Wildcat Nr. 76, Frühjahr 2006, Interview zur Situation in Iran [w76_iran.htm]
Arbeiterkämpfe und Krieg
Ein Interview zur Situation im Iran
Unser Artikel vom Sommer 2005 zur Situation im Iran direkt nach der Wahl von Ahmadinedschad hatte einen Überblick über die Situation der ArbeiterInnen im Iran und neuere Entwicklungen des Klassenkampfes gegeben. Ungefähr acht Monate später haben wir bei einem iranischen Genossen im Exil nochmal nachgefragt: nach den Wahlen, dem Atomstreit, dem drohenden Krieg …
Zunächst ist seine Einschätzung überraschend, dass im Iran die Kriegsgefahr anscheinend weniger zugespitzt gesehen wird als in Teilen der hiesigen Friedensbewegung (z.B. im Freitag vom 10.3.06), bzw. das Alltagsleben von anderen Fragen bestimmt wird. Im Verlauf des Gesprächs wird allerdings deutlich, dass die Lage womöglich noch gefährlicher ist und Appelle an ein angeblich »zivileres Europa« naiv sind: Vor dem Hintergrund der sozialen Situation, der Polarisierung der iranischen Gesellschaft, der Massenarmut und Massenarbeitslosigkeit und der fast täglich stattfinden Streiks scheint die Einschätzung zuzutreffen, die wir zu Beginn des Irakkrieges 2003 hatten: Seit der iranischen Revolution von 1979 kann in dieser Region Herrschaft nur mittels Krieg aufrecht erhalten werden.
Im Sommer 2005, nach den Wahlen im Iran, schrieben wir in der Wildcat 74, dass der Wahlsieg Ahmadinedschads nur diejenigen überraschen konnte, die die innere Situation des Iran nicht ausreichend berücksichtigten. Kannst Du das rückblickend nochmal verdeutlichen, wie Du Dir das Wahlergebnis erklärt hast?
Nach dem Iran-Irak Krieg hat es seit Ende der 80er Jahre im Iran viele Arbeiterkämpfe, Aufstände in den Städten, insgesamt viel Bewegung gegeben. Auch die Jugendlichen (und das sind im Iran viele!) äußern mal mehr, mal weniger offen ihre Ablehnung gegenüber den Herrschenden. Das Regime hat zwar viele Bewegungen niedergeschlagen oder ihre Führer in den Aufbau der »Zivilgesellschaft« integriert – an den gesellschaftlichen Zuständen hat sich wenig geändert. Rafsandjanis »wirtschaftliche Liberalisierung«, Chatamis Kurs der »politischen Entwicklung« haben das Regime weitergebracht, es ist aber bei der instabilen Lage, die ihre Ursachen in der Massenarmut und der enormen Arbeitslosigkeit hat, an seine Grenzen gestoßen. Die Hoffnung auf umfassende politische Reformen »von oben« sind weg, die allgemeinen Lebensbedingungen, die Preise, die Mieten usw. bestimmen die Alltagsdiskussionen. Ahmadinedschad versprach im Wahlkampf, das Ölministerium aus den Klauen des Familienclans um den Milliardär Rafsandjani zu lösen und »die Armen« am Ölreichtum teilhaben zu lassen. In den letzen Jahren hatte seine konservative Partei die Stadträte und die Mehrheit im Parlament erobert und gegen den Widerstand der Regierung Chatami eine Politik der Preisstabilität erzwungen.
Außerdem rechnete im Unterschied zu 2003/2004 niemand wirklich mit einem Angriff der USA. Die – bekannten und erwarteten – Provokationen gegen die USA und Israel wurden als der übliche Macht- und Propagandakrieg abgetan. Die Gegenparole zu Ahmadinedschads »Standhaftigkeit gegenüber den USA«, Rafsandjanis »Ausgleich mit dem Westen« zog diesmal nicht. Ahmadinedschad wurde nicht nur von einem Teil der Armen gewählt, sondern auch von den Technokraten und den Teilen der Bevölkerung, die direkt oder indirekt von der Entwicklung der Atomtechnologie zu profitieren glauben (nicht zur Wahl zu gehen, ist im Iran ein Risiko, da du ohne Wahlstempel auf dem Perso Schwierigkeiten kriegen kannst).[1]
Man darf auch nicht vergessen, wie die Pasdaran, die Revolutionswächter, eine Gardetruppe neben der Armee, zusammen mit den Basij, einer zivilen Miliz-Truppe (mit etwa einer Million Mitglieder, Ahmadinedschad war dort lange Jahre Ausbilder), im Iran Wahlen organisieren: die Basij sind massenhaft in den Dörfern, Stadtteilen und Unis auf Stimmenfang. 1997 hatten sie das für Chatami gemacht. Ihr Einfluss und die Zusammenarbeit der Pasdaran und der paramilitärischen Basij basiert auch auf ihrer Haltung gegenüber der US-amerikanischen Angriffsdrohung.
Man könnte die Stimmung aber auch so zusammenfassen: Mal schauen, ob tatsächlich was von der Ölrente umverteilt wird – und dann weitersehen.
Wie hat sich die Situation seit dem letzten Sommer entwickelt?
Die neue Regierung will die inländische Produktion und das einheimische Kapital fördern, dazu hat sie für die Unternehmer die Sozialabgaben gesenkt. Ein Teil der Aktien der staatlichen Betriebe soll an ärmere Familien verkauft werden, es soll »Subventionen im Interesse der ärmeren Schichten« geben. Über die Reduzierung von Subventionen für Energie und Wasser und über die Rationierung von Benzin wird gestritten. Der Staat gibt vier Milliarden Dollar seiner Öleinnahmen für die Subventionierung von Importbenzin aus. Trotz Widerspruch im Parlament und Warnungen vor einer Steigerung der Inflation von jetzt offiziell 13 auf über 30 Prozent will die Regierung an diesen Subventionen festhalten und mit den Öldevisen die Staatsausgaben erhöhen. Sie argumentiert, eine jährliche Zunahme der Arbeitslosen um 700 000 könne nicht einfach hingenommen werden. In der Atompolitik zeigt sich die neue Regierung »standfest«. Sie spricht von »Würde« und »Prinzipientreue« und versucht mit Taten (Inbetriebnahme der Urananreicherungsanlage) und scharfen Worten in offenen (mit Russland) oder verdeckt weiterlaufenden Verhandlungen (z.B. mit den US-Abgeordneten während der Sicherheitskonferenz in München) die eigene Position zu stärken.
In den hiesigen Medien bestimmen »Atomkonflikt« und »Karikaturenstreit« die Berichterstattung über den Iran. Es kursieren Bilder von IranerInnen, die das »Recht auf eigene Atomenergie« fordern. Die iranische Regierung scheint mit dem »Atombombenstreit« vor dem Hintergrund der instabilen inneren Situation den Versuch zu starten, einen neuen Nationalismus zu mobilisieren. Welche Schichten der Bevölkerung erreicht das? Wie breit sind solche Mobilisierungen für das »nationale Atomprojekt«? Gibt es Parallelen zur Verstaatlichung der Erdölindustrie unter Mossadeq in den 50er Jahren?
Parallelen nicht! Damals gab es eine breite nationale Bewegung und zwar nicht nur im Iran. Die materielle Basis ist heute eine andere: Die Atomenergie kann nicht wie damals die Ölrente zur Grundlage der »nationalen Entwicklung«, der Spaltung und Einbindung der Arbeiterklasse werden. In den 50er Jahren hatten wir im Iran noch eine quasi vorkapitalistische Produktionsweise, Bauern und Arbeiter waren in der Öl-Frage mehr oder weniger einig mit der nationalen Bourgeoisie. Seit den 60er Jahren ist der Iran ein kapitalistisches Land. Die Arbeiterklasse sieht in der Entwicklung der Atomprojekte keine Perspektive. Rund um die Atomanlagen gab es Demos, aber da geht es um wenige hundert Beteiligte, und natürlich sind das keine spontanen Sachen, das ist von oben organisiert.
Seit 2004 schiebt der Staat immer wieder eine Debatte an, die natürlich das »nationale Wir« mobilisieren soll: dem Iran wird etwas »verboten«, was »alle Staaten« haben. Und das zieht sich bis in die Linke hinein. Bis vor ein paar Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass die Linke so eine Position einnimmt. Jetzt wird im Hauptsatz die Ablehnung des Staates betont, um im Nebensatz zu sagen, dass er wie alle anderen Staaten Atompolitik betreiben und sich nicht dem Diktat der USA beugen solle.
Trotz aller Propaganda und Rhetorik scheint es unwahrscheinlich, dass der Iran einen Krieg mit Israel und/oder den USA riskiert. Und die USA scheinen angesichts der Situation im Irak nicht zu einem solchen Krieg in der Lage zu sein – auch wenn er »nur« aus der Luft geführt werden sollte. Andererseits könnte gerade das Geplänkel vor der UNO und eine Phase von Sanktionen und diplomatischem Druck den USA und dem Iran die Möglichkeit bieten, ihre jeweiligen Krisenherde – das sind für die USA die wirtschaftliche Situation und der Irakkrieg und für den Iran die Situation im Inneren – zu kontrollieren oder davon abzulenken. Aber liegt nicht gerade in diesem Mechanismus die Möglichkeit eines Krieges? Wie wird das im Iran diskutiert, was denkst du?
Mit dem Irakkrieg wurden die Vorstellungen der USA für die gesamte Region deutlich. Nach Beginn des Irakkriegs war ein Angriff auf den Iran von vielen erwartet, von einem Teil der Jugendlichen auf eine ganz widersprüchliche Art sogar erhofft worden. Heute sind solche Stimmen gar nicht mehr zu hören, was natürlich auch etwas mit der Entwicklung im Irak zu tun hat.
Die Auseinandersetzungen in der Atomfrage, der Karikaturenstreit und die verbalen Attacken Ahmadinedschads gegen Israel scheinen der Vorbereitung eines Krieges zu dienen – das bedeutet weder, dass es dazu kommen muss, noch, dass mit verbalen Attacken ein Krieg vorbereitet werden soll. Ich denke, die Frage »Krieg oder kein Krieg?« ist falsch gestellt. Der Iran befindet sich spätestens seit 2003 inmitten eines Kriegsgebiets. Die Kriegsvorbereitungen sind seit langen am Laufen, Ziele werden recherchiert, festgelegt. Inzwischen wurden einige US-Internetdienste für den Iran ausgeknipst, Google und Yahoo drohen, dies auch zu machen. Das macht es den Leuten noch schwieriger, an Informationen ranzukommen oder sich auszutauschen.
Du hast die Karikaturen erwähnt. Welche Rolle spielen sie, wer hat sich an den Mobilisierungen beteiligt?
Von der BRD aus ist das nicht ganz einfach zu beurteilen, aber die Mobilisierungen im Iran waren klein, vor der dänischen Botschaft in Teheran waren nur hundert Leute. Es erinnert mich ein wenig an die Geschichte mit Salman Rushdi. Den kannten im Iran nicht viele, und hier war es in den Medien ein Riesending. Damit ist noch nichts zur aktuellen Funktion oder Dimension der Religion, des Islam gesagt. Und auch nicht dazu, dass dieser Karikaturenstreit von verschiedenen Seiten instrumentalisiert wird. Hier kommt es so an, als hätten die Leute sonst keine Probleme, als sich über Karikaturen zu empören, während es eigentlich andersrum ist.
Mit seinen großen Öl- und Gasreserven, den Energieabkommen mit Indien/Pakistan und China, der Absicht eine »Euro-Ölbörse« im Iran zu installieren, könnte der Iran den für die USA zentralen Erdölmarkt – den sie mit dem Irakkrieg absichern wollten – erschüttern. Könnte der Atomkonflikt nicht auch ein Versuch sein, den Iran als Hegemonialmacht zu stärken und als Atommacht gegen Militärschläge abzusichern?
Nach allen abgeschlossenen und abgebrochenen Verhandlungen kann man eines festhalten: vor dem Hintergrund der strategischen Pläne der USA für die gesamte Region wird es die vom Iran geforderte Sicherheitsgarantie für einen Verzicht auf die Urananreicherung nicht geben – trotz der stillen Zusammenarbeit des iranischen Staates mit den USA bei den Kriegen in Afghanistan und im Irak. Mit dem Rückenwind der gestiegenen Öleinnahmen und vor dem Hintergrund der Entwicklungen im Irak und in Palästina wird die iranische Regierung ohne solch eine Garantie an der Urananreicherung festhalten. Ein Verzicht würde eine vollständige Abhängigkeit von Europa oder Russland in Sachen Atomtechnologie und Brennstoffversorgung bedeuten. Keine gute Grundlage für die Ambitionen, die regionale Hegemonie auszubauen.
Angesichts der gestiegenen Ölrente, des Einflusses im Irak, der Aussicht, auf dem chinesischen Energiemarkt zum Zug zu kommen, sieht der iranische Staat sicherlich Möglichkeiten, seine Position zu stärken – und das muss in dieser Logik dann auch abgesichert werden. Die Möglichkeit einer eigenen Atombombe wird seit dem Iran-Irak Krieg in den 80er Jahren in Betracht gezogen. Schon damals wurde argumentiert, dass es mit der Bombe vielleicht nicht zu diesem Krieg gekommen wäre.
Das gesamte Atomprojekt ist ja nicht neu, es begann in den 60er Jahren unter dem Schah mit Hilfe der USA. In den europäischen Ländern gibt es die Position, dass der Iran die Atomtechnik haben könnte, wenn sie nicht so eine »durchgeknallte« Führung hätten. Abgesehen davon, dass ich diese nicht für verrückt halte, ist das natürlich eine heikle Argumentation angesichts eines Präsidenten Bush. Warum die USA so heftig reagieren, ist klar: sollte der Iran Atomwaffen bauen können, wäre dies ein weiterer Angriff auf die hegemoniale Macht der USA.
Zurück zum Klassenkampf im Iran. Seit dem Iran-Irak-Krieg wurden die ArbeiterInnen, die den Schah ins Exil getrieben hatten, mit Krieg und Unterdrückung überzogen. 1997 gab es wieder erste Aktionen der vormals starken Ölarbeiter – die wieder mit heftiger Repression überzogen wurden. In der Wildcat 74 berichteten wir von der Gründung zweier Komitees zur Organisierung freier Arbeiterorganisationen. Was ist seither passiert? Die Entwicklung scheint sich seit Juni 2005 rund um die Gewerkschaft des Öffentlichen Nahverkehrs Teheran (Vahed) zugespitzt zu haben?
Die beiden Komitees entstanden aus Initiativen von ArbeiterInnen und intellektuellen Kreisen. Organisatorisch ist nicht viel geblieben. Hin und wieder berichten die Initiatoren von Streiks oder unterschreiben Solidaritätserklärungen für die Arbeiter- und Gewerkschaftskämpfe. Die Vorbereitungen zur Wiederbelebung der Busfahrergewerkschaft sind eine andere Geschichte. Sie begann schon etwa zwei Jahre vor der Gründung der beiden Komitees. Der Impuls kam von Mitgliedern der »Gründungsinitiative der Gewerkschaften«, die es seit vier Jahren gibt. Diese Initiative wollte auf dem Boden der iranischen Arbeitsgesetzgebung neue Arbeiterorganisationen gründen. Beteiligt waren Handwerker, Arbeiter, alte KPler der Tudeh Partei und auch religiöse Kreise. Diese Initiative hatte im Unterschied zu den beiden erwähnten Komitees keine Probleme mit dem Staat. Die Komitees bezogen sich zwar auch auf vom iranischen Staat unterschriebene internationale Konventionen rund um die ILO, um den internationalen Gewerkschaftsbund mit ins Boot zu holen – gleichzeitig betonten sie aber eine politische, antikapitalistische Organisierung. So etwas hört man aus den Kreisen rund um die Vahed Gewerkschaft nicht. Diese Initiative traf sich im Gebäude der Bäckergewerkschaft – die im Unterschied zu vielen anderen Gewerkschaften nie verboten gewesen war. Das lag daran, dass in den handwerklichen Berufen – wie Bäcker oder Schuhmacher – die Organisationen weniger Gewerkschaften als Genossenschaften sind, denen auch die Kleinunternehmer angehören. Diese Genossenschaften wurden anders als die Arbeitergewerkschaften nur selten verboten, was natürlich auch damit zusammenhängt, dass sie kaum aktiv waren, zumindest nicht für Arbeiterinteressen.
Die Vahed-Gewerkschaft hat diese legale Struktur als Sprungbrett benutzt. Dort diskutieren die Gewerkschafter auf Bildungstreffen und in Seminaren die iranische Verfassung, Arbeitsgesetze und internationale Konventionen, aber auch über »einfache« Arbeiterforderungen wie Lohnerhöhungen, Arbeitskleidung oder die Einstellung von Hilfspersonal für die Busfahrer. Aber im Grunde ging es vor allem um die Wiederbelebung der Gewerkschaft, die vor etwa 20 Jahren zerschlagen, aber nicht offiziell verboten worden war.
Die heiße Phase der Präsidentschaftswahl wurde als günstiger Zeitpunkt für die Wiedergründung gesehen, und nach einer Urabstimmung wurde die Gewerkschaft der ArbeiterInnen des Öffentlichen Nahverkehrs Teheran – Vahed neu gegründet, trotz Drohungen und Überfällen durch Schlägertruppen der »Islamischen Arbeitsräte« und das »Haus der Arbeiter« (das organisatorische und repräsentative Dach der Arbeitsräte).
Bevor wir zu dieser Gewerkschaft, bzw. den Auseinandersetzungen kommen: Welche Streiks hat es im letzten Jahr noch gegeben?
Im Iran wird fast ständig irgendwo gestreikt. Meist geht es um ausstehende Löhne oder um Lohnforderungen. Der Mindestlohn wurde zwar gerade von 120 auf 150 Euro erhöht, aber angesichts der Preissteigerungen braucht man mindestens 450. Mit 150 Euro kann man in Teheran nicht einmal eine 2-Zimmer Wohnung mieten. Die Busfahrergewerkschaft fordert einen Mindestlohn von 350 Euro. Selbst nach offiziellen Statistiken gibt es eine Million ArbeiterInnen, denen zwischen 3 und 36 Monatslöhne nicht gezahlt wurden. Für die zweite Hälfte 2005 wurden über 2000 Streiks oder Arbeitskonflikte offiziell registriert. Deshalb will ich nur auf herausragende Beispiele eingehen. In Kurdistan gab es Ende 2005 einen zweimonatigen Streik in einer Textilfabrik. Folgende Forderungen wurden durchgesetzt: 36 entlassene ArbeiterInnen wurden wieder eingestellt, die Streiktage wurden zur Hälfte bezahlt. »Tod oder zurück zur Arbeit« war auf Transparenten zu lesen, das ist natürlich eine heikle Argumentation! Ein wichtiger Hintergrund war die Jugendrevolte in Kurdistan im August 2005 nach der letzten Wahl. Der Streik fand kurz darauf statt, viele waren noch immer wütend.
Während die Repression gegen die Vahed-Gewerkschaft auch in Deutschland wahrgenommen wurde, gilt dies nicht für diese Jugendrevolte in Kurdistan. Es hatte wie so oft begonnen: ein Jugendlicher wurde verhaftet und gefoltert. Als sein Tod bekannt wurde, kam es zu Protesten in verschiedenen Städten, Kämpfen mit den Bullen und dem Militär. Innerhalb weniger Wochen wurden ca. zwanzig Leute getötet. Schließlich fand noch ein Generalstreik statt, der allerdings der Abschluss der Revolte war.
Wie ging es mit der Vahed-Gewerkschaft weiter?
Mit der Gründung im Sommer 2005 waren die Auseinandersetzungen mit dem Staat um die Anerkennung nicht beendet. Die Arbeiter forderten mehr Lohn und mehr Personal für die Busse, damit die Fahrer nicht mehr alles machen müssen. Am 22. Dezember 2005 wurden zwölf Vorstandsmitglieder, darunter der Gewerkschaftsvorsitzende Mansour Ossanlu, verhaftet und ins Teheraner Hochsicherheitsgefängnis Ewin gebracht. Gleichzeitig wurden die Konten der Busfahrer-Gewerkschaft gesperrt. Am 25. Dezember rief die Gewerkschaft zum Streik auf und forderte die Freilassung aller Gefangenen, die Bezahlung der Überstunden und Ausgleichszahlungen für Mehrarbeit. Die Hälfte der 6000 Teheraner Busse stand still. Nachdem der Oberbürgermeister von Teheran in einem Stadion vor 10 000 Beschäftigten der Verkehrsbetriebe die Erfüllung der Forderungen versprach, wurde der Streik beendet. Allerdings wurde dann nur die Leitung der Busbetriebe ausgetauscht. Die Vorstandsmitglieder, aber nicht der Gewerkschaftsvorsitzende, wurden freigelassen, die anderen Forderungen blieben unerfüllt.
Am 7. Januar 2006 gingen die Proteste weiter, viele Busse fuhren den ganzen Tag mit eingeschaltetem Licht, wieder ging es um die Freilassung von Ossanlu. Das mit dem Licht hört sich für Euch wahrscheinlich eigenartig an, aber zu Zeiten der Revolution war das Licht an den Autos ein Zeichen an alle, dass was gemacht werden sollte, eine Art »Rauchzeichen«, eine Vorstufe für Demonstrationen. Das haben die Herrschenden natürlich auch heute kapiert.
Am 24. Januar 2006 kündigte die Gewerkschaft einen Streik für Samstag, den 28. Januar an und forderte wieder die Freilassung von Ossanlu, die rechtliche Anerkennung der Gewerkschaft und den Abschluss eines Tarifvertrags. Die Gewerkschaft betonte, alle legalen Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben und dass nun die Arbeiter zum Streik drängten.
Am frühen Morgen der 28. Januar wurden mehr als 500 Gewerkschaftsmitglieder, Busfahrer, Arbeiter und Unterstützer der Streikenden verhaftet. Uniformierte und zivile Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein und drohten, die Fahrer zu erschießen. Durch diesen agressiven Einsatz konnten die Sicherheitskräfte die Busfahrer in die Busse bzw. zur Arbeit zwingen. Wer sich wehrte, wurde niedergeknüppelt und festgenommen. Gleichzeitig wurden viele Streitkräfte als Fahrer eingesetzt. Der Leiter der Öffentlichen Busbetriebe Teheran und Umgebung bezeichnete alle Inhaftierten als subversiv und arbeiterfeindlich und drohte mit Entlassung.
Die Gewerkschaft, die ihre Gründung im Rahmen der iranischen Arbeitsgesetze vollzogen hatte, wurde von dieser Brutalität überrascht. Viele Verhaftete wurden wieder freigelassen, nachdem sie eine Verpflichtungserklärung unterschrieben hatten, auf weitere (Gewerkschafts-)Aktivitäten zu verzichten. Das ändert allerdings nichts an den Kündigungen. Acht Leute sind noch immer im Knast. Das islamische Regime will wie üblich, dass sie sich in einem Showprozess im Fernsehen von ihren Aktivitäten distanzieren.
Am internationalen Solidaritätstag, den die ICTFU für den 15. Februar ausgerufen hatte, passierte im Iran wenig. Die Gewerkschafter sagten den ausländischen Sendern, dass sie aufgrund des starken Regens, vor allem aber wegen des massiven uniformierten und zivilen Polizeiaufgebots nicht vor das Islamische Parlament ziehen konnten. Nur in den umliegenden Straßen fanden kleine Kundgebungen statt.
Die Aktionen und die Repression gegen die Vahed-Gewerkschaft ist hier zumindest in linken Kreisen angekommen – auch der Solidaritätstag der ICFTU. Es wird von einem »neuen Aufbruch« geredet. Wie schätzt Du das ein?
Nach der Repressionswelle ist erst mal Ruhe, bzw. gibt es keine offenen Aktionen, obwohl die Forderungen nicht erfüllt sind. Die freigelassenen Arbeiter dürfen nicht wieder arbeiten. Mitte März versammelten sich über hundert Arbeiter vor Regierungsgebäuden und dem Sitz der Unternehmensführung, um die Wiedereinstellung der Entlassenen zu fordern. Die Unternehmensleitung drohte den Arbeitern mit der Streichung von Sonderzahlungen, wenn sie ihre gefeuerten Kollegen nicht am Betreten des Betriebsgeländes hindern würden. Gleichzeitig waren nach dem Streik an Arbeiter, die nicht gestreikt hatten, Prämien ausgezahlt worden.
Der Kampf der Busarbeiter war im Grunde wie viele andere Kämpfe. Seine Besonderheit war die Gründung der Gewerkschaft und die lange Vorbereitung. Viele Arbeiterkämpfe waren und sind ähnlich intensiv, der Unterschied ist der Versuch, eine gewerkschaftliche, bzw. legale Organisationsstruktur aufzubauen. Das ist der Grund, warum von einem »neuen Aufbruch« gesprochen wird. Die beiden oben erwähnten Komitees spielen für die Kämpfe keine große Rolle. Natürlich beteiligen sich Leute von ihnen an den Aktionen in den Betrieben, aber bis jetzt sind sie vor allem ein Anlaufpunkt für verschiedene Linke, die Flugblätter und eine Webseite machen und Anlaufpunkt der Exillinken. Seit den Erfahrungen nach der Revolution 1979 hat ein Großteil der Linken im Iran Angst vor unkontrollierten Bewegungen »von unten«, vor den »Massen ohne Führung«. Ein Teil der linken Intellektuellen hat für »die Unterschichten« nur noch Verachtung übrig und setzt auf politische Reformen, sucht seinen Platz in der »Zivilgesellschaft«, und sieht seine Aufgabe darin, revolutionäre Umstürze zu verhindern. n
P.S. Vom 21.3.2006: Am 18./19.3.2006 wurden fünf Vorstandsmitglieder der Vahed-Gewerkschaft und ein Metallarbeiter aus dem Knast entlassen. Gewerkschaftschef Ossanlu und der Autoarbeiter Af-shin Bahrami sind weiterhin inhaftiert. n
Arbeiterkämpfe im Iran:
Ein erfolgreicher Streik fand auf der Iran-Sadra-Werft in Behshahr statt. 1700 Arbeiter haben in einem dreiwöchigen Streik die Auszahlung rückständiger Löhne und Sonderzahlungen, sowie die Einführung eines Sozialversicherungsschutzes für die 1200 Vertragsarbeiter erreicht. Aufgrund der radikalen Proteste und wiederholten Streiks musste das Management auch die Löhne für die Streiktage zahlen. Das Schiffsbauwerk ist für die Herstellung und Reparatur von Seehafenanlagen und Bohrinseln (im Kaspischen Meer für das iranische Ölministerium) zuständig. Es werden auch Schiffe für Deutschland gebaut.
Im Internet ist meist von Bushehr die Rede – einer Stadt am persischen Golf im Süden, wo ein Atomkraftwerk gebaut wird. Hier geht es aber um Behshahr am kaspischen Meer im Norden. Hier hatte es im Juni 2003 eine Arbeiterrevolte gegeben, von der in der Wildcat 66 berichtet worden war.
Die 150 Arbeiter der Miral-Glashütte im Süden Teherans befinden sich in einer weniger machtvollen Position. Trotzdem machten sie Druck. Auch sie hatten seit elf Monaten keinen Lohn mehr bekommen. Nach monatelangen Streiks, Demos und Straßenblockaden mit brennenden Reifen vor den Fabriktoren steckten sie am 4.3.2006 die Fabrik in Brand. Sie stellten sich gegen die Sicherheitstruppen und verhinderten die Löscharbeiten. Sie drohten die Fabrik gänzlich abbrennen zu lassen, wenn die Löhne nicht gezahlt würden. Das Management erschien schließlich in Begleitung von Staatsbeamten mit der Zusage, innerhalb einer Woche die Forderungen zu erfüllen (Bilder vom 31.12.2005 unter http://www.iranfocus.com/modules/news/article.php?storyid=5088).
Revolte im Kurdistan
Über das Vorgehen der iranischen Sicherheitskräfte gegen die Proteste war hier wenig zu hören. Dabei geht es nicht nur um iranischen oder kurdischen Nationalismus, sondern auch um eine »Reservearmee« an billiger Arbeitskraft für den Iran vor dem Hintergrund hoher Arbeitslosigkeit und breiter Armut. Der Einfluss der Linken ist hoch und die Religion ist Sunni – im Unterschied zur Schii im Iran. Am 9.7.2005 versuchten die Pasdaran einige Jugendliche in Mahabad zu verhaften. Einer der Jugendlichen wurde durch Schüsse verwundet und starb später unter der Folter. In den nächsten Tagen demonstrierten Tausende Jugendliche vor den Regierungsgebäuden, die Protestwelle erreichte andere Städte. Das Regime setzte Millitär und Spezialeinheiten ein. Etwa 20 Menschen werden getötet, über 200 verwundet, Hunderte festgenommen.
Die kurdische Regierung in Irakisch-Kurdistan verbot Unterstützungsdemos im Nordirak, Sicherheitskräfte der PUK/Patriotische Union Kurdistan verhinderten eine Demonstration durch Schüsse. Die Demokratische Partei Kurdistan/Iran (KDPI), die den Irak-Einsatz der USA begrüßt hatte, wollte die Jugendlichen mit dem Hinweis auf die Regierungsbeteiligung der kurdischen Parteien im Irak zur Ordnung rufen. Radikalere Teile der linken Parteien, etwa Komalah (Teil der KP Iran), beklagten die Führungslosigkeit des Widerstands.
Nachdem die iranische Bevölkerung die Revolte auch nach Wochen nicht unterstützte, wurde für den 7.8.2005 ein eintägiger Generalstreik in ganz Kurdistan organisiert. Mit diesem »symbolischen Sieg« flaute die Bewegung ab.
[1]»Inzwischen sind ca. 4000 Ingenieure und Wissenschaftler in der iranischen Nuklearindustrie beschäftigt, die – ganz in Übereinstimmung mit der Propaganda der europäisch-amerikanischen Nuklearindustrie – den Atomstrom als die einzige Alternative zu erschöpfbaren fossilen Energiequellen erklären und dafür plädieren, die Atomenergie zum zweiten Standbein der iranischen Energieversorgung zu machen … Diese einflussreiche Gruppe kann die iranische Regierung für ihre Ziele sogar unter Druck setzen.
Das Atomprogramm hat mittlerweile insofern auch den Zweck, die große Expertenschar weiterzubeschäftigen, um ihre Auswanderung nach Europa und vor allem in die USA zu verhindern, wo die meisten von ihnen ausgebildet wurden …«
Mohssen Massarat, Motive der Konfliktparteien im Iran-Atomkonflikt (Graswurzelrevolution, bzw. http://www.linksnet.de/artikel.php?id=2230)
aus: Wildcat 76, Frühjahr 2006