Wildcat Nr. 71, Herbst 2004, S. 32–36 [w71_entwuerfe01.htm]


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»Sind Sie Kommunist?«

Geschichte eines Jobbers
Interview mit einem Mannheimer Jobber, Jahrgang 54. Der Interviewer ist genauso alt und arbeitet nach 13 Jahren Schichtarbeit in der BASF und einer Umschulung als Betriebselektriker. Aus einem Vergleich der Rentenbescheide ergibt sich, dass der Jobber in seinen Jobs immer ungefähr halb so viel verdient hat wie der Facharbeiter. Das hat sich im Großen und Ganzen seit Mitte der 70er bis etwa 2002 nicht verändert. – Beide kennen sich schon lange. Die letzten gemeinsamen Aktionen waren die Kasernenblockaden 2003.

Wie fang ich an? Zwischen Kirche und Gymnasium. 1972 innerhalb eines halben Jahrs vom Oberministrant zum Anarchisten. In den Jugendgruppen der Kirche hatten wir schon über den Vietnamkrieg referiert. Ich war Schulsprecher geworden und kam in der Schule in Kontakt mit anderen Leuten. Der Direktor war ein richtiger Reaktionär, damals gab’s da ja noch alte Faschisten. Es ging um die SMV (Schülermitverwaltung), das haben wir als demokratisches Gremium der Schüler verstanden. Der Direktor hatte eine Versammlung der Klassensprecher einberufen, und ich hab davon auf den Gängen erfahren, er hatte mich nicht informiert. Ich bin halt rein und hab gestört. Am Ende hat er mir gedroht, ich soll mich entschuldigen oder ich fliege. Drei Wochen lang haben mich Mitschüler bedrängt, ich soll mich entschuldigen. Auch meine Mutter stellte mich vor die Alternative: Entschuldigung oder Ausziehen. Also zog ich aus, mit 18, und in eine Kommune in Ludwigshafen. Ich kannte die Leute aus dem Kampf fürs Jugendzentrum (JUZ).

Dann kam der nächste Hammer: Ich war bis zum Abitur zurückgestellt vom Bund. Und meine Mutter hatte nix besseres zu tun, als anzurufen und zu melden, dass ich aus der Schule raus sei. Aus ihrem Sohn sollte wohl bei der »Wehrmacht« ein Mann gemacht werden. Ich bekam den Einberufungsbescheid und sollte in ein paar Wochen auf der Matte stehen. Das war natürlich ein Schock. Die Leute in der Kommune halfen mir, klar zu kommen. Einen Tag vor dem Termin hatte ich dann die Verhandlung wegen Kriegsdienstverweigerung vor dem Kreiswehrersatzamt. Natürlich durchgefallen. Die erste Frage war: »Sind sie Kommunist?«

Drei Wochen nach dem Einberufungstermin bin ich dann hingegangen. Ab drei Wochen hätte das Fahnenflucht bedeutet, also fünf Jahre Knast. So rechnete ich mit »unerlaubtes Fernbleiben von der Truppe«, also zwei Jahre plus zwei Jahre für Gehorsamverweigerung. Im indischen Seidenhemd, Jeans mit Schlag, Mokassins bin ich da den Berg hinaufgelatscht.

Drei Monate hab ich gebraucht. Drei Monate Theater in der Kaserne. Neun mal war ich in der Zelle plus insgesamt fünf Wochen Einzelhaft. Wegen langer Haare, beim Essenfassen nicht in Reih und Glied angetreten. Ich hab möglichst jeden Befehl verweigert. Am Ende haben sie mich unehrenhaft entlassen. Außerdem wurde ich noch verurteilt zu neun Monaten bei fünf Jahren Bewährung und Geldstrafe. Fünf Jahre kein Schwarzfahren, kein Klauen. Klar, wegen einem Päckchen Käse geht man nicht neun Monate in den Knast. Trotzdem hatt ich mal einen Haftbefehl laufen, weil ich mit den Raten in Rückstand war. Zu der Zeit war ich mit falschen Personalien auf Demos.

Zurück in Mannheim wieder in eine Kommune. Das war 1974. Eine richtige Kommune. Keine Privatzimmer, nur Funktionszimmer. Wohnzimmer, Schlafzimmer etc. Im Prinzip keine privaten Sachen und gemeinsame Kasse. Man ist zu fünft oder so zum Arbeitsamt gegangen, Stellenvermittlung für Studenten, und hat sich Jobs angelacht für ein paar Wochen. Die Immatrikulationsbescheinigung hatte ich gefälscht.

War diese Kommune anders als eine Wohngemeinschaft, wie wir sie heute noch kennen?

Es ging uns darum, einen Gegenentwurf zur Familie zu leben. Gemeinsam leben, möglichst wenig arbeiten, Gesellschaft verändern. Es war ein Experiment, orientiert an der berühmten Kommune 1 oder der Kommune 2. Ich hab in verschiedenen Kommunen und WGs gewohnt. Einmal eine große Kommune in zwei Wohnungen und immer noch Funktionsräume. Im Wohnzimmer nur ein Matratzenlager.

Nach einem kurzen Zwischenspiel mit einer WG, die aufs Dorf gegangen ist und dort völlig isoliert war, bin ich zu einer Frau in eine Zweizimmerwohnung gezogen, aber das ging auch nicht. Ich war meist in den Kommunen. Und als die Frau deshalb Theater gemacht hat, bin ich wieder ausgezogen.

In den 80ern hab ich dann allein gewohnt. Die Kommunen wurden zu Wohngemeinschaften, die Leute sind ausgezogen, haben Kleinfamilien mit Karriere gewählt. Dann wieder in ‘ner WG bis 2002. Mein Problem war aber inzwischen, ich war da immer der Älteste. Und mit so jungen Leuten isses schwierig. Die haben andere Probleme und andere Prioritäten – zahlen nicht, helfen nicht im Haushalt. Und einen Zusammenhang gemeinsamer Interessen gab’s auch nicht mehr. Man kam zusammen über Wohnanzeigen, ganz anders als früher, wo es uns um das Zusammenleben gegangen war. Und nach neun Stunden Arbeit noch die Auseinandersetzung in der WG – ich hatte die Faxen dicke und bin allein gezogen.

Was war zur Zeit der Kommune politisch los?

Oh, wichtig waren die Auseinandersetzungen im JUZ; auf der einen Seite die Stalinisten um die DKP und auf der anderen Seite Leute, die von der Neuen Linken inspiriert waren. In Heidelberg war das SPK. Die Auseinandersetzungen waren hart, die DKPisten haben irgendwann gewonnen.

Fahrpreiserhöhungen in Heidelberg, sowas kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Es gab Rote-Punkt-Aktionen. Der KBW hat so halbgediegene Aktionen abends auf dem Berliner Platz gemacht mit symbolischen Blockaden. Andere haben versucht, richtig zu blockieren. Drei Tage und drei Nächte war Schlacht, mit Barrikaden. In der Heidelberger Altstadt hat die Polizei zum Teil wenig Möglichkeiten gehabt. Die Leute haben Ziegeln von den Dächern geschmissen, den Sperrmüll gebracht für die Blockaden. Dann haben sie mit Gas die Altstadtgassen vollgeblasen, dort hat sich das Zeug auch lange gehalten.

Später dann die Anti-Atomkraft-Bewegung, ich war zum Beispiel öfter in Wyhl.

Was für Jobs habt Ihr damals gemacht?

An einen kann ich mich noch genau erinnern: im Hafen Gewehröl abfüllen für die Bundeswehr. Eine richtige Klitsche, so groß wie zwei kleine Wohnungen. Ein Tank, kleines Band, Blecheimer, Kartons. Viel Handarbeit. Andere Jobs waren bei der Margarine-Union und in einer Nudelfabrik. Lebensmittelfabriken sind widerlich. Das war damals alles noch easy. Da wir die Sozialabgaben gespart haben, konnten wir für eine Woche Arbeit drei Wochen leben. Wir waren ja genügsam. In der Kommune gabs keinen Luxus, außer umfangreiches Kiffen. Später, gegen Ende der 70er, ging das nicht mehr, dass wir zusammen irgendwo hin gegangen sind. Es gab dann auch die ersten ABM-Maßnahmen, wo ich drin gewesen bin. Platzwart auf Fußballplätzen z.B. Das war vermittelt durchs Arbeitsamt.

Aber Du hast weiter gejobbt…

Zu der Zeit wurden die Jobs aber länger. Ein paar Wochen jobben und dann von dem Geld leben, das ging in den 80ern nicht mehr. Also richtige Arbeitsverträge und durchziehen. Zum Beispiel die Reinigungsfirma Kehl, die haben in der BASF alles gemacht. Eigentlich einer der ersten Sklavenhändler. Ich war beim Faßbau. Fässer gebaut aus Blech. Immer wieder arbeitslos. Zeitweise Tagelöhner. Damals gab’s auch noch die Stellenvermittlung des Arbeitsamts im Hafen. Das sah aus wie eine versiffte Bahnhofshalle. Um sechs Uhr morgens bist du angetanzt. Der amtliche Sklavenhändler kommt aus der Tür raus und ruft: »Sechs Mann Bau, siebe Mark die Stunn’!« Und dann hauen sich 30 Mann gegenseitig den Arm in die Rippen, und wer sich durchsetzt, hat einen Job gekriegt. Da waren Jobs dabei wie Autoscooter auf- und abbauen, Pressspanplattenfabrik, Holz ausladen mit sowas wie einem Enterhaken, Dachdeckerhelfer. Jeden Abend das Geld gekriegt, 50, 60 Mark. Keine Beiträge bezahlt für Krankenversicherung oder Rentenkasse. Teilweise hab ich parallel dazu auch Hilfe bezogen und falsche Namen angegeben.

Zwei Jahre hab ich in einer WG in Heidelberg gewohnt. Damals hab ich in Heidelberger Fabriken, unter anderem in der Eternit geschafft. Zum Beispiel hab ich Litfaßsäulen aus Asbestzement innen entgraten dürfen. Mit Melittafilter auf der Nase.

Dann kam die Zeit der ABM-Maßnahmen. 90er Jahre. Im Völkerkunde-Museum aufräumen. Der Tresor mit den Exponaten war mit Desinfektionsmitteln und Insektiziden völlig vergiftet. Daneben Auf- und Abbau etc. Normaler 40-Stunden-Job mit normalem Lohn. Dann Hausmeister-Gehilfe im Altenpflegeheim. Da wär ich gern geblieben, aber Zivis sind billiger. Meist hab ich als Staplerfahrer oder im Lager gearbeitet. Kommissionierung. Da hab ich wohl sowas wie ‘ne Anlernausbildung. Aber halt nix Schriftliches. Arbeitgeber sehen nur, wie alt ich bin und die Lücken im Lebenslauf.

Du hast keinen Beruf?

Nein. Ich hab mal einen Versuch einer Umschulung zum Maschinenschlosser gemacht. Aber aus verschiedenen Gründen hab ich’s damals nicht gepackt. Ich hatte zuviele Fehlzeiten und muss deshalb bis heute noch Geld ans Arbeitsamt zurückzahlen.

Beim Sozialamt war ich auch mal, ne ganze Zeit sogar. Zwei Termine verpasst und die Arbeitslosenhilfe war gestrichen. Das war ne harte Zeit. Alle zwei Wochen zu drei Amtsstellen. Zuerst Sozialamt, dort hast du den Laufzettel gekriegt, dann zur Stadt, wo die Sozialhilfeempfänger zur Arbeit eingeteilt werden, für zwei Mark die Stunde, höchstens 40 Stunden im Monat. Dann ein paar Stunden beim Arbeitsamt anstehen. Der Zettel musste abgestempelt und »Zur Zeit keine Arbeitsvermittlung möglich« ausgefüllt werden. Damit zurück zum Sozialamt. Dort hat man dann das Geld gekriegt, auch für die Sozialmaloche.

Was war so angeboten als Sozialmaloche?

U.a. im Krankenhaus als Hausmeisterhiwi. Ganzer Tag kehren, auch mal Möbel in den Stationen aufbauen. Katakomben reinigen. Nach einem Wassereinbruch (vom Neckar) war die ganze Isolierung kaputt und wir mussten in die Versorgungsschächte und die Glaswolle rausholen. Aber immerhin hab ich anschließend dort ne volle ABM- Stelle gekriegt. Als Hofkehrer.

Ende der 90er hab ich zwei Jahre in einer Jugendfreizeitstätte auf ner halben Stelle gearbeitet. Um den Job hatte ich mich zwei Jahre lang bemüht, vor allem auf dem Arbeitsamt. Ich wußte, es gibt die Stelle, aber mein Arbeitsamtberater wollte sie einfach nicht rausrücken. Dort war ich dann Mädchen für alles, Hausmeister, Bürodienst, Thekendienst. Das war mein längster Job und auch der, bei dem ich am meisten verdient habe. Ich hatte schon mal vorher aus Verlegenheit bei Sklavenhändlern gearbeitet. Aber so richtig angefangen hat das erst nach diesem Job. Ich war danach nur kurz arbeitslos, aber normale Stellen gab’s nicht mehr, nur noch Leasing, Leasing. Der erste Sklavenhändler hat mich zu einem Lager im Rheinauer Hafen geschickt, Schichtarbeit. Der einfache Arbeitsweg dorthin mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln anderthalb Stunden. Der Sklavenhändler wusste, dass ich Probleme mit dem Hinkommen hatte. Abends um zehn geht gar nichts mehr. In den ersten Tagen hat mich morgens um vier ein Vorarbeiter ein Stück mit seinem BMW mitgenommen. Ich bin ein paar Mal zu spät gekommen und dann wurde mir während der Arbeit gekündigt. Anschließend Sperrzeit beim Arbeitsamt.

Ein anderer Leasingjob war auf der Friesenheimer Insel, Elastomerbrocken aus einem großen Klumpen abreißen und in kleine Säcke verpacken. Aber es gab auch Jobs, die ok waren. Aber man bleibt halt nie lange irgendwo und wenn man denkt, da könnte es doch was werden, ist man wieder weg.

Relativ gut war’s bei ZAB, einem gemeinnützigen Sklavenhändler. Die haben eigentlich gut bezahlt und man kam auch gut mit ihnen aus. Aber die haben damals ziemlich viele Verträge verloren.

Wie hat sich denn die Situation auf Arbeit verändert im Laufe der Jahre?

Früher war’s gediegener, weniger stressig. Wahrscheinlich gab’s früher im allgemeinen mehr Personal für die gleiche Arbeit. Und die Stimmung unter den Kollegen war in der Regel ganz anders. Der Umgang war freundlicher. Es war wirklich ein Umgang unter Kollegen. Heutzutage, wenn du einen entsprechenden Laden erwischst, hast du nur Ärger.

Im Verhältnis von Festeingestellten zu Leiharbeitern?

Nicht nur. Auch Leute in derselben Lage wie du schieben oft die Ellenbogen raus. Mobbingversuche und sowas, das hat sich mit den Jahren immer mehr gehäuft.

Hast Du den Eindruck, dass das daran liegt, dass immer mehr Leute tatsächlich darauf angewiesen sind, gerade den Job zu kriegen oder zu behalten?

Auf alle Fälle. Ich hab Zeiten gehabt, da hab ich immer nach Bedarf für ein paar Wochen einen Job bekommen. Ich konnte mir sie aussuchen. Davon ist heute keine Rede mehr. Wenn du heute mehr als drei Monate arbeitslos bist, hast du wirklich schlechte Karten.

Z.B. hab ich in den 70ern mal beim Benz am Band geschafft, beim Gussputz. Das war Akkordarbeit. Da haben sich die Leute gegenseitig kontrolliert, sie haben auf den Akkordzetteln nachgeschaut, ob auch keiner zuviel macht. Es gab wohl Absprachen unter den Arbeitern, wir machen 120 Prozent und nicht mehr. Wer regelmäßig Ausreißer hatte, hat Ärger gekriegt. Und Freitags nach der Mittagspause war noch Aufräumen und Schluß. Da kam kein Meister vorbei und hat Ärger gemacht. Sowas gibt es heute nicht mehr.

Und was ist mit Löhnen, bzw. mit dem was die tatsächlich wert sind?

Früher konnte ich mit weniger Arbeit zurechtkommen. Die Lebenshaltungskosten sind gestiegen, brutto zu netto wird immer schlechter. In den letzten 15 Jahren oder so sind die Löhne dagegen nicht mehr gestiegen. Die Zeiten von Arbeit wurden länger.

Aber du bist immer noch in der Szene?

In den 80ern gab’s ne Phase, da hab ich mit der Szene nicht mehr viel zu tun gehabt. Alles so lau, so halb. So Sachen wie »Spurbus muss weg« oder die Parteigründung der Grünen. Da waren Nasen dabei, die hast du vorher bei Anti-AKW-Geschichten nicht groß aktiv gesehen. Ein paar Jahre lang hab ich mich zurückgehalten, versucht, mir ein kritisches Auge zu bewahren. (Im Moment geht’s mir wieder ähnlich. Wenn ich mir anguck, was die Szene so treibt: gähn!)

Während meiner Zeit in Heidelberg haben wir vor allem an der Uni was gemacht. Es gab da einen linken ASTA, wir haben Flugis gemacht mit prinzipieller Kritik an den Verhältnissen. Meine MitbewohnerInnen waren alles Ex-Studenten, zum Teil noch gejobbt an der Uni.

Ich wollte noch was ansprechen, was ich als ‘Arbeit und Leben’ notiert habe. In den Jahren, als ich in der BASF gearbeitet habe (70er und 80er), hab ich dort immer was gemacht, zum Teil allein, meist mit anderen zusammen. Das heißt, Arbeit und politische Aktivitäten haben eine Verbindung gehabt. Später hat das nachgelassen, bzw. wurde immer virtueller. Das hat natürlich was mit nachlassender Unruhe in den Betrieben zu tun.

Dass ich mit Freunden was politisch in den Betrieben gemacht hätte, das war bei mir kein einziges Mal so. In der Szene, in der ich mich bewegt habe, waren ja immer viele Studenten.

Aber es geht dabei ja auch um Themen, über die bei der Arbeit geredet wird. Oder ob man überhaupt mit den Leuten reden kann.

Da bin ich in der letzten Zeit bei den Sklavenhändlern vorsichtiger geworden. Man spricht ein Thema an und rasselt mit dem Kollegen aneinander und hat dann Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit. Ich kann mich deshalb zurückhalten, weil ich weiß, dass bei dem Geschwätz eh nichts rumkommt. Über den Irakkrieg hat man sich wieder unterhalten. Aber richtig Streit hat’s da nicht gegeben, dafür war natürlich keiner.

War das früher anders?

Wie gesagt, »Betriebsarbeit« hab ich nie gemacht. Aber klar hab ich immer mein Maul aufgemacht. Damals beim Benz hatte ich mal ein Buch von Wilhelm Reich dabei und darüber hat man sich dann unterhalten.

Aber reden über Themen, Atomkraft, Vietnamkrieg, die RAF z.B.?

Das war wohl schon etwas anders. Zur Zeit der Lorenz-Entführung hab ich drei Wochen in einem Schrotthandel geschafft. Die Kollegen waren erfreut darüber. Die wussten genau, dass sie das nie betreffen würde, dass es die Großkopfeten trifft. In den 80ern allerdings, als die Repression angezogen hat, das war eine ziemlich kalte Zeit. Aber das hat auch viel mit der Branche zu tun. Im Metallbereich war das Klima bei der Arbeit immer besser, wohltuender als zum Beispiel in der Chemie. Dort hab ich mir mal die Kündigung auf dem Betiebsratsbüro abholen müssen. Oder bei der Friatek, auch Chemie. Der Meister dort hat kein einziges Mal »Guten Tag« zu mir gesagt. Ein arroganter kleiner Giftzwerg! Und in den kleinen Klitschen ist es einfach Glücksache, wie man es trifft mit den Kollegen.

Hartz IV. Wenn man über die 50 ist, fängt man ja an, sich Gedanken über »später« zu machen…

Ja, die Rente spukt jetzt auch bei mir manchmal im Kopf rum. Die Rechnung zu Hartz IV ist mir noch ein bißchen zu schwierig. Das ist mir noch nicht alles klar. Jetzt krieg ich Alhi und Wohngeld. Davon muss ich alles zahlen. Im ALG 2 ist das anders, das Wohngeld kriegt dann das Sozialamt (oder das Arbeitsamt), die zahlen dann aber Miete, Strom usw. Es kann also sein, dass das für mich Null auf Null aufgeht.

Die Stimmung bei den Arbeitslosen wird immer pampiger. Das stell ich bei den Maßnahmen fest. Bis hin zur Gewalttätigkeit. Gegenüber all jenen, die ihnen die Suppe einbrocken. Zum Beispiel gegen die Leiter bei solchen Maßnahmen.

Auch gegenüber den Mit-Arbeitslosen?

Der Job etwa der Conférenciers bei solchen Maßnahmen wird schwerer. Wie sich sowas äußert, hängt da sehr von der »sozialen Kompetenz« der TeilnehmerInnen ab. Auf jeden Fall werden die Leute giftiger. Aber eigentlich sollte Hartz IV doch vor allem den normalen Arbeitern aufstoßen, denn die haben doch oft viel zu verlieren – wenn sie mal länger als ein Jahr arbeitslos sind. Dann auf einen Schlag runter auf Sozialhilfe. Raus aus dem noch nicht ganz bezahlten Häuschen usw..

Wird Dir die Rente reichen?

Du hast ja den Bescheid gesehen, Das wird etwa das Niveau vom ALG 2. So um die 600 im Monat. Aber ich hab immerhin den Vorteil, dass ich das gewöhnt bin. Obwohl es keinen Spaß macht.

Im Rückblick: würdest Du alles noch mal so machen?

Nein. Ich bereue nichts, aber manches würde ich anders machen. In den 70ern hatte man keine längerfristigen Perspektiven oder Karrierehoffnungen. Es gab einen Aufbruch in der Gesellschaft, und es lief ja alles gut. Später die Umschulung hätte ich aber durchziehen sollen. Und in den letzten Jahren hätte ich mir rechtzeitig eine feste Stelle suchen sollen – das ist jetzt so gut wie unmöglich geworden, und ich weiß nicht, wie ich aus den Leasing-Jobs rauskommen soll.



aus: Wildcat 71, Herbst 2004



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