Wildcat Nr. 77, Sommer 2006, S. 34–37 [w77_druckvorstufe.htm]



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Neue Arbeitsbedingungen in der Druckvorstufe

Für Menschen, die in der alten Bundesrepublik aufgewachsen sind, galten die Belegschaften in der Druckindustrie einst als die kämpferischsten überhaupt. Das mag aus heutiger Sicht verwundern, denkt man doch derzeit bei streikenden Druckern eher an defekte Bürogeräte. Tatsächlich gab es in den 70er und 80er Jahren eine Reihe größerer Arbeitskämpfe im Zusammenhang mit der Einführung rechnergestützter Satzsysteme, die auf den ersten Blick auch keineswegs in Niederlagen endeten, aber angesichts der tiefgreifenden Umstrukturierung insbesondere für die in der Druckvorstufe arbeitenden Schriftsetzer, Druckvorlagenhersteller und Reprofotografen auch nicht als Siege gelten können.

 

Druckvorstufe (auch Prepress):

Zusammenfassung aller Teilprozesse vor dem eigentlichen Druck um eine Druckform herzustellen, so z.B. Scannen, Daten- und Bildbearbeitung, Layout, usw., bei Offsetdruck auch die Plattenbelichtung.

Teilprozesse der Druckvorstufe sind Satz, Reproduktion und Druckformherstellung.

 

Speerspitze der Arbeiterbewegung oder Arbeiteraristokratie?

Den Ruf als streitbare Klassenkämpfer erwarben sich die Bucharbeiter bereits im 19. Jahrhundert, als sie den ständigen Rationalisierungen und Arbeitsbeschleunigungen mittels Arbeitsverweigerungen, Sabotage und sogar Maschinenstürmungen zu entgehen versuchten. Ihre für die Arbeiterschaft überdurchschnittliche Bildung, der leichtere Zugang zur Öffentlichkeit durch die von ihnen selbst hergestellten Druckerzeugnisse und ihr Ethos als Speerspitze der Arbeiterbewegung erleichterten ihnen organisierte Kämpfe. Ihre Position als halbwegs gut bezahlte Arbeiter konnten sie jedoch letztlich nur dadurch aufrecht halten, dass die enormen Rationalisierungen abgefedert wurden durch ein ebenso stark wachsendes Bedürfnis an Druckerzeugnissen – insbesondere seit der Einführung der freien Presse. Die Drucker konnten immer noch auf eine Anstellung hoffen, für die Setzer dagegen, deren Tätigkeit kaum von neuen Technologien beeinflusst wurden, bedeuteten die schnelleren Druckerpressen schlichtweg eine permanente Anhebung des Arbeitspensums. Nur ihr für die Berufsausbildung erforderlicher hoher Bildungsgrad schützte sie vor Lohndumping und Arbeitslosigkeit.

 

Dass man seinerzeit in Europa mit Maschinenstürmungen der Drucker und ebenfalls betroffenen Setzer zu rechnen hatte, verdeutlichen die Vorsichtsmaßnahmen, die mitunter bei der Einführung neuer Technologien vorgenommen wurden: »Am Abend des 28. November 1814 ging den Druckern der Londoner »Times« die beunruhigende Order zu, mit dem Einheben der Druckformen in die Pressen zu warten. Sie warteten bis Mitternacht und bis zum dunklen Novembermorgen. Eigentlich musste die Ausgabe für den 29. November bereits fertig gedruckt sein. Da betrat um sechs Uhr morgens Mr. Walter, der Besitzer der »Times«, den Pressesaal mit der druckfrischen Zeitung in der Hand. Er teilte seinen Arbeitern mit, sie könnten nach Hause gehen. Er mahnte zur Ruhe und drohte, etwaige Störungen rücksichtslos zu unterdrücken. Bis die entlassenen Drucker anderswo ihr Brot gefunden hätten, wolle er ihren Lohn weiterbezahlen. Was war geschehen? Heimlich hatte in den Monaten zuvor der deutsche Erfinder Friedrich Koenig in einem streng abgeschlossenen Teil der Druckerei seine ersten Doppelschnellpressen montiert. Nach einigen heimlichen Probedrucken war dann in der Nacht vom 28. zum 29. November erstmalig die volle Ausgabe der »Times« durch die Maschinen gelaufen. Für das grafische Gewerbe hatte eine zweite industrielle Revolution begonnen. Sie nahm in den nächsten Jahrzehnten den Charakter einer permanenten Revolution an, denn der Doppelschnellpresse folgten immer weitere Verbesserungen.«

Aus: Gerhard Beier, Schwarze Kunst und Klassenkampf, Band I, 1966.

 

Die Buchdrucker und Schriftsetzer gehörten zu den ersten, die sich gewerkschaftlich organisierten und sie setzten auch den ersten Flächentarifvertrag in Deutschland durch. Ihre Organisationen standen allerdings in der Tradition der mittelalterlichen Gesellenvereinigungen und hatten den Charakter elitärer Standesorganisationen. Besonders die Schriftsetzer, die als Typographen den Begriff von der Arbeiteraristokratie prägten, gerieten deshalb auch immer wieder in die Kritik. Auf die Schriftsetzer gemünzt bemerkte etwa Karl Kautsky 1891: »Wo die Gewerkschaftsbewegung zu einer Pflege einseitigen Kastengeistes und zu aristokratischer Abschließung der bessergestellten Arbeiter führt, da trägt sie nicht nur nichts zur Hebung des gesamten Proletariats als Klasse bei, sie ist sogar imstande, dieselbe zu hemmen und zu verzögern.« In der DDR schalt man die Bucharbeiter folglich auch als »Hort des Revisionismus« und hielt deren Löhne künstlich niedrig.

In der Bundesrepublik gehörten die Schriftsetzer weiterhin zu den am besten bezahlten Arbeitern, die ihre vergleichsweise gute Bezahlung hauptsächlich ihrer hohen und sehr speziellen Qualifikation zu verdanken hatten. Erst 1945 kamen die ausschließlich männlichen und deutschen Druckfacharbeiter mit den Hilfsarbeitern in einer gemeinsamen Organisation, in der IG Druck und Papier, zusammen. Die IG Druck und Papier redete überdies in Gestalt ihrer Betriebsräte bei sämtlichen Einstellungen mit und konnte sich so ihre Mitgliederbasis sichern und regelmäßig erneuern sowie durch Meisterzwang und strikte Ausbildungsordnungen quereinsteigende Billigkonkurrenz abwehren.

Bis Anfang der 70er Jahre war die Branche denn auch nicht als besonders streikwütig aufgefallen. Erst als immer mehr rechnergesteuerte Satzsysteme angeschafft wurden und damit erstmals die vorher immer noch handwerklich geprägte Satzproduktion automatisiert werden konnte, geriet die Machtbasis der Arbeiter in der Druckvorstufe in Gefahr. Denn mit den Satzcomputern ließ sich nicht nur schneller produzieren, man erwartete nicht ganz zu unrecht, dass mit ihrer Hilfe bald jeder Dödel in der Lage wäre, Druckvorlagen herzustellen. Wenn Journalisten ihre Artikel selbst layouten und Grafiker ihre Entwürfe selbst umsetzen, benötigt man keine Setzer mehr, so das damalige Credo. Dass viele Schreiberlinge, Sekretäre und Künstler sich nicht einmal darüber bewusst waren, dass sie – zumeist kostenlos – die Tätigkeit eines traditionellen Berufszweigs gleich mit erledigten, erhöhte zusätzlich den Druck auf die ausgebildeten Setzer. In den Streiks der 70er Jahre, vor allem in dem von 1978, ging es deshalb besonders darum, sicherzustellen, dass nur ausgebildete Schriftsetzer die neuen Satzcomputer bedienen dürfen. Im Kernbereich des Grafischen Gewerbes gelang das auch.

Von der neuen Linken zur neuen Mitte

Dafür traten seit Anfang der 80er Jahre vermehrt branchenfremde sogenannte Desktop-Publishing (DTP)-Betriebe auf den Plan. Die mit Apple-Rechnern ausgestatteten Quereinsteiger setzten die alteingesessenen Druckereibetriebe im Verlauf der 80er Jahre stark unter Druck und nötigten der Branche von außen eine Umstrukturierung auf. Zum Teil entstanden reine Service-Unternehmen, von denen manche nur Filme zur Herstellung von Druckplatten produzierten oder nur Bilder scannten. Grafiker, die zuvor mit ihren Entwürfen in die Druckerei gingen, um sie dort von Setzern umsetzen zu lassen, konnten ihre Druckvorlagen nun selbst herstellen. Dabei kam zwar oft miserable Qualität heraus, weshalb die Eindringlinge im Grafischen Gewerbe lange Zeit belächelt wurden, trotzdem nahmen die DTP-Firmen den alten Druckereien immer mehr Satzaufträge weg, was vielen das Genick brach.

Die DTP-Firmen unterscheiden sich stark von den alteingesessenen, besonders hinsichtlich der Unternehmenskultur und der Art, wie die Bezahlung ausgehandelt wird. Viele der frühen Firmengründungen in dem Bereich waren ein Resultat des Gründungsbooms der linken Szene, die sich als Reaktion auf den »Deutschen Herbst« auf dem Tunix-Kongress 1978 in Berlin zu großen Teilen davon verabschiedet hatte, die bestehende Gesellschaft grundlegend zu verändern, um stattdessen eine Parallelgesellschaft neben dem Mainstream aufzubauen. In diesem Zusammenhang entstanden zunächst vermehrt selbstverwaltete Unternehmen, die betriebsintern völlig auf Hierarchien verzichteten, sich aber auf dem kapitalistischen Markt behaupten mussten, weshalb sie oft nur mieseste Löhne zahlen konnten. Für den Erhalt des gemeinsamen Projekts war man auch gerne bereit, diese vorübergehende Durststrecke durchzustehen und auch mal länger zu arbeiten. Schon bald aber war die Selbstverwaltung nicht mehr so wichtig und manche Kollektive, vor allem aber die nachfolgenden Firmen, die nur noch dem Dunstkreis der Alternativszene entstammten und von denen es wegen der niedrigen Kosten der DTP-Technologie gerade in diesem Bereich besonders viele gab, gehörten wieder denjenigen, die Geld investiert hatten. Übrig blieben »flache Hierarchien«, die aber nur noch dazu dienten, die tatsächlich vorhandenen Machtverhältnisse unsichtbar zu machen und dadurch eine besondere Identifikation mit der Firma aufrecht zu erhalten sowie eine auf den ersten Blick weniger rigide Arbeitsorganisation. Es gab keine Stechuhr, sondern Gleitzeit. Das Kollektiv wurde zum Team und die Chefin hieß Teamleiterin und wurde geduzt. Das Streben nach Selbstverwirklichung löste die Selbstverwaltung ab.

MetaDesign im New-Economy-Boom

Ein sehr typisches Beispiel für die Entwicklungen in der Branche ist die Berliner Firma MetaDesign. MetaDesign selbst wurde 1979 unter dem Namen Design for Design als Grafikagentur gegründet. 1991 übernahm sie die ungefähr zur selben Zeit entstandene DTP-Firma CitySatz, die hauptsächlich Dienstleistungen wie Belichtungs- oder Scanservice für Grafiker anbot, sich aber auch als Satzbetrieb zu etablieren trachtete. 1993 fusionierte CitySatz mit der altehrwürdigen, ins Straucheln geratenenen Setzerei Nagel und hieß fortan CitySatz & Nagel. Für CitySatz war diese Übernahme vor allem deshalb interessant, weil man mit dem Namen Nagel solide Handwerksarbeit verband, während CitySatz bis dahin mit dem Schmuddelimage des Quereinsteigers zu kämpfen hatte. Die Übernahme von Nagel war aber keine rein kosmetische Maßnahme und blieb auch nicht die einzige Masseneinstellung ausgebildeter Fachkräfte untergegangener tarifgebundener Traditionsbetriebe: 1994 übernahm CitySatz & Nagel fast die komplette Belegschaft der Bildbearbeitungsabteilung der bankrotten Kreuzberger Offsetdruckerei ORT.

Während viele traditionelle Druckbetriebe der Konkurrenz der DTP-Firmen nicht gewachsen waren, fanden deren Mitarbeiter bis Ende der 90er also durchaus wieder neue Stellen bei eben diesen DTP-Betrieben. Allerdings zu anderen Bedingungen: Bei CitySatz & Nagel handelte jeder seinen eigenen Arbeitsvertrag aus, weshalb dieselbe Arbeit zu den unterschiedlichsten Konditionen erledigt wurde. Die Unterschiede betrafen vor allem die Bezahlung, über die untereinander zu reden ausdrücklich verboten war, woran sich vor allem die jüngeren, unerfahrenen Kollegen auch hielten. Grundsätzlich waren alle Arbeitsverträge befristet, was die Geschäftsführung ganz offen damit begründete, dass sie sich dadurch im Krisenfall schnell und problemlos von überflüssigen Mitarbeitern trennen könne (was sie dann nach dem New-Economy-Crash auch tat). So mussten die Arbeiter jedes Jahr ihre Arbeitsverträge neu aushandeln, was sie in der Regel dafür nutzten, mehr Geld herauszuschlagen. Einige konnten aber auch eine 30-Stunden-Woche aushandeln oder selbständig als »Freelancer« ihre Arbeitskraft verkaufen, was sich in den 90ern durchaus lohnen konnte.

Abgesehen vom Scan- und vom Belichtungsservice, wo in zwei Schichten gearbeitet wurde, galt für alle Gleitzeit. Gleitzeit hat den Vorteil, dass man erst um 10 Uhr antanzen muss, dafür aber den Nachteil, dass man nur in Ausnahmefällen schon nach acht Stunden wieder geht. Die meisten arbeiteten mindestens 50 Stunden in der Woche und häuften so Überstunden an, die aber nicht als solche bezahlt wurden. Neben der Gleitzeit gab es ein Jahresarbeitszeitkonto, um die Überstunden im Prinzip als Urlaub abfeiern zu können, was tatsächlich nur bei Auftragsflaute möglich war. Die meisten Überstunden wurden letztlich ohne Zuschläge ausbezahlt. Einmal im Monat musste man überdies samstags arbeiten, um an »Teamsitzungen« teilzunehmen. Diese sollten das Gemeinschaftsgefühl heben, liefen aber meist so ab, dass der Teamleiter genannte Abteilungsleiter referierte, was besser zu werden hat. Diese Teamsitzungen ließen sich aber durchaus umdrehen und als Forum für Diskussionen über die Arbeitsbedingungen nutzen. Das war wohl von der Geschäftsführung sogar beabsichtigt, ist man auf diese Weise doch in die Strukturen der Firma integriert und baut keine eigenen auf.

Mitte der 90er wurde eine neue Arbeitsorganisation eingeführt. Die Teams werden seitdem nicht mehr als klassische Abteilung nach Berufen, sondern projektbezogen zusammengestellt. Seitdem arbeiten die Setzer von CitySatz & Nagel mit den Grafikern von MetaDesign zusammen. Waren schon bei CitySatz & Nagel unterschiedlichste Arbeitermilieus wie beim Jobben hängengebliebene Studienabbrecher, umgeschulte Gärtner und berufsstolze Facharbeiter nicht immer miteinander ausgekommen, wurden nun noch frisch von der Kunsthochschule kommende Kreative und hippe Start-Up-Schnösel dazugesellt. Um aus der heterogenen Belegschaft eine Gemeinschaft zu formen, hatte man sich eine Firmenideologie ausgedacht, die den in der New Economy üblichen Corporate Identities entspricht: junge, flexible, kreative und weltoffene Mitarbeiter, die unheimlich Wichtiges und Großartiges leisten und die als Vorbild für die ganze Gesellschaft dienen. Es erinnerte stark an das Innenleben von Sekten.

Hipper Medienjob nach dem Crash

Die 80er und 90er Jahre brachten also eine radikale Umdefinition der Berufsbilder in der Druckvorstufe. Aus stark reglementierten Handwerksberufen wurden angesagte Medienjobs, mit dem unangenehmen Nebeneffekt, dass es haufenweise Leute gibt, die sich umsonst als Praktikanten andienen. Aus dem einstigen Beruf, den man mit 15 als Lehrling ergriff, ist heute einer für fast ausschließlich Abiturienten geworden, die, um eine Lehrstelle zu ergattern, den Job eigentlich schon vorher in ihrer Freizeit erlernt haben müssen. Und die neu dazu gekommenen Setzer, Layouter und Grafiker verstehen sich darüber hinaus noch nicht einmal mehr als Arbeiter, sondern eher als Angestellte, wenn nicht sogar als Künstler.

Die Veränderungen schlagen sich auch in den Ausbildungsordnungen nieder. Die Berufe Schriftsetzer und Reprofotograf sind in den 90er Jahren im »Medienvorlagenhersteller Digital und Print« aufgegangen. Außerdem wurde der Meisterzwang abgeschafft, womit die DTP-Betriebe endgültig zu vollwertigen Druckvorstufenbetrieben aufstiegen und nun auch ausbilden dürfen. Damit wurde auch ein wesentlicher Pfeiler alter Handwerkermacht, nämlich über die Begrenzung des Zugangs zum Arbeitsmarkt die Löhne hoch zu halten, geschleift. Selbst Werbeagenturen bilden inzwischen zum Medienvorlagenhersteller aus. Auch die außerbetriebliche Ausbildung wurde zu Zeiten des New-Economy-Booms stark ausgeweitet. Das Arbeitsamt steckte im großen Stil Leute in Umschulungsmaßnahmen und an Hochschulen und privaten Schulen wurden haufenweise neue Grafik-Design-Studiengänge eingerichtet. Man rechnete damals mit einem nie enden wollenden Wachstum der Branche, das die durch Rationalisierung weggefallenen Arbeitsplätze mehr als ausgleichen konnte.

Seit dem Zusammenbruch der New Economy, der auch in der Druckvorstufe viele daran erinnert hat, dass sie Arbeiter sind, gibt es deshalb heute mehr ausgebildete Leute als gebraucht werden. Besonders die Betriebe, die auch viel Internetgestaltung anboten, entließen den größten Teil ihrer Mitarbeiter, wenn sie nicht gleich ganz dicht machten. Das traf die Grafiker stärker als die Medienvorlagenhersteller. Letztere kamen oft woanders unter, allerdings häufig nur noch als Subunternehmer, was sich heute nicht mehr so lohnt wie noch in den 90ern. Laut ver.di soll es aber auch noch Medienvorlagenhersteller geben, die nach Tarif bezahlt werden. Grafiker arbeiten sogar fast nur noch als »Freelancer«. Je kreativer die Arbeit ist, desto schlechter sind offenbar die Arbeitsbedingungen.

Ansätze, sich gegen diese zum Teil drastischen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen zur Wehr zu setzen, gibt es bisher nur wenige. Das hängt damit zusammen, dass es auch nach dem Zusammenbruch der New Economy immer noch als chic gilt, »etwas mit Medien zu machen«, liegt aber auch in der veränderten Arbeitsorganisation selbst begründet. Gab es vor den Umstrukturierungen einen linearen Arbeitsablauf, der weitgehend in einer einzelnen Druckerei stattfand, ist der Bereich der Vorlagenherstellung heute netzförmig in vielen konkurrierenden Kleinstbetrieben organisiert, der Druckerei vorgelagert und über die ganze Stadt verteilt. Fällt ein Knoten des Netzes aus, bricht der Produktionsprozess nicht gleich zusammen, weil ein anderer einspringt. Um das zu verhindern, müsste man betriebsübergreifend agieren und am besten mit den Fahrradboten zusammenarbeiten, die eine wichtige Verbindung zwischen den einzelnen Produktionsbereichen darstellen und daher, vermutlich ohne sich dessen bewusst zu sein, den Arbeitsablauf empfindlich stören könnten.

Wahrscheinlicher als ein offener Kampf erscheint derzeit aber eher eine Neubelebung alter Abschottungsstrategien gegen Billigkonkurrenz durch rigide Qualitätsansprüche. Auf dem Markt springen schließlich auch haufenweise Stümper herum, denen oft gar nicht bewusst ist, dass die Arbeit, die sie gerade verrichten, sonst die ausgebildeter Fachleute ist, und die sich wegen ihrer Unerfahrenheit in Lohnverhandlungen oft mit Peanuts abspeisen lassen. In einem der größten Berliner Arbeit- und Auftraggeber der Branche, dem Cornelsen Schulbuchverlag, zumindest bahnt sich soetwas an, was in der Aufspaltung des Arbeitsmarktes in ein Hoch- und ein Niedriglohnsegment enden könnte. Mit der Umstellung auf ein neues Grafikprogramm sind die Qualitätsansprüche derart angezogen worden, dass ein großer Teil der »Außenhersteller« keine neuen Aufträge mehr bekommt und wieder mehr bei Cornelsen im Haus produziert wird.

Es gibt mittlerweile aber doch auch zaghafte Ansätze für eine betriebsübergreifende Organisierung der Druckvorlagenhersteller und Grafiker. Viele der ehemaligen Arbeiter von CitySatz & Nagel und MetaDesign beispielsweise, die nach dem Crash Ende der 90er ihre Jobs verloren, treffen sich regelmäßig zum lockeren Umtrunk bei einem ihrer ehemaligen Kollegen im Grafikbüro. Dort kursieren Informationen über freie Stellen und werden Aufträge vermittelt oder sich über Lohnhöhen und Preise ausgetauscht. Auch Diskussionen über »prekäre Arbeitsverhältnisse« sind dort und überhaupt unter Kulturproduzenten inzwischen verbreitet. Es ist schon ein großer Fortschritt, dass sich viele Medienarbeiter überhaupt wieder Gedanken über ihre Rolle als Lohnabhängige oder Scheinselbstständige machen und sich über Möglichkeiten, sich im Beruf selbst zu verwirklichen und sich dafür alles gefallen zu lassen, nicht mehr so viele Illusionen machen. Weitergehende Überlegungen zu organisierter Gegenwehr gibt es bisher aber kaum. Dabei haben die veränderten Produktionsabläufe auch neue Schwachstellen hervorgebracht. Vor allem der enorm gewachsene Termindruck mit immer knapperen Zeitvorgaben könnte ein Hebel für die Durchsetzung eigener Interessen sein. Auch mit dem »Konzept Imagebeschmutzung« ließe sich in dieser so stark auf ihren Ruf bedachten Branche eventuell etwas ausrichten.

Søren Jansen und Susann Sax



aus: Wildcat 77, Sommer 2006



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