Wildcat Nr. 71, Herbst 2004, S. 42–44 [w71_entwuerfe04.htm]


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»Werkzeugmacher ist scheiße, da bist du den ganzen Tag in der Werkstatt. Mach Schlosser, da kommst du überall im Betrieb rum.«

Interview mit einem 50jährigen Saisonarbeiter

Im letzten Jahr war ich bei zwei Beerdigungen. Die erste von Willi Hoss war wunderschön – er hatte immer eine Tendenz zum Glamour, war der »Außenminister« der Plakat-Gruppe, während Mühleisen der »Arbeiter« war, der Jahre lang jeden Morgen schon um fünf in die Daimler-Gießerei in Mettingen fuhr, um zu verhindern, dass die Arbeiter die Schmelzöfen schon vor sechs Uhr anschmeißen – wo doch erst um sechs Schichtbeginn war.

Die andere Beerdigung war eher traurig, auch hier viele Leute. Alfred Hauser war ein Stuttgarter Arbeiterkind, der als Jugendlicher in die KPD eingetreten war und gleich 1933 in den Knast kam. Nach dem Krieg wurde er VVN-Vorsitzender, wo er 50 Jahre lang für die Anerkennung der NS-Zwangsarbeiter kämpfte – und um jeden Verfolgten.

Dazwischen bin ich angesiedelt.

Willi Hoss habe ich als Jugendvertreter bei einer Schulung kennengelernt, die die Plakat-Leute damals zusammen mit linken Profs organisiert hatten. Diese Verbindung von praktischer politischer Betriebsarbeit und Theoriebildung hat mich sehr beeindruckt, obwohl ich damals mit 19 herzlich wenig verstanden habe. Auf dieser Schulung habe ich einen italienischen Genossen kennengelernt, der zuerst bei Fiat gearbeitet hat, dann in Paris bei Renault-Billancourt und dann in Stuttgart beim Daimler. Das hat mich sehr beeindruckt, das wollte ich auch so machen.

Ich komme aus der Jugendzentrumsbewegung, die hatte bestimmte Grundsätze wie: alle entscheiden alles, Basisdemokratie halt. Das begleitet mich bis heute. Ich wollte nie vorne sein, nie den Vorsitz bei irgendwas übernehmen. Alle, die mit mir sozialisiert wurden, haben dieses Problem. Aus unserem Kreis damals ist nur einer heute ganz vorn auf einem Posten, wo er als BR-Vorsitzender Richtlinienkompetenz hat.

Das war im Rückblick vielleicht manchmal ein Fehler, weil man immer gegen die Vorsitzenden kämpfen muss und gleichzeitig gegen den Klassenfeind. Im politischen Reifeprozess muss man beides können: sowohl vorne hingehen als auch an der Basis bleiben. Im letzten größeren Betrieb, in dem ich war und den Vertrauenskörper mit aufgebaut habe, bin ich nicht vorne hin. Der, den sie dann gewählt haben, war schwach, dem Druck nicht gewachsen – da wäre ich besser vorne gewesen.

Meine politische Karriere begann sozusagen in der 10. Klasse Gymnasium als stellvertretender Klassensprecher, wo die Klassensprecherin wegen meinem geringen Bewussteinsstand nicht mit mir zusammenarbeiten wollte. Später wurde ich Schulsprecher – so engagiert, dass ich durchs Abi gefallen bin. Durch den sozialdemokratischen Vertrauenslehrer erlebte ich zum ersten Mal die Sozialdemokratie in ihrer reinen demaskierten Form – das war eine wichtige Erfahrung, somit hatte ich keinerlei Illusionen mehr über die Sozialdemokratie.

Aber damals war das Jugendzentrum schon wichtiger für mich. Ich war dort der einzige Gymnasiast unter lauter Lehrlingen und Jungarbeitern. Wir waren Tag und Nacht in unserer Freizeit zusammen, zuhause war ich nur noch zum Schlafen – so war das damals. Für mich war selbstverständlich, dass ich eine Lehre machen wollte, nicht weil ich ein Konzept für politische Betriebsarbeit gehabt hätte oder von einer Partei dahin geschickt worden wäre, die waren sowieso nie meine Sache, sondern eher durch diese Kontakte. Fast hätte ich Drucker gelernt, dann kam aber noch eine Zusage von einem Metallgroßbetrieb, das fand ich dann interessanter wegen der Streiks. Mit dem ersten Lohn bin ich von zuhause ausgezogen – mit Berufsausbildungsbeihilfe und Wohngeld, Schwarzfahren und zweitem Kantinenausweis kam ich auch mit 325 Mark Lehrlingslohn über die Runden.

Sofort als die drei Monate Probezeit um waren, bin ich in die Gewerkschaft eingetreten. Mein Mentor war bei der KPD/ML, Abiturient und vorher schon Jugendvertreter gewesen. Der hat mich angefixt. Ich hab Werkzeugmacher gelernt. Im Zug hab ich einen Gewerkschafter vom Daimler getroffen, der hat mir gesagt: »Werkzeugmacher ist scheiße, da bist du den ganzen Tag in der Werkstatt. Mach Schlosser, da kommst du überall im Betrieb rum.« Das hat mir sofort eingeleuchtet. Am nächsten Tag bin ich hin und hab unter einem Vorwand auf Schlosser gewechselt – und hab das nie bereut, denn ich bin kein Mechanikertyp, hab keine Affinität zum Ingenieurmäßigen. Ich bin eher ein sorgfältiger Arbeiter, bei mir hat immer alles aufs Hundertstel genau gestimmt. Ich hab mit Systematik wettgemacht, was mir an Eingebung gefehlt hat. Die liebste Arbeit war mir: 100 Teile alle im rechten Winkel schweißen – und die waren nachher alle im rechten Winkel.

Nach einem halben Jahr war ich Jugendvertreter, ich hab halt gut schwätzen können und konnte jeden Meister in die Tasche stecken. Die kamen damals alle aus dem Betrieb, die hatten nicht wie heute ständig Schulungen in Personalführung.

Die Crux war, dass wir damals keine älteren Genossen hatten, die mir z.B. geraten hätten: mach erst deine drei Jahre Ausbildung und dann Jugendvertreter. Wir mussten alles neu erfinden, selbst lernen. Die von der DKP waren für uns nicht akzeptabel, die haben uns bei der SPD verpfiffen. Und auf der anderen Seite die ML-Radikalinskis mit ihrem Zentralismus-Modell, das ich immer abgelehnt habe. Aber viele Kollegen haben dort eine Heimat gefunden.

Der Betriebsrat, das waren sozialdemokratische »Kanalarbeiter«, die uns mit allen Mitteln bekämpft haben. Radikale Sprüche bei Kundgebungen, und auf der anderen Seite haben sie uns verraten. Bleicher z.B. hat mich immer schwer beeindruckt, sein Motto: beuge dich nie vor einem lebenden Menschen! – bis ich rausgefunden habe, dass der auf dem Marktplatz schreit »keinen Schritt zurück…« und längst unterschrieben hatte.

Wir haben einen Zweifrontenkrieg geführt: gegen die SPD im Betriebsrat – und gegen das Kapital sind wir oft gar nicht gekommen, wir haben uns vorher aufgerieben. Ich war vier Jahre Jugendvertreter… Das war meine Feuertaufe, da hab ich ein gutes Rüstzeug gekriegt – auf allen Ebenen.

Aber viele aus unserer Generation haben das auch alles mitgemacht – und sind heute z.B. Außenminister. Mit dem Rüstzeug kann man offensichtlich auch was anderes machen…

Ich habe halt nie ein Angebot gekriegt. Wenn du mal Jugendvertreter warst, kannst du eigentlich nur noch Betriebsrat werden, denn du hast nur sechs Monate nachwirkenden Kündigungsschutz – wenn du nicht großen Rückhalt in der Abteilung hast, wirst du gekündigt. Diesen Rückhalt hatte ich nicht. An der entscheidenden Vertrauenskörperversammlung konnte ich nicht teilnehmen, weil ich krank geschrieben war. Mit einem KABDler hatte ich abgesprochen, dass der mich vorschlägt. Das hat er aber nicht getan, sondern er hat sich selbst vorgeschlagen. Damit war meine betriebspolitische Karriere in diesem Laden zuende. Ich machte meinen Zivildienst und war noch ein Jahr drin.

Dann wollte ich ins Ausland. Zuerst nach Israel mit Aktion Sühnezeichen bis ich nach einem Jahre Probleme mit dieser Organisation bekam und zurückging. Dann habe ich eine achtmonatige arbeitsamtsfinanzierte Schweißerausbildung bei der IHK gemacht, um überall im Ausland arbeiten zu können. Ich hab ein paar Monate im Anlagenbau gearbeitet und bin dann über ein Austauschprogramm nach Paris. Ich konnte kein Wort Französisch, das war hart. Nach zwei Monaten bin ich zum Chef und hab gesagt: entweder ich kriege genauso viel Lohn wie meine Kollegen oder ich gehe. Da hat er nur gesagt: dann geh! Ich hatte zu hoch gepokert. Das war scheiße, denn ich hatte noch keine Arbeitserlaubnis, konnte auch nicht zu einer Zeitarbeitsfirma gehen. Ich hab erstmal Sprachkurse gemacht und dann einen anderen Job im Kernforschungszentrum gefunden. Nach sechs Monaten bin ich durch die Sicherheitsüberprüfung geflogen. Danach habe ich als Einsteller und Schlosser gearbeitet und in einem besetzten Haus gewohnt.

1982 bin ich nach Norditalien und wurde Monteur für Lebensmittelmaschinen, vor allem für die Tomatenverarbeitung in Süditalien. Ich musste ständig nach Apulien, Kalabrien, Sizilien, bis an den Knien in Tomaten, die stinken brutal, wenn sie warm werden und faulen… Dort habe ich schaffen gelernt. Ich war dort mehrere Jahre, am Ende hab ich mich mit dem Chef überworfen. Die Betriebsratsgründung, an der ich beteiligt war, hat nicht mehr geklappt. Der Unternehmer hat es sich viel Geld kosten lassen, den Service auszugründen, damit die Firma weniger als 15 Beschäftigte hat und somit kein Kündigungsschutz mehr galt. Ich hab dann am Ende noch eine relativ gute Abfindung mitgenommen und wusste schon, dass ich in Frankreich die Ausbildung zum Elektriker machen kann, um die ich mich Jahre vorher beworben hatte. Die neun Monate in einem Ausbildungszentrum für Erwachsene in der Provence waren die schönste Zeit meines Berufslebens. Obwohl ich gemerkt habe, dass mir jedes Verständnis für Elektrik fehlt…

Dann musste ich wieder heim – bei mir läuft das so im Sieben-Jahres-Rhythmus. Ich hab einen Job gefunden bei Mannesmann als Schlosser: Montage von Hydraulik-Aggregraten, Gruppenarbeit. Nach fünf Jahren war dort Krise und Entlassungen angesagt, da war ich als Unverheirateter mit erst kurzer Betriebszugehörigkeit ganz oben auf der Liste. Bei Mannesmann wollte ich eigentlich nichts Betriebsratsmäßiges, bis der Chef auf der Betriebsversammlung so einen Unsinn gesagt hat, dass ich vorgegangen bin und was gesagt habe. Dann hat er sich mit mir angelegt, das war sein Fehler (oder meiner). Anschließend habe ich den Vertrauenskörper aufgebaut. Betriebsrat bin ich nicht geworden, das war vielleicht falsch.

Betriebliche Konflikte sind selten eine Frage der Inhalte, sondern meistens der Ehre. Als abhängig Beschäftigter schließt du eh einen Kompromiss. Aber irgendwann lassen sie dir einfach keine Wahl. Wenn man die Kampfergebnisse anguckt: was letztlich ökonomisch rauskommt, hat den Streik meist nicht gelohnt. Du könntest ja sagen: wenn ihr mich in Ruhe lasst, lass ich euch auch in Ruhe. Aber sie lassen einen einfach nicht in Ruhe. Du sagst gar nicht viel, nur: das kann doch so gar nicht sein – und dann flippen sie aus. Weil sie es gewöhnt sind, dass die Leute alles mitmachen.

Danach habe ich nochmal versucht, einen anderen Job zu kriegen, hab mich auch bei Daimler beworben. Aber die schwarzen Listen von damals gibt's im Großraum Stuttgart noch. Und woanders wollte ich nicht hin. Außerhalb meines Dialekts kann ich keine Betriebsarbeit machen. Das ist nicht meine Persönlichkeit, wenn ich hochdeutsch spreche.

Ich hab dann mit Gewerkschaftsstipendium studiert, unter anderem in Chicago und London, habe danach aber keinen entsprechenden Job gefunden. Wenn ich heute zurückschaue, habe ich schon das Gefühl, ich bin eine gescheiterte Existenz – im Sinn einer bürgerlichen Karriere oder z.B. im Vergleich mit anderen, die gleich angefangen haben.

Aber was hast Du denn angestrebt? Wir hätten doch mit 20 nie gedacht, dass wir 50 werden und die Revolution ist noch nicht da. Und seit ein paar Jahren sind alle aus unserer Generation am Rödeln – die einen im Beruf, die anderen in ehrenamtlichen Jobs. Das hat doch sicher was damit zu tun, dass viele jetzt noch was reißen wollen. Früher hättest Du doch auf die Absicherung geschissen.

Das haben wir uns nicht vorstellen können, wie das Leben mit über 30 ist. Das mit der nicht stattfindenden Revolution war doch schon nach zehn Jahren klar. Die MLer haben dann noch im Beruf was erreicht, viele sind erfolgreiche Unternehmer geworden. Unsere Kumpels machen noch in irgendwelchen Alternativbetrieben rum – nur einer hat Karriere gemacht. Aus meinem unmittelbaren Freundeskreis hat aber keiner eine J. Fischer-Karriere gemacht.

Heute bin ich mit meinen Fähigkeiten prekär beschäftigt. Hin und wieder bin ich am Überlegen, was ich die nächsten zehn Jahre tue, was aufzubauen, was bleibenden Wert hat. Auf der anderen Seite: warum soll ich 12, 14 Stunden am Tag schaffen! Da schaff' ich lieber als Saisonarbeiter, les' abends gute Bücher und mache Politik.

Wir wollten doch immer vermeiden, unsere Fähigkeiten in Lohnarbeit zu stecken. Ich will doch nicht meinen ganzen Grips in die Lohnarbeit stecken!

Den Grundsatz vom »Kampf gegen die Arbeit« habe ich nie geteilt. Ich habe immer gerne geschafft. Im ersten Halbjahr der Ausbildung habe ich viel blau gemacht. Als ich dann Jugendvertreter war, ging das nicht mehr, ich musste präsent sein, sonst hätte ich nichts mitgekriegt.

Ich hab früher schon immer versucht, meinen Fähigkeiten entsprechend einen Job zu kriegen. Ein anarchistischer Genosse von mir schaffte zum Beispiel immer als Bauhilfsarbeiter, trotz höherer Qualifikation. Der verweigert sogar das Weihnachtsgeld, weil es vom Wohlwollen des Unternehmers abhängt. Das hätte ich nie gemacht, sondern das Geld genommen und gespendet.

Heute neige ich eher dazu, prekär zu bleiben, um Zeit für politische Aktivitäten zu haben. Aber ob das so zu verwirklichen ist?



aus: Wildcat 71, Herbst 2004



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