Wildcat Nr. 72, Januar 2005, S. 12–19 [w72_opel.htm]
Es ist einer der letzten warmen Herbsttage, der Ölpreis steigt, und bei Opel in Bochum spielen sie Fußball. Die Arbeit ruht, die Arbeiter streiken, der junge Peter Jaszczyk ist ihr Anführer. Ein großer, kräftiger Mann, 30 Jahre alt, lange Haare, überzeugter Kommunist. Angesichts des teuren Benzins fordert er mehr Lohn für sich und die Kollegen. Er weiß um ihre Stärke. In Bochum bauen sie die Achsen für Werke in halb Europa. Jetzt stockt überall die Produktion. Dem Management bleibt keine Wahl. Sie erhöhen die Löhne der Opel-Arbeiter. Um 8,5 Prozent, plus außertariflicher Teuerungszulage.
So war das damals. Im Jahr 1973.
Es ist einer der letzten warmen Herbsttage, der Ölpreis steigt, und bei Opel in Bochum haben sie Angst. Die Arbeit ruht, die Arbeiter streiken. Drei Wochen ist das her. Diesmal stand ihnen nicht der Sinn nach Fußball. Diesmal fürchteten sie um ihre Jobs… Noch immer bauen sie in Bochum die Achsen für andere Werke, aber heute kursieren Gerüchte, das Management wolle die Fertigung nach Tschechien verlagern. Nach einer Woche beendeten die Arbeiter den Streik. Seitdem verhandeln Gewerkschaft und Betriebsrat mit dem Vorstand. In den nächsten Tagen werden sie sich einigen, dann werden traurige Zahlen über gestrichene Stellen und gesunkene Löhne in den Zeitungen stehen…
So ist das heute. Im Jahr 2004.
Für die Arbeitnehmer ist es ein Jahr der Niederlagen: Erst droht Siemens damit, die Produktion von Handys und Schnurlostelefonen aus Bocholt und Kamp-Lintfort nach Ungarn zu verschieben. Dann kündigt DaimlerChrysler an, die Mercedes C-Klasse künftig womöglich statt in Sindelfingen in Bremen und Südafrika zu bauen. Schließlich denkt VW für den Fall, dass die Personalkosten in den westdeutschen Werken nicht deutlich sinken, über 30 000 Entlassungen nach.
DIE ZEIT am 11.11.2004 unter der Überschrift »Die Entmachtung der Arbeiter«
Eine Woche wilder Streik in Bochum
Angst um den Arbeitsplatz, Verlagerungsdrohungen, Arbeitsplatzabbau, Lohnverzicht und verschärfter Arbeitszwang führten laut Zeit zur »Entmachtung« der ArbeiterInnen. Stimmt das? Zeigt der Streik nicht das Gegenteil? Ein paar hundert ArbeiterInnen organisieren sich unabhängig von der Gewerkschaft in dem genauen Wissen, dass – und wie! – sie Opel europaweit in die Knie zwingen können. Das hat hunderttausenden ArbeiterInnen imponiert, den ArbeiterInnen bei VW einen wesentlich besseren Abschluss verschafft als Personalchef Hartz das vorhatte, und der zaghaften Diskussion um die Montagsdemos neue Dynamik gegeben. Der Streik in Bochum kam jeden Tag als erste Meldung in den Nachrichten, im Bundestag fand deswegen eine Sondersitzung statt ….
Koloss auf tönernen Füßen
General Motors ist mit ca. 5,5 Millionen produzierter Fahrzeuge nach wie vor größter Autoproduzent – und besonders schwer von der weltweiten Absatz- und Überproduktionskrise getroffen. Die Rabattschlacht in den USA und Kanada (wo 50 Prozent der Fahrzeuge hergestellt werden) hat dazu geführt, dass GM bei jedem verkauften Auto drauflegt, und über 1000 Dollar pro Auto entfallen auf die Rentenzahlungen, Ausdruck der (vergangenen) Arbeitermacht in den USA. GM ist deshalb von den einbrechenden Absätzen besonders betroffen – und die Opel-Neuzulassungen auf dem deutschen Markt gingen überdurchschnittlich zurück. Das Geschäftsjahr 2003 wies für Europa einen Verlust von 286 Millionen Dollar aus. Der Jahresgewinn von 3,8 Milliarden Dollar im Gesamtkonzern basiert letztlich auf Gewinnen im Finanzsektor (eine ähnliche Entwicklung hatten wir für Ford in Wildcat 68 beschrieben). Dem steht eine Unterdeckung der Pensionsfonds von 15,5 Milliarden Dollar gegenüber.
Automobilproduktion ist erst bei einer hohen Stückzahl pro Fabrik möglich, dies bedeutet einen hohen Kapitaleinsatz und eine starke Bindung an den Standort. Die Autoindustrie hat auf die Krise der letzten drei Jahrzehnte mit immer weiteren Rationalisierungsschüben reagiert: heute entfallen nicht einmal zehn Prozent der Gesamtkosten auf die Löhne. Die weltweiten Überkapazitäten drücken auf die Preise – dem versuchten sich die Autokonzerne durch immer schnellere Produktzyklen und das Lancieren neuer Autotypen (Stadtauto, SUV, Van, Mini-Van, Funcar) zu entziehen, um in der Konkurrenz einen kurzfristigen Vorteil zu erlangen. Das Gejammer um »Managementfehler« meint, dass Opel zu lange keinen »Renner« mehr in der Modellpalette hatte, doch dahinter verbirgt sich das grundsätzliche Problem: die Autoindustrie befindet sich in einer Überakkumulationskrise. Es stecken viel zu hohe konstante Kosten in den Fabriken. Und »konstant« sind nicht nur Kosten, die in Maschinerie gesteckt werden, »konstant« sind auch Löhne und Rentenfonds, die nicht abgebaut werden können.
Das Jammern über Managementfehler deckt ein zweites Problem auf: Seit über einem Jahrzehnt fällt den Autokonzernen nichts anderes mehr ein, als immer wieder neue Kostensenkungsprogramme aufzulegen. Auslagerungen führen zu einem überproportionalen Anwachsen der Zulieferindustrie. Der Kostendruck der Konzerne zwingt die Zulieferer zu einem Konzentrationsprozess – zukünftig werden weltweit 30-50 Zulieferergiganten (mega supplier) übrigbleiben.
Kostensenkung und Elektronifizierung der neuen Modelle führten zu Qualitätseinbußen, die sich in erhöhten und kostenintensiven Rückrufaktionen ausdrückten. Trotzdem werden gerade Forschung- und Entwicklungsabteilungen abgebaut (Synergieeffekte). Senkung und Abbau allein vermitteln jedoch ein falsches Bild: die Beschäftigtenzahl im Automobilbau in Deutschland ist seit dem Tiefstand 1994 um 130 000 auf derzeit ca. 77 500 ArbeiterInnen (plus 1 Millionen in vorgelagerten Bereichen) gestiegen, wobei entsprechend zum Fertigungsanteil der jetzt schon bei 75 Prozent liegt, die Zuliefererindustrie die meisten Einstellungen vermeldet. Die Automobilproduktion ist die effektivste Branche in Deutschland, und trotzdem nicht mehr in der Lage, genügend Mehrwert zu akkumulieren.
Die Just-in-time-Stategie ist an ihre Grenze gestoßen: erst sollte der Produktionsverbund Streiks ins Leere laufen lassen; dann haben die ArbeiterInnen ihre gewachsene Macht in diesem Produktionsverbund entdeckt. Wenn nun die Alleinfertigung der Modelle als Allheilmittel angepriesen wird, schaffen sich die Automobilkonzerne mit diesen »Optimierungsprozessen« neue Nadelöhre und machen sich potentiell angreifbarer durch kollektive Aktionen der ArbeiterInnen. Falls der Astra nur noch in einem Werk gebaut wird, kann bei einem Streik die Produktion nicht kurzfristig verlagert werden.
Hier zeigt sich das grundsätzliche Problem der fortgeschrittensten kapitalistischen Produktionsweise: endweder sie schafft Flexibilität und es wird teuer, oder sie schafft Abhängigkeiten und es ist gefährlich. Die ca. 7600 ArbeiterInnen, die in Bochum die Modelle Astra und Zafira fertigen, sind durch ihre KollegInnen in Ellesmere Port und Antwerpen, wo auch der Astra hergestellt wird, bzw. Gliwice, wo das Zafira-Nachfolgemodell montiert werden soll, kurzfristig zu ersetzen. Die Parallelfertigung ist jedoch kostenintensiv und gegenwärtig Bestandteil der Verhandlungen.
Die aktuelle Macht der Bochumer ArbeiterInnen liegt im Bereich der Komponentenwerke Achsen, Getriebe und Presswerk. Als Teil der internationalen Verbundproduktion sind die Werke in Antwerpen (Belgien), Rüsselsheim und Ellesmere Port (GB) direkt von dem »Nadelöhr« Bochum und den rund 2000 ArbeiterInnen abhängig.
Dieser Schlüsselstellung waren sich die ArbeiterInnen in Bochum genau bewusst. In dem verzweifelten Versuch des Kapitals, der Profitklemme zu entgehen, ist die Möglichkeit der ArbeiterInnen, die internationale Verbundproduktion wirksam zu unterbrechen, noch weiter angewachsen. Von dieser Macht berichten die Medien nicht gerne, denn sie hat so gar nichts von »Entmachtung« an sich.
In Bochum wurde die Belegschaft von 19 200 im Jahr 1992 auf 14 200 (September 1999) und nun 9700 »sozialverträglich« halbiert. Der Produktivitätssprung führte dazu, dass heute dennoch mehr Autos produziert werden (können). Die Gewerkschaft moderierte Stellenabbau und Arbeitsverdichtung. Als Gegenleistung gab es entsprechende Tarifanpassungen. Früh verrentete Altersteilzeitler, IGM und Betriebsrat waren glücklich. Das Kapital allerdings schon lange nicht mehr, bei Opel lief alles viel zu langsam, der soziale Frieden wurde zu teuer erkauft. Auch der 2001 aus dem BMW-Vorstand geholte Forster blieb trotz seines Spargramms Olympia, welches bis Ende 2003 zwei Milliarden Euro an Kosten- und Umsatz»verbesserungen« brachte, hinter seinen gesteckten Zielen zurück. Der Gesamtbetriebsrat war immer verhandlungsbereit, im November 2003 kam in Rüsselsheim wegen Unterbeschäftigung das Programm 30 plus dazu, dies verkürzte die Wochenarbeitszeit auf 30 Stunden – bei geringem Lohnausgleich für die ArbeiterInnen. 2004 werden trotz all dieser Fortschritte und trotz Eisenach 400-500 Millionen Euro Verluste im Europa-Geschäft erwartet – und der Verkauf von Neuwagen ist in den USA im Herbst 2004 noch weiter eingebrochen.
Opel hatte somit viele Gründe, sich dem Frontalangriff von Siemens, DaimlerChrysler, KarstadtQuelle anzuschließen. Und für die ArbeiterInnen schien die Zeit des sozialverträglichen Abbaus vorbei: »Entweder streiken wir – oder Hartz IV!«
Eisenach: Das Werk für Experimente an lebenden ArbeiterInnen
Ein Beispiel für Produktivitätssteigerung und Kostensenkung ist das Opel-Werk in Eisenach, das am 23. September 1992 eröffnet wurde. In den folgenden acht Jahren wurden zwei Milliarden Mark investiert. Die Fertigungskapazität liegt bei 178 000 Fahrzeugen im Jahr mit ca. 2000 ArbeiterInnen. Betriebsratschef Harald Lieske gibt damit an, dass im Gegensatz zu anderen deutschen Opel-Werken drei Stunden länger gearbeitet und 25 Prozent weniger verdient wird. Im November 2003 wurden für absatzschwache Zeiten sogenannte »Korridortage« vereinbart: alle ProduktionsarbeiterInnen verzichten auf eine Schicht (acht Stunden). Im Gegenzug erhielt die Eisenacher Belegschaft eine Beschäftigungssicherung bis zum Jahr 2007. Schon 2001 gab es immer wieder Kurzarbeit, die Jahresproduktion lag bei nur 137 000 Autos. Um wenigstens die zu erreichen, wurde neben dem Corsa noch die Astra-Produktion kurzfristig nach Eisenach geholt. Diese wurde im Sommer 2003 jedoch wieder abgegeben. Für 2004 wird eine Produktion von 158 000 bis 160 000 Corsa angenommen. Im Moment arbeiten 1800 ArbeiterInnen im Werk (die versprochenen 2000 wurden nie erreicht). Dies wird sich auch nach den Verhandlungen nicht ändern.
»Opel Eisenach hat im Vorjahr das zehnjährige Bestehen gefeiert. Die Medien berichteten euphorisch über das modernste Autowerk Europas. Dass wir die Versuchskaninchen für neue Fertigungsmethoden von General Motors waren, die jetzt in anderen Opelwerken zum Teil durchgepeitscht werden, darüber wurde nichts gesagt. Heute sind wir absolut verschlissen durch die massive Belastung am Band. Viele Kollegen haben Beschwerden an der Wirbelsäule, leiden unter Rücken- und Gelenkschmerzen.
Der Hartz´sche Geist macht sich auch bei uns bemerkbar – man verlangt die totale Flexibilität aller Mitarbeiter. Als im vergangenen Jahr die Auftragslage ungünstig war, wurden mehrfach Schichten unbezahlt abgesagt. Seit etlichen Jahren gilt ein Einstellungsstopp, selbst Fluktuation wird nicht mehr ausgeglichen. Die Folge ist ein katastrophaler Personalrückstand. Wenn gar nichts mehr geht, werden Leiharbeiter für 5,80 Euro die Stunde herangeholt. Dass sie Mitarbeiter zweiter Klasse sind, drückt sich sogar in ihrer Arbeitskleidung aus. Werden sie krank, entlässt sie ihre Leiharbeitsfirma sofort.«
aus dem Freitag vom 14. Februar 2003
Selbstorganisiert – gegen Gewerkschaft und Geschäftsleitung
Im Bochumer Opelwerk ist seit langem die Gruppe Gegenwehr ohne Grenzen (GOG) aktiv, die in den 70er Jahren als gewerkschaftsoppositionelle Liste weder der ideologischen Parteipolitik, noch der betriebsblinden Moderatorenposition verfiel. 1973 wurden Informationstreffen zwischen BR und Vertrauensleuten erkämpft, um einen permanten Informationsfluss zu den ArbeiterInnen in den Abteilungen durchzusetzen. Doch der Klassenkampf 2004 geht über solche Institutionen hinaus: ein 35 jähriger Lagerarbeiter wird zu einem der Sprecher der ArbeiterInnen und gibt sich dabei ebenso professionell wie bescheiden: »Dies könnte jeder andere meiner Kollegen auch machen«. Die ArbeiterInnen wollen keine Streikleitung, sondern halten alle zwei Stunden Versammlungen ab, auf denen sie Informationen austauschen und Entscheidungen fällen.
In einem spontanen Streik 2000 hatten die ArbeiterInnen nach zwei Tagen durch fehlende Teile in den anderen Werken den Dominoeffekt ausgelöst. Auf der Erfahrung dieses Streiks und zweier weiterer spontanen Aktionen seitdem, baute die Taktik im Streik 2004 auf. Den AktivistInnen im Streik war klar, dass ihre Macht in der Fabrik und im Produktionszusammenhang mit den anderen Werken lag. Die Tore sind sofort und durchgängig blockiert worden, um das Ausliefern von vorproduzierten Teilen zu verhindern. Ganze Trupps sind durch die Abteilungen gezogen, um arbeitende KollegInnen von der Notwendigkeit des Streiks zu »überzeugen«. 1000-2000 ArbeiterInnen waren aktiv an den Torblockaden beteiligt. Sie sind sechs Tage lang nur zum Schlafen nach Hause gegangen, haben diskutiert, Interviews gegeben und sowohl fabrik- als auch konzernweit neue Kontakte geknüpft. Durch die Werksbesetzungen ist die bisherige Schwäche des »streikfreien« Wochenendes umgedreht worden: Samstag und Sonntag öffneten den Streik nach außen, zu den »Familientagen« kamen nicht nur Verwandte und Angehörige, viele ArbeiterInnen anderer Betriebe kamen um ihre Solidarität zu bekunden. Das Gefühl, sich als Fisch im Wasser zu bewegen, drückte sich auch auf der Demo aus. Kollegen, die sich tagelang nicht im Werk hatten blicken lassen, jetzt aber mit IGM-Mützchen auf der Demo posierten, wurden selbstbewusst angemacht.
Die Geschäftsleitung reagiert nun mit Kündigungen und Abmahnungen. Eine Liste mit 20-25 Rädelsführern liegt vor, doch vorerst haben sie sich einen unbeteiligten Arbeiter und einen aktiven Betriebsrat für Kündigungen rausgegriffen, und dem oben erwähnten Sprecher mehrere Abmahnungen geschickt. Diese Drohungen könnten neue Reaktionen provozieren. »Entmachtung« der ArbeiterInnen oder neue Arbeiterautonomie?
Gewerkschafter, Bullen, Pfaffen
Während des Streiks wagten es die IGM-treuen Betriebsräte nicht, offen dagegen aufzutreten, aber sie rächten sich, indem sie dafür sorgten, dass die Streikaktivisten aus dem Vertrauensleutekörper abgewählt wurden. Auch nutzten sie die regelmäßigen Informationsveranstaltungen im Werk, um die nicht an den Blockaden beteiligten ArbeiterInnen zu manipulieren.
Als am sechsten Streiktag endlich die anderen Werke stillstanden, kam die offizielle Gewerkschaftsantwort mit dem Internationalen Aktionstag. Bei der Kundgebung in Bochum wurden Pfaffen, Bürgermeisterin, Parteien- und GewerkschaftsvertreterInnen gegen die Streikenden aufgefahren. Alle RednerInnen traten mehr oder weniger offen für einen Streikabbruch ein. StreikaktivistInnen wurden von der Bühne fern gehalten und erhielten kein Rederecht. Endgültig durchsetzen konnte sich die IGM auf der Belegschaftsversammlung am folgenden Tag. Neben einem manipulierten Stimmzettel, setzte sie auf Ausweiskontrollen durch den Werkschutz, Security an der Bühne und fehlende Saalmikrofone.
Die Gewerkschaft umgab sich mit predigenden Pfaffen und kurzgeschorenen Security-Männern um den ArbeiterInnen gegenüber zu treten, dem Auftritt an der Seite der Bullen, der angeblich bei einer Streikfortführung angedroht war, konnten sie diesmal noch umgehen.
Beschäftigungssicherung
Auch bei den Opelverhandlungen ist das Einsparvolumen von 500 Millionen Euro nicht verhandelbar, nur der Weg dahin. Und wie dieser Weg aussieht, gab IGM Huber schon zu Beginn des wilden Streiks vor: FAZ: Lohnverzicht, Arbeitszeitverlängerung, übertarifliche Leistungen. Was opfern Sie? IGM-Huber: Arbeitszeitverlängerung scheidet bei mangelnder Kapazitätsauslastung von selbst aus. Und Lohnverzicht allein hilft nie. Ich verrate aber kein Geheimnis, wenn ich sage, daß wir uns die übertariflichen Bezahlungen bei Opel anschauen werden.
Am 9. Dezember 2004 wurde das vorläufige Verhandlungsergebnis präsentiert: zwischen 8500 und 10 000 Stellen sollen bundesweit durch Abfindungen, Vorruhestandsregelungen, Auslagerungen von Firmenteilen sowie den Wechsel von Arbeitern in Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften abgebaut werden – ein Drittel der Belegschaft! In Bochum sollen sich bis Ende Januar 2900 ArbeiterInnen »freiwillig« gefunden haben, die mit Abfindungen versehen in die Transfergesellschaft wechseln. Die Mehrkosten von einer Milliarde soll die verbliebene Belegschaft durch Verzicht auf übertarifliche Leistungen (siehe Huber) mittragen. Über 60 Prozent der Lohnkosten in der Transfergesellschaft werden von die Bundesagentur für Arbeit übernommen.
Doch entgegen ihren Verlautbarungen geht auch die IGM davon aus, dass kaum genug »Freiwillige« zu finden sein werden, deshalb wurde auch gleich eine sogenannten »Einigungsstelle« gegründet. Deren Ziel ist es nach »industrieüblichen Standards« für jede Abteilung »Abschusslisten« zu erstellen, auch einige Musterprozesse sind geplant, deren Zweck aber nicht der Kündigungsschutz, sondern das genaue Gegenteil sein wird. Es sollen Kriterien etabliert werden, die Vorbild für weitere Kündigungen sein werden und somit Einsprüche verunmöglichen.
In den weiteren Verhandlungen geht es um mögliche Ausgliederung von Werksteilen (Ersatzteillager und Achsen), Lohnkürzungen und irgendwann vielleicht um die Beschäftigungssicherung bis 2010.
Die Verhandlungsergebnisse von DaimlerChrysler und Volkswagen geben einen Vorgeschmack: eine tatsächliche »Sicherheit« ist natürlich per Vertrag ausgeschlossen, dafür ist die Bedeutung der Gewerkschaft als Verhandlungspartner festgeschrieben. Seit neuestem heißt »Beschäftigungssicherung« auch immer: Neueingestellte verdienen dauerhaft weniger, Dienstleistungsbereiche werden schlechter gestellt, ein fundamentaler Bruch mit ureigenen gewerkschaftlichen Prinzipien (»gleicher Lohn für gleiche Arbeit«). Die Kernbelegschaften lässt man weitgehend in Ruhe, umstellt sie aber zunehmend mit LeiharbeiterInnen, FremdfirmenmitarbeiterInnen und nun auch Neueingestellten, die weniger verdienen. ArbeiterInnen mit langjähriger, ununterbrochener Betriebszugehörigkeit sind mittlerweile zur Minderheit geworden, für viele ArbeiterInnen gehören ein paar Monate/Jahre Arbeitslosigkeit ebenso dazu wie Schwarzarbeit, Leiharbeit und Auslandsreisen.
Die Gewerkschaften versuchen, ihre schwindende »sozialpartnerschaftliche« Rolle neu zu definieren. Wie die Faust aufs Auge, wie Flexibilisierung zu 35-Stundenwoche, so passt »Beschäftigungssicherung« zu Lohnabbau und Arbeitsverdichtung. Somit bekamen die »Tarifpartner« die Möglichkeit, die gewünschten Kosteneinsparungen und Lohnkürzungen »sozialpartnerschaftlich« durchzusetzen. Das heißt vor allen Dingen erstmal: den ArbeiterInnen die Bestimmung über die Zeit aus der Hand zu nehmen, statt eines Heißen Herbstes erlebten wir aufeinanderfolgende Konflikte und Verhandlungen, in denen darauf geachtet wurde, dass KarstadtQuelle zu Beginn des Konflikts um Opel abgeschlossen wurde, der Opel-Streik schnell abgewürgt wurde, als VW in die heiße Phase ging usw.. Denn die größte Gefahr wäre ein Überspringen der Kämpfe – Bochum und Wolfsburg gleichzeitig im wilden Streik – nicht auszudenken!
Im IGM Blättchen war der Opelstreik-Artikel mit »kämpfen und verhandeln« überschrieben. Die Gewerkschaft kämpft um ihre Funktion im Kapitalismus und damit gegen die ArbeiterInnen. Wie es der Lohn- und Tarifexperte Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft formulierte: »Das ist ja auch die Aufgabe der Gewerkschaft, radikale Entwicklungen einzufangen«.
»Wir sollten die Produktion bei GM in ganz Europa lahmlegen, sonst spielen uns die Bosse gegeneinander aus« (Arbeiter von Vauxhall)
Von den kalt abservierten Siemens-ArbeiterInnen, über die B10-Besetzung der Mettinger Daimler-Arbeiter zum sechstägigen wilden Streik in Bochum … Die Fabrik ist nach wie vor der konzentrierteste Ausdruck des kapitalistischen Widerspruchs, nicht nur Ort der Mehrwertproduktion, sondern auch Ort des Klassenkampfs – beim Streik zeigt sich durch selbstorganisiertes Zusammenkommen und Kollektivität in der Fabrik der Hauch einer neuen Gesellschaft. Diese Erfahrung könnte ähnlich wichtig für die weitere Klassenauseinandersetzung werden wie die wilden Streiks der 70er Jahre. Doch die Bedingungen haben sich grundlegend gewandelt, die Krise des Kapitals dauert seit 35 Jahren an und die Klasse muss sich aus der gemeinsamen Abwärtsspirale befreien. Nur in einer neuen selbständigen Bewegung kann sie die notwendigen Erfahrungen machen und neue Möglichkeiten entdecken.
Eine Fortführung des Streiks in Bochum hätte unmittelbar zehntausende weitere ArbeiterInnen bei Zulieferern und im europäischen GM-Konzern in die Auseinandersetzung hinein ziehen können. ArbeiterInnen die, von unzähligen Solidaritätserklärungen abgesehen, selbst still hielten und sich dem Streik nicht anschlossen. Noch ist die offen auftretende ArbeiterInnenmacht in wenigen Werken eingekreist, die jedoch über den Produktionsprozess längst zusammen geführt sind. Dies kann konzernweit oder über die Zuliefererkette umgedreht werden, in kleinen und mittleren Unternehmen bedarf es einiger weniger ArbeiterInnen, die sich vertrauen, um viel zu bewirken.
Die IGM und ihre BR-Struktur blieben bei der Organisierung des Streiks außen vor, auch dies deutet auf eine neue Qualität in der Klassenauseinandersetzung hin. Es gab einzelne KollegInnen mit Funktionen, die sich in dem Streik solidarisch verhielten, doch für viele AktivistInnen ist klar, dass die Funktionäre ihrem Kampf nur im Weg gestanden haben und beim nächsten Mal »ausgeschlossen oder weggesperrt« gehören. Auch die erkämpften Informationsveranstaltungen können nur ein Zwischenschritt zu autonomen ArbeiterInnenversammlungen gewesen seien.
Trotz der selbständigen Organisation und Durchführung des Streiks blieben die Forderungen defensiv: »Keine betriebsbedingten Entlassungen«, »Gegen die Zerschlagung der Werke I, II und III«. Hier konnte die IGM mit ihrem Verhandlungskonzept zur »Beschäftigungssicherung« andocken. Trotz des eigenen Kampfs gegen Geschäftsleitung und Gesamtbetriebsrat setzte man im weiteren auf Verhandlungen gerade dieser beiden. Die ArbeiterInnen, die den Verhandlungen erstmal eine Chance geben wollten und für die Beendigung des Streiks gestimmt haben, sind jetzt mit einem Zwischenergebnis konfrontiert, dass das Bedrohungsszenario, welches zum Streik geführt hat, konkretisiert und bestätigt.
An dem Streik zeigt sich die gegenwärtige Grenze in der Klassenauseinandersetzung. Die Gewerkschaften versuchen, sich selbst zu retten und ihre Rolle zu bestätigen – die ArbeiterInnen können nur sich selbst vertrauen und müssen ihr zukünftiges Handeln daran ausrichten.
Die aktuelle Klassenkonstellation lässt Raum für eine neue ArbeiterInnenautonomie. Diese kann nur in einem Kampf erlebt werden und um erfolgreich zu sein, muss sie diesen auch gegen die Verhandler führen. Der wilde Streik in Bochum hat wieder gezeigt: Klassenkampf ist keine institutionelle, demokratische Veranstaltung, sondern eine lebendige Auseinandersetzung, die einen entschlossenen und aktivistischen Kern braucht, an dem sich die vorsichtigeren ArbeiterInnen orientieren können. Beide müssen nun Verhandlungsergebnis und Streik verarbeiten.
Bis Ende Januar sollen sich die »Freiwilligen« gefunden haben, dann erwarten alle Seiten eine Fortführung der Auseinandersetzung. Das Niveau wird zwangsläufig ein höheres sein müssen, so meinte ein Aktivist auf einer Veranstaltung: »Jetzt nachzugeben, jetzt ein Schritt zurück wäre heftig, der Schritt vorwärts wird allerdings ebenso heftig!«. Den nächsten Schritt einer aufkommenden ArbeiterInnenautonomie – gegen die »Entmachter« und »Verhandler« – sollten wir unterstützen!
»Diese Solidarität lässt hoffen, auch eine längere Auseinandersetzung zu bestehen«
Aus einem Interview mit Manfred Strobel, erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 10-11/04
Manfred Strobel ist langjähriges Mitglied der Autokoordination, einem Zusammenschluss kritischer Automobilarbeiter, und der seit 1972 bestehenden GoG – und wegen Kandidatur auf einer ›gewerkschaftsfeindlichen‹ Liste zur Betriebsrats-Wahl seit 1984 aus der IGM ausgeschlossen.
»Die Menschen sind eben nicht immer so, wie Mensch sie gerne hätte. Mangelndes Bewusstsein ist keine Niederlage, sondern Anknüpfungspunkt für den weiteren politischen Kampf. Mangelndes Bewusstsein hat seine Ursachen vielleicht auch in den Fehlern der »Linken«, der »linken Co-Manager«. In sieben Tagen kann Mensch die Entpolitisierung durch die politische Klasse, die Kirchen, die Gewerkschaften etc. nicht aufbrechen. Bewusstsein kann Mensch eben nicht verordnen, diktieren oder befehlen. Es entwickelt sich durch Verstehen und Lernen in der Auseinandersetzung, auch unter dem Gesichtspunkt einer möglichen weitergehenden Perspektive. Die Kritik der bürgerlichen Ökonomie ist das eine und wichtig, die Entwicklung einer wenigstens denkbaren postkapitalistischen Vision das Andere und dünn. Und: der Streik in Bochum – mit Ansätzen einer Betriebsbesetzung – war zunächst ein Abwehrkampf, und keiner, der das System angreift. […]
[Aber er war] eine kleine emanzipatorische Rückeroberung: Hier hat sich die Belegschaft selbst organisiert. Von Donnerstag an stand fest, die Belegschaft handelt und entscheidet gemeinsam jeden Schritt und jede Aktion. Ohne großartige Abstimmungen wurden die Tore besetzt, um zu verhindern, dass LKWs mit Ladung das Werk verließen – leer konnten sie fahren. Im BR-Büro lagen Listen aus, in die sich Mensch mit Vorschlägen eintragen konnte. Versorgungstechnisch bekamen wir schnell das Notwendige hin. In regelmäßigen Inforunden wurde der aktuelle Stand der Dinge bekannt gegeben und diskutiert. Das Mikro war offen für Jede und Jeden – mit einer Einschränkung allerdings: keine parteipolitischen Agitationen. Das und mehr klappte erstaunlicherweise sehr gut und stellte sich nicht als besonders schwierig heraus, mal abgesehen von wenig bis ganz wenig Schlaf, den der ein oder andere in dieser Zeit hatte. Die Belegschaft war sicherlich keine homogene Gemeinschaft, aber eine solidarische; auch mit vielen, vielen unterschiedlichen Meinungen und Vorstellungen. Ich denke, dass viele den Eindruck hatten, dieses Ding kommt von uns und nicht von oben. Das war unsere Stärke und Kraft. Eben Selbstorganisierung – und das trotz IGM und Co-Managern, [die] sich ja lauthals in der Öffentlichkeit gegen diese Form der Auseinandersetzung zu Wort gemeldet [haben] … Aber was soll Mensch schon von diesen Hubers und Franzens erwarten? Es war ja auch unser Ding!
Aus Bochum und überhaupt kamen viele, viele Spenden in geldlicher und dinglicher Form. Für das leibliche Wohl war mehr als gesorgt. Für die finanzielle Unterstützung richteten die Menschen ein Konto ein. Diese Solidarität lässt hoffen, auch eine längere Auseinandersetzung zu bestehen. Keiner konnte ja einschätzen, wie lange das dauern wird. Gemessen an den angedrohten Maßnahmen diskutierten wir über eine lange – bis mehrere Wochen – andauernde Auseinandersetzung. « […]
Volkswagen
»Jetzt wo wir 2:0 führen, werden die besten Spieler rausgenommen …«
»Die künftigen Kämpfe werden die internationale Verbundproduktion
noch viel empfindlicher treffen, als wir das gezeigt haben, da bin ich ganz optimistisch.«»Es müsste viel härter sein. So wie bei Opel mal alles dicht machen.
Damit die wissen, was hier los ist.«
(Ein VW-Arbeiter am 28. Oktober in Hannover)
In den europäischen Opel-Werken läuft nach dem Streik in Bochum die Produktion noch nicht wieder voll, da beginnt bei VW mit der zweiten Verhandlungsrunde am 28. Oktober die »heiße« Phase der Tarifrunde.
Auch der VW-Konzern macht 2004 Verluste im Bereich Automobile (38 Millionen Euro in den ersten neun Monaten) und muss diese durch Gewinne der Sparte Finanzdienstleistungen ausgleichen. Personalchef Hartz will Personalkosteneinsparungen von 30 Prozent bis 2011. Einstieg dazu sollen eine zweijährige Nullrunde bei den Löhnen und niedrigere Einstiegslöhne sein, um den um 20 Prozent höheren VW-Tarif an den niedersächsischen IGM-Flächentarif anzugleichen. Betriebsrat und IGM gehen schon vor der zweiten Verhandlungsrunde von ihrer 4 Prozent-Forderung auf 2 Prozent zurück und zeigen sich auch über niedrigere Einstiegslöhne verhandlungsbereit, wenn es zu Beschäftigungsgarantien komme.
Für VW-Verhältnisse sind die ArbeiterInnen sehr kampfbereit. Bereits zur ersten Verhandlungsrunde am 11. Oktober legen in Emden und Kassel 7000 die Arbeit nieder. Eine Delegation besucht die streikenden Opel-ArbeiterInnen. Auch wenn der Autokorso mehrerer tausend VW-ArbeiterInnen am 28. Oktober während der Verhandlungen in Hannover über Stunden den Verkehr lahm legte und die Informationsveranstaltung im Forschungs- und Entwicklungswerk die LKW-Einfahrt blockierte, erlangten sie nie die Selbstständigkeit wie in Bochum. In Emden, Kassel, Braunschweig und Salzgitter kam es wiederholt zu Warnstreiks und Demonstrationen mit jeweils mehreren tausend Beteiligten. Nach Ablauf der Friedenspflicht wird am 1. und 2. November in allen VW-Werken gestreikt – es ist der erste (Warn-)Streik in Wolfsburg seit 20 Jahren. Mit 50 000 beteiligt sich fast die gesamte in den Betrieben anwesende Belegschaft. Vor dem Verhandlungsort in Hannover kommt es zu großen Demonstrationen.
Die Aktionen, die die IGM zum Ende der Friedenspflicht organisierte, zeugen sowohl von der Kampfbereitschaft in den Werken, als auch von der Lehre aus Bochum, mit gezielten, kontrollierten Warnstreiks und Infoversammlungen die Unzufriedenheit im Zaum zu halten. Die Mobilisierung hält IGM und Gesamtbetriebsrat davon ab, eine Urabstimmung über einen Streik durchzuführen, deren Ergebnis nicht einzuschätzen gewesen wäre. Stattdessen liegt dann am 2. November plötzlich ein Ergebnis vor.
28 Monate Nullrunde bei den Löhnen, das liegt noch ein halbes Jahr höher als vom VW-Vorstand ursprünglich gefordert. Die jährliche Bonuszahlung wird abgeschafft und ab 2006 durch einen ergebnisorientierten Bonusplan ersetzt. 2005 gibt es eine einmalige Zahlung von 1000 Euro. Die Arbeitszeitkonten werden auf plus/minus 400 Stunden erweitert und die mögliche wöchentliche Arbeitszeit auf 40 Stunden erhöht. Um den ArbeiterInnen ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsleben zu ermöglichen, können sie jährlich 66 Stunden auf einem Lebensarbeitszeitkonto ansammeln. Damit erhöht sich die wöchentliche Arbeitszeit um weitere 2,6 unbezahlte Stunden.
Die Ausbildungsvergütung wird gekürzt und es werden nur noch 85 Prozent aller Azubis übernommen. Die restlichen 15 Prozent werden von der VW-Tochter AutoVision übernommen, wo auch zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden. Hier gelten niedrigere Tarife als bei VW. Die Beschäftigungsgarantie bis 2011 enthält eine Revisionsklausel.
Von einem Durchmarsch der Unternehmer kann dennoch nicht gesprochen werden. Die Löhne der Stammbelegschaften bleiben bestehen. Mit den niedrigeren Einstiegslöhnen entsteht aber eine zweigleisige Bezahlung und gespaltene Belegschaften. Das Lohnniveaus wird auf Dauer abgesenkt. Finanziell direkt getroffen wird die Stammbelegschaft durch Kürzung der Bonuszahlung und den Verlust von Überstundenzuschlägen. Die Ausweitung der Flexibilisierung der Arbeitszeiten wird die Verfügungszeit über das eigene Leben weiter einschränken.
Obwohl große Teile der ArbeiterInnen »stinksauer« sind, hat das Signal aus Bochum nicht gezündet. Dies liegt auch daran, dass in dem sozialpartnerschaftlichen Vorzeigebetrieb die hohen Löhne nicht in selbstständigen Kämpfen errungen wurden, sondern Verhandlungsergebnisse waren. Aber gerade das, die Befriedung der großen VW-Belegschaft über fette Tarifverträge, ist nun auch in die Krise gekommen. Diesmal hat es noch funktioniert – aber die Legitimation von Betriebsrat und Gewerkschaft hat Risse bekommen.
»Wir bleiben drin!« — Chronologie der Ereignisse
April2004 Opel-Chef Forster erteilt weiteren Arbeitsplatzgarantien in der bisherigen Form eine Abfuhr.
Sommer 2004: Der neue MiniVan (Nachfolger von Zafira) soll teilweise in Gliwice statt in Bochum produziert werden.
September: Eröffnung der »Standortschlacht« zwischen dem schwedischen Trollhättan und Rüsselsheim um die gemeinsame Plattformproduktion der nächsten Generation von Opel Vectra und Saab 9.3. Die Entscheidung soll Anfang 2005 erfolgen.
Geschäftsleitung und Betriebsrat verhandeln über einen Standortsicherungsvertrag (Durch Verzicht bei Weihnachts- und Urlaubsgeld, beim Prämienlohn und durch Aussetzung von Lohnerhöhungen bis 2009 sollen die Arbeitsplätze gesichert werden).
12. Oktober: Die GM-Führung kündigt das »radikalste Sparprogramm in der 80-jährigen Geschichte des amerikanischen Autoherstellers in Europa« an:
500 Millionen Euro Einsparungen, Abbau von 12 000 Stellen in Europa. Die FAZ zitiert einen GM-Manager: »Wenn man alle Fakten in Betracht zieht, müssten wir Bochum schließen. Aber wie sollen wir das anfangen?« Offizielle Informationen soll es mit dem Quartalsbericht am Donnerstag geben.
Donnerstag, 14. Oktober: Als die ersten Presseberichte bekannt werden, hält die Frühschicht im Bochumer Opel-Wert ein Beratungstreffen von 45 Minuten ab. Die Nachrichten konkretisieren sich: 10 000 Arbeitsplätze sollen in Deutschland wegfallen, davon 4000 in Bochum, 3500 schon 2004.
Die Mittagsschicht im Werk 1 stimmt ab, die Arbeit niederzulegen, Werk 2 und 3 ziehen nach. Um 16.32 Uhr steht Bochum still und die Tore sind blockiert. Andere ArbeiterInnen ziehen durchs Werk, um noch vereinzelt arbeitende KollegInnen in Lackiererei oder Presswerk zum Streik aufzufordern, was größtenteils gelingt.
Gewerkschaft und Gesamtbetriebsrat warnen die ArbeiterInnen vor »unüberlegten Handlungen« und versuchen stattdessen, auf einen internationalen Aktionstag am Dienstag, 19. Oktober zu vertrösten. Sie schüren immer wieder Gerüchte, dass wieder gearbeitet würde. Doch jede Schichtversammlung stimmt für die Fortführung des Streiks.
Am Samstag versuchen Meister und Werkschutz, Teile aus dem Werk zu schmuggeln, was aufmerksame Streikposten verhindern können. Gerüchte, in Werk 2 und 3 drohe die Aussperrung, schlagen so hohe Wellen, dass die Bochumer Polizei erklärt, derzeit von einem Einsatz Abstand zu nehmen. Vor Werk 2 findet ein »Familientag« statt, der die breite Unterstützung durch Bevölkerung, Montagsdemo-AktivistInnen und viele ArbeiterInnendelegationen aus anderen Betrieben zeigt.
Am Wochenende stellt IGM-Vize Huber die Gewerkschaftslinie klar: »Ich erwarte trotzdem, dass am Montag wieder geordnete Arbeitsverhältnisse eintreten. Andernfalls können wir nicht zielführend mit General Motors verhandeln…«.
Am Montag wird um 6 Uhr morgens für die Fortführung des Streiks gestimmt, die anderen Werke stehen immer noch nicht still. Die Geschäftsleitung hatte sich auf einen Streik vorbereitet. Die Läger sind durch Sonderschichten vorher gefüllt worden. In Eisenach wurden schon im August für die Streikwoche 11 Korridortage mit dem BR vereinbart worden, in Rüsselsheim werden die ArbeiterInnen in der Produktion (außer dem Presswerk) am Donnerstag über Minusstunden nach Hause geschickt.
Endlich fehlen in Antwerpen in der Spätschicht Teile. Der Streik beginnt, richtig weh zu tun. Doch in Trollhättan und Antwerpen regiert bei den Gewerkschaften die Standortlogik: sie verhindern ein Überspringen des Streiks. In Ellesmere Port spekuliert der Gewerkschaftssekretär auf einen Wettbewerbsvorteil durch den Bochumer Streik und informiert die KollegInnen nicht. Dies holen glücklicherweise Flugblätter einer trotzkistischen Gruppe nach.
Antwerpen und Rüsselsheim stehen seit Dienstag still, Ellesmere Port folgt am Nachmittag und für Kaiserslautern rechnet man für Donnerstag mit einem Produktionsstopp.
Am Internationalen Aktionstag am Dienstag tritt der ganze europäische Gewerkschaftsapparat in Aktion: Demo, Anti-Amerikanismus, Arbeiterstolz, Opel-Ideologie, aber nichts darf nach Streik riechen. In Bochum werden sämtliche bürgerlichen Figuren und Institutionen in Bewegung gebracht, die Bürgermeisterin, die Pfaffen, die Gewerkschaftsfunktionäre, die Medien, die Geschäftsleitung, der Superminister und sein Bundeskanzler. Selbst der Bundestag trifft sich zu einer Sondersitzung. Eine geschlossene Front stärkt die IGM, um die »wild gewordenen« ArbeiterInnen wieder einzufangen. Geschäftsleitung und Gesamtbetriebsrat versprechen in einer gemeinsamen Erklärung, »nach Lösungen zu suchen, um die Personalanpassungen im Rahmen der geplanten Restrukturierung sozialverträglich zu gestalten«. Die Geschäftsleitung hat bereits am frühen Morgen den »Rädelsführern« des Streiks mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen gedroht.
Nach der Demonstration ist die Stimmung vor den Toren entsprechend aufgeladen, während die Gewerkschaft die Grundlage für neue Verhandlungen gegeben sieht und die Beendigung des Streiks fordert. Dennoch stimmen die Streikversammlungen nachmittags und abends für seine Fortführung.
Die Gewerkschaft akzeptiert scheinbar die Forderung der AktivistInnen nach einer Vollversammlung aller drei Schichten und mietet für Mittwoch vormittag das RuhrKongressZentrum an. Doch statt einer basisdemokratischen Versammlung gibt es dort Werksausweis- und Taschenkontrollen, keine Saalmikrofone und ein durch Security geschütztes Podium, auf dem nur BR- und IGM-Vertreter reden dürfen. Keine Diskussion, sondern geheime Abstimmung:
»Soll der Betriebsrat die Verhandlungen mit der Geschäftsleitung weiterführen und die Arbeit wieder aufgenommen werden? Ja oder Nein«. Das kämpfende Kollektiv der ArbeiterInnen wird zu vereinzelten bürgerlichen Wählern gemacht. Trotzdem sprachen sich immerhin noch 1769 ArbeiterInnen (über ein Viertel der VersammlungsteilnehmerInnen) für die Fortführung des Streiks aus. Aber die Mehrheit (4673 ArbeiterInnen) stimmte dagegen.
Revisionsklausel
§ 6 Revisionsklausel
»Bei wesentlichen Änderungen der Grundannahmen oder der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gilt folgendes Verfahren:
6.1 Die Tarifvertragsparteien verpflichten sich zu einem Überprüfungsgespräch. Voraussetzung ist, dass eine Partei das Überprüfungsgespräch beantragt und betriebliche Reaktionsmechanismen wie Reduzierung von Mehrarbeit, Abbau von Fremdleistungen, Nutzung standortübergreifender Mobilität sowie standortübergreifende Verlagerung von Produktionsumfängen wirtschaftlich nicht darstellbar oder ausreichend sind. Ziel des Überprüfungsgesprächs ist eine einvernehmliche Anpassung des § 4.
6.2 Kann ein Einvernehmen zwischen den Tarifvertragsparteien nicht erzielt werden, kann die Allgemeine Schlichtungsstelle gemäß Schlichtungs- und Schiedsvereinbarung angerufen werden.
6.3 Führt auch dieses Verfahren zu keinem Ergebnis, kann dieser Tarifvertrag mit einer Frist von 3 Monaten zum 30. Juni oder 31. Dezember eines Jahres gekündigt werden. Der Tarifvertrag wirkt nach einer Kündigung nicht nach.
6.4 Wird der Tarifvertrag gekündigt, so ist damit gleichzeitig die Vereinbarung zur Sicherung der Standorte und der Beschäftigung vom 28. September 1995 in ihrer jeweils gültigen Fassung zu diesem Zeitpunkt gekündigt.«
aus: Wildcat 72, Januar 2005