Wildcat Nr. 72, Januar 2005, S. 20–23 [w72_knast.htm]
Prekarisierung und
Masseninhaftierung
Parallel zum Abbau der sozialen Sicherungssysteme wird seit Mitte der 90er Jahre das Gefängniswesen massiv ausgebaut. Die Kriminalisierung des Elends ist das Gegenstück zu Prekarisierung und restriktiver Sozialpolitik. Trotz sinkender Kriminalität ist die Belegung deutscher Justizvollzugsanstalten (JVA) von 1993 mit durchschnittlich 41 000 Strafgefangenen auf aktuell rund 61 000 angewachsen und die Inhaftierungsquote damit in einem Zeitraum von nur zehn Jahren um fast 50 Prozent gesteigert worden.
Neben der Zunahme von »Ersatzfreiheitsstrafen« infolge nicht gezahlter Geldstrafen, dokumentieren die Strafverfolgungsstatistiken der Länder eine deutliche Tendenz der Gerichte, mehr und höhere Haftstrafen zu verhängen. In Rheinland-Pfalz etwa haben die verhängten Freiheitsstrafen in den letzten zehn Jahren um mehr als 20 Prozent zugenommen, längere Haftstrafen von über einem Jahr sogar um über 55 Prozent.
Die meisten Knackies sitzen wegen Einbrüchen, Diebstählen, Rauschgift oder Gewalttätigkeiten, also den entscheidenden Auswegsversuchen einer prekarisierten Arbeiterklasse, die dem Diktat flexibilisierter Lohnarbeit und deregulierter Sozialsysteme unterworfen werden soll. Etwa zwei Drittel der Gefangenen haben keinen qualifizierten Berufsabschluss.
Eine Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten belegen einen engen Zusammenhang zwischen verschlechterten Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt und ansteigenden Inhaftierungen. Von den Gerichten werden Arbeitslosigkeit und Prekarität im Einzelfall streng beurteilt, so dass sich auch bei gleichartigen Delikten eine deutlich stärkere Bereitschaft zur Verhängung von (höheren) Haftstrafen feststellen lässt. »Mangelhafte berufliche Einbindung« verlängert zudem die effektive Haftzeit, da die Wahrscheinlichkeit einer Strafaussetzung oder vorzeitigen Entlassung deutlich verringert ist. Diese in der bürgerlichen Rechtsprechung angelegte Tendenz, überzählige Arbeitskraftreserven in Knästen zwischenzulagern, wird seit Ende der 90er Jahre noch durch Veränderungen der Gesetzgebung zugespitzt.
Veränderte Gesetzgebung
Das 1998 in Kraft getretene Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts bildet den massivsten Eingriff in das Strafrecht seit dem Nationalsozialismus: Für mehrere Tatbestände wurde die Versuchsstrafbarkeit eingeführt und bei zahlreichen Delikten der Strafrahmen drastisch erhöht. In schnellen Schritten wurde dann auch die mit dem Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933 eingeführte »Sicherungsverwahrung« (SV) deutlich ausgeweitet. Das im bürgerlichen Recht althergebrachte Verbot einer Doppelbestrafung wurde durch den Kunstgriff umgangen, die SV sei keine Strafe, sondern eine »Maßregel« zum Schutze der Allgemeinheit. Bei Verbüßung mehrerer hoher Haftstrafen und der gutachtlichen Feststellung eines »Hangs zu erheblichen Straftaten« konnte neben dem Urteil eine weitere Inhaftierung bis zu zehn Jahren richterlich angeordnet werden. Von 1934 bis 1943 wurde gegen rund 16 000 Personen »Sicherungsverwahrung« angeordnet. Vollstreckt wurde sie in Konzentrationslagern.
Nach 1945 blieb die Möglichkeit des »Maßregelvollzugs« nahezu unverändert in Kraft. Seit 1998 können auch »Ersttäter« der Sicherungsverwahrung unterworfen werden, die Höchstdauer von zehn Jahren wurde aufgegeben. Im April 2004 wurde die SV unter bestimmten Voraussetzungen auf 18 bis 21-jährige Heranwachsende ausgedehnt. Ende September 2004 trat ein Gesetz in Kraft, wonach Sicherungsverwahrung auch nachträglich angeordnet werden kann, wenn sich Anhaltspunkte für eine »Gefährlichkeit« erst nach einer Verurteilung ergeben. Wer sich nicht fügt oder sonstwie gegen Sicherheit und Ordnung in der Anstalt verstößt, muss künftig mit einer lebenslangen Internierung ohne Urteil rechnen.
Nicht mehr die in der Tat begründete »Schuld« wird sanktioniert, sondern in der vermeintlichen Persönlichkeit des Täters angelegte »Verhaltensdispositive«, was Vorstellungen von angeborener oder erworbener Minderwertigkeit voraussetzt. Die Hinwendung zu »Täterpersönlichkeit« und »Sicherung« als Vollzugsziel steht für eine Tendenzwende zu einem härteren Strafklima. Das zeigt sich auch in den jüngsten Versuchen, neben der »Resozialisierung« den »Schutz der Allgemeinheit« als gleichrangiges Vollzugsziel im Strafvollzugsgesetz zu verankern. Im Februar 2003 hat der Bundesrat einen entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen, der dem Rechtsausschuss des Bundestages vorliegt. Sollte er durchkommen, wäre mit einem steilen Anstieg verhängter Haftstrafen zu rechnen und das Knastregime würde zum prägenden Bestandteil gesellschaftlicher Realität.
Ausbau des Vollzugssystems
Seit Mitte der 90er Jahre und insbesondere seit der Jahrtausendwende wird die drastische Zunahme der Knastbevölkerung durch den Aus- und Neubau von Gefängnissen begleitet. So wurden etwa in Nordrhein-Westfalen seit 1995 1700 neue Haftplätze in Betrieb genommen und bis 2007 sollen nochmal insgesamt 1040 entstehen. In Hessen wurden 1999 rund 700 Haftplätze fertiggestellt – bis 2009 sollen rund 1400 weitere folgen. Insgesamt beläuft sich die Anzahl der durch den Aus- und Neubau von Knästen seit Mitte der 90er Jahre in Deutschland errichteten und bis 2010 voraussichtlich fertiggestellten Haftplätze auf schätzungsweise 15 000!
Parallel hierzu werden in vielen Haftanstalten elektronisch gesicherte Zäune und modernste Sicherheitszentralen errichtet, um den Personaleinsatz effizienter zu gestalten und die Kosten zu senken. Darüber hinaus wird zunehmend auf die Arbeitskraft der Gefangenen zurückgegriffen, um die Aufwendungen für das Knastregime zu vermindern. Weitere Einsparungen soll die teilweise Privatisierung von Planung, Errichtung und Betrieb der JVA bringen.
Wohin die Entwicklung geht, lässt sich am deutlichsten am Beispiel der USA zeigen, wo der Wandel vom Sozialstaat zum Strafstaat, der sich jetzt bei uns andeutet, bereits in den 80er Jahren eingeleitet wurde.
Vom Sozialstaat zum Strafstaat
Die Inhaftierungsrate in den USA sank während der 60er Jahre um etwa ein Prozent jährlich und erreichte 1975 mit 380 000 Strafgefangenen ihren Tiefststand. Seitdem stiegen die Häftlingszahlen aber deutlich an, so dass es zehn Jahre später bereits 740 000 Strafgefangene gab. Im Jahr 1995 waren es 1,5 Millionen und Ende 1998 schließlich zwei Millionen, während die Kriminalitätsrate in den vorhergegangenen 15 Jahren zunächst weltweit konstant blieb und später sogar abnahm. Trotz des weiteren Absinkens der Kriminalität befinden sich aktuell 740 von 100 000 Einwohnern der USA im Knast. Einschließlich der Verurteilten mit bedingter Strafaussetzung und Bewährungsstrafen stehen aktuell mehr als 6,9 Millionen Amerikaner unter Aufsicht der Strafjustiz, also unglaubliche 3,2 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Zwei Drittel der Strafgefangenen stammen aus Haushalten, die weniger als die Hälfte der als »Armutsschwelle« definierten Einkommen zur Verfügung haben und die von den Verschärfungen im Bereich der Lohnarbeit und des sozialen Netzes besonders betroffen sind.
Die steigenden Ausgaben für Gefängnisse wurden auf Kosten der Budgets für soziale Dienstleistungen, Gesundheit und Bildungswesen aufgebracht: In den 80er Jahren wurde die Sozialunterstützung um 41 Prozent gekürzt, während die Mittel für den Strafvollzug um 95 Prozent erhöht wurden. Die drastische Verschlechterung des Lebensstandards der Knackies und Kürzungen bei »Resozialisierungsmaßnahmen« sollen die Kosten senken, der Einsatz modernster Technik die Effizienz des Wachpersonals steigern. Daneben wird versucht, den Häftlingen einen Teil der Haftkosten aufzubürden. Durch die massive Ausweitung unqualifizierter Arbeit in den Knästen sollen sie ihre Haft wenigstens mitfinanzieren. Eine letzte Methode zur Verringerung der immensen Kosten für die Ausdehnung des Knastregimes besteht in der Privatisierung des Strafvollzugs. Die Anfang der 80er Jahre in den USA entstandene Gefängnisindustrie ist bereits für mehr als zehn Prozent aller Häftlinge zuständig. Betrieben werden die Privatknäste von insgesamt 14 Firmen, wobei die beiden Marktführer, die 1983 mit dem Kapital der Kentucky Fried Chicken gegründete Correction Corporation of America (CCA) und die Wackenhut Corrections Corporation (WCC) zusammen 78 Prozent des Marktes beherrschen. Die Unternehmen der Gefängnisindustrie sind börsennotiert und mit jährlichen Wachstumsraten von 45 Prozent die Lieblinge der Wall Street. Die Aktien der CCA verzeichneten Anfang der 90er Jahre zeitweise sogar um die 1000 Prozent Wertzuwachs.
Die New Economy der USA besteht nicht nur aus Internet und Informationstechnologie, sondern auch aus einer Straf- und Überwachungsindustrie. Schon 1993 wurden im gesamten Strafvollzug der USA mehr als 600 000 Beschäftigte gezählt, womit die gesamte Gefängnisindustrie knapp hinter dem umsatzstärksten Weltunternehmen General Motors und dem Supermarktriesen Wal-Mart der drittgrößte private Arbeitgeber des Landes wäre.
Public Private Partnership
Seit Mitte der 90er Jahre deutet sich auch in Deutschland der Versuch an, den explodierenden Inhaftierungsraten mit einer möglichst schnellen und billigen Realisierung von Bau und Betrieb von Haftanstalten durch Privatisierung zu begegnen. In Mecklenburg-Vorpommern wurden die JVA Waldeck und die JVA Neustrelitz durch private Investoren errichtet und dann an das Land verpachtet. Die Firma Rohloff GmbH hat 1993 Abschiebeknäste in Wuppertal und Glasmoor gebaut. Seit 1994 werden im Abschiebeknast Büren in NRW neben 68 Vollzugsbediensteten 80 private Wachleute der Firma Kötter-Justiz GmbH eingesetzt.
Im Sommer 1999 hat das Hessische Justizministerium eine Arbeitsgruppe »Modellprojekte zur Privatisierung im Strafvollzug« aus Politikern, Fachleuten und Juristen eingesetzt, um »die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen« zu prüfen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Der Abschlussbericht vom Dezember 1999 kam zu dem Ergebnis, dass eine Vollprivatisierung des Strafvollzuges gesetzlich nicht möglich sei, jedoch privat errichtete Gefängnisbauten durch den Staat gemietet und private Wachleute ohne Eingriffsbefugnisse gegenüber Gefangenen eingesetzt werden könnten. Das hierbei entwickelte Modell trägt den Namen »Public Private Partnership«. Nach Berechungen des hessischen Justizministeriums führt die Teilprivatisierung einer JVA zur Senkung der Betriebskosten um 15 Prozent.
Nach Anlaufschwierigkeiten wurde im Dezember 2001 in Hünfeld bei Fulda mit Planung und Vorarbeiten für den Bau einer JVA mit 502 Haftplätzen begonnen. Im Juli 2003 erhielt die Züblin AG den Zuschlag, die JVA Hünfeld zu einem vorher vereinbarten Festpreis zu errichten. Die Baukosten belaufen sich auf 100 000 Euro pro Haftplatz gegenüber 250 000 Euro in der noch durch das Land fertiggestellten JVA Weiterstadt.
Im August 2003 wurden insgesamt 42 Prozent aller in der JVAHünfeld anfallenden Arbeiten, der Gefangenentransport und die medizinische, psychologische und pädagogische Betreuung der Häftlinge, zur Privatisierung ausgeschrieben. Insgesamt sollen neben 132 staatlichen 99 Bedienstete eines Privatunternehmers tätig werden.
Im November 2004 hat die hessische Landesregierung mit der Serco GmbH & Co KG aus Bonn einen zunächst auf fünf Jahre befristeten Betreibervertrag mit einem Volumen von 5,7 Millionen Euro pro Jahr abgeschlossen. Serco will Teile der JVA-Hünfeld mit Billigarbeitskräften betreiben, darüber hinaus sollen die Arbeitsbetriebe der Anstalt eine weit überdurchschnittliche Auslastung erreichen, indem zur Zwangsarbeit verpflichtete Gefangene dort im Zwei-Schicht-Betrieb ausgebeutet werden. Die Bonner Serco Gmbh & Co KG ist eine Tochterfirma des 1988 gegründeten britischen Serco-Konzerns, der weltweit 35 000 Beschäftigte hat und 2003 2,3 Milliarden Euro umsetzte. In Großbritannien betreibt eine Tochterfirma, die Premier Custodial Group fünf vollprivatisierte Gefängnisse und zwei Abschiebeknäste sowie einen Gefangenentransportdienst, der 250 000 Personen jährlich befördert. Daneben hält die Firma 50 Prozent Marktanteile bei dem in England stark verbreiteten Einsatz elektronischer Fußfesseln zur Kontrolle von Hausarrest-Auflagen.
Auch in Nordrhein-Westfalen soll ein erster Knast in »Public Private Partnership« errichtet und betrieben werden. Ein Gefängnisneubau in Ratingen bei Düsseldorf soll ab 2007 die JVA Düsseldorf-Derendorf und zwei kleinere Zweiganstalten der JVA Duisburg-Hamborn ersetzen. Die JVA Ratingen ist als »geschlossener Vollzug« für 850 Kurzzeit-Häftlinge und Untersuchungsgefangene vorgesehen. Private Kräfte sollen etwa 22 Prozent der anfallenden Arbeiten übernehmen. Im Rahmen eines Modellversuchs sollen darüber hinaus bereits ab 2005 auch in der JVA Attendorn und der JVA Wuppertal anderthalb Jahre lang 10 bis 20 Prozent des Personals durch private Dienstleister gestellt werden.
Neben den Pilotprojekten in Hessen und NRW werden auch in anderen Bundesländern teilprivatisierte Knäste geplant, z.B. die JVA-Großbeeren in Brandenburg, eine neue Frauenabteilung mit 150 Haftplätzen in München, eine Jugendarrestanstalt mit 60 Plätzen ebenfalls in München. Im November 2004 ist Vinci Deutschland, eine Tochterfirma des französischen Vinci-Konzerns, mit einem Konzept für die Teilprivatisierung von Berliner Gefängnissen an die Senatsjustizverwaltung herangetreten. Zunächst soll eine Vollzugsanstalt für Kurzzeit-Häftlinge errichtet werden, da hier die verminderte Fluchtgefahr auch geringere Ausgaben für Sicherungsmaßnahmen erfordert.
Zwangsarbeit
Profite winken aber nicht nur den Unternehmen, die direkt in den Bau und Betrieb von Knästen investieren. Zunehmende Bedeutung erlangt auch die Ausbeutung der Arbeitskraft von Gefangenen. Das Grundgesetz hält bei gerichtlich angeordnetem Freiheitsentzug »Zwangsarbeit« für zulässig. Die gesetzlich festgelegten Stundenlöhne bewegen sich zwischen 1,02 Euro und 1,69 Euro. Nur über drei Siebtel der Bezüge dürfen die Zwangsarbeiter frei verfügen, die in der Regel in überteuerten, anstaltseigenen Läden wieder abgeschöpft werden. Die von Gefangenen verrichteten Arbeiten dienen dem Bedarf und der Aufrechterhaltung des Anstaltsbetriebes, umfassen aber auch zunehmend Arbeiten für meist mittelständische Unternehmer. Aktuell werden bereits rund 40 Prozent der arbeitsfähigen Gefangenen als Zwangsarbeiter von Privatunternehmern ausgebeutet.
Trotz kaum zu unterbietender Sklavenlöhne wird nur ein Teil der Häftlinge zur Arbeit herangezogen, da in den Knästen häufig schlicht zu wenig Platz für weitere Fertigungsstätten ist, aber auch weil die Vollzugsverwaltungen erst seit kurzem aktiv Auftragsakquisition betreiben.
In Berlin liegt die Beschäftigungsquote aktuell bei rund 60 Prozent, soll aber noch weiter gesteigert werden. In den letzten Jahren ist in der JVA Tegel, dem größten deutschen Knast, ein Modellprojekt mit dem Ziel der betriebswirtschaftlichen und einnahmeorientierten Ausrichtung der Betriebe durchgeführt worden. Bereits im ersten Jahr wurden die Einnahmen um rund 30 Prozent gesteigert, so dass nun auch die Zahl der arbeitenden Häftlinge erheblich vergrößert werden soll.
Trotz oder gerade wegen der Krise wurde in Baden-Württemberg die Beschäftigungsquote der Gefangenen von 57 Prozent im Jahre 1996 auf über 60 Prozent im Jahre 2003 gesteigert. Die Zwangsarbeit von etwa 5000 Häftlingen brachte dem Land zuletzt mehr als 25 Millionen Euro ein.
Die Einnahmen der Arbeitsverwaltung des bayerischen Justizvollzugs wurden von etwas mehr als 36 Millionen Euro im Jahre 1993 auf zuletzt mehr als 43 Millionen Euro erhöht. Da aber zum Beispiel in der größten bayerischen JVA in München-Stadelheim von aktuell 1700 Gefangenen gerade einmal 170 zur Arbeit herangezogen werden, sind die Kapazitäten bei weitem nicht ausgeschöpft. Die Justizverwaltung hat daher erhebliche Investitionen getätigt und errichtet neue Arbeitsbetriebsgebäude in den JVA Aichach, St. Georgen-Bayreuth, Hof und Traunstein. Weitere Werkstätten und Arbeitsbetriebsgebäude sind für die JVA Aichach, Bernau, Amberg, St. Georgen-Bayreuth, Memmingen und München geplant.
Fazit
Die Neuordnung der Arbeitsverhältnisse und sozialen Sicherungssysteme wird von einer Neuordnung des Strafwesens begleitet, wobei die Knäste als Einfassung und Überlaufbecken des Arbeitsmarktes dienen. Es geht darum, die widerspenstigen Fraktionen der lohnabhängigen Klassen in unsichere und unterbezahlte Ausbeutungsverhältnisse zu pressen, den Imperativ der Arbeit zu unterstreichen und schließlich überzählige Bevölkerungsteile, zeitweise oder lebenslänglich hinter Gittern zu lagern.
Trotz der Ausweitung der Zwangsarbeit in den Haftanstalten, handelt es sich dabei zwar für einzelne Kapitalisten, keineswegs aber gesamtwirtschaftlich um eine profitable Form der Ausbeutung. Die Masseninhaftierung hat vor allem eine indirekte ökonomische Funktion: Sie soll die nicht fügsamen Teile der prekarisierten Arbeiterklasse disziplinieren, indem sie den Preis für Strategien des Abwartens oder Ausweichens in informelle und illegale Sektoren erhöht. Das Knastsystem trägt mehr als alle Verwaltungsregelungen und Kürzungen im Sozialbereich direkt zur Zurichtung der unteren proletarischen Schichten bei.
Durch die vermehrte Freisetzung von Arbeitskräften, die aufgrund ihres negativen Status als ehemalige Strafgefangene fast nur noch miese, unterbezahlte Jobs finden, beschleunigt die Masseninhaftierung darüber hinaus die Ausweitung prekarisierter Arbeitsplätze. Daneben senkt sie künstlich die Arbeitslosenquote, weil ein anwachsendes Heer von Strafgefangenen nicht mehr als »Arbeitssuchende« in der Statistik erscheint und weil neue, meist unsichere und miserabel bezahlte Arbeitsplätze in der Gefängnisindustrie geschaffen werden. Die US-amerikanische Arbeitslosenquote soll allein durch den Strafvollzug während der 90er Jahre um zwei Prozentpunkte gesunken sein. Ein sicherlich nicht zu unterschätzender Nebenaspekt besteht darin, dass – um beim Beispiel der USA zu bleiben – hier 600 000 größtenteils unterbezahlte und unsicher beschäftigte Arbeiter zwei Millionen andere Angehörige der lohnabhängigen Klassen bewachen und disziplinieren.
Wilhelm Voigt
Italien
Ab Mitte Oktober 2004 gab es in verschiedenen Knästen in Italien wochenlange Proteste. Die Gefangenen kämpfen gegen Überfüllung, schlechte hygienische Bedingungen, dagegen, dass sie in der Regel so weit wie möglich von ihrem Wohnort eingesperrt werden, und gegen die »Präventivhaft« (extrem verlängerte Untersuchungshaft).
In Italien gibt es momentan ca. 56 000 Gefangene, davon sind ein Drittel MigrantInnen. Diese haben im Gegensatz zu den anderen Gefangenen grundsätzlich nicht die Möglichkeit, außerhalb der Knäste zu arbeiten oder ihre Strafe im Hausarrest abzusitzen, da sie keine Aufenthaltserlaubnis haben, also keinen festen Wohnsitz. In der Regel teilen sich die Gefangenen eine 16m² Zelle zu fünft, manchmal auch zu siebt. Die Klos sind oft in der Zelle und die hygienischen Bedingungen sind so beschissen, dass die Gefangenen in Nuoro (Sardinien) Krätze gekriegt haben.
Gegen diese Bedingungen kam es zu Massenprotesten (z.B. haben sich in Rom im Regina Coeli Knast 940 Gefangene daran beteiligt). In verschiedenen Knästen wurde täglich abends für eine Stunde gegen die Gitterstäbe gehämmert oder in Kleingruppen abwechselnd ein einwöchiger Hungerstreik organisiert – außerdem gab es auch Arbeitsverweigerungen.
Von diesen Kämpfen ist kaum was nach außen gedrungen. Die offiziellen Tageszeitungen haben nur am ersten Tag davon berichtet, dann war Stille. Auch scheint es wenig Unterstützung von außen gegeben zu haben. In Genua gab es auf jeden Fall Soliaktionen vor dem Marassigefängnis.
Konsequenzen bei Arbeitsverweigerung im Knast
von Thomas MEYER-FALK,
z.Zt. JVA-Z.3117, Schönbornstr.32,
76646 BruchsalIm Knast besteht für Strafgefangene in Sicherungsverwahrung prinzipiell Arbeitspflicht; das Grundgesetz spricht in Artikel 12 davon, dass bei richterlich angeordneter Freiheitsentziehung »Zwangsarbeit« (steht so im GG) nicht verboten sei. Was sind die Folgen wenn sich ein(e) Gefangene(r) diesem Zwang verweigert? Zum einen fehlen alle Einkünfte, so dass er/sie sich keinen Kaffee/Tabak, aber auch sonst nichts kaufen kann, denn die Anstalten erlauben z.B. den Kauf von Musik-CDs nur vom Arbeitslohn. Kein Lohn = Keine Musik-CDs. Ferner können der Fernseher, der Radio-Recorder weggenommen werden, denn wer die Stromkosten nicht vom Arbeitslohn zahlen kann, darf diese Geräte nicht betreiben. So sollen die Arbeitsverweiger(innen) diszipliniert werden. Als wäre dies nicht genug, erhält mensch monatlich eine Haftkostenrechnung über 350 Euro (190 Vollverpflegung, 160 die Zelle). Diese aufgelaufenen Haftkostenschulden können nach der Haft oder wenn wieder im Knast gearbeitet wird, gepfändet werden – bis auf knapp 30 Euro. Dies wird von Knast zu Knast unterschiedlich gehandhabt und gilt meist für die offenen Arbeitsverweigerer. Wer sich subtil dem Arbeitszwang zu entziehen versucht, findet sicher Möglichkeiten, denn es gibt immer Gefangene. die arbeiten »wollen«, es aber wegen Arbeitsmangel nicht können. Ich selber ziehe vor, offen aufzutreten und mich dem Arbeitszwang offensiv zu widersetzen, selbst wenn dies gewisse Konsequenzen hat (neben o.g. Maßnahmen wird mir beispielsweise ein Fernstudium verboten, da es nicht angehe, dass ich mich geistig mit Uni-Stoff befasse, während andere Gefangene arbeiten.)
Großbritannien
In den letzten zehn Jahren ist die Knastbevölkerung in England und Wales rapide gewachsen. Da die Regierung mit dem Zustrom von Gefangenen nicht fertig wird und sie nicht einmal mehr unterbringen kann, soll wieder mal die Privatisierung die Rettung bringen. Einkerkerung ist jetzt ein großes Geschäft für die neugeschaffene Bewachungsdienstleistungsindustrie, mit Konzernen wie Group 4 und Premier als Pionieren privat betriebener Gefängnisse und Securicor, die Gefangenentransporte zwischen Gefängnissen und zum / vom Gericht macht.
Aber es gibt eine weitere, dunklere Seite: Die drei Hauptakteure sind drauf gekommen, dass sie nicht nur mit Einsperren und Bewachen Geld verdienen können, sondern auch mit den Gefangenen selber. Rehabilitations- und Ausbildungsprogramme wurden gestrichen, qualifizierte Handwerkskurse sind Vergangenheit. Stattdessen wurden Produktions- und Verpackungslinien eingerichtet, mit Bezahlung und Arbeitsbedingungen, die an Sweatshops in der Dritten Welt erinnern.
Der private Sektor will Gefangene ausbeuten und wird dabei unterstützt von Gefängnisordnungen, die alle verurteilten Gefangenen zur Arbeit verpflichten. Da zwischen Gefängnis und Gefangener/m kein Arbeitsvertrag besteht, hat der/die Gefangene auch keinen Anspruch auf Lohn. Stattdessen erhalten Gefangene gewöhnlich nur ein paar Pfund pro Woche, die vom Gefängnis als »Geschenk« definiert werden.
Da sie die Arbeitskraft fast nichts kostet, können Konzerne wie Group 4 und Premier leicht Mitbewerber unterbieten und Aufträge an Land ziehen, die sonst nach Übersee gehen würden. Aufgrund dieser Schlupflöcher floriert die Sklavenarbeit in britischen Gefängnissen.
Kontakt: againstprisonslavery@mail.com
Aus: Direct Action Nr. 30
Griechischer Justizminister nach Massenprotesten in den Gefängnissen zum Handeln gezwungen
»Die Forderungen der Häftlinge sind auch die meinen.« Mit diesen Worten versprach der griechische Justizminister am Montag die »Verbesserung der Haftbedingungen«. Die Zustände in den völlig überbelegten griechischen Gefängnissen – auf 5284 Plätze kommen 8854 Gefangene – waren der Öffentlichkeit in den letzten Wochen durch die massiven Proteste und Hungerstreiks von acht politischen sowie etwa 800 anderen Gefangenen ins Bewusstsein gebracht worden. Dabei traten die sogenannten sozialen Gefangenen vor allem für die Umsetzung bereits angekündigter Maßnahmen zur Verbesserung der Haftbedingungen ein. So gibt es nach dem griechischen Gesetz die Möglichkeit zum sogenannten halboffenen Strafvollzug… Da für die vom Gesetz vorgeschriebene getrennte Unterbringung der Freigänger kein Platz vorhanden ist, existiert der halboffene Strafvollzug nur auf dem Papier. … Weil beispielsweise die Mittel für Bewährungshelfer und Betreuer fehlen, wird kaum ein Häftling in das Programm zur Umwandlung von Haftstrafen in gemeinnützige Arbeit oder zur Freilassung auf Bewährung eingegliedert. Am schlimmsten trifft es die wegen Drogendelikten eingesperrten Süchtigen, immerhin etwa 40 Prozent aller Gefängnisinsassen…
Die politischen Gefangenen fordern nach wie vor die Aufhebung der Sonderhaftbedingungen. Zwar können sie zumindest beim Hofgang inzwischen – nach Öffnen einer Überdachung – ein Stück Himmel sehen, andere Forderungen blieben allerdings unerfüllt. So wird ihnen der Zugang zu Gefängnisbibliotheken ebenso verwehrt wie der Besuch ohne Trennscheiben
junge Welt vom 17.11.2004
aus: Wildcat 72, Januar 2005