Wildcat Nr. 72, Januar 2005, S. 61–62 [w72_spitzel.htm]
Spitzel:
ein Popdiskurs der besonderen Art *
Markus Mohr und Klaus Viehmann (Herausgeber)
SPITZEL - Eine kleine SozialgeschichteVerlag Assoziation A, Hamburg/Berlin, Mai 2004
ISBN 3-935936-27-3, 256 Seiten, 18 Euro
Spitzel: … bair.-österr. 'ein Späher, welscher das was andere tun, einem Vorgesetzten heimlich zuschwätzet! ….
(Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Band 16, München 1905 und 1984)
Im Vorwort bemühen sich die Herausgeber, die Tätigkeit eines Spitzels sozial und politisch einzuordnen. Nach der Einleitung hat man durchaus das Gefühl, mit dem Begriff und der Aufgabe eines Spitzels etwas vertrauter zu sein, allein die folgenden gut 20 Geschichten können diesem ersten Eindruck nicht folgen. Nach fünf, sechs Aufsätzen schleicht sich ein Gefühl der Beliebigkeit ein. Dennoch können immer wieder »Highlights« die Gunst der Leserin finden.
Die Judas-Geschichte von Brigitte Lenel räumt mit dem weitverbreiteten und im Evangelium gewollten Vorurteil auf, Judas habe aus Geldgier Jesus ans Messer geliefert. In der urchristlichen Mythologie, den Apostelbriefen, kommt diese Verschwörungstheorie noch gar nicht vor, und wenn man der Geschichte folgt, gab es gar nichts zu verraten. Als literarische Figur wurde Judas zum Verräter, weil er einigen gerade recht kam.
Dann kommt es im Buch zu einem beträchtlichen zeitlichen Sprung ins 19. Jahrhundert, wo aber der Spitzel, wie er uns im Vorwort beschrieben wurde, wieder nicht auftaucht. Schlecht kann der Aufstieg Stiebers zum preußischen Geheimrat mit der Vorstellung eines prekären, jederzeit um seine Anstellung fürchtenden Spitzels verglichen werden. Diese Unstimmigkeiten durchziehen weite Teile des Buches und man hat den Eindruck, sie resultieren aus dem starren Festhalten am Begriff Spitzel, ihn einerseits als das allerletzte in der Hierachie der Repression darzustellen, aber die passenden Geschichten, die das untermauern, nicht parat zu haben.
So handelt es sich bei den KPD-Funktionären Alfred Kattner und Ernst Rambow schwerlich um Spitzel, da diese uns im Vorwort als Menschen beschrieben werden, die sich nicht für eine Sache, politische Ziele und Träume einsetzen.
Markus Mohrs Textcollage »S-Bahn Peter« über den Agent Provocateur Peter Urbach verrät nicht viel Neues über die Lebens-und Arbeitsbedingungen im West-Berlin der späten sechziger Jahre. In welchem subproletarischen oder eher studentischen Milieu S-Bahn Peter recht erfolgreich agieren konnte, bleibt – bis auf die Verbindung zur Kommune 1 – das Geheimnis Mohrs, schwer dienlich sind dabei »Medienhengste« wie Kunzelmann oder Baumann.
Am besten fand ich die »Anmerkungen zu IM Raffelt« von Christian Halbrock, etwas reißerisch vorgestellt als »bestbezahlter IM der DDR«. Dieser Typ begann seine Karriere als Ordnungsgruppenmitglied der FDJ, und wer die noch kennt, weiß wieviel Verachtung aber auch Lächerlichkeit ihnen zuteil wurde. Anders bei »Kiste«, er nutzt diesen Job, um Kontakte zur Blues- und Tramperszene herzustellen, zunächst im Raum Dresden, später DDR-weit. Sein Job als Roadie bei der Gruppe Lift öffnete ihm dabei weitere Türen. Langhaarig und sich subversiv gebend war »Kiste« unglaubliche 30 Jahre lang Zuträger der Stasi, einige Zeit auch hauptamtlich, dabei agierte er gegenüber seinen Führungsoffizieren finanziell dermaßen fordernd, dass seine Geldgier regelmäßig aktenkundig wurde. Er selbst stellte sich 1993 einem Gespräch, geführt von ehemals von ihm Ausgehorchten, darin wollte er sich abwechselnd als Überzeugungstäter, als Mann, der Angst hatte, oder als Muster der Gedankenlosigkeit präsentieren (»für mich war Stasi nichts Übles…«). Die späteren Recherchen sprechen allerdings eine andere Sprache. Ein sehr wichtiges Motiv war das Geld, er verdiente lange Zeit bedeutend besser als Facharbeiter in der DDR. Am Ende wird die Frage gestellt: »Wie konnte der IM zum zentralen Ansprechpartner und zur maßgeblichen Person der Dresdener Alternativszene avancieren …?« Durch diese Frage bleibt die Geschichte offen und gibt viel Anlass für Diskussionen, was den Beitrag auch so gelungen macht.
Der Beitrag zu Manfred Schlickenrieder eröffnet eine Reihe von Fallbeispielen aus der jüngeren BRD-Geschichte, erstaunt nahm ich zur Kenntnis wie weitreichend die Kontakte des Münchener »Dokumentarfilmers« waren, selbst die Protestbewegung gegen die Ölförderung in Nigeria war vor seinen Bildern nicht sicher. 24 Jahre spitzelte Schlickenrieder für Dienste verschiedener Länder und als Filmemacher auch mit brauchbarem und in diesem Fall lange unauffälligem »Handwerkszeug«.
Verdeckter Ermittler in Hamburg aufgeflogen
Im November wurde Kristian Krumbeck alias »Christian Trott« als verdeckter Ermittler der Polizei enttarnt. Er hatte sich ein Jahr lang in mehreren Hamburger Zusammenhängen bewegt: Anti-Hartz-Gruppe, Hamburg-Umsonst Kampagne, FAU, attac-AG Sozialer Ungehorsam.
Weitere Infos und Bilder findet mensch auf indymedia
Die restlichen Fälle spielen vor allem im Raum Hannover/Göttingen. Warum dort vermehrt Spitzel, darunter auch wieder Hauptberufliche, auftauchen, wird nicht näher erläutert.
Kurz vor Schluss schreibt Klaus Viehmann in seinem Bericht »Nicht alle Spitzel haben zwei Beine« über elektronisches Schnüffelwerkzeug – ein wichtiger Beitrag, in dem aber was Alltägliches fehlt, die Nutzung von GPS nicht zuletzt zur Überwachung von LKW-Fahrern während der Arbeit. Das soll auch gleich als Stichwort einer weiteren Kritik dienen. Es findet sich keine Geschichte, die Spitzelei bei der Arbeit zum Thema hat, auch so gegenwärtige Schnüffeleien, wie die der Sozialämter bei der Kontrolle der »Leistungsberechtigung« und die hauptamtlichen Spitzel von Zoll und Arbeitsamt beim Verdacht auf Schwarzarbeit tauchen im Buch nicht auf.
Wenn eingangs erwähnt wird, wie anstrengend die Recherche war, gerade in Bezug auf das Menschenbild: »Das Ausmaß der zu Tage tretenden Niederträchtigkeit, Berechnung und Unverschämtheit hat in manchen Momenten unser eher positives Menschenbild schwer angekratzt«, so fällt doch auf, dass brisante Spitzelfälle wie die Rolle des Klaus Steinmetz bei dem Mord in Bad Kleinen, fehlen. Diese Liste ist lang: Werner Hoppe, Klaus Croissant, Till Meyer usw.. War »quellenmäßig« nicht mehr drin oder wollte man unbequemen Geschichten aus dem Weg gehen? Ein Nachwort hätte Aufklärung schaffen können – es gibt aber keins.
Spitzel, die in letzter Zeit auf linke politische Gruppen angesetzt waren, fielen durch praktischen Aktivismus auf, nicht ausgeprägte politische Meinungen. Sie sind zu vielen Aktionen gereist und machten gerne Dinge, die unbeliebt waren. Also ran an die abendlichen Verschwörungsgespräche!
Trotz mancher Kritik und offensichtlicher Mängel ist das Buch lange Zeit kurzweilig und lesbar, im Vorwort steht so schön: »für Zuschauer und Öffentlichkeit ist ein (aufgedeckter) Spitzelfall ein Leckerbissen der Unterhaltung…«
rehagel
Die Überschrift bezieht sich auf eine Aussage von Markus Mohr auf einer Veranstaltung zum Buch, wo er über die Motive von Spitzeln räsonnierte; sinngemäß: es gibt viele Motive, aber eins zieht sich wie ein roter Faden durch: Machtphantasien; Selbstermächtigung, der Spitzel, ein anderer Popdiskurs?
aus: Wildcat 72, Januar 2005