Wildcat Nr. 76, Frühjahr 2006, S. 16–21 [w76_gategourmet.htm]
Gate Gourmet:
Vom Finanziellen her ist Arbeiten besser –
aber vom Arbeiten her: Streiken!
In der Wildcat 75 haben wir über den Streik beim Caterer Gate Gourmet am Düsseldorfer Flughafen berichtet. Er läuft inzwischen seit mehr als fünf Monaten. Gegenüber einem mächtigen Gegner demonstrieren achtzig Streikende eine enorme Hartnäckigkeit und Entschlossenheit. Einige von ihnen berichten über die Hintergründe – die Umstrukturierung durch McKinsey – und ihre Erfahrungen im Streik.
»Anna«, »Bella« und »Clara« arbeiten in der Produktion und heißen eigentlich anders. Das Interview fand am 23.2., dem 140. Streiktag statt. Halil ist drei Monate vor Streikbeginn BR-Vorsitzender geworden, Uwe ist in der Tarifkommission, beide sind Fahrer. Holger ist Supervisor im Transport. Die Zitate sind ihren Beiträgen auf öffentlichen Veranstaltungen im Februar und März entnommen.
Seit dem wilden Streik bei Opel-Bochum im Oktober 2004 werden die eingefahrenen Gleise der gewerkschaftlich regulierten Klassenauseinandersetzungen auch in Deutschland wieder in Frage gestellt. Mit Müh und Not konnte die IGM die Wut der AEG-ArbeiterInnen in Nürnberg in die Bahnen eines kontrollierten Streiks lenken. In Düsseldorf begrüßen die Streikenden die Aktionen von UnterstützerInnen, die mit Blockaden die Streikbrecherarbeit behindern – egal, ob das ihrer Gewerkschaft passt. Streikposten von ver.di wurden in Osnabrück von der Polizei angegriffen, als sie den Einsatz von 1€-JobberInnen als Streikbrecher verhindern wollten. An die Stelle der gewohnten Streikrituale, die keinem weh tun (sollen), treten reale Machtkämpfe und erste eigenständige Aktionen.
Als die NGG bei Gate Gourmet Düsseldorf im Oktober zur Urabstimmung rief, hätte sie nicht gedacht, dass daraus eine monatelange Auseinandersetzung würde.
Uwe: Wir sind alle so in den Streik gegangen: »der wird bestimmt nicht lange dauern, wir haben die Herbstferien vor uns, wir werden viele Flüge haben und genügend Druck aufbauen können, um den Arbeitgeber in die Knie zu zwingen.« Das war leider nicht der Fall. Das kam auch daher, dass die LTU – mit achtzig Prozent unser Hauptkunde – der Gate Gourmet viele Vorteile gegeben hat, die wir im normalen Alltag nie hatten: vorgezogene Beladungen, Reduzierung von Beladung usw. Dadurch konnten die den Flugbetrieb aufrechterhalten, und Gate Gourmet ihr Geschäft. Nach 14 Tagen war der Streik immer noch nicht beendet. Jetzt ging das Desaster los. Nach den Herbstferien fing die schwache Saison an, bis Weihnachten, wo noch mal ganz kurz eine höhere Abflugzahl ist. Wir haben auf Weihnachten gehofft. In dieser ganzen, langen Zeit hat der Arbeitgeber sich natürlich auch neu orientiert und umstrukturiert. Personal von anderen Stationen ist eingesetzt worden, um Streikbrecherarbeit zu leisten, und 75 bis 80 Leute sind von einer Fremdfirma eingestellt worden.
Die NGG hatte sich in zwei Richtungen geirrt: Sie hat einerseits den Gegner unterschätzt, die Texas Pacific Group, die Gate Gourmet 2002 aufgekauft hat. Die TPG ist eine sogenannte »Private-Equity«-Firma, die mit Kapital von »Privatleuten« Firmen aufkauft und umstrukturiert, um sie nach ein paar Jahren mit hohem Gewinn weiterzuverkaufen. Für sie zählen nicht einzelne Betriebe, sondern die Renditeerwartungen der internationalen Finanzmärkte. Das wurde spätestens am 6. Dezember klar, nach zwei Monaten Streik, als die Verhandlungskommission einen Kompromiss zu dem von Gate Gourmet geforderten Katalog von Einsparungen vorlegte. Vielleicht hätten die Streikenden dieses Ergebnis sogar zähneknirschend akzeptiert. Aber sie kamen gar nicht dazu, darüber abzustimmen.
Holger: Der Verhandlungsführer der Gate Gourmet hat gesagt, dass dieser Kompromiss die Standortsicherung und gleichzeitig die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens sichern würde. Der Kompromiss bedeutete eine weitere Einsparung von 3,4 Prozent. Niemand konnte ahnen, dass am 7. Dezember, einen Tag später, die Konzernzentrale ihren eigenen Verhandlungsführer und den Landesschlichter bloßstellt und sagt:»Mir reicht das jetzt nicht mehr.« Daran sieht man: Es geht hier nicht mehr um eine Standortsicherung, es geht auch nicht mehr darum, konkurrenzfähig zu bleiben, es geht nur darum, die Marge der Texas Pacific zu erfüllen. Es geht um zehn Prozent Einsparung bei den Personalkosten.
»… dass einen die Gewerkschaft in den rechtlichen Bahnen hält.«
Die NGG hat aber nicht nur die TPG, sondern auch die Streikenden unterschätzt. Ende Januar machte die NGG massiv Druck auf die ArbeiterInnen in der Tarifkommission, ein noch schlechteres Ergebnis zu akzeptieren, und Anfang Februar gab es Gerüchte, die NGG wolle den Streik gegebenenfalls auch ohne neuen Tarifvertrag beenden. Dies löste bei den Streikenden erheblichen Unmut aus, sodass der Landessekretär schließlich in einer Sitzung versicherte, dass die NGG den Streik auf keinen Fall gegen ihren Willen beenden würde (was sie rechtlich könnte, denn die Entscheidung über Beginn und Ende eines Streiks liegt beim Hauptvorstand; Urabstimmungen sind dafür nicht erforderlich).
Die Streikenden sind auf die Gewerkschaft angewiesen. Gerade in einem so langen Streik ist das Streikgeld existenziell und funktioniert als wichtiges Machtmittel. »Jetzt ist die NGG unser Arbeitgeber«, sagen viele, wenn sie sich die Streikposten-Schichten vom Gewerkschaftssekretär abzeichnen lassen. Aber sie haben auch erhebliche Eigenaktivität entwickelt, teilweise gegen den Willen der Gewerkschaft. Da sie den Eindruck hatten, dass die NGG ihren Streik zu wenig in die Öffentlichkeit bringt, haben sie selbst Kontakte zur Presse aufgebaut. Gemeinsam mit den UnterstützerInnen haben sie im Februar Kolleginnen von Gate Gourmet in London-Heathrow eingeladen, die dort seit dem Streik im August für ihre Wiedereinstellung kämpfen (siehe Kasten), und sind zu einer Kundgebung zum größten Gate-Gourmet-Standort in Deutschland, nach Frankfurt-Zeppelinheim, gefahren.
Halil: Ich habe seit drei Jahren mit dem Betriebsratsvorsitzenden von Zeppelinheim einen guten Kontakt. Der hat selbst gesagt, wir sollen kommen und dort demonstrieren. Das war auf eine Art seine Idee. Aber der hat gedacht, dass ver.di mitmacht. Es gibt ja Betriebsräte, die sind völlig abhängig von der Gewerkschaft. Ohne Gewerkschaft wissen die nicht mehr, was sie machen sollen. Bei so einer Firma wie Gate Gourmet fühlen die sich völlig verloren. Vor ein paar Tagen hat er mich angerufen und gesagt: »ver.di will mit dieser Demonstration nichts zu tun haben, deswegen bitte nicht kommen!« Er hat mich mitten in der Nacht zwei-, dreimal angerufen. Der war am Ende, der arme Kerl. Ein anderer Kollege im Betrieb, zu dem ich mittlerweile Kontakt habe, hat mir gesagt, es ist gut, wenn wir hinkommen, die Leute sind äußerst neugierig, von uns offiziell was hören zu können. Und das hat ja auch funktioniert mit unserer Demonstration. Der rief mich am gleichen Abend an, als wir aus Frankfurt zurückkamen, und sagte: »Es gibt Unruhe im Betrieb. Es gibt Diskussionen, die es noch nie gegeben hat. Leute kommen zum Betriebsrat und sagen: ›Wann machen wir denn den Streik?‹«
»Streikt endlich mit! Glaubt ihr, wir können die Kastanien alleine aus dem Feuer holen?« Das war der Titel des deutsch-türkischen Flugblatts, das an die KollegInnen in Frankfurt verteilt wurde. Aber genau das ist bis heute nicht passiert, und das ist das größte Problem des Streiks: Die DüsseldorferInnen sind isoliert geblieben, und sie sind nicht in der Lage, den Streikbruch zu verhindern und ökonomischen Druck aufzubauen. Sie machen allerdings kein Geheimnis daraus, dass sie die direkten Aktionen und Blockaden der UnterstützerInnen begrüßen und selber gerne mehr machen würden.
Uwe: Die Gewerkschaft hat nur am 18. November blockiert, da war der 144. Geburtstag der NGG, da haben die vielleicht gedacht »Das lassen wir uns was kosten«. Das ist natürlich sehr wirksam gewesen, und es war unsere Blockade. Wir haben aber ein Problem. Weil wir am Airport arbeiten, sind wir alle vom Luftfahrtbundesamt sicherheitsüberprüft, und da können wir uns nur einmalig so eine Aktion leisten. Sonst würden wir die Sicherheitsüberprüfung verlieren und hätten dann gar keinen Job mehr. Das ist das große Problem. Wir sind teilweise wie gelähmt, wenn die Unterstützergruppen kommen. Das ist vielen Kollegen mehr als peinlich, so dazustehen: wir können nichts tun. Die Aktionen haben uns unheimlich geholfen. Durch die Blockaden ist der Firma ein erheblicher Schaden entstanden. Bei jeder Tarifverhandlung wurde erstmal eruiert: »Was ist da passiert, was habt ihr wieder gemacht, uns ist soundsoviel Schaden entstanden.« Es gibt einige Schreiben von dem Rechtsanwalt der Gate Gourmet, dass in Richtung NGG eine Schadensersatzklage kommen könnte. Da ist die NGG natürlich gleich wieder zwei Stühle nach hinten gerückt und hat gesagt: »Jungs, haltet den Ball flach«. Wir können uns nicht über den Willen der Gewerkschaft drüberwegsetzen. Es gab da wirklich mehrere Sachen, die man so angedacht hat. Bloß man muss natürlich davon ausgehen, dass einen die Gewerkschaft in den rechtlichen Bahnen hält.
Gegen den Terror der Arbeit
Die Wut und Entschlossenheit der ArbeiterInnen in diesem Kampf, mit der weder die Kapitalseite, noch die Gewerkschaft gerechnet haben, ist das Ergebnis einer brutalen Umstrukturierung. Um die höhere Produktivität durchzusetzen, wurden die ArbeiterInnen in den letzten Jahren systematisch schikaniert und gegeneinander aufgehetzt. Das Arbeitsklima war vergiftet, das Privatleben wurde durch die flexiblen und überlangen Arbeitszeiten zu einer unplanbaren Restgröße, ein soziales Leben war kaum noch möglich. In den Gesprächen mit den Streikenden geht es immer wieder um diesen Terror der Arbeit, der das ganze Leben bestimmt. Sie sagen offen, dass die Lohnforderung nur ein Vorwand war, endlich dagegen aktiv zu werden – nachdem sie jahrelang Zugeständnisse gemacht haben.
Holger: Als die Texas bei uns eingestiegen ist, ging eine systematische Überschuldung des Unternehmens los. Das war der Grund, warum es 2003 zu einem Sanierungstarifvertrag bei uns gekommen ist. Da haben wir schon auf 3,8 Prozent unseres Lohns verzichtet. Weil man gesagt hat: Das Unternehmen ist so hoch verschuldet, das muss man erstmal wieder auf solide Beine stellen. Man hat uns suggeriert, dass wir, wenn diese Sanierung abgeschlossen ist, 2005 zum alten Manteltarifvertrag zurückkehren würden. Das hatten die aber nie vor.
Uwe: Man hat damals einen sogenannten Arbeitszeitkorridor von 25 bis 48 Stunden eingeführt, wo der Arbeitgeber frei verfügen kann. Der hat wirklich gesagt: »Du hast morgens um vier Uhr Dienst, und wenn‘s mir passt, dann gehst du um neun, und wenn es mir nicht passt, oder wenn das Geschäft sich dementsprechend entwickelt, dann bleibst du eben bis vierzehn Uhr.« Das war noch nicht mal genehmigungspflichtig vom Betriebsrat. Sie haben dann sogar bei den zuschlagspflichtigen Schichten die Festangestellten nach Hause geschickt und die Fremdfirmen weiter arbeiten lassen, die keine Schichtzuschläge bekommen. Mit diesen Betriebsvereinbarungen hat das Unternehmen 30 bis 40 Leute eingespart.
Durch die Flexibilität war mit der Familie überhaupt nichts mehr zu planen, die Frau musste zuhause bleiben und auf das Kind aufpassen, weil ich meine Arbeitszeit nicht mehr planen konnte. So ein Arbeitstag sieht so aus: Ich stehe um zwei Uhr auf, damit ich um 3:45 Uhr anfangen kann, irgendwann so um 14 Uhr hab ich dann Feierabend, komme um 14:30 Uhr zuhause an, dann werden noch Hausaufgaben gemacht mit dem Kind, was gegessen, geduscht, und dann wird wieder geschlafen, damit ich zur nächsten Schicht antreten kann. Wir haben teilweise inklusive Wochenende bis zu sechzig Stunden in einer Woche gearbeitet.
Halil: Das »Teile und herrsche« hat in diesem Betrieb sehr gut funktioniert. Die Leute waren völlig durcheinander und geteilt, vor dem Streik. Der Arbeitgeber hat das bewusst eingesetzt. Jahrelang haben sie den administrativen gegen den produktiven Bereich ausgespielt. Die Supervisor und Vorarbeiter sind so unter Druck gesetzt worden, die mussten, ob sie wollten oder nicht, mit der Peitsche hinter den Mitarbeitern her sein, um die eigene Haut zu retten.
Anna: Das Arbeitsklima zwischen den Abteilungen Produktion, Zoll und Dispatch, das war sehr separat. In der Kantine haben sich alle aus der Produktion in einer Ecke zusammengesetzt. Wir hatten das Gefühl, dass die das beabsichtigt haben, dass man nicht soviel Kontakt miteinander hatte während der Arbeitszeit.
Bella: Wir haben uns kaum mal begrüßt, dann hieß das schon: »Was ist denn da hinten los, ihr müsst anfangen. Band an, sofort rüber!« In der Kantine hatte man auch keine Ruhe. Wenn wir beim Essen oder der Kaffeepause waren, kam der Supervisor rein: »Ich brauche zwei TK-Essen.« Du hattest keine Pause, du konntest noch nicht mal essen. Und bei diesem Druck wird man automatisch gegenüber Kollegen und Mitarbeitern auch mal nervös.
Anna: Sie haben auch viel gedroht, die Vorarbeiter und Supervisor. Wenn irgendwas schief gelaufen ist, oder wenn man sich gegen irgend etwas gewehrt hatte, dann haben die gesagt: »Entweder du machst das jetzt, oder wir gehen direkt zum Chef.« Bei einigen sind die mit so was auch durchgekommen.
McKinsey: Rationalisierung – ein Kinderspiel?
Mit der Rationalisierung wurde die Unternehmensberatungsfirma McKinsey beauftragt. Die erledigt ihr dreckiges Geschäft nicht mit Druck, sondern mit Freundlichkeit und Spielchen. Die Rationalisierer durften geduzt werden, sie luden die Belegschaft zum Kart-Fahren ein, und nutzten die Gelegenheit, die KollegInnen genau zu beobachten: Wer bringt sich ein, wer lässt sich motivieren? Mit dem Zusammenbauen von Spielzeug-Autos wurde den ArbeiterInnen beigebracht, den Produktionsprozess selbst zu optimieren.
Holger: Man kam sich manchmal vor wie im Kindergarten. Wir haben Autos zusammengebaut, aus so kleinen Lego-Bausteinen! Die Aufgabe war: »Ihr müsst mit sechs Mann zwölf Autos in einer gewissen Zeit machen. Jetzt überlegt mal, wie der Ablauf sein muss, damit ihr das erreicht.« Wir haben gewaltige Produktivitätsfortschritte gemacht! Am Anfang haben wir geteilt: 18 Teile durch sechs sind drei. Der erste hat für seine Teile so lange gebraucht, dass der zweite minutenlang gar nichts zu tun hatte. Dann hat man gesagt: »Der macht vielleicht nur ein Teil, und ein anderer macht dafür vier, weil das leichte Teile waren.« Wir waren nachher sogar schneller, als die Zeit, die die wollten! Die haben nie gesagt: »Du musst das so oder so machen.« Aber es kam immer das raus, was die wollten. Die haben einen spielerisch da hingebracht. Die haben die Leute dazu gebracht, selber ihre Arbeit in Frage zu stellen: »Die haben ja recht! Wir müssen wirklich mal anfangen, unsere Arbeitsabläufe zu überprüfen.«
Uwe: Die große Überschrift war immer: »Wir wollen euch die Arbeit erleichtern, dass ihr nicht mehr so schwer arbeiten müsst.« Der Streik hätte eigentlich schon wesentlich früher anfangen müssen, denn von 2002 bis 2005 ist es zu einer erheblichen Arbeitsverdichtung gekommen. Sie haben Produktivitätssteigerungen von bis zu 30 Prozent erreicht.
Holger: Am Anfang haben alle gedacht: »So schlimm kann das ja nicht werden. Wenn ich mich nicht so oft bücken muss, dann hat das ja auch Vorteile.« Nach einer Zeit, wenn man genau geguckt hat, sah man schon, worauf das hinauslief. Aber verkauft haben die das gut, das muss man ihnen lassen.
Die Analysierer von McKinsey haben mehrere Monate lang im Betrieb Wege vermessen, Zeiten gestoppt und verschiedene Anordnungen ausprobiert. Die zu produzierenden Tabletts und Schubladen wurden fotografiert und als Standard aufgehängt, versehen mit den jeweiligen Richtzeiten.
Anna: Gate Gourmet wollte, dass nach dieser Umstrukturierung jeder überall einsetzbar ist. Die haben versucht, die Arbeit für jeden so leicht wie möglich zu beschreiben. Das sollten also leicht ersetzbare Tätigkeiten werden.
Holger: Man war von Seiten von McKinsey von Anfang an bestrebt, die Arbeitsprozesse zu zerlegen, um irgendwann auf den Fahrer, der früher mal alles gehandhabt hat, nicht mehr angewiesen zu sein. Heute sind die Arbeitsprozesse so klein und übersichtlich, und so gut plakativ gestaltet, dass sie jeder machen kann, auch die Fremdarbeiter, ohne große Einarbeitungszeit. Der Fahrer konnte früher tausend Dinge gleichzeitig. Nur, das war niemandem zu vermitteln, vor allem war das keinem zu vermitteln, der das für fünf Euro die Stunde macht.
Die Richtzeiten waren kaum zu schaffen, da sämtliche Nebentätigkeiten – wie z.B. Müll wegräumen – in diesen Hochrechnungen unberücksichtigt blieben. Arbeiterinnen aus der Produktion, die die vorgegebenen Zeiten nicht schafften, bekamen Abmahnungen. Trotz guter Worte und Repression lief die Rationalisierung in der Produktion nicht reibungslos. McKinsey wollte das Band abschaffen und an Einzeltischen produzieren lassen. Diese Vereinzelung haben die ArbeiterInnen verhindert.
Clara: Du kannst nicht jeden Tag im selben Tempo arbeiten. Am Band ist es ja so, dass jeder teilt. Manchmal gehe ich an die leichten Teile, manchmal an die schweren Teile, und man hilft sich gegenseitig. Aber so musst du alles selber ranschleppen. Wenn das Band aufgebaut wird, dann holt jeder eine Sache, und in sieben, acht Minuten ist ein Flieger fertig. Und das dauert am Tisch, von einer Person… vielleicht konnten wir das nicht machen oder vielleicht wollten wir das nicht machen, ich weiß es nicht – das hat bei uns drei oder vier Stunden gedauert, bis wir eine Maschine fertig hatten.
Anna: Deren Ziel war eigentlich, dass nur ein Auffüller da ist, nur eine durfte rennen, und die anderen sollten an den Tischen stehen und arbeiten. Das war eigentlich deren Ziel, aber das ist nicht machbar gewesen. Wenn nur eine holt, und das acht bis zehn Stunden am Tag, dann ist das wirklich schwere körperliche Tätigkeit. Wir haben immer nur dagegen gekämpft und haben gesagt: »Das geht nicht, das geht nicht.«
Clara: Wir haben das nicht geschafft, dann sollten wir zwei Stunden, fünf Stunden länger arbeiten, das haben wir nicht mitgemacht. Wir haben alles stehen lassen und sind nach Hause gegangen. Die haben das Band wieder eingeführt, weil sie gesehen haben, dass die Maschinen nicht mehr rausgingen.
Beruf: Streikerin!
Im Februar 2005 kam es im Betriebsrat zu einer Diskussion über die Auswirkungen der Arbeit. Die Befragung unter den Betriebsräten ergab, dass sich das gesamte soziale und kulturelle Leben nur noch am Dienstplan, bzw. am Flugplan der LTU orientierte und dass es keinerlei Freiräume mehr gab, die das Leben lebenswert machen. Nach dem Aushang dieser Ergebnisse machten in der folgenden Belegschaftsversammlung KollegInnen massiv ihrem Ärger über die Situation Luft.
Holger: Spätestens im März oder April war bei uns abzusehen, dass die Leute nicht mehr bereit waren, das weiter mitzumachen. Die waren vor allem psychisch fertig, nicht nur physisch. Da ging gar nichts mehr.
Drei Monate vor Streikbeginn wurde der unternehmerlastige Betriebsratsvorsitzende, der heute Streikbrecher ist, abgewählt, und Halil wurde zum Betriebsratsvorsitzenden.
Bella: Wir hatten vorher überhaupt keine Infos vom Betriebsrat. Da war jeden Mittwoch Betriebsratssitzung. Wir haben immer gefragt, was gelaufen ist. »Immer dasselbe«, hieß es dann nur. Aber wenn Halil in die Küche gekommen ist, der arbeitet ja auch, der muss ja die Essen holen, dann hat er immer gefragt: »Mädels, geht‘s euch gut, oder habt ihr Probleme, dann sagt es mir.« Nachher gab es Druck von oben: »Was will der schon wieder hier. Was sagt der?« Denn er hat immer türkisch geredet.
Halil: Unser Streik hat schon lange in den Köpfen geschwebt, bevor er offiziell angefangen hat. Es fehlte nur noch der Tropfen, damit das Fass überläuft. Jetzt reisen wir überall in Deutschland rum, und diese Veranstaltungen sind äußerst erfolgreich. Jeder fragt was, jeder erzählt Probleme, und immer wieder taucht die Frage auf, wie wir am besten die Angst verlieren können. Wir erzählen das so: Angst hilft uns nicht mehr, das ist schon lange vorbei. Wie lange soll ich um meinen Arbeitsplatz Angst haben? Wenn ich gesundheitlich pleite bin und familiär, wenn ich sozial ausgegrenzt bin… was nützt mir da mein Arbeitsplatz? Wir leben seit so vielen Jahren in diesem asozialen Zustand. Wir haben kein Vereinsleben mehr, wir haben kein vernünftiges Familienleben mehr, wir haben überhaupt keine Bekannten mehr. Durch diese verschiedenen Schichten erleben wir das soziale Abseits. Das ist das Problem, warum die Leute gesagt haben: Noch mehr ist nicht drin. Wir haben sämtliche Grenzen schon lange überschritten. Aus diesem Grund sind wir rausgegangen.
Letztens hat mal eine Kollegin bei einer Veranstaltung der NGG gefragt: »Ich kann euch nicht verstehen, wie lange wollt ihr denn noch?« Ich habe gesagt: »Bis ich meinem Sohn erklärt habe, dass er demnächst 60 Stunden arbeiten muss, wenn er mich nicht unterstützt.« Denn das geht in diese Richtung.
Holger: Wir werden den Betrieb nicht betreten, bevor wir nicht einen günstigen Manteltarifvertrag haben. Ich weiß, was uns blüht, und das wissen wir alle, wenn wir ohne Tarifvertrag da reingehen. Da sind wir uns, glaube ich, alle einig. Nach drei Wochen sind zwei Streikende wieder reingegangen. Seitdem – und das ist jetzt über vier Monate her – ist kein einziger mehr reingegangen. Da geht auch keiner mehr rein.
Texas Pacific und Gate Gourmet haben keinen Hehl daraus gemacht, dass die Senkung der Personalkosten weltweit stattfinden wird. Die betrifft nicht nur uns. Wir sind nur die ersten, die dran sind. Das ist auch ein Grund, warum ich sage: »Notfalls stehe ich da auch noch ein Jahr, wenn das sein muss. Damit habe ich dann wenigstens erreicht, dass sie die Senkungen auf anderen Stationen auch nicht durchkriegen.«
Bella: Arbeiten oder Streiken? Vom Finanziellen her ist Arbeiten besser – aber vom Arbeiten her: Streiken! Da kannst du ein bisschen reden und so. In der Firma kannst du überhaupt nicht reden. Wenn da ein lauterer Ton ist, dann heißt es gleich wieder: »Was ist da unten los?«
Anna: Die haben das geschafft, dass wir zusammengeschmolzen sind. Wir sind alle mittlerweile dicke Freunde geworden. Man kann mit jedem Spaß machen. Ich glaube schon, dass der Zusammenhalt zumindest eine Zeit lang anhalten wird. Ich glaube nicht, dass das für die Ewigkeit so bleiben wird, aber auf jeden Fall eine Zeit lang, mit Sicherheit.
Wenn mich jemand fragt, was ich von Beruf bin, dann sag ich schon: Berufsstreikerin! Die Texas Pacific hat mich dazu gemacht. Ich bin Dauerstreikerin – wir kommen bald ins Guinnessbuch der Rekorde. Ich hab so was noch nie gemacht, aber irgendwann ist immer das erste Mal. Ich bin auf den Geschmack gekommen.
Spendenaufruf
Die Streikenden haben in diesem langen Streik schon erhebliche finanzielle Einbußen erlitten. Der Solidaritätskreis hat ein eigenes Spendenkonto eingerichtet, um die Streikenden finanziell zu unterstützen und Aktionen zu finanzieren, für die die NGG keinen Cent locker macht, wie z.B. die Fahrt zur Gate-Gourmet-Filiale nach Frankfurt oder die Einladung der entlassenen ArbeiterInnen von Gate Gourmet London.
Spendenkonto:
Axel Köhler-Schnura
Postbank Nürnberg
KontoNr 18 90 88 850
BLZ 760 100 85Stichwort »Streik GG« oder »Weiterstreiken GG«
Spenden mit dem Vermerk »Weiterstreiken GG« werden ausschließlich und ohne Abzug irgendeines Verwaltungsaufwandes an die Streikenden ausgeschüttet. Da die finanzielle Belastung durch den Streik sehr unterschiedlich ist, übergeben wir das Geld einem Gremium der Streikenden, das die Spenden zum Teil nach Härtekriterien unter den Streikenden verteilen wird. Der Eingang der Spenden und ihre Verwendung wird regelmäßig auf der Webseite www.gg-streik.net dokumentiert.
Gate Gourmet London-Heathrow:
Nach dem Solidaritätsstreik
Am 7. März erscheint die Polizei bei den ArbeiterInnen von Gate Gourmet London, die in der Nähe der Firma, auf einem Hügel in der Mitte eines Kreisverkehrs, seit Monaten für ihre Wiedereinstellung demonstrieren. Auf diesen Hügel haben sie sich zurückgezogen, nachdem ein Gericht verfügt hat, dass ihr Streikposten vor der Firma nur mit sechs Personen besetzt sein dürfte. Die Polizei will nun auch diesen Posten räumen. Am nächsten Tag demonstrieren die ArbeiterInnen wieder direkt vor der Firma. Für den 25. März haben sie schon seit längerem zu einer großen Demonstration aufgerufen – zu der sie nun auch ihre streikenden KollegInnen aus Düsseldorf eingeladen haben.
Der Solidaritätsstreik, mit dem die ArbeiterInnen des BA-Bodenpersonals im August 2005 die entlassenen ArbeiterInnen von Gate Gourmet unterstützt haben, hatte große Auswirkungen im Sommerfluggeschäft und fand ein breites Medienecho. Ende September erklärte die Gewerkschaft TGWU (Transport and General Workers' Union), es wäre ein Kompromiss gefunden worden, dem die Entlassenen am 28.9.2005 mit großer Mehrheit zugestimmt hätten. Der Konflikt schien beigelegt. Tatsächlich kämpfen hunderte von ArbeiterInnen bis heute um ihre Wiedereinstellung und gegen den Kompromiss ihrer Gewerkschaft.
Der Kompromiss beinhaltete die Wahl zwischen der Wiedereinstellung zu schlechteren Bedingungen oder einer Abfindungszahlung, verbunden mit dem Verzicht auf jegliche Rechtsmittel. Außerdem gab es eine Liste von 144 ArbeiterInnen, die als »troublemakers« (UnruhestifterInnen) auf keinen Fall wiedereingestellt würden. Die Gewerkschaft hatte Gate Gourmet zugesagt, dass alle Entlassenen diesen Kompromiss unterschreiben würden. Bei der Versammlung Ende September brauchte sie drei Wahlgänge, bis sie eine Mehrheit zustande brachte. Der Wortlaut des Kompromisses war den Entlassenen zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Als sie die Einzelheiten erfuhren, weigerten sich die meisten zu unterschreiben. Bis zum Stichtag am 16.12. hatten noch keine 200 der 760 Entlassenen unterschrieben, obwohl sie mit Telefonanrufen und der Drohung, die Zahlung des Härtefallgeldes einzustellen, von der Gewerkschaft unter Druck gesetzt wurden. Die TGWU verlängerte die Frist noch mal bis zum 6. Januar. Dann stellte sie die Unterstützungszahlungen von 50 Pfund pro Woche ein.
Gate Gourmet wollte in London – wie in Düsseldorf – mehr Flexibilität und Produktivität durchsetzen. Gegen die alte Belegschaft, die zu 90 Prozent aus asiatischen ArbeiterInnen bestand, sind sie damit nicht durchgekommen. Also versuchten sie, diese ArbeiterInnen loszuwerden. Begleitet wurde die Zersetzung der Belegschaft von rassistischen Äußerungen eines Managers gegen die asiatische community aus dem Stadtteil Southhall. Die neu angeheuerten LeiharbeiterInnen kommen größtenteils aus Polen. Die Arbeit funktioniert allerdings mit den neuen ArbeiterInnen nur schlecht. Im Februar wurden 240 von ihnen wieder entlassen, weil sie die gesetzten Standards nicht erfüllt hatten. ArbeiterInnen aus der alten Belegschaft, die im August gefeuert worden waren, wurden jetzt wieder zu Vorstellungsgesprächen eingeladen.
Inzwischen haben etwa 300 ArbeiterInnen die Abfindung genommen und 200 sind zu den neuen Bedingungen an die Arbeit zurückgekehrt. Knapp 200 – vor allem die 144 »troublemakers« –kämpfen weiterhin um ihren Arbeitsplatz, zu den alten Bedingungen. Die Entlassenen treffen sich auf wöchentlichen Versammlungen und haben eine eigene Streikkasse eingerichtet. Von der TGWU fordern sie die Weiterzahlung des Härtefallgeldes. Vertrauen in die Gewerkschaft haben sie nicht mehr. Sie vertrauen eher auf die Solidarität von ArbeiterInnen anderer Branchen wie Feuerwehr, Post, Bus und Bahn. An ihrer ersten Demonstration im Dezember haben tausend Leute teilgenommen.
Als sie von dem Streik in Düsseldorf erfuhren, versuchten die LondonerInnen Kontakt aufzunehmen, über die NGG. Die wollte aber von diesen »DissidentInnen«, die sich nicht von ihrer Gewerkschaft TGWU bevormunden lassen, nichts wissen. Der Brief blieb unbeantwortet, die Streikenden in Düsseldorf erfuhren davon nichts. Erst als ein Mitglied des Solidaritätskreises im Internet Informationen über den andauernden Konflikt in London-Heathrow fand, konnte der Kontakt hergestellt werden. Auf Einladung des Solidaritätskreises besuchten zwei der entlassenen ArbeiterInnen aus London am 22. Februar ihre streikenden KollegInnen in Düsseldorf. Der Empfang war herzlich, und die ArbeiterInnen nutzten die Gelegenheit zu einem intensiven Erfahrungsaustausch über die Methoden von Gate Gourmet und den Widerstand auf beiden Seiten des Kanals. Dieses Treffen hat allen Beteiligten im Kampf gegen den Multi Mut gemacht, und die DüsseldorferInnen haben die Gegeneinladung zur Demonstration in London gerne angenommen.
aus: Wildcat 76, Frühjahr 2006