Wildcat Nr. 72, Januar 2005, S. 50 [w72_venezuela.htm]
Venezuela:
Welcome to our Revolution
Kollektiv p.i.s.o. 16
Venezuela. Welcome to our Revolution
Innenansichten des bolivarianischen Prozesses
November 2004
Verlag Gegen den Strom
ISBN: 3-9809970-1-4
168 Seiten, 10 EuroBestellen kann man hier: www.linkesbuch.de
»Bereits der Versuch, die sogenannte ’bolivarianische Revolution‘ in Kategorien zu fassen, die kompatibel zu linken Diskursen in Deutschland sind, ist schwierig: Befindet sich Venezuela bereits in einem revolutionären Transformationsprozess? Oder lässt sich die politische Realität besser als Situation beschreiben, in der sich die innergesellschaftlichen Widersprüche stetig verschärfen und in naher Zukunft zu einer weitergehenden Umwälzung führen werden? Oder sind beide Prozesse, der der Transformation wie der Zuspitzung gleichzeitig vorzufinden, je nach gesellschaftlichem Bereich? Und welche Bereiche sind diesen Prozessen unterworfen – und welche (bislang) nicht? Oder gibt es Anzeichen dafür, dass sich der bolivarianische Prozess letztendlich auf einige Sozialreformen beschränken wird und weitergehende Ansätze keine Möglichkeit zur Durchsetzung haben?«
Dieses Zitat stammt aus der Einleitung von Venezuela. Welcome to our Revolution. Innenansichten des bolivarianischen Prozesses das soeben vom Kollektiv p.i.s.o. 16 herausgegeben wurde. Das Kollektiv war im September 2004 in Venezuela, um Gespräche mit »Protagonistinnen und Protagonisten des ’revolutionären Prozesses‘« zu führen. Weiter heißt es: »Dabei galt unser Schwerpunkt den Prozessen der sozialen Selbstorganisierung – folglich waren rund die Hälfte der Interviewten Aktivistinnen und Aktivisten aus Basisorganisationen, alternativen Medien, sozialen Netzwerken, Gewerkschaften und bäuerlichen Organisationen«. Aufgrund dieser Schwerpunktsetzung und der zeitlichen Beschränkung (der Reise) seien wichtige Aspekte zu kurz gekommen (z.B. die Wirtschaftskonzepte der Regierung, die Rolle des Militärs und des Präsidenten, sowie die Positionen linker Frauenorganisationen und indigener bzw. afro-venezulanischer Bevölkerungsgruppen).
Ich würde ein weiteres Manko hinzufügen: Obwohl nach politischen Konzepten der Basis gesucht wurde, bleibt das Buch meist bei den Positionen der politischen Repräsentanten dieser Basis stecken. Besonders augenfällig ist das im Kapitel »Kapital & Arbeit«, in dem neben Vertretern des neuen Managements von PDVSA (staatlicher Ölkonzern) nur Gewerkschaftsfunktionäre zu Wort kommen. So erfahren wir einiges über die Konzepte von oben und die Widersprüche in den Gewerkschaften, aber wenig über die alltäglichen Realitäten und die Auseinandersetzungen in den Betrieben.
Trotz dieser Beschränkungen bietet das Buch eine Fülle von interessanten Materialien für die Beschäftigung mit der venezolanischen Situation. Die Gesprächspartner stellen ihre Unterschiedlichkeit bezüglich der Konzepte offen dar, es wird nicht mit Kritik gespart, und so erfahren wir einiges über die Konfliktlinien innerhalb der »bolivarianischen Bewegung«. Die Gespräche sind in die Kapitel »Barrios & Basis«, »Misiones & Soziales«, »Land & Freiheit«, »Medien & Kommunikation«, »Netzwerke & Organisierung«, »Kritik & Konzepte« und das schon erwähnte »Arbeit & Kapital« eingeteilt. In jedes Kapitel wird extra eingeführt, und sie werden zum Teil durch Artikel und Dokumentationen ergänzt. Schließlich gibt es noch ein kleines Glossar und eine Bibliographie mit weiteren Materialien zum Thema. Alles das macht das Buch sowohl zu einem nützlichen Nachschlagewerk als auch zu einer brauchbaren Einführung in das Thema Venezuela.
Wer sich allerdings eine Antwort auf die eingangs gestellte Frage und damit eine Bewertung des Prozesses erwartet, wird enttäuscht werden. Es handelt sich eher um Futter für die gerade beginnende Diskussion. »Wir hoffen … dass diese Lektüre andere dazu motiviert, sich umfassender mit dem Prozess der Veränderung in Venezuela auseinander zu setzen.« (Editorial)
aus: Wildcat 72, Januar 2005