Kommunistischen Manifest des 21. Jahrhunderts stilisierten Empire geschrieben. Er findet in dem Buch nicht bloß falsche Argumente und entscheidende Fehleinschätzungen, er sieht es insgesamt als Spiegel des Verfalls linken Denkens, als Herrschaftsprojekt. Deshalb will er nicht kritisieren; entweder man bekämpfe die Macht oder man sei auf ihrer Seite - wie Hardt und Negri. Diese Standpunktlogik reichert er mit antifaschistischem Alarmismus an, wie man ihn bislang nur aus der antideutschen Szene kennt, die ähnlich wie Hartmann Empire als faschistisches Buch denunziert.
Detlef Hartmann
Empire - Linkes Ticket für die Reise nach Rechts
Assoziation A, Januar 2003
ISBN: 93593615X, 194 Seiten, 12 EuroEmpire ist ein produktivistisches Buch, ein un-kritisches Buch, es präsentiert eine optimistische Geschichtsphilosophie, aber es ist kein faschistisches Buch. So lehnen Hardt/Negri zum Beispiel den ausschließenden Volks-Begriff ab, dem sie ihren Begriff der Multitudo entgegenhalten, auch die Begeisterung für die Deleuze'sche »Deterritorialisierung« hat nichts mit faschistischen Ordnungsvorstellungen zu tun, sondern ist eher der Sound fortschrittsoptimistischer Manager-Abendlektüre. Woher also der antifaschistische Alarmismus? Hardt/Negri beziehen sich auf den Carl Schmittschen Souveränitäts/Staats-Gedanken, um sich die heutige Ordnung (die Politik des Empire) zu erklären. Allein das Zitieren eines Nazi-Staatstheoretikers - selbst in kritischer Absicht - ist für Detlef Hartmann schon ein Skandal.
Mit der gleichen Vehemenz drischt er auf den Nietzsche-Bezug in Empire ein. Dies erinnert an Debatten in den 70er und 80er Jahren, als Dissidenten des Stalinismus wie Foucault oder Deleuze bislang verfemte Denker wie Nietzsche benutzten, um sich aus den Schlingen eines teleologischen Marxismus oder einer hohlen Totalitätskategorie zu befreien. Genau das wiederholen Negri/Hardt. Sie benutzen Metaphern von Nietzsche, um ihren positiven Bezugspunkt einer revolutionären Multitudo zu beschreiben. Demnach hätte die Multitudo die Handlungsmacht, nicht nur Werte zu zerstören, sondern auch neue Werte zu schaffen.
Die beiden Autoren beziehen sich hier auf den nietzscheanischen »Willen zur Macht«, den sie ihrem Projekt dienlich machen wollen. Der Anti-Sozialist Nietzsche hatte nicht nur den Rechten und den Faschisten wichtige Begrifflichkeiten geliehen (hauptsächlich die Vorstellung eines »Übermenschen« und der »Wille zur Macht«), auch Linke benutzten Nietzsche: für Adorno und Horkheimer betrieb Nietzsche zynische Ideologiekritik, weil er den schönen Schein der bürgerlichen Gesellschaft mit der hässlichen Realität konfrontierte, die er als Ideal setzte. In Frankreich entstand ein Linksnietzscheanismus, der sich nur vor dem Hintergrund der marxorthodoxen Hegelei und der stalinistischen KP-Politik erklären lässt. Nietzsche diente dazu, einem arbeitsontologisch gedachten Herr-Knecht-Verhältnis zu entkommen, in dem der Arbeiter-Knecht sich nur über die Arbeit selbstverwirklichen könne.
In den 70er und 80er Jahren sind stalinistische Marxisten und liberale Bürger, wie Habermas, mit Foucault genauso umgesprungen, wie heutzutage Detlef Hartmann mit Negri/Hardt: wer Nietzsche benutzt, wird als Proto-Faschist und Irrationalist gebrandmarkt.
Der Faschismus-Alarmismus Detlef Hartmanns passt nicht zu seiner Foucault-Verehrung. Er sieht in ihm einen Denker der sozialen Revolten um/nach 68, der Anti-Psychatrie- und Antiknast-Kämpfe, und will ihn Hardt und Negri entreißen. Er deckt dazu - vollkommen zu recht - die Verdrehungen auf, die Negri/Hardt mit Foucaults Begriffen bewerkstelligen. So bekommt der Biomacht/Biopolitik-Begriff in Empire eine positive Wendung und wird nicht mehr als die Verfügung des Staates über die Körper und ihre Produktivität dargestellt, sondern als kommunistisches Vermögen. Ohne es ausdrücklich auszuweisen, stellen die Autoren von Empire Foucault von den Füssen auf den Kopf, weil sie Biopolitik als prozessierenden Widerspruch, als »Bewegung zum Kommunismus« fassen wollen. Hartmann weist nach, dass Foucault hier verdreht wurde und skandalisiert das. Aber man hat den Eindruck, dass er gar nicht versteht, was Negri/Hardt damit bewerkstelligen wollten. Auch der Frage, ob sich Foucault selbst in einer Machtontologie verstrickte, will Detlef Hartmann nicht nachgehen, obwohl sein eigener Machtbegriff dem von Foucault eklatant widerspricht. Wenn sich Detlef Hartmann Foucault zu eigen machen will, dann müsste er von seinem Bild der klar geschiedenen Kontrahenten abrücken, wo die Eliten und das Kapital auf der einen und die Unterdrückten auf der anderen Seite stehen. Bei Foucault dagegen gibt es nicht das reine Subjekt, das von Macht unbeleckt ist, auch nicht die Figur des militanten Theoretikers, der die »sozialrevolutionäre Moral« hochhalten könnte.
Wichtiger als die Skandalisierung der Foucault-Verdrehung wäre eine Diskussion um Foucaults und Hardt/Negris Verständnis von Kapitalismus als gesellschaftlichem Verhältnis. Antonio Negri selbst hatte 1978 in der italienischen Zeitschrift aut-aut Foucault eine Nichtbeachtung der Produktionsebene und die Fixierung auf die Zirkulation von Wissen und Macht attestiert. Tatsächlich hat Foucault darauf bestanden, dass die Analyse der Macht eine »nicht-ökonomische Analyse« sein muss. Seine Beschreibung des Kapitalismus als Disziplinargesellschaft, die geprägt ist vom »Kerker-Kontinuum«, erweist sich als eindimensional.
Interessant sind die lebensphilosophischen Einsprengsel, die sowohl Foucault als auch Negri, aber auch Hartmann in ihre Theorien des Antagonismus einstreuen. Foucault behauptete, dass das Kapital das Leben in Arbeitskraft synthetisieren muss, was Zwang impliziert, und hält gegen Marx, den er nur als Arbeitsontologen wahrnehmen kann, nicht die Arbeit, sondern »Lust, Unstetigkeit, Fest, Ruhe, Bedürfnisse, Zufälle, Begierden, Gewalttätigkeiten, Räubereien« - eben das Leben. Negri benutzt ebenso Lebensphilosophen wie Bergson oder Nietzsche, um seinen ontologischen Antagonismus philosophisch auszuweisen. Detlef Hartmann hat eine Bibel der autonomen Lebensphilosophie verfasst: Leben als Sabotage, in der das Leben gegen das Kapital, das mit formaler Logik gleichgesetzt wurde, in Anschlag gebracht wird. Auffallend ist die Nähe der Theorien und die gleichzeitige vernichtende Kritik, die Hartmann über Negri/Hardt ausschüttet.
Wenn Detlef Hartmann Marx vor Negri und Hardt retten will, bewegt er sich auf dünnem Eis. Hartmann führt Marx als Kritiker der Produktivkräfte und der Maschinerie an und versucht diesen Marx gegen den fortschrittsoptimistischen fröhlichen »Marxismus« von Hardt/Negri, die sich auf die Entwicklung der Produktivkräfte stützen, zu wenden.
Doch gerade im wichtigen Maschinenfragment der Grundrisse zeigt sich Marx durchaus fortschrittsoptimistisch, unterscheidet in seinem Blick auf das Fortschreiten der Produktivkräfte zwischen Stoff und Form und sieht in der größer werdenden frei-verfügbaren Zeit und der Entwicklung eines »General Intellect« die Voraussetzungen für eine kommunistische Gesellschaft.
Empire scheitert am Versuch, die Phase der reellen Subsumtion tatsächlich zu beschreiben, eine Untersuchung der Arbeitsverhältnisse im jetzigen Kapitalismus findet nicht statt. Auch den schreienden Widerspruch eines gigantischen Reichtums und technischen Fortschritts, der jedoch in den Formen der falschen Ordnung zu Armut, Hunger und Ausbeutung wird, können Hardt/Negri aufgrund ihrer anti-dialektischen Betrachtungsweise nicht erfassen. Detlef Hartmann teilt das anti-dialektische Denken mit Negri/Hardt - er scheint nur Angriff von oben, Gegenmacht von unten zu kennen. Eine Beschreibung der Situation von ArbeiterInnen im Kampf gegen die Arbeit trotz Zwang zur Arbeit wie bei Dauvé und Nesic (vgl.: Beilage Wildcat-Zirkular Nr. 65, Lieben die ArbeiterInnen die Arbeit?) ist nicht seine Sache, es ist immer die reine Unruhe des Widerstands (mit Schwarz-Weiss-Gegenüberstellungen: formale Logik gegen Leben, Eliten gegen Arbeiter-Bäuerinnen)
Dabei nimmt er sich auch nicht die Zeit, den Werdegang von Negri zu untersuchen: dieser hat auch als Vertreter des reinen Kampfes angefangen. Es gebe keine Vermittlung mehr, bloß Kampf: »Zwischen der produktiven Arbeiterklasse und dem toten Kapital existiert keine dialektische Dynamik mehr...« Deswegen propagierte Negri zeitgleich mit der Entdeckung des gesellschaftlichen Arbeiters den Angriff auf den Staat und das Ende des Wertgesetzes. Die affirmative Wendung Negris kommt am ehesten in dem Begriff der autovalorizzazione (Selbstverwertung) zum Tragen. Niemand wusste damals, was das sein sollte, und Negri hat sehr schnell auch die Westberliner Alternativprojekte, die selbstbestimmten Kooperativen, die »alternativen Bedürfnisse« usw. dazu gezählt, bis er dann auch die Entwicklung der Grünen in Deutschland gelobt hat. Die reine Negation (bewaffneter Kampf) war in merkwürdiger Weise immer begleitet von der Suche nach dem absolut Positiven, nach einer ontologischen Fundierung des Positiven, was er mit Spinoza in der Produktivität der Multitudo erblickt haben wollte.
Nach dem Knast und zu seiner Zeit im Pariser Exil kam Negri mit dem Poststrukturalismus in Kontakt, hier liegen die Wurzeln seiner letzten affirmativen Wende. Er baute seinen unverbindlichen Stil aus, der alles patchworkartig benutzt. Negri wusste immer alles zu benutzen: auch Althusser, mit dem er eine Art »sublimierten Leninismus« vertrat: der Prophet erschafft spinozistisch das Volk, nicht mehr der Kader die Arbeiterklasse - im Kern ist es das gleiche.
Negri hat unkritisch die Bewegungsformen eines Teils der Klasse nach dem Zerschlagen der Kämpfe bei FIAT - also nach dem Ende des Kampfs der Massenarbeiter - nachgezeichnet (neue Selbständigkeit, gesellschaftliche zersplitterte Fabrik), hat seinen Horizont auf die am weitesten entwickelten Arbeiter-Figuren eingeschränkt und vertritt nun einen Produktionsintelligenz-Kommunismus, der natürlich voller Ausschlüsse ist (»die Armen« kommen nur paternalistisch als Objekt einer Art Befreiungstheologie vor).
Leider findet man das alles in Hartmanns Kritik nicht. Statt entlarven und skandalisieren zu wollen, wäre ein solches Nachzeichnen der (eigenen) Entwicklung der operaistischen Linken fruchtbarer gewesen. Hier wäre dann vielleicht auch die überfällige Überprüfung des »sozialrevolutionären« Paradigmas notwendig geworden, das Detlef Hartmann in den post-operaistischen Zeitschriften-Projekten Autonomie-NF und Materialien für einen neuen Antiimperialismus vertrat und vertritt. Beschränkt sich Negri auf die fortgeschrittensten Segmente der Klasse (die er dann auch nicht mehr so nennen mag, und damit gleitet er tatsächlich in Elitetheorie ab), folgt Detlef Hartmann nach wie vor einem Denken, das seine Begriffe in der Beschäftigung mit dem Sozialhistoriker E.P.Thompson geschärft hat, in dessen Konzept einer moral economy der Unterklassen. Thompson dient heutzutage einer kulturalistischen und entschärften Fassung des Klassenbegriffs. Dies kommt zum Beispiel in der jüngsten Debatte zwischen Nancy Fraser und Axel Honneth zum Ausdruck, wo eine verdünnte Hegelianische Anerkennungskategorie auf die Kämpfe einer um Würde und moral economy streitenden »Klasse« bezogen werden, um auf eine Verrechtlichung hinauszulaufen. Die sozialrevolutionäre Autonomie- und Materialien-Redaktion wollte die moral economy dagegen als »Nicht-Wert« außerhalb des Kapitals ansiedeln: außerhalb der reellen Subsumtion, außerhalb der »Produktivkraftentwicklung«. Oftmals wurde dadurch die »metropolitane Arbeiterklasse« als korrumpiert abgehakt. Damit schneidet man aber andere Klassensegmente ab, die durchaus vom »Fortschritt« des Kapitalismus profitieren wollen, ihn einklagen und herausfordern - nicht so sehr in den alten Metropolen, sondern gerade in den neu entstehenden, wie in Asien. Die damalige Begeisterung der Autonomie-Redaktion für die klerikale, antimoderne Revolution im Iran von 1979 und die damit einhergehenden Irrtümer hätten hier endlich Lernprozesse auslösen müssen.
H.