Wildcat Nr. 75, Winter 2005/2006, S. 6–8 [w75_ggstreik.htm]
Kampf gegen die alltägliche Prekarisierung
Gate Gourmet: Streik am Flughafen Düsseldorf
Seit dem 7. Oktober streiken die ArbeiterInnen der Cateringfirma Gate Gourmet am Düsseldorfer Flughafen gegen die weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, gegen Arbeitshetze und für mehr Lohn. Ein Ende des Konflikts ist nicht abzusehen. Der Konzern zeigt demonstrativ Härte und investiert große Summen in Streikbrecherarbeit und private Wachdienste.
Im August führte ein beeindruckender Solidaritätstreik auf dem Londoner Flughafen Heathrow zu tagelangen Turbulenzen im internationalen Luftverkehr. Gate Gourmet geriet damit weltweit in die Schlagzeilen. Die Londoner ArbeiterInnen dieser Firma hatten eine Versammlung abgehalten, um über ihr Vorgehen gegen neue Zumutungen von Gate Gourmet zu beraten. Dabei wurden sie von der Firma eingesperrt und ultimativ aufgefordert, die neuen Bedingungen zu unterschreiben. Als sie sich weigerten, wurde die gesamte Schicht entlassen. Am folgenden Tag legte das Bodenpersonal von British Airways aus Solidarität die Arbeit nieder und erzeugte damit einen Druck, den die Catering- arbeiterInnen alleine nicht hätten aufbauen können.
Gate Gourmet mit »150 Betrieben in fünf Kontinenten mit 26 000 Beschäftigten« (laut Selbstdarstellung) scheint momentan an vielen Orten einen ähnlichen Angriff gegen die ArbeiterInnen zu fahren und liegt damit voll im Trend: Lohnsenkung, Arbeitszeitverlängerung, verschärfter Arbeitsdruck. Ganz allmählich regt sich in manchen Betrieben Widerstand gegen diese modernen Zeiten. Aber noch finden Streiks in diesem Land sehr vereinzelt und viel zu selten statt. Von den Deutschland-Filialen von Gate Gourmet haben bisher nur die KollegInnen in Düsseldorf den Kampf aufgenommen.
»Es hat einfach gereicht!«
Konkreter Anlass für den Streik waren neue Zumutungen des Unternehmers. Seit Gate Gourmet vor drei Jahren den Betrieb übernahm, gab es keine Lohnerhöhung mehr. Im Gegenteil: In den letzten zwei Jahren haben die ArbeiterInnen auf die Hälfte ihres Weihnachtsgeldes verzichtet. Jetzt sollen weitere Verschlechterungen durchgesetzt werden: Verlängerung der Wochenarbeitszeit von 38,5 auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich, Kürzung des Jahresurlaubs um fünf auf 25 Tage, noch flexiblere Arbeitszeiten und eine Absenkung der Zuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit. Im Gegenzug fordert die Gewerkschaft NGG eine Lohnerhöhung um 4,5 Prozent.
In Gesprächen machen die Streikenden klar, dass es ihnen nicht nur um die paar Prozent mehr Lohn geht, sondern um ihre gesamte Situation. Auf einem Transparent vor dem Streikzelt steht nur ein einziges Wort: Menschenwürde. Gate Gourmet hat in den letzten Jahren die Arbeitshetze enorm verschärft. An den Bändern, an denen täglich 10-15 000 Essenstabletts »bestückt« werden, gibt es keinerlei Verschnaufpause mehr. Die Fahrer der LKWs, mit denen die Bordverpflegung zum Flugzeug gebracht wird, haben bei einer Untersuchung ihrer eigenen Arbeitsbedingungen festgestellt, dass sie in einer Schicht 15-20 Kilometer laufen und zehn Tonnen per Hand bewegen. Die Arbeit, die sie früher zu zweit gemacht haben, muss heute ein Fahrer alleine bewältigen. Von den 90 Fahrern der alten Firma LTC sind nach der Übernahme nur 36 übriggeblieben. Seither gab es keine Neueinstellung mehr. Wegen der viel zu knappen Personaldecke müssen im Sommer oftmals Zehn-Stunden-Schichten gearbeitet werden, denen der Betriebsrat bisher zugestimmt hat. Die meisten haben 50-70 Plusstunden auf dem Arbeitszeitkonto. Die Arbeitshetze wird mit alltäglichen Schikanen durchgesetzt: wegen Kleinigkeiten gibt es Abmahnungen oder es wird mit fristloser Entlassung gedroht, und wer krankgeschrieben ist, wird zuhause mit Anrufen belästigt.
Die meisten ArbeiterInnen sind schon lange im Betrieb, einige seit 16 Jahren. Sie sind nicht mehr bereit, weitere Verschlechterungen hinzunehmen. Was nützt eine Festanstellung, wenn die Bedingungen unerträglich werden? Wenn sie in diesem Streik verlieren, werden sie sich danach bei der Arbeit alles gefallen lassen müssen. Das ist den ArbeiterInnen klar, und sie sind entschlossen durchzuhalten – auch wenn sich der Lohnverlust durch einen langen Streik für die paar Prozent Lohnerhöhung für sie nicht rechnet.
Streikbruch aus Frankfurt und durch Leiharbeit
Auch für Gate Gourmet »rechnet« sich der Konflikt nicht. Die bisherigen Mehrkosten für Streikbrucharbeit und Sicherheitsmaßnahmen dürften bereits weit über dem liegen, was ein Eingehen auf die moderate Lohnforderung kosten würde. Aber es geht um die Grundsatzfrage, wieweit die Firma die Bedingungen diktieren kann. Eine Niederlage der ArbeiterInnen in Düsseldorf würde dem Konzern an allen Standorten die Abpressung von mehr Arbeit erleichtern. Deshalb lässt er sich auf keine Verhandlungen ein und reagiert auch nicht auf die Vermittlungsbemühungen eines Landesschlichters. Trotz des Streiks trat der Chef der Düsseldorfer Filiale demonstrativ seinen dreiwöchigen Urlaub an. Bisher können sie nach außen den Eindruck vermitteln, dass alles reibungslos abläuft.
Gate Gourmet kann den Streik in Düsseldorf aus mehreren Gründen scheinbar gelassen wegstecken. Zum einen ist die Düsseldorfer Belegschaft im Rahmen der bürokratischen Gewerkschaftsstrukturen isoliert – und auch die Öffentlichkeit zeigt wenig Interesse an so etwas wie Arbeiterkampf. Zum anderen kann das Unternehmen auf massiven Streikbruch zurückgreifen, und es hat dabei die Rückendeckung von der Flughafengesellschaft und den Airlines (die an der Verschlechterung der Bedingungen mit profitieren).
Von den 120 Beschäftigten beteiligen sich mehr als 80 aktiv am Streik. Unter den Streikbrechern aus dem Düsseldorfer Betrieb sind allerdings mehrere Betriebsräte! Ansonsten kommen die StreikbrecherInnen vor allem aus anderen Gate Gourmet Standorten (Frankfurt, München, Stockholm…) und von den Leiharbeitsfirmen G&A aus Duisburg und Tertia aus Krefeld. Aus den Frankfurter Gate Gourmet Betrieben wird außerdem vorgefertigte Bordverpflegung nach Düsseldorf geliefert.
Die Streikenden haben immer wieder versucht, mit den StreikbrecherInnen zu reden. Die gehen aber lieber durch einen Nebeneingang, um den Diskussionen am Tor auszuweichen. Auch ein Flugblatt in deutscher und türkischer Sprache, das die LeiharbeiterInnen über ihr Recht aufklärte, bei Streikbrucheinsätzen die Arbeit zu verweigern, hatte keine Wirkung. Als eine Delegation von 25 Streikenden nach Frankfurt fuhr, um mit den dortigen KollegInnen zu reden, standen sie vor verschlossenen Türen.
Isoliert im Vertretungsdschungel
In den bürokratischen Gewerkschaftsstrukturen ist selbst die Solidarität zwischen verschiedenen Betrieben des Konzerns kaum zu organisieren. Die Düsseldorfer KollegInnen sind bei der NGG organisiert, die meisten anderen bei ver.di – eine Koordination findet offensichtlich nicht statt. Formal gibt es zwei Gate-Gourmet-Firmen: die Gate Gourmet Deutschland, zu der die meisten Betriebe gehören, ist aus dem Bankrott von Swissair entstanden und wird von ver.di vertreten. Auch hier besteht schon seit gut zwei Jahren ein tarifloser Zustand, und in den Verhandlungen verlangt Gate Gourmet ähnliche Verschlechterungen wie jetzt in Düsseldorf. Aber ver.di hat die Verhandlungen bisher nicht als gescheitert erklärt, also »muss« hier trotz des Streiks in Düsseldorf weitergearbeitet werden. Solidaritätserklärungen aus diesen Betrieben und der Versuch einiger Betriebsräte, über die Mitbestimmungsrechte die Versendung von Kollegen als Streikbrecher zu unterbinden, sind nette Gesten, aber keine wirkliche Unterstützung des Streiks in Düsseldorf. Zur Gate Gourmet West gehören die Betriebe in Düsseldorf, Köln und Frankfurt-Kelsterbach, die früher LTC hießen – eine Tochterfirma der LTU, die im Arbeitgeberverband der nordrhein-westfälischen Nahrungsmittelhersteller war, sodass hier die NGG aktiv ist. In Frankfurt-Kelsterbach gibt es überhaupt keine gewerkschaftliche Vertretung. Hier wurden die Beschäftigten bereits dazu gebracht, neue Arbeitsverträge mit schlechteren Bedingungen zu unterschreiben, was der Betriebsrat offensichtlich gebilligt hat.
In diesem Geflecht komplizierter Vertretungsstrukturen bleiben die Streikenden in Düsseldorf isoliert. Ein gemeinsamer Kampf der ArbeiterInnen aller Standorte kommt nicht zustande, und ein Solidaritätsstreik wie in London-Heathrow scheint in Düsseldorf in weiter Ferne zu liegen – obwohl die Streikenden von anderen ArbeiterInnen des Flughafens viel Zustimmung erfahren und in diesem internationalen Gewerbe Solidaritätsadressen aus aller Welt ankommen.
Ein Schritt weiter…
Die Streikenden sind eine multinationale Gemeinschaft, die in vielen Jahren gemeinsamer Arbeit einen guten Zusammenhalt entwickelt hat. Sie betonen aber, dass sie sich erst durch die gemeinsame Streikerfahrung wirklich kennengelernt haben. Statt hektischer Begegnungen bei der Arbeit verbringen sie jetzt viele Stunden im Streikzelt – Gelegenheit für Austausch und Spaß, aber auch für das tägliche Ärgernis, machtlos den Streikbrecherarbeiten zuzusehen, hinter den Gittern und Wachposten, die die Firma aufgestellt hat, um eventuelle Blockadeversuche zu erschweren.
Zweimal haben die Streikenden bereits versucht, die Tore zu blockieren, durch die die LKWs von Gate Gourmet aus dem Betrieb herauskommen, um zu den Flugzeugen auf dem Rollfeld zu fahren. Aber da Flughäfen einen speziellen Sicherheitsbereich darstellen, war die Polizei schnell zur Stelle und beendete die Aktion. Am nächsten Tag ermahnte auch die Gewerkschaft NGG die Streikenden:
»Auf ein Wort: Kurze Aufregung gab es gestern, als die Streikposten sehen, dass die LKWs wieder die vordere Laderampe nutzen. Das würde man zu gern verhindern! Aber Vorsicht: Aktionismus ist nicht immer hilfreich! Klar ist doch: Natürlich versucht die Geschäftsführung, die Streikenden zu provozieren. Aber darauf müssen wir doch nicht eingehen! Nutzen wir den Kontakt mit Streikbrechern, sie von unserer Sache zu überzeugen. Mit heißem Herz, aber einem kühlen Kopf! Dazu verteilen die Streikposten seit gestern Flugblätter mit dem Hinweis: ›Zeigen Sie Zivilcourage … Je eher Sie rauskommen, desto schneller sind wir wieder drin!‹« (Streikzeitung Nr. 18 vom 1.11.2005)
Bei einem weiteren Versuch dachten sie, sie könnten sich auf die Straßenverkehrsordnung stützen. Gleich vor dem Tor, auf der Straße in Richtung Rollfeld, gibt es einen Zebrastreifen. Also überquerten sie permanent an dieser Stelle die Straße und stoppten damit den Verkehr. Wieder war gleich die Polizei zur Stelle und klärte sie auf, dass die Benutzung des Zebrastreifens für maximal zwei Minuten zulässig sei …
Am 18.11. blockierten etwa 70 Streikende zusammen mit einigen wenigen UnterstützerInnen ab 11.30 Uhr die Einfahrt. Die fünf anwesenden Schläger der privaten Sicherheitsfirma meinten partout, sich den Streikenden prügelnd entgegenstellen zu müssen und heizten die Stimmung damit erst recht an. Über eine Stunde ging dann gar nichts mehr bei Gate Gourmet, und erst als die angerückte Polizei mit Festnahmen drohte, zogen sich die Frauen und Männer zögerlich zurück. Es war ein kleiner Achtungserfolg für sie, der ihren Elan beflügelte.
Da Gate Gourmet an fast allen großen Flughäfen in Deutschland und Westeuropa vertreten ist, bieten sich viele Möglichkeiten der Solidarität und Unterstützung. Am 6. November machten Aktivisten in Zürich mit einem Transparent und Flugblättern auf den Streik aufmerksam und stießen auf positive Reaktionen von den dort Arbeitenden, die sich mit einem ähnlichen Druck des Unternehmens konfrontiert sehen. Und am 18. November wurden am Hamburger Flughafen Flugblätter zum Streik verteilt. Die Bosse von Gate Gourmet irritiert diese standortübergreifende Solidarisierung sichtlich – in Zürich wollten sie unbedingt wissen, wie viele aus Deutschland bei der Aktion dabei wären. Dass Menschen betriebs- und länderübergreifend gegen die Ausbeutung kämpfen können, scheint diesen Herren unerklärlich – oder bedrohlich.
Zum Streik im August in London-Heathrow siehe die beiden interessanten Hintergrundartikel:
Keine Flüge von Terminal A – Die Hintergründe des Solidaritätsstreiks in London Heathrow, in: ak 499
Teuer streiken statt billig fliegen, Willi Kaufmann zum Streik auf dem Flughafen Heathrow, in: express 8/2005
Die NGG gibt fast täglich eine Streikzeitung heraus, in der über Neuigkeiten informiert und Streikende vorgestellt werden.
Die Adressen aller Standorte von Gate Gourmet weltweit: www.gategourmet.com
StreikbrecherInnen werden vor allem von der Gebäudereinigungsfirma G&A geschickt:
Goldberg und Avci GmbH, Rheintörchenstr. 126, Duisburg,sowie von der Firma Tertia aus Krefeld.
Nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz haben LeiharbeiterInnen das Recht, Streikbrucharbeiten zu verweigern: »Der Leiharbeitnehmer ist nicht verpflichtet, bei einem Entleiher tätig zu sein, soweit dieser durch einen Arbeitskampf unmittelbar betroffen ist. In den Fällen eines Arbeitskampfs nach Satz 1 hat der Verleiher den Leiharbeitnehmer auf das Recht, die Arbeitsleistung zu verweigern, hinzuweisen.« (§11 (5) AÜG)
Bericht über die Blockade am 18.11.2005: Indymedia.
Bei dpa las es sich so:
Streik eskaliert: Lebensmittelschlacht beim Flugzeug-Caterer
Düsseldorf (dpa/lnw) - Mit einer Lebensmittelschlacht hat der sechswöchige Streik bei der Flugzeug-Catering-Firma »Gate Gourmet« in Düsseldorf einen neuen Höhepunkt erreicht. Als ein Lastwagen der Firma am Donnerstag auf dem Flughafengelände auf eine Gruppe Streikender zufuhr, hätten die Arbeitskämpfer Speise-Eis und andere Lebensmittel geworfen, berichtete die Polizei. Menschen seien nicht verletzt worden. Der Fahrer konnte den unversehrten Lastwagen wenig später durch eine andere Ausfahrt vom Gelände steuern.
Es sei unerträglich, dass Menschenleben gefährdet würden, hieß es bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Ein Betroffener habe über Druckschmerzen in der Brust geklagt. »Gate Gourmet« wollte sich zu den Vorwürfen nicht äußern.
aus: Wildcat 75, Winter 2005/2006