Wildcat Nr. 71, Herbst 2004, S. 59-63 [w71_mucke_respekt.htm]
»Coltrane ist tot. Aber die Musik, die wir machen, ist lebendig.« (William Parker)
Es gibt ein großes Interesse an Rhythm and Blues, HipHop ist die meist gehörte Musik bei (weißen) Jugendlichen, eine bestimmte Form von Jazz (Norah Jones) ist absolut in. Zwei Veröffentlichungen widmen sich dem Thema: »Black Music« (testcard #13) und Jazz als der afroamerikanischen Musik überhaupt. Im folgenden setzen wir uns mit den beiden auseinander.
Fire Music
Christian Broecking
Respekt!
Verbrecher Verlag, Berlin 2004, 144 Seiten, 13 Euro»Die ›Fire Music‹ der 60er und frühen 70er Jahre hat tiefe Spuren hinterlassen. Bei denen, die überlebten, hat sich der Kampf gegen den Mainstream tief in den Gesichtern eingegerbt.«(Vorwort, Seite 3-4)
»Aber die meisten Probleme, mit denen Musiker konfrontiert sind, haben nichts mit Rasse zu tun, sondern mit Geld- und Besitzverhältnissen» (Ornette Coleman, Seite 68)
In seinem Interviewband »Respekt« lässt Christian Broecking Musiker des Freejazz-Aufbruchs der 60er und 70er Jahre und einige ihrer zeitgenössischen Interpreten zu Wort kommen. Grundlage des Buchs bilden elf zwischen 1994 und 2004 geführte und zum Teil bereits veröffentlichte Interviews u.a. mit Sonny Rollins, Wayne Shorter, Ornette Coleman, Archie Shepp und Steve Coleman. Leider ist bei den Interviews nicht angegeben, wann genau sie geführt wurden. Es geht um die Erneuerer im Jazz, die sich gegen eine restriktive Festlegung und Einbalsamierung ihrer Musik wehren und in deren Augen die späten 60er und frühen 70er – die der konservative Mainstream auslöschen will – tatsächlich stattgefunden haben. Parallel zum Buch ist bei Impulse eine vom Autor zusammengestellte gleichnamige CD mit Stücken der interviewten Musiker erschienen.
Die Interviews liefern zahlreiche Informationen über die sozialen und politischen Hintergründe des afroamerikanischen (Free)Jazz, und sie beziehen Stellung in der aktuellen Debatte. Es geht um Segregation/Integration, um kollektive Organisationsformen in der Musik, um Identität und Community, um Selbstbehauptung und Anerkennung in einer von Weißen dominierten Kulturindustrie, um die Veränderungskraft von Musik an sich: »Als ich mit 15 ein Louis-Armstrong-Konzert hörte, änderte mich das komplett. Mein Körper und mein Verstand atmeten auf einmal anders, ich habe nie wieder einen Künstler erlebt, der es schaffte, das Gefühl zu transportieren, dass alle Menschen Brüder sind. [...] Wo immer Musiker improvisieren, möchte ich sein.« (Roswell Rudd, Seite 96-97)
Der Band stellt in seiner Vielfalt an Meinungen und seiner Komplexität eine interessante Bestandsaufnahme zur Geschichte und Aktualität des afroamerikanischen FreeJazz dar. Leider fehlt ein roter Faden oder ein Resumée des Autors. Geht es um ein wichtiges Kapitel der Jazzgeschichte, um die Situation von afroamerikanischen MusikerInnen in den 60er und 70er Jahren und/oder heute, um musikalische Ideen, deren politische und soziale Hintergründe und Umsetzung oder um eine irgendwie geartete Teilhabe an der amerikanischen Kulturindustrie? Um eine bestimmte Rangehensweise an Musik, um Geschäftsmodelle, oder um Respekt und Anerkennung?
Die Marsalis-Mafia
»Die Armee der Jazz-Mafia ist nicht nur auf einem Auge blind, [sie haben auch] eine blinde Gefolgschaft. Das merkt man vor allem dann, wenn man ihre Prediger hört, wie sie ihre limitierte Jazzdefinition mit politischer Rhetorik garnieren, um zu kaschieren, dass ihre Söldner nicht in der Lage sind, die ökonomische Ungleichheit zu überwinden.« (Wayne Shorter, Seiten 31-34)
»Von amerikanischer Kultur zu sprechen, ist die Position der schwarzen Mittelschicht. Sie hätten gern ein Stück vom amerikanischen Traum, vom amerikanischen Kuchen. Oder sie haben schon ein Stück und wollen das gern behalten.« (Steve Coleman, Seite 114)
In den 90er Jahren entbrannte der sog. New Yorker Jazz-Krieg zwischen progressiven und neokonservativen Jazzmusikern und –kritikern. Der Trompeter Wynton Marsalis und seine Gefolgschaft wandten sich gegen den FreeJazz der späten 60er und frühen 70er Jahre und dessen Protagonisten und hielten einen »reinen» traditionellen Jazz hoch, mit dem Ziel, diese Musik als amerikanische Standardmusik bzw. afroamerikanische Klassik zu etablieren. Schön veranschaulicht James Carter, wie diese »Entmischer« dabei vorgehen: Marsalis habe ihm bei der Arbeit an einer neuen Platte vorgeworfen, dass in seinem Saxophonspiel Rockeinflüsse herauszuhören wären – eine »Kritik«, die James Carter natürlich völlig kalt läßt.
Zur (auch öffentlichen) Diffamierung der afroamerikanischen Avantgarde als »Entgleisung» kam verstärkend hinzu, dass Marsalis als Leiter der Jazzabteilung des New Yorker Lincoln Centers neben Einfluss auch über gewaltige finanzielle Mittel verfügte: seine dortigen Konzertreihen gehören mit Subventionen in Millionenhöhe zu den meist gesponserten in den USA. Unter seiner Leitung wird Ende 2004 in New York die erste Konzerthalle für Jazz eröffnet werden. Mit ihm und seinem Institut ist der Jazz endgültig zu einer etablierten Kunstform geworden und im Mainstram der amerikanischen Kulturindustrie angekommen.
Ich bin der Jazz! Ich mach Blues ... oder Rap?
»Der Jazz ist die Musik einer weißen Mittelschicht geworden, und für die spielt Wynton Marsalis zauberhaft. Die Musik entfernt sich in diesem Prozess zunehmend von ihren Wurzeln. Der Jazz ist tot! Ich würde sagen, dass der Rapper den Jazzmusiker ersetzt hat. [...] Jazz hat jedenfalls keinerlei Einfluss mehr auf das Leben der afroamerikanischen Kids.« (Archie Shepp, Seite 80-81)
Archie Shepp – von dem der Begriff ›Fire Music‹ stammt – galt in den späten 60er Jahren als einer der radikalen Vertreter des ›New Thing in Jazz‹. Bereits in den 70er Jahren begann er sich dem Blues zuzuwenden und und heute hält er Jazz »wie Kleenex, Marlboro oder Coca Cola« für »eine kommerzielle Idee«. Sein Bezugs- und Rückzugspunkt sind neben dem Blues Gospel und die afroamerikanische Musiktradition. Blues ist für ihn die einzige afroamerikanische Kulturleistung, die sich angeblich völlig unbeeinflusst von europäischen Bezügen entwickelt habe. Seine zentralen Begriffe sind Identität und Authentizität und das späte Bedürfnis, auch von seinen Großeltern musikalisch verstanden zu werden (und nebenbei auch seine Platten in der schwarzen Community zu verkaufen). Von da ist der Weg nicht mehr weit zu fundamental-christlichen Positionen, wie sie heute auch unter afroamerikanischen MusikerInnen weit verbreitet sind, Prince´ relgiöse Läuterung ist da nur das aktuellste Beispiel. Zudem ist er mit dieser Haltung an zwei weiteren inner-afroamerikanischen Linien in die Defensive geraten: Er kann weder mit der technisch-brillianten Konservierung des Jazz eines Marsalis mithalten noch mit den Verkaufszahlen und dem Einfluss auf afroamerikanische Kids eines Dr.Dre konkurrieren. Nebenbei bemerkt: Auch ein Marsalis oder ein Dr.Dre verkaufen ihre Musik vorwiegend an ein nicht-afroamerikanisches Publikum. Traurig, oder wie Bill Dixon, einer der Mitinitiatoren der sog. Oktoberrevolution im Jazz 1964, es ausdrückt: »Ich finde Archies Rat an junge Musiker, heute soviele Dollar wie möglich zu machen, den schlechtesten, den er geben konnte. Hat er uns verarscht? Oder meint er mit passé, dass er einfach nur vergaß, wie toll diese Jahre des Raufens waren, in denen wir versuchten, etwas Neues zu schaffen?«
Tragische Legenden und praktische Initiativen
»... es gehört zu den tragischen Legenden des Jazzlebens, dass man arm sein und ständig ums physische Überleben kämpfen muss, um große Kunstwerke gestalten zu können: Musik bei Kerzenschein zu kritzeln, oder auf Tourstopp in einem schäbigen Hotelzimmer oder beim Soundcheck. Das alles ist falsch. Es ist nicht abenteuerlich, nicht romantisch, nicht schön.« (Wayne Shorter, Seite 36)
(Wayne Shorter spielte u.a. Ende der 50er Jahre bei Art Blakey´s Jazz Messengers, in den 60er Jahren in der von der Jazzkritik verhassten elektrischen Phase bei Miles Davis neben John McLaughlin und Joe Zawinul und war zusammen mit letzterem Mitbegründer der Jazzrock-Formation Weather Report)
Es ist in der Tat das tragische Dilemma vieler afroamerikanischer MusikerInnen, einerseits für das authentische reale Leben ganz da unten herhalten zu müssen und andererseits zu erleben, dass andere - vornehmlich weiße - Produzenten, Plattenfirmen und Vermarkter damit einen Reibach machen, während man sich selbst gerade so eingermaßen durchschlägt. Sam Rivers: »Man sprach nicht drüber. Ich wusste nicht, dass Jay [Oliver] so einen [Kantinen]Job hatte. Mag sein, dass man es manchmal roch. Aber keiner fragte groß nach, weil es eher etwas Peinliches hatte, wenn man zugeben mußte, von der Musik nicht leben zu können.« Und Roswell Rudd – der einzige weiße Musiker, der in diesem Band zu Wort kommt – erzählt: »... ich habe es bis heute nicht gelernt, nur von der Musik zu leben. Dieser ständige Kampf ist zermürbend. [...] Wer das nicht schafft oder will, macht einen 8-Stunden-Job und kümmert sich dann um seine Musik.«
Deshalb sind Strategien, die eigene Musik jenseits herrschender Verwertungs- und Vermarktungsstrategien zu behaupten, auch ganz selbstverständlich Thema in den Interviews. Von der sog. Oktoberrevolution 1964, die Jazz Composers Guild, die in diesem Umfeld entstand, über das Rivbea-Studio von Sam Rivers in den 70er Jahren bis hin zu Steve Coleman und seinem M-Base-Konzept (http://www.m-base.org) werden praktische Initiativen von MusikerInnen vorgestellt und diskutiert, die zum erklärten Ziel haben, sich eigene Netzwerke zu schaffen, um Musik unabhängig produzieren und vertreiben zu können. Steve Coleman: »Sam Rivers hat recht, wenn er sagt, dass der Kampf um ökonomische Eigenständigkeit und künstlerische Autonomie geführt wird, weil es keine Alternativen dazu gibt. Musiker, die dann kommen und mir erzählen, sie gingen musikalische Kompromisse ein, weil sie damit viel mehr Leute erreichen können, verarschen sich doch nur selbst.« Steve Coleman hat auch zahlreiche Interviews mit älteren Jazzmusikern geführt, um deren Erfahrungen festzuhalten und für jüngere MusikerInnen zugänglich zu machen. Und William Parker, einer der jüngeren Musiker, die im Band zu Wort kommen, berichtet von aktuellen Initiativen in New York, improvisierende MusikerInnen zu organisieren: Vom Sound Unity Festival in den 80er Jahren, wo über 100 MusikerInnen auftraten und das Grundlage für die weitere Entwicklung der improvisierten Musik sein sollte, bis zu den Vision Festivals in den letzten Jahren, wo politische Veranstaltungen neben Musik, Poetry und Tanz Teil des Programms waren.
Was bleibt? Was kommt?
»Here then is the breed of a new breed of musicians. We might call them 'The beautiful warriors' or witch doctors and ju ju men … astroscientists, and magicians of the soul. When they play they perform an exorcism on the soul, the mind. If you´re not ready for the lands of Dada-Surreal à la Harlem, South Philly and dark Georgia nights after sundown, night-time Mau-Mau attacks, shadowy figures out of flying saucers and music of the spheres, you might not survive the experience of listening to John Coltrane, Archie Shepp or Albert Ayler. These men are dangerous and someday they may murder, send the weaker hearts and corrupt consciences leaping through windows or screaming through their destroyed dream worlds. But this music, even though it speaks of horrible and frightening things, speaks at the same time so perfectly about the heart and to the heart. This music, at the same time it contains pain and anger and hope, contains a vision of a better world yet beyond the present and is some of the most beautiful ever to come out of men´s soul or out of that form of expression called Jazz.« (Steve Young in den Linernotes zu »The New Wave in Jazz‹, Impulse A-90, Recorded live at the Village Gate – March 28, 1965)
In einigen der Interviews kommt deutlich zum Ausdruck, dass ein musikalischer und gesellschaftlicher Veränderungswille und die Reflektion der zugrunde liegenden Bedingungen nicht nur eine Fußnote der Geschichte ist, sondern Teil der Rangehensweise hier und jetzt. Wayne Shorter: »Was davon bis heute für mich blieb, ist der Spirit, etwas ganz Neues zu versuchen. Der Spirit einer musikalischen Revolution. Dieser Spirit ist das Erbe, um das es in unserer Musik geht.«
Kritisch anzumerken bleibt, dass auch hier die Jazzgeschichte als reine Männergeschichte geschrieben wurde und Frauen im Jazz nur in Nebenrollen und als historische Bezüge (Billie Holiday) auftauchen. Undeutlich bleibt auch, in welchem Verhältnis und Bezug die Traditionslinie des Free(Jazz) zu anderen zeitgenössischen afroamerikanischen Musikformen steht. Dabei hätten gerade Steve Coleman oder bspw. die Projekte von Greg Osby dafür genug aktuelle Beispiele geliefert. Nichtsdestotrotz: Ein spannender Interviewband mit Musikern, die etwas zu ihrer musikalischen Praxis und Geschichte und deren sozialen Hintergründen zu sagen haben. In diesem Sinne: Respekt!
»Weder ›macho‹ noch ›real‹, nirgends sexistisch, ständig ironisch« – »In gewisser Weise unangreifbar«
Für das thematisch stark verwandte Heft 13 der testcard mit dem Thema Black Music konnte der Rezensent nur anfänglich Respekt aufbringen: 300 Seiten dick, davon 106 Seiten vollgepackt mit Platten- und Buchbesprechungen! Auf den übrigen 194 Seiten werden unglaublich viele Aspekte behandelt: Jazz-Rezeption in Nazi-Deutschland, schwarze Hairstyles, Prince, Bad Brains, Destiny‹s Child, HipHop, HipHop und die Nation auf Islam, Antisemitismus im HipHop, HipHop hybrid, HipHop und die Gegenwartskunst usw. Wenn man aber die einzelnen Artikel liest, ist man oft über die Maßen enttäuscht: Larifari mit hoher Fremdwörterquote.
Zum Beispiel im Artikel »Doin’ the Butt« erfahren wir, dass es sexistisch und rassistisch sei, »die« schwarze Frau auf ihren (dicken) Arsch zu reduzieren, daß aber andererseits im dicken Arsch der schwarzen Frau irgendwie auch ein subversives Potenzial stecke. Allerdings wird uns das auf sechs Seiten und in 23 Fußnoten mitgeteilt! »Obwohl das Feiern ›dissidenter‹ Hintern als Betonung einer originär schwarzen bzw. nicht-weißen Kultur subversives Potenzial in einer weißen hegemonialen Gesellschaft disziplinierter (Frauen-)Körper entfalten könnte, werden diese positiven Aspekte meist durch die doppelte Diskriminierung schwarzer Frauen durch Rassismus und Sexismus konterkariert.« (S. 115) Der Artikel endet: »50 Cent lässt im Video zu P.I.M.P. (Remix) tatsächlich Frauen an der Leine gehen – quasi selbst durch die Erfüllung negativster Vorurteile über schwarze Frauen: Sie haben es nur auf Geld und Statussymbole abgesehen, sie setzen ihren Körper zur Erlangung ihrer Ziele ein und sie würden jeden betrügen, der ihnen den Rücken zuwendet. Als Strafe dafür werden sie subjugiert und durch die Zerlegung in Einzelteile – Brüste, Münder und vor allem Ärsche – als handlungsfähige Subjekte ausgelöscht.« (S. 119) Das allerdings wussten wir schon zu Beginn des Artikels, warum also äußerst abstrakte Überlegungen? Warum einen Widerspruch aufmachen, wenn es am Ende so einfach ist? Ärgerlich ist der Mix im Heft. Neben solch abstrakten Fluchtbewegungen finden sich wenige Seiten weiter so einfache, naive Fragen wie: »Wäre die HipHop-Nation heute in der Lage, einen politischen Umsturz durchzuführen?« (S. 136). Oder: »Warum wird eigentlich nicht die rein quantitative Schlagkraft von HipHop genutzt und mit Inhalt gefüllt? – Angenommen, es würden morgen weltweit alle HipHop-Fans und -Sympathisanten auf die Straße gehen...« (S. 141)
Es gibt nichts gegen das Verfahren einzuwenden, ganz unterschiedliche Aspekte eines Themas auch auf völlig unterschiedlichen Ebenen zu beleuchten, aber es sollte vielleicht eine Idee davon existieren, wo man damit hin will – bzw. was das Thema überhaupt ist! Die HerausgeberInnen des Hefts geben allerdings gleich im Editorial zu Protokoll, dass sie das selber nicht wissen: »auf ›Black Music‹ projizierte Eigenschaften bzw. Wesensmerkmale wie ›Groove‹, ›Körperlichkeit‹, ›Sexyness‹ und was auch immer (basieren) ähnlich wie Geschlecht/Gender auf sozialen Konstrukten, (sind) also das Ergebnis von Sozialisation wie auch auferlegter Zuschreibung ... Aus all den hier nur angerissenen Gründen erschien es uns höchst problematisch, vorliegende testcard-Ausgabe mit dem Titel ›Black Music‹ zu versehen und damit genau die Verengungen fortzuschreiben, die dieser Kategorie zugrunde liegt.« (S. 6 f.)
Warum hat man es also nicht bleiben lassen, sondern belästigt die Leserin mit so tiefgreifenden Feststellungen wie: Die Black Panther waren Machos, allerdings auch Teil einer Bewegung, die HipHopper sind Machos, Individualisten, Sexisten, Antisemiten ... Zu jeder dieser Behauptungen gibt es dann einen eigenen Artikel ... - der jeder für sich gnadenlos über die Stränge schlagen darf: »Die Einbettung des jüdischen Staats- und Emanzipationsprojektes in ein Arsenal an maliziösen politischen, kriminellen und religiösen Kategorien illustriert recht plastisch die Feindseligkeit gegenüber dem Judentum.« (S. 149) – das übliche antideutsche Verbot, die Politik Israels zu kritisieren. Auf derselben Seite wird der 11. September zum »spektakulärsten Fanal des islamischen Antisemitismus«.
»Jargon der Eigentlichkeit« (Adorno) plus die aktuellen pc-Statements – so ist sicher gestellt, dass man nirgends was Neues erfährt. Oft hat man beim Lesen zwar die Idee, dass da jemand »eigentlich« (sic!) was sagen will, sich dann aber im PC-Jargon verfängt, auf seinen/ihren eigenen Fantasien rumflippt, diese aber nicht zur Sprache bringt – und schon gar nichts zur Sache sagt.
Hybride Resterampe?
Der Verleger des Respekt!-Buchs (Sundermeier) hat ein Kapitel im Heft, in dem er für sein Buch wirbt, aus dem auch ein Kapitel nachgedruckt ist (Interview mit Archie Shepp). Und Martin Büsser schreibt über das Anticon-Label, das er auch andernorts in Deutschland vertritt. Solche Verflechtungen sind wohl ursächlich dafür, daß man nie mal einfach seine Meinung sagt, sondern mit hochgeschraubtem Diskurstremor Produkte zu pushen versucht. Martin Büsser berichtet von einem »neu erstarkten underground-Ethos in den USA«, was zur Folge habe, »dass momentan nahezu alle neue, spannende randständige Musik aus den USA kommt.« (S. 161) Das Anticon-Label verlegt HipHop »fast ausschließlich von weißen Musikern« (S. 137) »I wanted to be black at age 14«. »Anticon haben ihre Form des Hiphop von Anfang an aus einer gänzlich unauthentischen, diskursiven Position heraus entwickelt. Das macht sie in gewisser Weise unangreifbar.« (S. 161). »Bei cLOUDDEAD ergibt sich das Politikum bereits aus dem, was ihre Musik nicht ist: Weder ›macho‹ noch ›real‹, nirgends sexistisch, ständig ironisch und von der Grundstimmung gewissermaßen zurückhaltend schlaff, eher also einer Indie-Tradition ... als dem kernigen ›tough guy‹ verpflichtet. Hier ist Rap (was an dieser Stelle ganz ohne Wertung verstanden sein soll) endgültig in der weißen Mittelschicht angekommen. Vom Hinterhof mit seinen brennenden Mülltonnen um mehr als zehn U-Bahn-Stationen entfernt dürfen bei cLOUDDEAD diejenigen über Zeilen wie ›Art museums make me want to kill myself‹ lachen, die privilegiert genug sind, schon einmal ein Museum von innen gesehen zu haben.« (S. 162 f.)
Lesenswert
Im Sampler sind durchaus ein paar Beiträge, in denen die Leserin auch etwas erfährt, z.B. Klaus Walter zu Destiny‹s Child, Tobias Stalling zu den Bad Brains, Enno Stahl zu »Befreiungsbewegungen als thematischer Subtext im Jazz« – aber warum muss jemand, der so viel Ahnung von seinem Thema hat, dermaßen verschroben schreiben? »Der soziale Ort der frühen Jazzmusiker entspricht dem seiner Zuhörer... Ergebnis einer kulturellen Deprivation ihrer ursprünglichen Tradition bei gleichzeitiger Oktroyierung eines andersartigen sozio-kulturellen Kosmos (von der traumatischen Erfahrung der Sklaverei einmal ganz zu schweigen).« (S. 32 f.)
Im Besprechungsteil fällt Martin Büsser über das Buch her, das wir in der Wildcat 69 besprochen hatten: »Alles Pop? Kapitalismus und Subversion« (alibri-Verlag, 2003) – und unterstellt den Autoren den »Wunsch nach einer generellen Abschaffung von Kultur..., da diese der in dem Buch unausgesprochen postulierten Revolution in jedem Fall nur hinderlich sei«. Man fragt sich, ob der Herr Oberkritiker das Buch überhaupt gelesen hat. Im weiteren Verlauf unterstellt er ihnen dann aber »subtil antisemitisch verbogene Polemik«, »vulgärste Revolutionsvorstellungen, die unter Pol Pot zur Erschiessung von Brillenträgern führten« und rückt sie schließlich in die Nähe von Nazibands. Das kann nicht mehr damit entschuldigt werden, dass Martin Büsser dermaßen viel schreiben muß, dass er nicht auch noch die Bücher, die er bespricht, vorher lesen kann. Das ist einfach Schwachsinn.
Fazit: Man kann nur hoffen, daß testcard #14 wieder besser wird!
aus: Wildcat 71, Herbst 2004