Wildcat Nr. 74, Sommer 2005, S. 69–69 [w74_super80.htm]



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Billige Filmchen aus subversiven Zeiten

berlin super 80

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Beim Jobben als Taxifahrer hatten sich die Berliner Super 8 Filmer kennen gelernt, die dann als »Notorische Reflexe« mit dem biederen Schmalfilmformat subversive Attacken auf die herrschende Kultur starteten. Vorausgegangen war eine Schülerfilmszene, die sich Vatis Kamera aus dem Schrank holte, um damit Klamauk zu veranstalten. Und in den späten 70ern wurde Super 8 zum Medium einer »Gegenöffentlichkeit« hauptsächlich für die Ökobewegung mit Filmen über die Robbenjagd und den Widerstand gegen AKWs. So entstand auch der politisch motivierte Super 8-Filmverleih »Gegenlicht«. Aber erst als der Punk-Virus mit Verspätung das europäische Festland erreichte und eine Welle von Hausbesetzungen und militanten Demos über das Land schwappte, explodierten die Ausdrucksformen des Filmformats. Es gab eine große Aufbruchstimmung, alle Regeln des Umgangs mit Tönen und Bildern wurden zertrümmert. Es gab Tabubrüche und Majestätsbeleidigung, es gab kein MUSS mehr und jeder dadaistische Unsinn war erlaubt, ob falsche Belichtung oder Unschärfe. Angriffe auf die Filmemulsion als Unterhaltung und Krach als Musik. Überall in Deutschland schossen Super 8-Filmfeste wie Pilze aus dem Boden. Merkwürdiges, Ungenießbares, Belangloses und Unbeschreibliches entstand in dieser Zeit. Berlin war die unbestrittene Hauptstadt dieser Szene. Auftritte der »Notorischen Reflexe« waren von einer gewalttätig bedrohlichen Atmosphäre. Sie filmten aus den Riots beim Besuch des US-Präsidenten in der Mauerstadt, lärmten mit Musikinstrumenten hinter der Leinwand, zerschlitzten den projizierten Ronald Reagan, und als Bullenwagen umgekippt und angezündet wurden, zündeten sie die Leinwand an.

Die wilde Aufbruchstimmung war nach kurzer Zeit vorbei. Die etablierten Filmfeste haben das ungeliebte Amateurmedium Super 8 anerkannt und integriert. Es ist längst im Mainstream angekommen und wird von Daimler Benz bis Madonna in ihren Werbeclips benutzt. Die Rebellen von gestern trinken nun Sekt in den Foyers und fühlen sich als Künstler. 1986 fügte die Kieler Filmgruppe Chaos als Kommentar an diese Entwicklung an ihren Film »Tanzmaschinen« noch eine »Berlin-Version«: In diesen Film wurden Bilder der Helden der Szene (von Genesis P. Orridge bis William S. Burroughs) eingefügt, er wurde im hippen Schwarzweiß kopiert und mit einem Soundtrack aus Rumgehämmer auf Stahlschrott versehen. Der Stillstand, die selbstgefällige Attitüde, das ewige sich selbst Zitieren ist nicht nur im Rückblick öde, es nervte schon damals. Als sich die New Wave Ästhetik daraus entwickelt hatte, war das Leben raus.

Leider spiegelt diese hochgelobte DVD-CD-Compilation genau das: die selbst-referenzielle New Wave-Ästhetik, bei der die Musik- und Klamottenindustrie noch heute Anleihen machen. Im Zeichen der kulturellen Retrowellen sahen wohl einige Protagonisten von gestern die Chance, aus ihren Filmen, die seinerzeit nie Geld brachten, heute noch ein paar Euro zu schlagen. Knut Hoffmeister, ein spannender Vertreter der Zeit (auch Teil der »Notorischen Reflexe«), fehlt völlig in dieser Compilation. Er hat geerbt und wohl keine ökonomischen Probleme mehr, während diejenigen, die sich im Kulturbusiness durchzuschlagen versuchen (die Tödliche Doris bietet ihre Filme Museen zum Kauf an, und Jörg Buttgereit hat gerade ein Ramones-Musical inszeniert), sich auf dieser Zusammenstellung finden.

Einen besseren Einblick in die brodelnde musikalische Subkultur der Zeit als in BERLIN SUPER 80, findet man in der Super 8-Dokumentation »So war das SO 36« von Manfred O. Jelinski (als 8mm-Kopie im Verleih beim Werkstattkino München und als VHS-Kaufkassette bei Manfred Jelinski /Transvision erhältlich). Neben den Neubauten kommen darin eine Menge anderer Leute vor, die später bekannt wurden (z.B. Die Ärzte), und die meisten Sachen waren grottenschlecht. Gerade die Berühmtheiten hinterließen am wenigsten Eindruck. Genau das ist das Bestechende an dem Film. Es schien jede/r auf die Bühne zu dürfen, sie/er musste nur irgendwie anders, komisch oder lustig sein – oder nichts von dem. Ständiger Bierdosenhagel, das Publikum vielleicht wichtiger als das Geschehen auf der Bühne. So eine Stimmung läßt sich nicht einfach wiederholen.



aus: Wildcat 74, Sommer 2005



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