Wildcat Nr. 71, Herbst 2004, S. 38–41 [w71_entwuerfe03.htm]


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…dass du auf irgend einer Telefonliste ziemlich weit oben stehst…

Interview mit drei Selbständigen im Messebau (alle drei getrennt tätig)

Wie seid Ihr zum Messebau gekommen? Was habt Ihr vorher gemacht?

A: Bei mir ist es die erste Arbeit, ich hab' vorher studiert, aber abgebrochen. Ich mach' das seit sechs Jahren, zunächst schwarz, seit vier Jahren offiziell »selbständig«. Ich hab' keine handwerkliche Ausbildung oder so, Fachabitur. Ich hatte 'nen Aushilfsjob als Möbelschlepper, und die Firma hatte hauptsächlich auf Messen und Konferenzen die Innenausstattung gemacht. Und so sind wir da so langsam rein gekommen und haben dann gemerkt, dass wir die besseren Jobs nur bekommen, wenn wir Rechnungen schreiben können. Deswegen hab' ich mich selbstständig gemacht.

B: Ich hatte vorher Innenausbau gemacht und Gartenbau, dann war ich arbeitslos und hatte einen Bekannten, der im Messebau gearbeitet hat. Ich bin arbeitslos gemeldet und geh immer für 'ne Woche aus der Arbeitslosigkeit raus für »freiberufliche Tätigkeiten auf Honorarbasis«.

C: Ich hab es jahrelang geschafft, mit der Abendschule Geld zu verdienen (Bafög), seitdem das zu Ende ist, muss ich mir Arbeit suchen. Ich hab ein behindertes Kind und kann von daher und weil ich noch andere Projekte mache, gar keinen vollen Job annehmen. Von daher hab' ich dann oft gemalert oder so, im Messebau kommt halt mehr Geld rum.

Was für Arbeiten macht Ihr? Mit wie vielen Leuten arbeitet Ihr dabei zusammen?

A: Ständebau, Metallsysteme zusammenstecken … meistens zu dritt oder viert. Wenn wir Bühnen bauen, z.B. fürs Fernsehen, arbeiten wir mit mehreren zusammen im Schichtsystem.

B: Wir machen auch Systembau, aber mit vorgefertigten Teilen, die wir zusammenschrauben. Wir haben zwei Elektriker im Team, wir sind immer fünf, sechs Leute auf 'ner Baustelle und haben immer einen Elektriker dabei. Es gibt 'ne Messebaufirma, die schickt einen Bauleiter, der das koordiniert, der vergibt dann Aufgaben an uns, oder wir sprechen das zusammen ab mit den anderen »Selbständigenteams«, von denen auch noch immer zwei bis sechs mit vier bis acht Leuten da sind.

C: Meistens bauen wir nach Ende der Messe die Stände ab. Entweder zusammenpacken oder abreißen und in den Müll; sauber machen. Zwei bis fünf Leute, die sich kennen, ansonsten je nach Standgröße.

Wie kommt Ihr an Eure Aufträge?

B: Bei uns gibt es einen, der das koordiniert, der schon seit zwölf Jahren im Geschäft ist. Der kriegt 'ne Anfrage, macht einen Kostenvoranschlag, je nachdem kriegt er den Auftrag, er sagt dann, wie viele Leute er braucht. Und was reinkommt, wird unter allen aufgeteilt. Er selber kriegt sieben Prozent vom Gesamtvolumen für seine Kosten (Fax, Telefon, Buchhaltung …). Das ist alles ein freundschaftliches Kumpelverhältnis. Es gibt ne feste Crew von etwa sechs Leuten, die arbeiten praktisch durch, die sind halt so angetreten, dass sie gesagt haben: wir wollen keine Hierarchie, jeder kriegt dasselbe. Dann gibt es nochmal so viele Leute wie mich, die hin und wieder arbeiten wollen. Normalerweise wird im Messebau viel mit dem Weitergeben von Aufträgen verdient: jemand hat 'nen Auftrag, gibt ihn weiter und kümmert sich um nix mehr, zwackt sich aber vom Stundenlohn zwei Euro ab. Dagegen wollen wir mit unserer Crew eine Stufe überspringen.

A: Bei uns läuft vieles über persönliche Kontakte und dass du auf irgendeiner Telefonliste ziemlich weit oben stehst, oder zumindest der, der dich dann anruft. Wenn es gut läuft, hoffst du, dass der Typ, der die Aufträge bekommt, dich beim nächsten mal wieder anruft, weil du gut gearbeitet oder einen guten Eindruck gemacht hast. Wir wollen dem, der die Aufträge verteilt, klar machen, dass wir ein »Pool« von erfahrenen Leuten sind, die alles können: Elektrik, Tischlerarbeiten, Systembau, Metallbau usw., und dass wir genügend Leute sind, um fast immer einen Auftrag anzunehmen. Wenn wir Glück haben, geraten wir an einen Typen, der genau so was sucht. Und wenn der sich selber im Geschäft halten kann, haben wir für eine Zeit was Sicheres, mit dem wir rechnen können.

C: Einer kümmert sich, besorgt Aufträge usw. und fragt dann, wer mitkommt.

Was verdient Ihr in der Stunde?

B: Wir kriegen 21,50 die Stunde plus Hotel, manchmal gibt's noch Essen und Getränke während der Arbeit. Bei Auslandsmucken wird die An- und Abreise bezahlt.

A: Wir kommen auf 19, aber inklusive Spesen.

C: Maximal 19 ohne Spesen.

Was für Arbeitszeiten habt Ihr?

B: Zehn Stunden am Tag.

A: Kommt auf den Bauleiter an. Wenn einer okay ist, macht er nach acht Stunden Schluss.

C: Um die zwölf Stunden. Beim Abbau soll alles schnell fertig sein, Acht- bis Zehn-Stundentag ist dort sicherlich die Ausnahme. Ich habe noch nie nie einen Achtstundentag erlebt, es sei denn, es fehlt Material und die schicken die Leute nach hause, bevor sie bezahlt rumsitzen. Gerade beim Aufbau an den letzten Tagen werden da auch schnell mal 30 Stunden draus, einfach weil irgendwann die Gäste kommen. Der Großteil der Leute arbeitet 12 bis 15 Stunden.

Wieviel arbeitet Ihr aufs Jahr gerechnet?

B: Ich verdiene zu meinem Arbeitslosengeld etwa 6000 bis 8000 Euro brutto im Jahr dazu, dafür muss ich etwa sechs bis acht Wochen arbeiten.

A: Ich hatte letztes Jahr 5000 Euro nach Abzug der Steuer. Dafür hab ich so ungefähr zwei Monate gearbeitet. Davon gehen 500 für Essen, Unterkunft und Fahrtkosten weg. 1600 für Krankenversicherung, und 440 Studiengebühr, die ich zahlen muss, um 1800 Euro Kindergeld zu bekommen. Ich hab kein eigenes Auto. Das Werkzeug, das ich für die Arbeit hab besorgen müssen, ist so ca. 500 Euro wert, aber das ist schon seit einigen Jahren in Gebrauch. Dazu kommen noch die »Einnahmen« aus dem Klauen von Kleinzeugs auf der Baustelle, ein wenig Werkzeug der Firma und Material, was uns sehr beim Ausbau des eigenen Hausprojekts hilft.

C: Kann ich nicht beantworten, da ich so selten arbeiten gehe.

Was gefällt Euch speziell an dem Job?

C: Man kann ziemlich viel Geld machen; dagegen wäre zu stellen, dass es unregelmäßig ist. Ich kann aber sagen: ich arbeite eine Woche durch und hab dann soviel Geld, wie ich in zwei, drei Monaten mit Zeitungsaustragen verdienen würde. Das kommt mir entgegen, anders könnte ich es gar nicht machen.

B: Viel Geld in kurzer Zeit. Im Ausland die Zeit zwischen der Arbeit oder nach der Arbeit als Urlaub nutzen. In Barcelona und Südfrankreich z.B. habe ich zwischen Auf- und Abbau Freunde besucht.

A: In den letzten Jahren konnte ich immer, wenn ich Geld brauchte, in absehbarer Zeit einen Job auf der Messe bekommen und in relativ kurzer Zeit viel Geld machen. Ich war immer mit Freunden oder zumindest mit Bekannten unterwegs, was es leichter macht, aufeinander einzugehen, was so Sachen wie Arbeitspensum und Aufgabenverteilung etc. leichter macht. Und es ist immer was Neues, immer was Anderes, eine Art Herausforderung, weil immer irgendwas fehlt oder falsch geliefert wurde und wir uns dann was einfallen lassen müssen.

Müsst Ihr eventuell auch sehr kurzfristig einen Job annehmen?

C: Ja!

A: Wir versuchen das durch die Struktur in unserer Gruppe abzufangen. Aber wenn du an die richtig guten Jobs rankommen willst, musst du immer gleich 'ja' sagen.

B: Ja, 'kurzfristig' wird immer vorausgesetzt, aber manchmal ist es auch besser, etwas Kurzfristiges nicht anzunehmen und denen zu zeigen, dass wir nicht auf jeden Job warten, den sie zu bieten haben.

Ihr habt neulich ein Flugi auf einer Messe verteilt. An welchem Punkt hat das angesetzt?

A: Gegen die abnehmenden Standards, dass man den Sprit und die Spesen nicht mehr bezahlt kriegt; gegen die verschärfte Konkurrenz, in der wir uns nur gegenseitig aufrauchen.

B: … dass der Druck auf uns immer größer wird, weil immer mehr Leute bereit sind, auch für 16 Euro zu arbeiten, oder sogar für 12 hab ich neulich gehört. Und die Messebaufirmen checken ab, wie weit sie runter gehen können. Wir merken dann, dass wir immer weniger Aufträge kriegen, obwohl wir dieselben Preise veranschlagen. Es gibt immer mehr Leute, die Messebau machen, viele ostdeutsche Jugendliche aus Mecklenburg-Vorpommern usw..

Mehr Angebot? oder Krise, weil die Messen kleiner und weniger werden?

B: Naja, diese Krise gab es vor zwei Jahren, inzwischen gibt es wieder mehr Messen. Ausgestellt wird wie eh und je, nur die Stände auf den Messen sind etwas abgespeckt.

A: Wir kriegen öfter Anfragen, ob wir n Job für 12 Euro machen würden. Klar versuchen die jedes Mal, den Stand so billig wie möglich zu produzieren, entweder versuchen sie es bei den Messebauern oder beim Material.

Von zwölf Euro pro Stunde kann ein Selbständiger nicht leben, oder?

C: Das ist unterschiedlich! Teilweise funktioniert es so, dass die Leute für zwölf Euro angestellt sind, nicht selbständig sind. Teilweise kriegen die Alten ihren Lohn weiter und nur die Neuen werden gedrückt. Und 18 Euro sind vielleicht für 'n normalen selbständigen Messebauer total wenig, für mich ist das aber viel Geld.

A: Wenn ich in einer normalem Mietwohnung leben würde, müsste ich wohl mehr lohnarbeiten gehen. »Hauptberuflich« bin ich eigentlich Teil eines Wohnprojekts. Da ich in diesem Projekt mit 30 anderen Menschen lebe und relativ wenig für Miete und Nebenkosten bezahlen muss, reicht es für mich. Zum Wohnprojekt gehört auch ein Haufen unbezahlter Arbeit, das ist wohl der größte Teil an meiner Gesamtjahresarbeitszeit. Aber ich muss mir halt auch keine Sorgen um Essen und mein Zimmer machen, wenn ich mal ein oder zwei Monate kein Geld habe. Wenn auf der Messe oder im Bühnenbau inzwischen von acht Euro die Stunde geredet wird, sind das wohl Leute, die in der Stadt wohnen, wo die Baustelle ist, die kein Hotel usw. bezahlen müssen, und sie sind zeitweise fest angestellt.

Was qualifiziert Euch eigentlich für den Messebau?

C: Nichts, außer wichtig tun und Bauarbeiter spielen.

B: Teamarbeit ist ganz wichtig! Dass wir ein Team sind, das sich schon seit Jahren kennt. Wir wissen, wer was am besten kann. Du musst von allem ein bissel können, aber nichts richtig, Tischlerei, Innenausbauarbeiten, Fußboden und Teppich verlegen, manchmal ein wenig Metallarbeiten – und der Schrauber ist ganz wichtig, alle haben auch immer die neuesten! Unsere Arbeitsgruppe hat immer gutes Werkzeug und nicht nur einen Schrauber, fünf Leute haben eine Festo-Handkreissäge mit Staubabsauger. Das haben die sich ohne Absprache so nach und nach alles angeschafft. Wenn du neu bist und meistens problemlos das Werkzeug der Leute mitbenutzt, kommst du in den Zwang, dir nach einigen Jobs etwas anzuschaffen. Das ist alles sehr teures Zeug. Ich hab fast alles aus Profi-Werkzeugläden geklaut, deswegen hab ich auch noch keine Handkreissäge mit Staubsauger, weil das zu groß ist zum Klauen.

C: Wenn ich mehr Unkosten hätte, Krankenkasse, Miete, wenn das Kindergeld nicht wäre…, würde es nicht reichen. Letztlich kommt aber nur viel Geld von viel Arbeiten und das wäre für mich nichts mehr. Vielleicht mal ein Jahr, aber es fragt eh keiner, ob du arbeiten willst. Die gut bezahlten Jobs kriegen die, die am längsten dabei sind und »eine einfache Handynummer« haben.

Was hat sich für Euch verändert mit den Sozialstaatskürzungen?

C: Momentan nicht viel, da ich nie Sozialhilfe beantragt oder Arbeitslosengeld/-hilfe bekommen habe. Ich muss jetzt meine Krankenkasse selber zahlen, da mein Vater keine Unterstützung mehr bekommt. Somit fällt die Familienversicherung weg, weil er sich bei seiner Frau versichern lassen muss. Deshalb muss ich mich als Student versichern (50 Euro monatlich). Am Kindergeld ändert sich, soweit ich weiß, nichts.

B: Ich bekomme ja noch Arbeitslosenhilfe, aber mit Auto und Handy und Rauchen und Trinken würde es ohne Arbeit gar nicht mehr gehen, da ist noch nicht mal Miete drin, weil ich noch immer in einer besetzten Wohnung lebe. Ich könnte nicht für weniger Geld arbeiten gehen, dann müsste ich länger arbeiten und hätte keine Zeit mehr für all die anderen schönen und weniger schönen Dinge im Leben.

A: Wenn ich meine Selbständigkeit aufgäbe, hätte ich ab 1. Januar Anspruch auf ALG2. Das wäre vom Geld her vielleicht gar nicht das Problem, aber »Arbeit statt Sozialhilfe« ist bestimmt super ätzend. Also wenn die Ämter mit dem Stressmachen durchhalten, ist es keine Alternative mehr, Kohle vom Amt zu bekommen. Noch bin ich privat krankenversichert, aber wenn das Geld dafür nicht mehr reicht, betrifft mich der ganze Scheiß auch. Rente, ich hoffe bis dahin haben wir es hinter uns gebracht mit der Revo!! Ansonsten merken wir in unserem Wohnprojekt, dass der Druck zum Lohnarbeiten immer größer wird. Wir arbeiten so viel wie noch nie. Einige knien sich in ihre Lehre/Studium oder in den Job in der Hoffnung, danach einen guten Lohn zu bekommen. Wir haben es nie hinbekommen, das zusammen politisch zu diskutieren, und somit sind doch sehr individuelle Lösungen dabei rausgekommen. Es gibt aber immer wieder neue Versuche, und jedesmal wird ein wenig klarer, dass der Boden, auf dem die »Lebensentwürfe« fußen, doch nicht so sicher ist, wie sich das die meisten gedacht haben.

Gibt es einen wirtschaftlichen Zwang für kollektive Projekte?

C: WGs sparen Miete und Haushaltskosten einschließlich Essen. Ansonsten, würde ich behaupten, gibt es einen immer größeren Zwang, wenn die Leute älter werden und aus bestimmten Kategorien rausfallen. In erster Linie steht aber der Wunsch nach einem kollektiven Projekt, und das wird nur möglich sein, wenn man die wirtschaftlichen Zwänge nicht außer Acht lässt. Kommt natürlich darauf an, was man unter kollektivem Projekt versteht.

Hattest Du die Möglichkeit, ganz »normal« zu arbeiten oder »Karriere« zu machen? Oder war diese Möglichkeit sowieso versperrt? Gibt es Altersgründe für die Entscheidung?

C: Ich denke, die Chance könnte ich immer haben, aber je länger man wartet, umso mehr »Arschloch« muss man sein. Gegenüber sich oder anderen. Anders gesagt, ich habe die Schule Mitte der 90er ohne Abschluss verlassen und bis vor zwei Jahren alles bis zum Abi nachgeholt. Ich dachte, Student sein ist günstiger als arbeiten, hatte aber auch was mit dem Bund zu tun. Soviel zur Karriere. Ich merke aber, dass ein Leben neben normalen Arbeiten immer schwieriger finanzierbar ist und eine kollektive Idee anstelle der individuellen Lösung entstehen muss.

B: Für mich war es ein wirtschaftlicher Zwang und eine persönliche Bereicherung, in einem kollektiven Projekt zu arbeiten. Wirtschaftlich, weil ich mit meinen ganzen sonstigen Projekten nicht jeden Tag acht Stunden arbeiten könnte und nur so eine Struktur diese Projekte finanzieren kann. Das heißt, ich kann Jobs absagen, ohne rauszufliegen, ich kann mit den Leuten tauschen, ich werde immer wieder berücksichtigt, auch wenn ich viel nicht angenommen habe. Persönlich war es eine Bereicherung, weil meine Fehler auf Arbeit von der Gruppe getragen wurden – auch finanziell, weil es keine fachlichen Hierarchien unter uns gibt. Ich konnte was lernen ohne finanziellen Druck, ohne Druck aus der Gruppe – ganz anders als bei der Lehre oder bei anderen Jobs, wo man den Kollegen erst mal beweisen muss, was man kann.



aus: Wildcat 71, Herbst 2004



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