Wildcat Nr. 78, Winter 2006/2007, S. 8–12 [w78_dorfkollektive.htm]



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Wo sind die Dorfkollektive im Osten?

Unsere Diskussion über Kollektive hat uns aufs Land verschlagen. Und zwar in den Osten Deutschlands. Zwei Fragen trieben uns an: Probieren die, die in Regionen leben, wo es kaum noch kapitalistische Produktion gibt, und die diese nicht der Arbeit wegen verlassen, gemeinsam was anderes aus? Sind die Erfahrungen, die viele der »Älteren« zu DDR-Zeiten gemacht haben, womöglich eine Grundlage, ihr Leben selber in die Hand zu nehmen?

Um Antworten zu finden, haben wir Menschen an unterschiedlichen Orten besucht. Wir waren bei der mecklenburgischen Kommune »Ulenkrug«, in einer Region, in der zu DDR Zeiten Dorfgenossenschaften neu angesiedelt wurden. Heute gibt es dort ein Dorf voll mit alten Trabbiwracks, weil die Jugendlichen sich mit der Organisation von Autorennen Jobs schaffen. Für den »Ulenkrug« funktioniert viel über Fördergelder. Die Kommunarden betreiben Landwirtschaft für den eigenen Bedarf und verschenken den Rest an Bekannte. Politisch lehnen sie sich an Longo maï an.

Wir sprachen mit einem ehemaligen Vorstandsmitglied einer Ex-LPG in Ranis in Thüringen. Vor der Wende bewirtschaftete die LPG 30 000 Hektar, nach der Wende wurde der Betrieb weitergeführt. Heute ist die Genossenschaft eine »Arbeitsbeschaffungsmaßnahme« für die umliegenden Orte, die mit Landwirtschaft nicht mehr viel zu tun hat. Ein Kinderferienhaus, Seminare, Heilkräuter und eine Kfz-Werkstatt dienen dem Broterwerb. Den Bauern mit der Forke in der Hand treffen wir hier nicht.

Auch die Redakteurin der »Ortszeit«, einer regionalen Zeitung in Reichenow östlich von Berlin, lebt in ihrem Projekt nicht mehr von der Landwirtschaft. Die ca. 30 Leute dort – Ex-Autonome aus Berlin – sind Künstler, Architekten, Designer. Sie verdienen ihr Geld entweder via Internet, auf dem Hof selber, oder relativ flexibel bundesweit. Der Gewerbehof bleibt für die restlichen Leute im Ort ein Ufo.

Und dann waren wir noch auf dem Lehmbau-Ökohof, der im Grunde das ganze Dorf Roddahn ausmacht. Westberliner Studenten, die nach der Wende gemeinsam die Stadt verließen – unter ihnen ein Ossi, mit dem wir sprachen – kauften billig ein Grundstück. Sie erprobten sich im Ausbau ihrer Häuser und pflegen heute drei Geschäfte, mit denen sie teils über Internet, aber auch in der Region alles rund um ökologischen Hausbau anbieten.

Mit einem Tagesausflug lässt sich natürlich nur ein Bruchteil erfahren, aber wir haben einen Einstieg gefunden. Wir haben jetzt eine Vorstellung davon, was die Leute zusammen bringt, ob sie arbeiten, wo sie arbeiten und wie die soziale Struktur »Dorf« heute aussieht. Die Leute treffen sich nicht auf dem Feld, sondern bei der Feuerwehr, in Landfrauen-Verbänden, auf Bauernmärkten und dem Arbeitsamt. Für die Projekte sind es meistens die Fördertöpfe, für die individuellen Haushalte die Pendlerlöhne oder das Amt, die die Existenz garantieren.

Boden-Besitzverhältnisse machen regionale Unterschiede

Im Osten wirkten sich nach 1989 wirkten die früheren Besitzverhältnisse mit ihren regionalen Unterschieden aus, die es schon immer gegeben hat. Im Süden gab es viele Kleinbauern, im Norden, der wenig besiedelt war, viele Krautjunker, die schon vor 200 Jahren auf riesigen Ländereien die Leute schuften ließen. Die Politik Biedenkopfs in Sachsen hätte ohne die ehemaligen Kleinbauernverhältnisse nicht funktioniert. Auf dem rückübertragenen Land der Kleinbauern und dem Land, das einige durch die Bodenreform nach dem Krieg erhielten, wurden weniger Landwirtschaften als kleinere Firmen, oft Handwerksbetriebe oder andere Einrichtungen (Handel, Kultur, Tourismus) gefördert. Die Jahre, in denen Gelder in die Taschen der (neuen) Mittel- und Oberschicht flossen, sind nun vorbei, aber heute ist jeder Feldweg asphaltiert, fast jede Firma saniert, und selbst für eine verwilderte Obstwiese bekommt man im letzten Dorf noch finanzielle Unterstützung aus einem EU-Fördertopf. Von den Beziehungen Biedenkopfs, die er ausspielte, um seinen Rivalen bei der CDU was zu beweisen, können Regionen in MeckPomm, Sachsen-Anhalt oder Brandenburg nur träumen. Hier hörte man mehr von Schmiergeldern bei Leuna-Buna, Milliardengräbern wie dem Cargolifter oder Ideen, die Insel Rügen am Stück zu verkaufen. Einige der alten Ländereien sind an Junkerfamilien zurückgegangen und nicht wie im Süden an die Nachbarn. Hier enmtstand kein Kleinunternehmertum wie im Süden; dafür führte der Frust über die Nachfahren der Barone dazu, dass nach der Wende den »Wessi-Gören« an der Müritz die Zelte oder »Energiequellunterbewusstseins-Kommunen« die Felder angezündet wurden.

Doch zurück zu der Zeit, als man den Baronen und Ritterfamilien »alles« wegnehmen wollte.

Enteignung: die sozialistische Grundrente?

»… denn was mich angeht, ich möcht nicht verzichten auf den winzigen Stolz nach der Bodenreform, wenn das Getreide gut stand, da hast du dich gefreut, was du geschafft hast mit Frau und Kindern, was hätte da werden können aus uns (…), wenn sie das Soll nicht so hoch gedrückt hätten, da musst du ja der Krauter bleiben und ewig unzufrieden, kein Schlachtschein, wenn das Soll nicht erreicht war, was hast du die Waagen verflucht und Vorschriften, die wollten auf Sand Zuckerrüben pflanzen, immer schlimmer, bis die Lust wieder weg war, einer hat auf den Tisch geschissen, Zettel dran: Das ist mein Soll, und ist ab nach Westen, und nicht nur der.«…

»Als es trotzdem besser lief und man leben konnte und aufatmen, ging es wieder los mit der Prügelei, LPG, Studenten rückten dir auf die Pelle, packten beim Heu mit an, fassten die Gabel falsch und quatschten dich abends voll, ich war bald dabei, aber bei anderen haben sie mit den Sollbescheiden getrickst und betrogen, in drei Wochen soundso viel Doppelzentner Futtergetreide, und wieder sind viele ab, und wer abends unterschrieb, dem haben sie am nächsten Morgen um sieben das Vieh aus dem Stall geholt, Heu und Getreide, alles raus aus der Scheune …«

[F.C.Delius, Die Birnen von Ribbeck]

Mit der Bodenreform 1946 begann die »Kollektivierung« in der Landwirtschaft, Großgrundbesitz von über 100 Hektar wurde enteignet. 200 000 Neubauern – Landarbeiter, Vertriebene und landlose Bauern – bewirtschafteten die Flächen. Viele gaben gleich wieder auf, weil sie keine Landwirte waren oder vor dem anwachsenden Druck der Abgabemengen flüchteten. Für die ehemaligen Arbeiter der Junkergüter unter ihnen beschränkte sich die Zeit der Landwirtschaft in Eigenregie auf wenige Jahre vor der Planwirtschaft. Aufgrund des Mangels an Arbeitern nach dem Krieg waren wie in der Industrie erstmals auch viele Frauen unter den neuen Beschäftigten. Schon in den 50er Jahren wurde ein breites Netz an sozialen Einrichtungen geschaffen, z. B. für die Kinderbetreuung.

Ab 1952 entstanden drei verschiedene Typen von LPGen. Im ersten Typ brachten die Bauern ihren Boden in die Genossenschaft ein, im zweiten ihre Maschinen und im dritten ihr Vieh. Die Kuh wurde als letztes rausgerückt und das war der schwerste Schritt für die ehemaligen Kleinbauern. Von diesem Zeitpunkt an waren sie völlig von der bäuerlichen Eigenregie abgetrennt. Auf diese Weise stieg die Zahl von 5 074 LPGen mit 146 900 Mitgliedern im Jahr 1953 auf 19 000 LPGen mit 945 000 Mitgliedern 1960 an. Sie bewirtschafteten 85 Prozent der gesamten Nutzfläche.

In den 70er Jahren begannen die LPGen, sich zu industriellen Großbetrieben zusammenzuschließen, die an die Verarbeitungsindustrie angekoppelt waren. Die Arbeitsteilung, die mit der Trennung von Tier- und Pflanzenproduktion begann, führte zu einer hochgradigen Spezialisierung in der Landwirtschaft. Im »Kreisbetrieb für Landtechnik«, »Agrochemisches Zentrum«, der »Zwischenbetriebliche Bauorganisation« oder der »kooperativen Abteilung Pflanzenproduktion« fanden die Leute »kollektiv« organisiert ihren Platz. Meist 350-400 Beschäftigte waren es pro »Betriebskollektiv« in den LPGen, dem Grundtyp der genossenschaftlichen Produktionsweise. In den Bauorganisationen, die für die Landwirtschaft arbeiteten, waren allein in Mecklenburg mehr Leute beschäftigt als im gesamten Bauhandwerk. 44 000 Arbeiter machten die Generalreparaturen und Maschineninstandhaltung in den Landtechnikbetrieben und 22 000 arbeiteten in den Agrochemischen Zentren.

Die LPGen waren in der Regel auf Basis der Dörfer bzw. Gemeinden organisiert. Oft wurden Dörfer und kleinere Städte zum Zweck der landwirtschaftlichen Produktion aus dem Boden gestampft. Dorf-Konsum, Post, Kneipe, Kindergarten gab es fast überall. Kinderkrippen, Oberschulen, Kulturhäuser, Jugend- und Sportclubs fand man in den größeren Landwirtschaftszentren.

Ende der 70er Jahre konnte man kaum noch von einer bäuerlichen Gesellschaft reden. Nur jeder zweite Genossenschaftsarbeiter kam aus einer Bauernfamilie. Und das änderte sich rasch. Durch die Aufsplitterung und Spezialisierung der Betriebe wuchs die Bedeutung der Facharbeit in allen Bereichen – ob Küchenpersonal, Landmaschinenschlosser oder Maurer. Kein ganzjähriges Bauernleben, sondern Urlaub, geregelte Arbeitszeiten, Bildungsmöglichkeiten und viele KollegInnen bestimmten den Alltag. Bis 1989 waren 900 000 Leute in der Landwirtschaft beschäftigt.

Nach der Wende: »Entlangsteuern am Abgrund Markt«

»… von vorn anfangen dürfen, der Bauer zieht immer den kürzeren, zum fünften Mal in fünfzig Jahren alles anders, erst Knecht, (…), dann Junkerland in Bauernhand, angefangen als Kleinbauern, der Zwang LPG machte es leichter unter dem Namen »Vereinte Kraft«, dann wieder alles anders mit dem Schwachsinn der Trennung von Vieh und Pflanze, auf der Schicht in Kalorienfabriken, durch Gülle gestapft, stundenlange Anfahrten zum Feld und mußt den Acker betrügen, bis du die Arbeit hasst oder gleichgültig wirst, wenns gut geht, und jetzt mit letzter Kraft den Betrieb entlangsteuern am Abgrund Markt, alles verkleinern, überschaubar, effektiv machen und angetrieben von den alten Genossen, die Parteibuch und Abzeichen weggeworfen haben und jetzt die neue Unschuld spielen mit dem Zauberwort Effektivität und Markt und die gleichen schlauen Sprüche machen wie vorher und mich losschicken morgens um vier, damit ich unter den Pflug nehme, was übermorgen Gewinn verspricht, und wieder hin und her fahre über die <ct:>cker, ein Teil der Maschine im Gleichmaß der Jahreszeiten…«

[F.C.Delius, Die Birnen von Ribbeck]

Agrarindustrie

Bereits vor 1989 gingen viele junge Leute in die Industrie, weil sie nicht mit dem »Fortschritt« über das Feld juckeln wollten und sich allgemein von den industriellen Großbetrieben mehr versprachen. Das führte dazu, dass es zur Zeit der »Wende« in der Landwirtschaft eine chronische Überalterung gab. Dass Tausende in den Vorruhestand geschickt wurden, bedeutete für viele Betriebe die Schließung. Ließen sie sich nicht abwickeln, mussten oft von vorne anfangen, da mit den Alten auch das Wissen und die Erfahrung in Rente geschickt wurden. Die Betriebe, die heute als Agrargenossenschaft weiter bestehen, waren auf Grund ihrer Größe marktfähig und dominieren heute in weiten Teilen die Landwirtschaft im Osten. Vor der Wende war klar, dass alle im Ort in der LPG arbeiten. Die Genossenschaften heute versuchen, den einen oder anderen Arbeiter mitzuziehen. Meistens ist es nur der alte Mechaniker, den sich sonst kein Landwirtschaftsbetrieb mehr leistet, und selten wird versucht, die Leute aus der ganzen Region miteinzubinden. Aufgeteilt in einzelne Bereiche, um Förderungen zu erhalten, betreiben die Genossenschaften alle erdenklichen Projekte, die oft nichts mehr mit der eigentlichen Landwirtschaft zu tun haben. Beschäftigt sind nicht die damaligen Arbeiter, sondern eher diejenigen, die nichts Besseres finden. Die Hierarchien in den Genossenschaften sind geblieben, gemeinsam organisiert sind die Betriebe nicht.

ArbeiterInnen?

Vor der Wende waren circa 11 Prozent der Berufstätigen in der DDR in den LPGen beschäftigt. Heute arbeiten von 5,5 Millionen Erwerbstätigen im Osten nur noch 166 000 in der Land- und Forstwirtschaft. Sie sind keine Bauern im üblichen Sinn – auch wenn jedes Dorf seine »Wiedereinrichter« hat (also diejenigen, die ihr altes in die LPG eingebrachtes Land wieder bewirtschaften) – sondern LandarbeiterInnen, die für Agrargesellschaften arbeiten. Viele ehemalige Kleinbauern im Süden konnten oder wollten ihr eingebrachtes Land nicht selber nutzen, da sie über die Jahre ihre Ställe zu Wohnungen umgebaut hatten; sie verpachteten oder verkauften ihre Felder.

Viele sind heute erwerbslos, leben von Hartz IV und werden immer wieder in Arbeitseinsätzen von den Gemeinden beschäftigt. Unter den Arbeitenden gibt es viele Pendler, die anderen Orten oder im Ausland arbeiten. Sie leben auf dem Land, aber arbeiten in denselben Bereichen wie die Städter und müssen lange Strecken zurücklegen, um an Geld zu kommen. Zwei Millionen Menschen wohnen allein in dorfähnlichen Orten unter 1000 Einwohnern, sind aber kaum zu Hause und leben wesentlich vereinzelter als manche in der Stadt.

Wenige ziehen weg. Es sind die mit längerfristiger Anstellung anderswo, Familien mit schulpflichtigen Kindern und junge Leute, die wegen der Lehrstelle die Region verlassen.

Städter

Es gibt aber auch viele Zuzügler, welche, die schon vor Jahren kamen, und andere, die noch heute den Schritt raus aufs Land machen. Anfang der 90er Jahre kamen viele mit der »Ökodorfbewegung« aus Westberlin. Die kannten die Tricks, um an Subventionen und Fördergelder ranzukommen, und konnten damit Gehöfte kaufen und ausbauen. Den Lebensunterhalt zahlte das Arbeitsamt.

Die Gründe waren vielfältig. Einige wollten die Natur genießen. Andere verwirklichten ihre Ideen, weil Kneipen, Ferienheim, Hotels, Pensionen, Wohnraum hier günstiger sind und sie leichter ihre Pläne in die Tat umsetzen und (mit anderen) ausprobieren können. So entstanden unzählige Projekte, heute modern renoviert und meist wirtschaftlich ausgerichtet. Das zieht Leute an, die solche Projekte als »Bürohaus« sehen, als »symbolisches Kapital« und als Ort, wo Verbindungen und Kontakte geknüpft werden können. Künstler, Designer, Filmemacher, Schauspieler, Akrobaten und Photografen, Handwerker, die frei arbeiten können, denen ein Internetzugang, ein Büro oder eine Werkstatt genügt, um ihre Geschäfte abzuwickeln.

Kollektivität

Während unter den ehemaligen Städtern oft Leute sind, die ihre Ansprüche begraben haben und nichts mehr von Gemeinschaft hören wollen, gibt es unter den Alteingesessenen eine eigenwillige Lethargie. In den Betrieben wurde früher nur das gemacht, wofür bezahlt wurde. Organisierung und Leitungsaufgaben waren nicht Sache der ArbeiterInnen. Der Vorstand entschied die gemeinsame Entwicklung: wer zu welchem Zweck beispielsweise an die Uni geht und wer bleiben soll. Er hielt den Betrieb zusammen und bewarte die Kollektivität – gemeinsame Feste, Geburtstage, Ausflüge, Subotnik.

Heute passiert nichts von allein. Die Leute hoffen auf Impulse von außen. Es gibt ein riesiges Bedürfnis nach der Gemeinschaft aus der alten Zeit. Das fehlende Miteinander empfinden sie als Mangel. Man hilft sich gegenseitig, aber selber was lostreten? Die Leute sind verlässlich, müssen aber angeschubst werden und brauchen Strukturen wie zum Beispiel Vereine. Die werden meistens von den alten Funktionären getragen, die auch schon in den LPGen die Aufgaben verteilten.

Gegenüber neuen Projekten gibt es keine Feindseligkeiten mehr wie gegenüber den alten Großgrundbesitzern. Trotzdem bleiben die Projekte und Lebensgemeinschaften oft fremd im Ort und versprechen nur teilweise neue Impulse. Das funktioniert aber nur, wenn sie Angebote machen und Kino, Räume o.ä. zur Verfügung stellen und sich den Leuten im Ort öffnen. Die Dorfzeitung »Ortszeit« und vor allem die Lust der Redakteurin ist zum Beispiel nur entstanden und geblieben, als das Eis zwischen Neuankömmlingen und Eingesessenen brach. Das war nur möglich durch einen vom Bürgermeister initiierten Verein, der Anglerverein, Feuerwehr, Gemeinderat, Gewerbehof usw. an einen Tisch holte. Seither ist klar, dass alle zusammen was machen wollen. Dass die Power einer linksradikalen Städterin aber nur langsam Feuer entzündet, ist auch klar; schreiben muss sie die Zeitung noch immer alleine, aber sie wird ihr aus der Hand gerissen und alle fragen, wann die Neue erscheint. Die Professionalität der Zeitung hat bislang eingeschüchtert, aber zumindest kommen jetzt Leserbriefe: Die Leute fangen an, sich einzumischen.

Es gibt den alten kollektiven Gleichheitsgedanken in den Köpfen, aber die soziale Realität erschwert das Zusammenkommen maßgeblich. Viele von denen, die in der DDR groß gewordenen sind, nehmen den Spruch zu ernst: im Westen musst du zusehen, wie du alleine zurechtkommst. Das wirkt sich auf das Miteinander aus. Aber auch das Arbeitsamt, das alle nach der Wende aufgefangen hat, individualisiert. Das Geld kommt, und warum was anderes wagen, wenn es doch irgendwie geht. Hier und da mal eine ABM, jetzt Ein-Euro Jobs oder eine befristete Anstellung. Auch in der Landwirtschaft bildet sich keine Arbeiterklasse mehr, sondern die Leute arbeiten vereinzelt. Als Zeitarbeiter bestellen sie die Felder und als Kollegen treffen sie in Mecklenburg zum Beispiel Österreicher, die drei Monate am Stück durch die Gegend fahren und nur einen einzigen Job machen – Pflügen. Mit denen ist es unmöglich zusammen zu arbeiten und zu leben, aber genau das wäre wichtig. Was soll denn entstehen, wenn alle nur ihren Job kennen und morgen schon wieder woanders, bei anderen Leuten sind?

Früher konnten sie alle gemeinsam angehen, was ihnen nicht gepasst hat. In einem Betrieb zusammen was zu fordern, war möglich. Das hat auch unmittelbar was verändert. Heute ist das anders. Da gibt es die Gemeinsamkeit in den Betrieben und woanders nicht mehr so. Deshalb ist es schwerer sich zu wehren und damit etwas zu erreichen. Die meisten arrangieren sich, weil es sicherer ist. Schwarzarbeit zu verpfeifen ist da ein Beispiel. Die Leute reagieren auf das Wegbrechen der ohnehin niedrigen Löhne. Und da alle vereinzelt auf dem Arbeitsmarkt herumstolpern, bleibt nur der Staat als Ansprechpartner.

Und nun …

Kollektive Ansätze von Leuten, die ihr Leben lieber in die eigenen Hände nehmen, haben wir nicht gefunden. Es funktioniert einfacher innerhalb der alten Strukturen. Es gibt riesige Unterschiede zwischen Sachsen und Mecklenburg (die einen haben drei Höfe und zwei Firmen, die andern das Amt). Aber in Regionen, die ganz abgeschnitten sind, ist das Arbeitsamt auch am genügsamsten und es gibt Existenzgarantien. Und irgendwie ist immer genügend Geld da. Gemeinden bekommen Zuschüsse, Hauptsache, es entwickelt sich irgendwas. Du kannst für zwei Jugendliche im Dorf Projekte finanzieren lassen, die für eine ganze Stadt gedacht sind.

Zwei Drittel sind in kurzfristigen Arbeitsverhältnissen oder beim Arbeitsamt. Ein Haufen Leute ist nach der Wende aus ihren Berufen in unqualifizierte Jobs oder in die Arbeitslosigkeit gerutscht. Die Selbstdefinition über die Arbeit ist immer noch zentral im Osten. Arbeitslosigkeit führt zu Lethargie und Minderwertigkeitsgefühl – Keine Arbeit, kein Ansehen.. Weil so viele arbeitslos sind, ist aus dem Ostspruch: ich bin Arbeiter – wer ist mehr? der Spruch geworden: ich bin Arbeiter – wer ist weniger? Die Klassenfrage hat sich aktualisiert, die Leute nehmen die Gesellschaftssituation als eine Frage von »oben« und »unten« wahr. Aber sie nehmen den Kampf nicht auf, vermeiden sogar bewusst Kontakte. Keine Arbeitslosenbewegung, sondern »Hauptsache Arbeit«.

Zu Beginn wussten wir nicht genau, auf welcher Ebene wir suchen sollten. Wir dachten an allgemeine dörfliche Zusammenhänge, die sich in gegenseitiger Hilfe unterstützen. Hier haben wir schnell gemerkt, dass das umso funktioniert, je ärmer die Gemeinden sind. Von »Dorf« können wir aber nicht sprechen, da es sich eher um »intimere« Wohngebiete als um bäuerlich geprägtes Leben und Wirtschaften handelt. Schnell schauten wir auf die Betriebskollektive, die Ex-LPGen, von denen auf den ersten Blick noch immer viele existieren. Deren Begriff von Kollektiv hat allerdings nichts mit dem zu tun hat, wonach wir suchten. Überwältigt waren wir von der Anzahl von Ökodörfern und kommuneähnlichen Wohnformen. Aber Kollektive oder Versuche, im gemeinsamen Alltag nicht den Bedarf, sondern auch Bedürfnisse zu befriedigen und dieser Gesellschaft von Unten was entgegenzusetzen, haben wir bislang nicht gefunden.

Wir geben die Suche aber noch nicht auf. Im nächsten Heft werden wir und die Stadt vornehmen…

Wir werden sehen!



aus: Wildcat 78, Winter 2006/2007



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