Wildcat Nr. 78, Winter 2006/2007, Booklet S. 15–17 [w78_b_chronologie.htm]



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Kurze Chronologie

1967 ein paar Beschäftigte des Petrolchimico in Marghera gründen die Gruppe Potere Operaio (Arbeitermacht). Sie kandidieren auf CGIL-Listen für die Commissione interna, die damit die Mehrheit bekommt. Kontakte mit der Studentenbewegung. Die ersten Flugblätter sowie die Zeitschrift Potere Operaio – Politische Zeitschrift der Arbeiter von Porto Marghera werden verteilt.

1968 Februar: StudentInnen besetzen die Architekturfakultät in Venedig. April: Streik der Textilarbeiter in Valdagno. 1. August: Streik in Porto Marghera für die Produktionsprämie mit der Forderung 5000 Lire für alle. Barrikaden und Besetzung des Bahnhofs von Mestre.

1969 »Heißer Herbst« in Turin. In Marghera kämpfen Chemiearbeiter und Metallarbeiter Gründung des Arbeiterkomitees bei Ammi und Wahl in den neuen Fabrikrat. Dezember: Abschluss der neuen nationalen Tarifverträge; Antwort der Rechten und der Geheimdienste: Strategie der Spannung; die Bomben auf der Piazza Fontana in Mailand werden der Linken untergeschoben.

1970 Die Regierung verabschiedet das Statut der Arbeiterrechte. In Marghera entgleitet die Auslagerung an Fremdfirmen der Kontrolle der Unternehmer und den Feuerwehreinsätzen von Parteien und Gewerkschaften. Im August ist ganz Marghera lahmgelegt durch Straßenblockaden und Zusammenstöße mit der Polizei, die schießt und einige Demonstranten verletzt.

1971 tun sich in verschiedenen Städten Italiens und auch in Marghera Potere Operaio und Manifesto zusammen und bilden die Politischen Komitees (Comitati Politici), was nur wenige Monate gut geht. Das Arbeiterkomitee organisiert harte Kämpfe auf Abteilungsebene zur Reduzierung der Arbeitszeit.

1972 Arbeiterversammlungen im Petrolchimico und bei Châtillon lehnen den Chemietarifvertrag ab. Die »Autonome Versammlung von Marghera« (Assemblea Autonoma di Porto Marghera) wird gegründet. Ihr Kern sind Arbeiter der Komitees des Petrolchimico und von Ammi, Arbeitergenossen von Lotta Continua, Beschäftigte des Petrolchimico und von Châtillon sowie Metallarbeiter von Dimm. Das Kampfgebiet weitet sich aus: Stadtteil, Inflation, Miete, Strom- und Gasrechnungen. Hauptziel ist die Organisierung von unten und außerhalb der Gewerkschaft. Kritik am Kurs der politischen Gruppen.

1973 Das Arbeiterkomitee schließt sich mit Fabrikgruppen in anderen Städten zusammen. Gemeinsamer Kongress im März in Bologna. Gemeinsame Zeitschrift. Juni: Auflösung der nationalen Organisation von Potere Operaio. Im September erscheint die erste Nummer von Lavoro Zero. Kampf gegen die gesundheitsschädliche Arbeit in Zusammenarbeit mit ArbeitsmedizinerInnen aus Padua. Kampf für Arbeitszeitverkürzung in gefährlichen Abteilungen.

1974 Die Autonome Versammlung gründet ein Kampfkomitee gegen die Teuerung. Kampagnen für preisgebundenes Brot [pane comune] und für Autoriduzione [Selbstreduzierung] von Strom- und Gasrechnungen. Nach vier Monaten Kampf schließen Regierung und Gewerkschaft einen Vertrag, der die Strompreise herabsetzt.

1975 Krise der Arbeiterkämpfe. Repression und beginnende Restrukturierung in den Fabriken.

Die Autonome Versammlung von Porto Marghera druckt eine Broschüre zum Krankfeiern. Die erste Nummer der vierseitigen Wochenzeitung ControLavoro [Gegen Arbeit] wird gedruckt. Bis 1980 erscheint sie jeden Montag.

1976 Chemieunfall in Seveso.

Die drei Gewerkschaftsverbände CGIL-CISL-UIL beschließen auf dem Kongress im EUR/Rom, die »Politik der Opfer« mitzutragen, um den Staatshaushalt zu sanieren. Bundeskanzler Schmidt droht der italienischen Regierung mit dem Entzug von Krediten, falls die KPI an der Regierung beteiligt wird.

1977 Ausgehend von Bologna breitet sich eine neue Jugendbewegung in Italien aus. Eine Übereinkunft zwischen Unternehmerverband und den Gewerkschaften wird verabschiedet, die alle automatischen Lohnanpassungen abschafft, sieben Feiertage streicht, die Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz ermöglicht und harte Maßnahmen gegen den Absentismus vorsieht.

Der Streik in Marghera am ersten gestrichenen Feiertag ist ein Misserfolg. Das Arbeiterkomitee versucht autonome, betriebliche Lohnverhandlungen. Gegen die Gewerkschaft klagen Arbeiter die gestrichenen Lohnbestandteile vor Gericht ein.

1978 DC-Regierung der »nationalen Solidarität« unter Andreotti, unterstützt von der KPI. Entführung des DC-Chefs Aldo Moro durch die Roten Brigaden.

1979 7. April 1979: basierend auf dem Theorem des Paduaner Staatsanwaltes Calogero (KPI-Mitglied), demzufolge die Roten Brigaden und die Autonomia Organizzata eine gemeinsame Führung hätten, werden meist in akademischen Positionen befindliche FührerInnen der Autonomia Operaia bzw. Ex-Potere Operaio verhaftet. Die Anklage lautet »subversive Vereinigung« und bewaffneter Aufstand gegen den Staat. Damit nehmen politische Massenverhaftungen ihren Anfang, wie es sie Jahrzehnte in Italien nicht mehr gegeben hatte.

Im Sommer entlässt Fiat 61 Arbeiter wegen politischer Gewalt in der Fabrik (»Terrorismus«).

1980 24. Januar: bei der dritten Blitzaktion werden weitere Genossen von Controlavoro verhaftet, u.a. Gianni Sbrogiò. Die Roten Brigaden versuchen, über Aktionen ihren Einfluss im Veneto und insbesondere im Industriegebiet zu vergrößern. Am 29. Januar töten sie in Mestre den Vize-Direktor des Petrolchimico, Sergio Gori. Wenige Monate später den Chef der Antiterroreinheit in Venedig, Kommissar Alfredo Albanese. In den Medien wird das Arbeiterkomitee und seine Zeitungen mit diesen Anschlägen in Zusammenhang gebracht. 5. Februar: Ein Kommando der Organisation Prima Linea tötet den Ingenieur Paolo Paletti, Produktionsleiter von Icmesa, der Chemiefabrik von Seveso.

Anfang der 80er Jahre sitzen 4000 politische Gefangene in den italienischen Knästen, gegen die wegen Beteiligung oder Unterstützung an bewaffneten Aktionen ermittelt wird. Viele sind auf der Flucht oder im Exil, gegen ca. 20 000 laufen Ermittlungsverfahren.

September: Fiat kündigt die Entlassung von 15 000 ArbeiterInnen und Kurzarbeit zu null Stunden für 23 000 weitere Beschäftigte an. Die ArbeiterInnen treten in einen wochenlangen Streik. Der Marsch von 40 000 »Weißkragen« (Angestellte und Vorgesetzte) am 24. Oktober besiegelt die Niederlage der Fiat-ArbeiterInnen, die als Ende einer Epoche angesehen wird.

1981 20. Mai: Der Chef des Petrolchimico, Giuseppe Tagliercio, wird von der venetischen Kolonne der Roten Brigaden entführt und schließlich am 7. Juli getötet. Die Aktion wurde gleichzeitig mit weiteren drei Entführungen gemacht. Es war die letzte gemeinsame Aktion der BR vor der Spaltung.



aus: Wildcat 78, Winter 2006/2007



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