Wildcat Nr. 75, Winter 2005/2006, S. 4–5 [w75_fbstreik.htm]



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Viererkette: wenig gelaufen – viel erreicht?

Zu den Streiks an den vier Unikliniken in Baden-Württemberg

 

Lange hat es keinen Streik im Krankenhaus mehr gegeben. Nun wurden im Oktober die vier Unikliniken in Baden-Württemberg bestreikt (die sechs Unikliniken in NRW wollen im Januar als »sixpack« streiken). Und nicht nur die Gewerkschaft ver.di, sondern auch viele linke KommentatorInnen begeisterten sich sowohl über den Verlauf als auch über das Ergebnis. Dann war ich wohl in einem anderen Film: Ich habe mitgestreikt, und die Stimmung meiner KollegInnen nach dem Streik ist eine ganz andere – zumindest an der Freiburger Uniklinik, von der ich hier hauptsächlich berichten kann. Der Verlauf des Streiks war nicht toll: Es wurde sehr wenig diskutiert, noch weniger ausprobiert, und so gut wie gar nicht eigene Kampferfahrung gesammelt. Weder in seinem Verlauf noch in seinem Ergebnis schiebt dieser Streik – wie von vielen behauptet – endlich mal wieder den Angriffen auf die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern einen Riegel vor. Nach zwei Streikwochen wurden im wesentlichen die Regelungen des neuen Tarifvertrags TVÖD (Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes) übernommen, der seit Oktober 2005 den BAT des Öffentlichen Dienstes ersetzt – und ganz ohne Streiks und Mobilisierungen »ausverhandelt« worden war. Reallohnverluste, der Einstieg in leistungsbezogene Löhne und die Flexibiliserung der Arbeitszeit, sowie die zukünftige Schlechterstellung von ArbeiterInnen mit Kindern und die neue Niedriglohnstufe werden auch innerhalb der Gewerkschaft kritisiert. Wieso wird dann der Tarifabschluss an den Unikliniken als wichtiger Erfolg einer »endlich wieder kämpferisch auftretenden« Gewerkschaft gesehen?

… kurze Vorgeschichte

Als positiv kann der neue Tarifvertrag vorweisen, dass für viele ArbeiterInnen die Arbeitszeit spürbar verringert wird: Seit Mitte 2004 arbeiten an den Unikliniken Neueingestellte und Leute, deren befristeter Vertrag seither verlängert wurde, 41 Wochenstunden – bei gestrichenem Urlaubs- und reduziertem Weihnachtsgeld. Im Pflegebereich an der Uniklinik Freiburg waren das bereits mehr als 20 Prozent.

Gegen diese Spaltung hat es seit dem Frühjahr 2004 keine Aktionen, Mobilisierungen oder gar Streiks gegeben. Zu erklären ist das zum einen mit der Linie der ver.di Führung: Schon während der Tarifrunde 2002/3 war in einer »Prozessvereinbarung« mit den Arbeitgebern der Fahrplan für 2004/05 festgelegt worden: der Abschluss des schon erwähnten neuen TVÖD.

Genauso wichtig ist allerdings, dass diese Spaltung unter den Beschäftigten selber auf wenig mehr als Achselzucken gestoßen ist. Viele Neueingestellte kommen aus Kliniken, in denen die Bedingungen schon lange schlechter sind, und sind geprägt von der Erfahrung, dass sich »wenig dagegen machen lässt«, dass alles immer schlechter wird. Ihnen steht besonders in den Groß- und Uniklinken eine ältere Belegschaft gegenüber, die von der Bewegung Ende der 80er Jahre geprägt ist und deren »Ergebnisse« viele zur Reduzierung der Arbeitszeit genutzt haben. Diese »Alten« bunkern sich ein und waren froh, dass bisher größere Angriffe an ihnen vorüber gegangen sind.

Streikende Docs

Gestreikt haben zuvor auch in Freiburg die Ärzte, aktuell an der Berliner Charite und wahrscheinlich demnächst auch in anderen Krankenhäusern. 30 Prozent werden gefordert, sie können Stellung und »Marktmacht« scheinbar nutzen, da z.B. um die 50 Prozent der Medizinstudis aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen nicht mehr in die Kliniken wollen, sondern zur Forschung und Lehre, und als praktische Docs in andere Länder. Diese 30 Prozent für »alle anderen« in den Kliniken als Forderung zu übernehmen, klingt zwar gut, wäre aber allenfalls wortradikal. In den Kliniken wird das nicht mal diskutiert, was viel damit zu tun hat, dass aus den Erfahrungen der Arbeitsorganisation, aus der hierarchischen Struktur der Kliniken, bzw. der Medizin überhaupt, ein »Zusammenkommen« mit den Ärzten nicht mal angesprochen wird. Diese Diskussion findet fast nur auf der Ebene der Funktionäre statt, sei es bei ver.di oder dem Marburger Bund. Diskutiert werden die »30 Prozent« allerdings von den Reinigungskräften – angesichts der weiteren Absenkung ihrer Löhne.

Zum Streikverlauf

In den Verhandlungen im Sommer 2005 spiegelte sich diese Grundstimmung wider. Glücklicherweise provozierten die Arbeitgeber mit einigen wirklich dummen Sprüchen, denn so wurden die Verhandlungen Anfang September für gescheitert erklärt und ab dem 5.10. gestreikt (seit dem 1.10. war der neue TVÖD in Kraft). Streikauftakt war eine zweistündige Kundgebung mit 500-700 Leuten (bei 8000 Beschäftigten). In den zwei Tagen nach der Kundgebung war vom Streik insgesamt wenig zu spüren. Donnerstag und Freitag wurde nur im Operationsbetrieb gestreikt - um den Arbeitgeber finanziell zu treffen. Für das Wochenende und die ersten zwei Tage der kommenden Woche wurden die Streiks ausgesetzt, »um die Wirkung zu prüfen«. Gewerkschaft und Arbeitgeber nannten Millionenbeträge durch ausgefallene Operationen. Nachfragen ergaben, dass viel »vor- und nachoperiert« wurde.

Die zweite Streikwoche begann in Freiburg am Mittwoch wieder mit einer Kundgebung bzw. mit einer Demo von ca. 800 Leuten zu außerhalb gelegenen Teilkliniken. Auf der Demo gingen die ersten Gerüchte rum, die Arbeitgeber hätten ein Angebot gemacht. Donnerstag und Freitag wurde in Freiburg in zwei Teilkliniken und im technischen Betrieb gestreikt. Besuche in diesen »Streikbereichen« waren ernüchternd: wenig Streikstimmung, wenig Diskussionen, die aktiv Streikenden waren nach einer kurzen Kundgebung nach Hause geschickt worden, bzw. auch gegangen.

Für das Wochenende vom 15./16.10. wurden Verhandlungen angekündigt, die am 16.10 auch abgeschlossen wurden.

Das Streikergebnis

Kern ist die Neuregelung der Arbeitszeit und eine neue Entgelttabelle: Bis zum 40. Lebensjahr sollen künftig 39 Wochenstunden gearbeitet werden, bis 55 so wie bisher 38,5 Wochenstunden, ab 56 bis zur Rente 38 Wochenstunden. Über noch nicht näher bestimmte Arbeitszeitkonten wird es einen Einstieg in die von den Arbeitgebern geforderte Flexibiliserung der Arbeitszeit geben.

Die Einzelheiten der neuen Entgelttabelle sollen im nächsten Jahr verhandelt werden. Für die bereits Beschäftigten soll es einen dauerhaften Bestandsschutz geben. Neueingestellte werden zunächst mehr verdienen – später aber unter den heutigen Gehältern liegen. ArbeiterInnen mit Kindern werden deutlich weniger verdienen. Außerdem hat ver.di zwar einen Mindestlohn von 1500 Euro in den Tarifvertrag hineingeschrieben, aber selber eine erste Ausnahme vorgeschlagen: eine deutlich abgesenkte Niedriglohngruppe für den »Servicebereich« - damit wolle man eine weitere Privatisierung verhindern. Und statt einer Lohnerhöhung wird es in den nächsten drei Jahren jeweils Einmalzahlungen geben. Weihnachts- und Urlaubsgeld werden auf einem etwas niedrigeren Niveau als einmalige Jahressonderzahlung zusammengelegt.

»Servicebereiche«

Direkt nach Vertragsabschluss wurde den Leuten aus dem hauswirtschaftlichen Bereichen der Lohn gekürzt, und mit einer neuen Arbeitsorganisation die Arbeit verdichtet (mehr Putzfläche). Auf einer Besprechung der Reinigungsfrauen hat eine der Frauen deutliche Worte gefunden: dann eben Privatisierung und unter den neuen Bedingungen schauen, was zu machen ist – statt noch länger mit der Privatisierungsdrohung unter Druck gesetzt, ruhig gehalten und gedemütigt zu werden.

Was bleibt

Die Schlechterstellung eines Teils der KollegInnen hat dazu geführt, dass »Verschlechterungen verhindern« zum Grundtenor des Streiks wurde. Es gab keinen aktiven Kern, der versucht hätte, darüber hinauszugehen, der ausgelotet hätte, was im Fahrwasser eines angeordneten Streiks möglich ist. Die »41-Wochenstündler« sind natürlich froh, dass sie weniger arbeiten müssen, und wissen gleichzeitig, dass sie dazu wenig beigetragen haben – gestreikt wurde in den Bereichen mit dem höchsten Organisierungsgrad, die gleichzeitig die Bereiche mit wenig »41-Wochenstündlern« sind. Umgekehrt ist für diese »Aktiven« nix rausgekommen, nicht einmal eine Lohnerhöhung. Die unter 40jährigen müssen sogar eine halbe Stunde länger arbeiten. Die größte Verunsicherung besteht bei den ArbeiterInnen im Reinigungsbereich und der Küche – der neue Haustarifvertrag wird ausgerechnet ihre Löhne deutlich absenken und die Arbeit weiter verdichten.

Die Gewerkschaft hat in diesem Streik niemanden von irgendwas abgehalten. Die Taktik der »Schwerpunktstreiks«, die Beschränkung des Streiks auf ausgesuchte Bereiche, ist nicht nur gewerkschaftlichem Co-Management geschuldet, sondern der Unsicherheit über die Mobilisierungsmöglichkeiten. Was viel damit zu tun hat, dass die Gewerkschaft im alltäglichen Kleinkrieg um Überstundenanordnungen und eine neue Hierarchie, die eine weitere Standardisierung der Arbeit und Kontrollmechanismen wie das sogenannte Qualitätsmanagement durchsetzt, entweder nicht anwesend ist oder diese Maßnahmen im Sinne einer »Verbesserung der Profitabilität« mitträgt. Die Parole von der »Viererkette« deutet nur scheinbar auf eine neue Strategie der Gewerkschaft hin: vor dem Hintergrund des Privatisierungsdrucks auf die Krankenhäuser, dem weiterem Mitgliederschwund und innergewerkschaftlicher Kritik soll zumindest in einzelnen Kliniken »Streikfähigkeit« demonstriert werden, um sich nach »innen« (den Beschäftigten gegenüber) und nach »außen« (den Arbeitgebern gegenüber) zu legitimieren, was nach »innen« durchaus schwerer ist. Daher auch die innergewerkschaftliche Kritik an der »Tarifpolitik von oben« und dem »Mitregieren« im Co-Management, im Unterschied zum klassischen organizing an der Basis. Anknüpfen kann diese Kritik am Unmut unter den ArbeiterInnen über das Fehlen jeglicher Diskussion über mögliche Streiktaktiken, dem strikt von oben vorgegebenen Plan.

Bezeichnenderweise war der Streikablauf in der nach Gewerkschaftsangaben am besten organisierten (und größten) Klinik, der Freiburger Uniklinik, am zahmsten, die Kundgebungen und Demos insgesamt kleiner. In den anderen drei Kliniken scheint aufgrund des geringeren gewerkschaftlichen Organisierungsgrads die Notwendigkeit von tatsächlichen Mobilisierungen höher gewesen zu sein.

Wie geht‘s weiter?

Insgesamt sind Streik und Streikergebnis Ausdruck unserer Schwäche nach jahrelangem Umstrukturierungsdruck. Schon seit den 80er Jahren sind Teile der Krankenhäuser (vor allem Reinigungsdienste und Wäschereien) privatisiert worden, seit Beginn der 90er Jahre betrifft die Privatisierung (oder auch die Schließung) kleinere und mittlere Krankenhäuser, und in den letzten Jahren geraten auch die Groß- und Universitätskliniken unter Druck. Parallel zu dieser Entwicklung wurde ein ambulanter Sektor aufgebaut, in dem die Arbeitsbedingungen insgesamt schlechter sind.

Die »neue Streiklust« der Gewerkschaft wird keine breiten Mobilisierungsversuche bedeuten, sondern sich an den Spaltungen langhangeln, die sich in den letzten Jahren ausgebreitet haben: Landeskliniken, kommunale Kliniken, privatisierte Klinken…

Diese Zersplitterung lässt sich nur aufknacken, wenn der gemeinsame Kern der Entwicklungen der letzten Jahre angegangen wird: die Arbeitsverdichtung mittels Stellenabbau und gestiegenem Patientendurchlauf bei immer kürzeren Liegezeiten; die neuen Kontrollmechanismen, die von einer erneuerten Hierarchie durchgesetzt werden. Dafür wird es ein Netz von Aktiven brauchen, die was ausprobieren. Zum Beispiel eine Quasi-«Aneignung« der Einrichtungen: Wenn eine bestimmte Versorgung/Pflege gebraucht wird, dann soll das laufen, die Einrichtungen werden zur Verfügung gestellt, aber jede Abrechnung boykottiert. Aber das setzt Strukturen und Diskussionen voraus. Vielleicht noch das Beste an diesem Streik: Gerade weil viel nicht passiert ist, sind Diskussionen aufgebrochen.



aus: Wildcat 75, Winter 2005/2006



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