Wildcat Nr. 71, Herbst 2004, S. 15–17 [w71_frog.htm]


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[Englische Version]

Die Erfahrungen der Pariser Solidaritätskollektive – eine neue Etappe

Überlegungen zu den Streiks bei Pizza Hut, McDonalds und Frog Pub
Der Artikel von Gianni Soriano ist erschienen in der neuen Zeitschrift La question sociale – Revue libertaire de réflexion et de combat (Die soziale Frage – Libertäre Zeitschrift für Reflexion und Kampf). Wir bringen hier Auszüge, die sich mit dem weniger bekannt gewordenen Streik in der Pub-Kette Frog in Paris beschäftigen.

Nach den erfolgreichen Streiks 2001/2002 hatten sich die Pariser Solidaritätskollektive schon aufgelöst, als 2003 neue Konflikte ausbrachen. Gianni berichtet von den Streiks bei Pizza Hut, McDonalds Strasbourg/St. Denis, Virgin, Arcade und Frog Pubs – und der mehrfachen Neugründung der Solidaritätskollektive. In diesen – nicht immer erfolgreichen – Kämpfen traten unvorhergesehene Widersprüche und Schwierigkeiten auf. Genau diese machen die Erfahrungen wertvoll.

Zum Streik bei Frog Pubs in Paris

Frog Pubs sind mehrere englisch gestylte Bierlokale, die sich mit ihrem Speisenangebot und den Sportübertragungen auf Großbildschirmen an eine jüngere zahlungskräftige Kundschaft wenden.

Kosten werden mit allen Mitteln gedrückt: Das Küchenpersonal arbeitet in winzigen Küchen (z.B. 12 m2 Küche bei 450 m2 Kneipenfläche). Die Löhne bewegen sich zwischen gesetzlichem Mindestlohn und 1200 Euro für den Küchenchef. Die Festlegung der Arbeitszeiten, Kündigungen usw. liegt im alleinigen Ermessen der Chefs. Es gibt keine Stechuhr, die Bezahlung der Überstunden wird häufig »vergessen«. Taxikosten nach Betriebsschluss der Metro werden nicht erstattet, obwohl die Beschäftigten vorwiegend in der Banlieue wohnen. Als Umkleideraum dient das Treppenhaus.

Das Servicepersonal ist in der Mehrheit britischer, das Küchenpersonal tamilischer Herkunft. In der Regel sprechen sie nicht Französisch. Das gesamte Küchenpersonal wird von einem Mann tamilischer Herkunft aus der tamilischen Community rekrutiert. Er spricht als einziger gut Französisch, ist die rechte Hand der Chefs, organisiert die Arbeit, kontrolliert und verhängt Strafen. Wenn jemand mit den Chefs reden oder verhandeln will, geht es nur über und mit ihm. In dieser Rolle vertritt er auch die Interessen des Personals und wird später von ihnen zum Delegierten gewählt.

Das Küchenpersonal von Frog Pubs sucht Mitte November 2002 Kontakt zu Gewerkschaftern. Um sich zu schützen, anfangs auch gegen ihren Vertreter, entwickeln einige eine Form kollektiver Gegenwehr und wenden sich an die CNT. Diese geht vor, wie eine Gewerkschaft eben vorgeht, und informiert die Geschäftsleitung über das Bestehen einer Gewerkschaftssektion in ihrem Unternehmen. Voraussetzung für gewerkschaftliche Vertretung ist aber eine Mindestzahl von 50 Beschäftigten, was das Unternehmen bisher dadurch verhindern wollte, dass es die einzelnen Filialen als selbständige Firmen deklarierte. Die CNT will die Anerkennung gerichtlich erwirken. Die Geschäftsleitung entlässt als erstes den zum Delegierten gewählten Arbeitsvermittler. Obwohl er nicht ihr Freund ist, stimmen die übrigen Beschäftigten am 13. April einstimmig für Streik. Die Firma kündigt nach einer Auseinandersetzung einem weiteren Küchenarbeiter.

Die Beschäftigten bei Frog haben keine Kampferfahrung in Frankreich, sind zum ersten Mal in einer Gewerkschaft und streiken zum ersten Mal. Sie können nicht einschätzen, was möglich und was legal ist. Sie können auch nicht die reale Fähigkeit der Gewerkschaft einschätzen und müssen sich auf die teils vagen, manchmal auch großmäuligen Erklärungen der CNT verlassen, die den Eindruck erweckt, sie könne den Widerstand der Chefs brechen. Auch die bewusst vom Unternehmen eingesetzte ethnische Spaltung des Personals kann im Verlauf des Streiks nicht überwunden werden. Andererseits gewährleistet die gemeinsame ethnische Identität der TamilInnen über mehrere Monate einen Zusammenhalt.

Die Angriffsziele

Am 16. April treten 28 von 29 Küchenangestellten der Frog-Kette in den Streik. Sie fordern Stopp der Entlassungen, Aufhebung aller Sanktionen, Einhaltung der Arbeitsverträge, bessere Hygiene und Sicherheit am Arbeitsplatz (eigene Toiletten, Duschen, abgetrennte trockene Spinde), Bezahlung der nicht vermeidbaren Überstunden, Delegiertenwahlen in allen vier Pariser Filialen, bezahlten Urlaub, Bezahlung der Fahrtkosten, eine Zulage für Arbeit nach Mitternacht, 100 Prozent Zuschlag für Nachtarbeit, dreizehntes Monatsgehalt, bessere Arbeitsorganisation (keine geteilten Schichten, Arbeitsende zu Betriebszeiten der Metro), Zulassung freier Gewerkschaftstätigkeit.

Der Chef verweigert jede Verhandlung und sagt ihnen, sie sollen doch solange wie sie möchten vor dem Restaurant stehen bleiben, das sei ihm egal. Offensichtlich kann er sich nicht vorstellen, dass ein Streik dieser Ausländer, die von nichts eine Ahnung haben, seine Geschäfte beeinträchtigen könnte und ruft – von seinem Recht überzeugt – sofort das Gericht an. Er erhält auch eine Verfügung, die CNT und Streikenden verbietet, das Restaurant zu betreten oder zu blockieren. Das streikende Küchenpersonal wird durch den Einsatz britischer Serviererinnen in der Küche ersetzt.

Die Streikenden erkennen schnell, dass hier Flugblätter und Streikposten nicht reichen. Die CNT will aber wegen der gerichtlichen Verfügung nicht in das Lokal rein. Erste Zweifel am Durchsetzungsvermögen der Gewerkschaft kommen auf.

Nun treten die Streikenden an das Kollektiv heran, das den Streik bei McDo unterstützt. Die Zusammenarbeit beginnt mit dem gemeinsamen Auftritt der Streikenden von McDo und Frog auf der 1. Mai-Demo und der chaotischen Besetzung des Pubs in Bercy mit sechzig Leuten aus der Demo heraus. Am 3. Mai drangen die Frog- und McDo-Streikenden begleitet von zahlreichen Unterstützern in den Pub in der Rue Saint Denis ein. Dort gab es Zusammenstöße mit dem Chef und Serviererinnen, danach wurde McDo des Halles blockiert. Die Streikenden waren gut in Form und wollten weitermachen, aber die CNT versuchte, sie davon abzuhalten.

Am 7. Mai wurde der Pub in der Rue Saint Denis noch einmal besetzt. Der total aggressive Chef schloss Gäste, Streikende und UnterstützerInnen bis zum Eintreffen der Polizei ein. Diese veranlasste die Öffnung der Türen, handelte einen reibungslosen Abzug aus und drängte den Chef zu Verhandlungen, die dieser zusagte, aber am nächsten Tag wieder verweigerte.

Die Streikenden setzten den Druck auf den Unternehmer mit einer neuen Besetzung am nächsten Tag fort. Nun traten interne Streitereien in der CNT offen zu Tage und dass nicht die Streikenden und ihr Kampf, sondern der öffentlichkeitswirksame Auftritt als Gewerkschaft mit Fahnen, Buttons und Aufklebern im Vordergrund stand. Im Unterschied dazu hatte das Solidaritätskollektiv nur das Ziel, ihnen siegen zu helfen.

Es zeigte sich sehr schnell, dass die »harten Aktionen« – wie es die Streikenden nannten – das einzige Mittel waren, den Chef zu Verhandlungen zu zwingen; denn wenn nicht besetzt wurde, lief der Betrieb mit Streikbrechern aus dem Servicepersonal weiter. Die Streikenden setzten jetzt gemeinsame Treffen von Streikenden, Kollektiv und Gewerkschaft durch, wogegen sich die CNT so lange wie möglich gewehrt hatte.

Die CNT setzte auf ein gerichtliches Schiedsverfahren und verkündete, dass dies die Einstellung aller Aktionen an den Restaurants voraussetzt. Die Streikenden hatten zu dieser Zeit eine neue mindestens dreitägige Besetzung geplant. Die Besetzung am Abend wurde um 22 Uhr vom Gewerkschaftssekretär abgebrochen, dem sich alle Mitglieder der CNT anschlossen. Den Streikenden und den Unterstützern blieb nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen.

Die Streikenden blickten nicht mehr durch, welche Unterstützung sie von der Gewerkschaft erwarten konnten. Das Schiedsverfahren hatte einen demobilisierenden Effekt. Für die CNT traten die Aktionen vor Ort endgültig hinter dem juristischen Verfahren zurück. Das Solidaritätskollektiv stellte das Monopol der CNT in den juristischen Aktivitäten nicht in Frage und beschränkte sich auf den Kampf vor Ort, zu dem die CNT sich als unfähig erwiesen hatte. Konsequenz dieser Aufgabenteilung war allerdings, dass sich der Kampf vor Ort der juristischen Auseinandersetzung unterzuordnen hatte.

Vor den Pubs wurde konstanter Druck auf die Kundschaft ausgeübt. Sie wurde aufgefordert, solidarisch zu sein und auf den Besuch des Pubs zu verzichten. Das größte und rentabelste Pub war unser Hauptziel. Wenn irgend möglich, gab es jeden Nachmittag Streikposten vor dem Restaurant. Jedes Mal wurde die Polizei gerufen, um uns an unseren Aktionen zu hindern und von dem angeblichen Privatgelände zu vertreiben, und jedesmal entgegneten wir ihnen, dass wir im Rahmen eines Arbeitskonflikts agierten (wogegen die Polizei in Frankreich nicht einschreiten darf). Ein ums andere Mal gelang es uns, vor Ort zu bleiben und die Grenzen der Legalität etwas auszuweiten. Ende Sommer hatten wir erreicht, dass das Lokal, vormals eines der meistbesuchten im Viertel, fast leer war. Am Ende des Schiedsverfahrens beklagte sich der Unternehmer, er hätte um die 500 000 Euro Verlust erlitten. Auch bei anderen Filialen hatten wir ähnliche Boykotterfolge.

Der Unternehmer findet eine Schwachstelle

Die Haltung des Unternehmers verhärtete sich. Etwas später verstanden wir, warum. Im Gegensatz zur CNT wollte er den Konflikt nicht juristisch durchfechten. Er nahm zu Sommerbeginn Kontakt zu der nationalistischen Organisation der Tiger auf, die die tamilische Community dominieren. Er verlangte von ihnen, auf ihre streikenden Mitglieder Druck auszuüben, die Arbeit wieder aufzunehmen. Der Streik würde dem Ansehen der Community in Frankreich schaden. Gegenüber seinen Beschäftigten prahlte er damit, der Vorstand der Organisation habe ihm versprochen einzugreifen.

Das alles erfuhren wir erst später, als die Streikenden nach und nach das Tabu brachen, das über diesen Fragen schwebte. Erst da wurden uns die Spaltungen in der tamilischen Gemeinschaft bewusst und welche Auswirkungen ihre politische Vergangenheit weit weg von ihrem Herkunftsland weiterhin hatte.

Aber jetzt war es zu spät, diesem Angriff zu begegnen, das Übel war eingetreten: eine Spaltung ging mitten durch die Streikenden. Wir bekamen mit, dass einer der kämpferischsten Streikenden wiederholt bedroht wurde. Das Kollektiv versuchte, den Urhebern dieser Drohungen auf informellen Wegen die Nachricht zukommen zu lassen, dass jeder Angriff auf einen Streikenden großes Aufsehen in der militanten Bewegung und darüber hinaus hervorrufen würde und den Urhebern erheblich schaden würde. Die Botschaft brauchte lange, erreichte aber am Ende ihr Ziel.

Der Unternehmer spürte, dass er eine Schwachstelle gefunden hatte und nutzte das aus. Er drängte die Streikenden einzeln am Telefon, ihren Job gegen Geld aufzugeben. Er drohte mit üblen Repressalien, falls sie es wagten, am Arbeitsplatz aufzutauchen. Mehrere von ihnen brachen schließlich ein, was wir aber aufgrund der Sprachschwierigkeiten, der Zurückhaltung der Streikenden und ihrer Furcht, von ihren Unterstützern schlecht angesehen zu werden, erst reichlich spät begriffen.

Mitte September hatten von den anfänglich 28 Streikenden acht die Arbeit wieder aufgenommen, elf hatten auf der Basis individueller Arrangements der Kündigung zugestimmt und acht streikten immer noch, drei von ihnen hatten gegen ihre Kündigung vor Gericht geklagt. Dieser Kern blieb standhaft, war aber zunehmend entmutigt.

Ende September überwanden sie ihre Zurückhaltung und teilten uns offen mit, dass sie über ein Ausscheiden gegen Geld verhandeln wollten. Sie hielten es für unmöglich, in dem spannungsgeladenen Klima die Arbeit wieder aufzunehmen. Sie waren überzeugt, dass die Chefs sie mit dem erstbesten Vorwand entlassen würden. Wir versicherten ihnen erneut unsere Hochachtung und Unterstützung und rieten ihnen, zusammenzuhalten, um gemeinsam die besten Konditionen zu erreichen. Zwei von ihnen unterschrieben trotzdem individuelle Abmachungen und verschwanden von der Szene.

Am Sonntag, den 19. Oktober begannen die Rechtsanwälte die Verhandlung auf der Basis der 5000 Euro, die der Unternahmer Anfang Juli als Abfindung angeboten hatte, was die Streikenden damals abgelehnt hatten. Am 3. November setzte eine von den Parteien unterzeichnete Vereinbarung dem Konflikt ein Ende: die letzten Streikenden akzeptierten ihre Entlassung gegen eine Abfindung von 5000 Euro (2000 für die beiden, die gerade erst bei Streikbeginn eingestellt worden waren) plus die Bezahlung ausstehender Urlaubstage; die CNT erhielt 10 000 Euro, die sie den Streikenden vollständig überreichte, die das Geld gleichmäßig untereinander aufteilten.

So beendeten die letzten Streikenden kollektiv den Konflikt und bewiesen denen, die vorher aufgehört und ein individuelles Arrangement vorgezogen hatten, dass es sich bezahlt macht, gemeinsam auszuharren. Der Unternehmer seinerseits, der glaubte, billig davongekommen zu sein, unterschätzte wohl die Langzeitwirkungen der Arbeit, die das Kollektiv monatelang bei seiner Kundschaft geleistet hatte; denn seine früher beliebten Pubs sind heute noch halbleer…

Einige provisorische Schlussfolgerungen

Dass es diese Streiks gab, dass sie aufrecht erhalten wurden und einige davon auch Erfolg hatten, ist sicherlich in erster Linie der Hartnäckigkeit der Streikenden zu verdanken, aber auch der Tatsache, dass sie ihren Streik immer selbst in der Hand hatten. Die Ziele, die sie festgelegt hatten, entsprachen ihren ureigenen Forderungen und ihrer Wahrnehmung des Kräfteverhältnisses – das schloss jede Verfälschung durch außenstehende Kräfte, Unterstützer oder Politik-Spezialisten aus. Je nach Situation stimmte man sich mit anderen Kämpfen ab und beteiligte sich, soweit möglich, an ihnen. Auch hier blieb der Wille der Streikenden bestimmend. Manchmal, wie im Fall Frog, haben die Streikenden selbst Kontakt zu anderen Kämpfen gesucht, weil sie Unterstützung brauchten, aber sie waren sich auch bewusst, dass Solidarität Gegenseitigkeit erfordert.

Gewisse Strukturen tendieren neuerdings dazu, den Erfolg der Kämpfe, die die Solidaritätskollektive in den letzten drei Jahren unterstützt haben, offen oder verdeckt für sich in Anspruch zu nehmen. Besonders deutlich ist dies beim Streik der Putzfrauen bei Arcade, der seinerzeit an der schwachen Unterstützung durch Aktive von außen litt. Dabei wird gern igoniert, welche Menge an Arbeit notwendig war und mit welchen Schwierigkeiten der Streik konfrontiert war, bis er schließlich zum Sieg führte. Um ein ungünstiges Kräfteverhältnis zu verändern, braucht es mehr als Berichterstattung der Medien, zur Schau getragene Gewerkschaftsmitgliedschaft und mehr als ein paar Kumpel, die mal zu einer Protestveranstaltung kommen.




CNT – anarchosyndikalistische Gewerkschaft in Frankreich



aus: Wildcat 71, Herbst 2004



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