Wildcat Nr. 71, Herbst 2004, S. 29&ndash30; [w71_metall.htm]
Blood, Sweat and Heavy Metal
Ungefähr 20 Prozent der 3,5 Millionen Beschäftigten in der Metallindustrie
arbeiten in Kleinbetrieben mit bis zu 99 Beschäftigten
»In welcher Hölle bist du denn gelandet«, schreit die Freundin dem Kollegen ins Handy. Der ist noch nicht lange da und merkt gerade, dass Telefonieren in diesem Betrieb am Lärm scheitert.
»Die Arbeit ist laut, dreckig und körperlich anstrengend«, wird mir bei der Einstellung versprochen. Dafür stellt mir als Mittvierziger niemand blöde Fragen nach meinem »beruflichen Werdegang«. Zwei funktionierende Arme und Beine und ein »Gefühl für Blech« soll man haben. Das Unternehmerrisiko hält sich in Grenzen: zweiwöchige Kündigungsfrist in der sechsmonatigen Probezeit, insgesamt Zweijahresbefristung. Mein Risiko ist schon größer: In den ersten Wochen hab ich ständig kleine Schnittwunden an den Oberschenkeln, irgendwann schaff' ich es, den scharfen Blechkanten auszuweichen.
Blechplatten und -bänder werden in zwei düsteren Hallen zu Kanälen und Rohren für Lüftungsanlagen: geschnitten, gekantet, gefalzt, gehämmert, gepunktet, geschweißt, gekittet und verladen. Viel Handarbeit, dazu ausgelutschte Maschinen – abgesehen von der CNC-Maschine zum Ausschneiden der runden Formen alle 30 Jahre und älter. Investiert wird nichts, es dauert Wochen, bis der defekte Kompressor repariert und ein Drucklufthammer für 1000 Euro ersetzt wird. Liegt auch an uns, weil die Arbeit trotzdem weitergegangen ist.
Familienbetrieb, schon mehrmals pleite gegangen, mit Strohmännern neu aufgemacht. Der Alte ist vor fünf Jahren gestorben, jetzt geben vor allem die Frau und ab und zu der Sohn den Chef – das Patriarchat lebt. Alles funktioniert informell (oder eben nicht), alles wird individuell ausgehandelt: manche kriegen Arbeitsschuhe und Kilometergeld bezahlt, manche nicht. Lohn ist Verhandlungssache, er schwankt zwischen 9 (Aushilfen) und 15 Euro (Kapo) pro Stunde, der Durchschnitt dürfte zwischen 11 und 12 Euro verdienen, je nach Betriebszugehörigkeit – formale Qualifikation spielt keine so große Rolle, 90 Prozent der Arbeiten kann mit der Zeit (fast) jeder lernen.
Wir sind 20 Arbeiter, Durchschnittsalter Mitte bis Ende 40, und viele sind schon über 10 Jahre im Betrieb. Für die eingedeutschten Kasachen ist klar: nach ihren ersten Stationen im Wein- und Tiefbau sind sie hier besser gelandet. Die Elsässer Subproleten haben eine starke Stellung, weil sie sich als einzige mit allen Maschinen auskennen. Dann gibt’s noch alteingesessene Südbadener verschiedener Nationalität, die hier im Betrieb schon zwischen 15 und 45 Jahren (ungelogen!) rumspringen. Extreme Verhältnisse. Ich bin der erste seit Bestehen des Betriebs, der Teilzeit arbeitet – der Unternehmer will sparen. Sensationell, jede Woche wird neu diskutiert, was ich mit der vielen Zeit anfange und ob das Geld auch reicht.
Jeder Auftrag wird angenommen, jeder noch so absurde Termin zugesagt. Entsprechend kommt Druck aus dem Büro in die Werkstatt, der scheitert aber oft an der Arbeit selber: zwei, vielleicht auch drei Stunden kann man mal richtig ranklotzen, dann ist aber auch bei den gutwilligeren Kollegen die Luft raus. Gerade im Sommer, wo das Gewerbe Hochsaison hat, ist das Thermometer schnell über 30 Grad. Da nützt es auch nix, dass der Sprudel aufs Haus geht, die Hallenlüftung ist hoffnungslos veraltet. Der Metallstaub, den der CNC-Laser beim Schneiden produziert, verteilt sich in der Halle oder wird nach draußen Richtung Schlachthof abgesaugt, 50 Meter Luftlinie.
In meinem ersten Jahr machen wir kaum Überstunden, selten wird das Wochenende erst Freitag um vier statt um eins eingeläutet, noch seltener wird Samstagsarbeit »angeordnet«. Am Anfang des zweiten Jahres fliegt einer der Jüngeren raus – er ist zu häufig daran gescheitert, dass schon ab dem ersten Fehltag der gelbe Schein gefordert wird. Ein anderer Kollege mit Schlosserausbildung, auch von den jüngeren, sucht sich was Besseres, ihm ist der Laden zu stressig. Alle anderen bleiben, die meisten mit Zähneknirschen, aber sie sehen ihre Chancen realistisch: zu alt, nur betriebsspezifisch qualifiziert, woanders noch mal anfangen ist nicht drin, außerdem weiß man hier wenigstens, woran man ist.
Ende 2003/Anfang 2004, mitten in der Flautesaison, kommt ein Großauftrag für ein Einkaufszentrum, plötzlich sind Überstunden en masse angesagt, wochenlang sollen wir eine Stunde früher anfangen und die Samstage arbeiten, 47-Stundenwoche. Dann bleibt auch noch der Lohn aus, angeblich ein »organisatorisches« Problem. Die Stimmung ist mies, einige verweigern ganz trocken die Überstunden. Dagegen gibt es keine direkte Handhabe, es fehlt der Betriebsrat, der zustimmen könnte.
Es gibt eine Versammlung, die erste seit Jahren, wie mir Kollegen sagen. Der Jungunternehmer erklärt uns die Lage: Die Chinesen kaufen sämtlichen Stahl vom Weltmarkt auf, deshalb steigen die Preise und deshalb müssten wir jetzt länger arbeiten, wenn die Auftragslage es hergibt. Urlaub soll es im Sommer auch nicht mehr geben, Fuerteventura ist auch im März warm genug! Dieses hemdsärmlige Schwadronieren macht vor allem die Kollegen mit Kindern sauer. Die chinesische Gefahr zieht nur bedingt. Der Chef wird darauf hingewiesen, dass wir in der Produktion inzwischen zwei Leute weniger sind und mehr Material raushauen sollen. Er will aber niemanden mehr einstellen, weil er nicht weiß, wie er die Leute wieder los wird. Immerhin sagt er ein paar Minuten später, dass im Betrieb immer weniger »hängenbleibt« und es sich für ihn bald nicht mehr lohnen würde. Ein Kollege meint ohne jeden Hintergedanken, dass bei Neunstundentagen und Sechstagewochen der Krankenstand dieser alten Belegschaft steigen würde, und ob das denn nicht irgendwie widersinnig sei… Damit müsse er (!) leben, kommt leicht verdruckst aus der Chefecke zurück, wohl wissend, was in den nächsten Wochen passieren würde.
Die Überstunden werden von zwei Dritteln der Kollegen gemacht, aber mindestens die Hälfte nimmt sich auch entsprechende Auszeiten, der Krankenstand ist immer bei mindestens 10 Prozent. Die Bleche sind zu schwer und die Bandscheiben zu kaputt, an schlechten Tagen bewegt man gleich mehrere Tonnen per Hand. Jeden Monat gibt’s mindestens einen heftigeren Arbeitsunfall. Aber irgendwie läuft der Laden, die gröbsten Löcher werden immer gestopft, die Firmen, die am lautesten nach der Ware schreien, werden bedient, die anderen hingehalten.
»Überstunden« gibt es gar nicht, jede Arbeitsstunde wird gleich bezahlt, das Geheimnis der »Jahresarbeitszeit«. Wir machen Plus- oder Minusstunden und kriegen jeden Monat denselben Lohn. Ende des Jahres wird abgerechnet. Minusstunden werden auf eine kuriose Weise erzeugt: manchmal heißt es morgens um 11, es seien keine Aufträge da, um 12 ist dann Feierabend. Damit wird die Bereitschaft zu Überstunden gesteigert. Manche schaffen es allerdings auch, selbstbestimmt Minusstunden zu machen, wenn sie was Wichtiges unter der Woche vorhaben. Sechs Wochen Urlaub sind eben nicht gerade viel.
Zwischendrin, als es gar nicht mehr anders geht und die Konventionalstrafe droht, werden ein paar Schwarze über das Studentenarbeitsamt rekrutiert. Deren Vorstellung vom deutschen Kapitalismus gerät hier schnell ins Wanken, der Betrieb wirkt wie aus dem 19. Jahrhundert.
Drei Monate vor Ablauf meines Vertrages frag' ich nach meiner Zukunft im Betrieb. Bedauernd wird erklärt, dass ich nicht weiter beschäftigt werden könnte. Es ist nicht genug Arbeit da. Die Botschaft ist klar: die gleiche Quadratmeterzahl an Blech soll mit weniger Mannstunden rausgehauen werden, irgendwie muss sich das Geschäft ja auch lohnen. Die Kollegen nehmen es gelassen: Ich wüsste ja, was ich jetzt zu tun hätte… Und sie selber wissen, dass sie jetzt mehr arbeiten sollen.
Niemand glaubt allerdings, dass durch besonderen Einsatz irgendwas zu retten wäre: davor sind die Widrigkeiten der Weltwirtschaft (China!), die undurchschaubare Baukonjunktur und das verrückte Geschäftsgebaren des eigenen Kapitalisten. Dem traut man vor allem zu, dass er den Laden absichtlich gegen die Wand fährt, weil auch ihm der Stress auf die Nerven geht.
Aber niemand hat auch nur eine Ahnung davon, dass es an uns gemeinsam liegt, was wir uns gefallen lassen müssen. Zwar wird der Betrieb in Worten mehrmals täglich in die Luft gesprengt oder abgefackelt und die Chefin gevierteilt, aber der Versuch, drei Leute zu einer einheitlichen Haltung zu verabreden, scheitert. Alles zu poplig, »man müsste hier mal richtig auf die Kacke haun!« Die Mischung aus Handwerk und Industrie, der Arbeiterstolz über das gute Produkt, die männliche Kraftprotzerei (»das trag ich an der Uhrkette weg«), das individuelle Arbeiten, Abteilungsdenken (bei 20 Leuten!), all das steht unseren Möglichkeiten entgegen.
Nur manchmal blitzt auf, dass wir zusammen eine Macht sein können. Wenn sich drei Leute ohne viel Gerede schnell einig werden, dass kurz vor Feierabend kein LKW mehr beladen oder die Mittagspause nicht schon wieder nach hinten verlegt wird.
August 2004
aus: Wildcat 71, Herbst 2004