Wildcat Nr. 71, Herbst 2004, S. 45–46 [w71_hoss.htm]


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»…dass ich als Kommunist
in die Fabrik gehörte…«

SED-Parteihochschüler und KPD-Funktionär, Metallarbeiter und Betriebsrat im Großkonzern, Vorzeigearbeiter und Bundestagsabgeordneter bei den Grünen, Entwicklungshelfer in Brasilien – Stationen der Lebensgeschichte von Willi Hoss, die in dem Buch dargestellt wird.

Willi Hoss
Komm ins Offene, Freund
Autobiographie – herausgegeben von Peter Kammerer
Münster 2004, Verlag Westfälisches Dampfboot
254 Seiten, 19,90 Euro

(Alle kursiv gesetzten Zitate sind aus dem besprochenen Buch.)


Ein spannendes Geschichtsbuch über fast schon vergessene Zeiten; den hysterischen Antikommunismus der Adenauerzeit, als »DDR« ein Unwort war und Kommunisten mit Gerichtsverfahren und Hausdurchsuchungen überzogen wurden; die kurzen »goldenen Jahre« der westdeutschen Autoindustrie, in denen schnelle Lohnsteigerungen und beamtenähnlicher Kündigungsschutz mit Knochenarbeit, Überstunden und Willfährigkeit gegenüber dem Unternehmer erkauft wurden. Wer da nicht mitspielen wollte, hatte nicht nur den Kapo, sondern auch die Gewerkschaft am Hals. 1

Im Vorwort der Autobiographie und in Zeitungsartikeln nach seinem Tod wird Hoss als »zurückhaltend, unaufgeregt, sanft rebellierend, eigensinnig, beharrlich, kritisch, menschlich sanft und politisch kämpferisch« geschildert, der »gelernt hat, sich auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen zu bewegen, und immer er selbst zu sein.« (217). Der Mann war offensichtlich aufrichtig, nicht korrumpierbar und musste sich nicht ständig in den Mittelpunkt stellen. »Aufgrund seiner praktischen Erfahrung im Betrieb hatte er verstanden, dass … man alleine schwerlich fähig ist, Zusammenhänge zu verstehen und zu durchschauen.« (15)

Autobiographien haben meistens den Nachteil, dass die Hauptperson wenig selbstkritisch mit sich umgeht. Willi Hoss hatte zunächst einen anderen Weg gewählt, indem er mit einem alten Freund, dem späteren Herausgeber des Buches, über sein Leben diskutierte und ein Tonband mitlaufen ließ. Als Hoss Anfang 2003 stirbt, ist das Buch noch nicht fertig. Aber schon im Vorfeld hatten Erzähler und Herausgeber »alle Fragen und Bemerkungen [gestrichen]. Willi allein sollte zu Wort kommen, wie er leibt und lebt.« (9) Unter den Danksagungen findet sich später der Satz des Herausgebers: »Als großen Mangel empfinde ich, dass es mir nicht mehr möglich war, mich an Freunde und Mitstreiter von Willi, insbesondere der alten Plakat-Gruppe und bei den Grünen, zu wenden.«(254) Offensichtlich musste das Buch auf den Markt. Es passt in dieses Bild, dass der Verlag im Klappentext das Leben von Willi Hoss als »Erfolgsgeschichte eines Linken« vorstellt. Der einzige Teil des Buches, der diese andächtige Haltung von Herausgeber und Verlag verlässt, ist ein nachgereichtes Kapitel, ein Gespräch mit Hoss’ Frau und Tochter, in dem es um sein »privates Leben« (216) geht.

Es bleibt das Geheimnis des Herausgebers, warum niemand von »Plakat« zu Wort kommt, geschweige denn irgendein »normaler« Arbeiter.2 Immerhin war diese Gruppe Mitte bis Ende der 70er Jahre ein Vorzeigeprojekt der undogmatischen Betriebslinken. Die K-Gruppen waren schon wieder aus den Betrieben raus, und die Kollegen von Plakat galten als seriös, weil sie Arbeiter waren und nicht den chinesischen oder sonstigen Weg zum Sozialismus in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stellten.3 Außerdem lagen sie in einer öffentlichen Dauerfehde mit der IG Metall, die sie 1972 ausgeschlossen hatte, weil sie auf einer eigenen Liste für den Betriebsrat kandidiert hatten.4

Leider wird die Frage nach dem Verhältnis eines starken rechten oder eben auch linken Betriebsrates gegenüber den vielen tausend ArbeiterInnen in einem Großbetrieb nicht gestellt, das oft genug – ob gewollt oder ungewollt –  paternalistisch ist, nach dem gutgemeinten Motto: »Kollegen, wir kümmern uns um Eure Probleme.« Dass ein Konzern wie Daimler mit linken Betriebsräten zurecht kommt, illustriert Hoss selber: »Und wenn sie (die Manager) der Diskussion ausweichen wollten, konnte es passieren, dass das Fließband plötzlich einmal stand. … Wenn wir dann einig waren und ich hatte mit den Kollegen gesprochen, und die waren auch einverstanden, konnte man sich darauf verlassen, jetzt läuft der Laden. … Es gab bei aller Härte eine Art Verlässlichkeit.« (189)

Von Differenzen innerhalb der Gruppe erfährt man überhaupt nichts. Zumindest Hoss’ Hinwendung zu den Grünen ist nicht ohne Kritik geblieben. Auch wenn aus den Reihen von Plakat nicht nur die Produktionsweise, sondern auch das Produkt selber kritisiert wurde, können nicht alle mit seiner Abkehr von der »Klassenfrage« hin zur »Gattungsfrage« und zur Politik der Ökologisierung der Industriegesellschaft (164) einverstanden gewesen sein. 25 Jahre später hätten ein paar Überlegungen dazu gut getan – auf dem Hintergrund der sich neu entwickelnden Klassenkämpfe, die eben nicht auf »den gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen« (115) hinweisen, wie Hoss ihn in den 80er Jahren ausgemacht hatte.

Hoss wollte raus aus dem Gefängnis Fabrik, in der er sich eingesperrt fühlte, und wo »mit der Zerstückelung der Arbeit (…) der Blick aufs Leben ausgetrieben« wird (119). 1956 war er nach dem KPD-Verbot als einer der wenigen bezahlten KPD-Funktionäre ganz bewusst in die Fabrik gegangen: »Für mich stand außer Frage, dass ich als Kommunist in die Fabrik gehörte. Die kommunistische Idee hatte hier ihre Basis.« (49) Ende der 70er sah er nicht mehr, dass die Arbeiterklasse über den Kapitalismus hinauswachsen könnte, weil sie in der Produktion und ihren Organisationen autoritären Formen unterworfen ist. Diese verständliche Flucht vor der Fabrikdisziplin führte Hoss zur Grünen Partei und 1983 in den Bundestag. Dort muss es ihm unheimlich gewesen sein, denn er betont für seine sechsjährige Mandatstätigkeit immer wieder, wie ernsthaft im Parlament »gearbeitet« wurde. Die Inhalte dieser Tätigkeit waren angemessen staatstragend: 1984 formulierte er einen Gesetzentwurf zur »Vereinfachung der Transferleistungen des Staates und der Versicherungen: Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe und Niedrigrenten« (155), zu einer einheitlichen Grundsicherung, die mit 1100 DM so bemessen werden sollte, dass ein Anreiz zur Erwerbsarbeit erhalten bleibt. (156) Eine ähnliche Argumentation hält 20 Jahre später für das Arbeitslosengeld II der rotgrünen Regierung her.

Trotz großer Distanz zu den machtpolitischen Spielchen innerhalb seiner Partei hatte Hoss Gefallen am Politikerdasein gefunden: Er kandidierte 1985 als Oberbürgermeister in Sindelfingen und versuchte 1990 zum dritten Mal in den Bundestag zu kommen. Immerhin blieb ihm das erspart: die Parteistrategen verweigerten ihm einen günstigen Listenplatz.

Die Brasilienaufenthalte in den 90er Jahren scheinen die glücklichste Zeit seines Lebens gewesen zu sein, so liest sich zumindest das entsprechende Kapitel. Hoss’ Vorstellung von »Entwicklungshilfe« unterscheidet sich wohltuend vom Paternalismus mancher linksradikalen Nicaragua-Brigade: Er betonte immer, dass die Menschen vor Ort entscheiden, ob sie Brunnen und Solarlampen wollen und lernen, wie man diese baut und repariert. Später organisierte er zusammen mit der entsprechenden Managementabteilung von Daimler die fabrikmäßige Produktion von Kopfstützen für Autositze aus (nachwachsenden) Kokosfasern als Alternative zu Plastikprodukten. Dass solche Maßnahmen zur »Ökologisierung der Industriegesellschaft« problemlos in den Kapitalismus integrierbar sind, aber nichts daran ändern, dass weite Teile der Menschheit gerade wegen dieser Art von Reichtumsproduktion immer noch in Armut leben, wird in dem Buch leider konsequent ausgeblendet.

So bleibt bei aller aufrichtiger Sympathie für einen rebellischen Menschen ein bitterer Nachgeschmack, wenn der von Willi Hoss mitgegründete Verein Poema-Deutschland heute auf seiner homepage propagiert, dass jeder hiesige Mercedeskäufer freiwillig etwas mehr bezahlen sollte, denn: »Hier stößt ein Auto Kohlendioxid aus, auf der anderen Seite der Erde sorgt sein Geld dafür, dass der Regenwald überlebt und das schädliche Gas so wieder abgebaut wird.« Damit können alle Seiten gut leben, und nichts muss sich wirklich ändern.




1 Beispiele dafür liefern das Betriebstagebuch von Hermann Mühleisen im Kursbuch 38 (1974) und die »Aufzeichnungen eines italienischen Daimler-Benz-Arbeiters (1961-1977), Mario d’Andrea« (in: Plakat: 10 Jahre Betriebsarbeit bei Daimler-Benz, Hrsg. Von Peter Grohmann und Horst Sackstetter, Rotbuch-Verlag, Berlin 1979). Mühleisen und d’Andrea sind Mitbegründer der Plakat-Gruppe.

2 Der einzige, der in dem Buch zitiert wird, sagt Hoss, nachdem dieser aus dem Bundestag als Teilzeitarbeiter in die Fabrik zurückkehrt: »… du bist ja bescheuert. Wir wären froh, wenn wir aus dem Scheiß hier raus wären, und du kommst freiwillig zurück.« (139)

3 Auf einer der »Sozialistischen Konferenzen« Anfang der 80er Jahre erzählten sie anschaulich, welchem brutalen Lärm sie beim Bau der damaligen Luxusklasse ausgesetzt waren, während in der Reklame hervorgehoben wurde, wie leise es im Innenraum des Wagens selbst bei Tempo 140 sei…

4 Gewerkschaftsausschlüsse gab es in den 70er Jahren noch vor den Berufsverboten, die unter Willi Brandt eingeleitet wurden.



aus: Wildcat 71, Herbst 2004



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