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14.10.2017

aus: Wildcat 80, Winter 2007/2008

A new morning changing weather

Organisierung an den Amper Kliniken AG in Dachau

Ende der 1980er Jahre und zu Beginn der 1990er Jahre verbesserten sich im Gefolge einer fast europaweiten Krankenschwesternbewegung mit selbstorganisierten Aktionen, Demonstrationen und Streiks die Löhne und Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern massiv. Seit Mitte der 90er Jahre wird die Schraube in die andere Richtung gedreht: Privatisierungen, zunächst von Teilbereichen, dann der Kliniken selber; Umstrukturierung der Arbeitsprozesse in den Kliniken; Stellenabbau. Mit der schrittweisen Umstellung der Krankenhausfi nanzierung ab 2004 wurde der Druck auf die Beschäftigten weiter erhöht. Wir schrieben im Herbst 2003:»Über die Folgen sind sich alle – Krankenkassen, Gewerkschaften, Gesundheitsökonomen, Krankenhausleitungen – einig: kleinere Krankenhäuser werden zumachen und/oder weiter Betten abbauen, die großen Krankenhäuser kommen unter Rationalisierungsdruck... Die Ausbeutung der »GesundheitsarbeiterInnen« soll von zwei Polen aus reorganisiert werden: in den (Groß)Kliniken ist die Umstellung der Krankenhausfi nanzierung und die damit oft verknüpfte Privatisierung(sandrohung!) Mittel zur Steigerung der Produktivität und zur weiteren Arbeitsverdichtung, während Privatisierung und Expandierung der Gesundsheitsbranche in den die Kliniken umgebenden Bereichen die Ausbeutung von zusätzlicher billiger, prekärer Arbeitskraft ermöglicht.« (Wildcat 67)

Inzwischen ist der Druck so weit gestiegen, dass es hin und wieder den Deckel lupft. Seit zwei Jahren laufen ständig Streiks oder Aktionen an irgendeiner Klinik. Der von ver.di geführte Streik an den vier Unikliniken in Baden-Württemberg Ende 2005 war der Auftakt für die Streiks im gesamten Öffentlichen Dienst 2006. Trotzdem (oder deswegen?) überwiegt bisher das Gefühl, dem rollback wenig entgegenstellen zu können. Der Stellenabbbau geht weiter, die Arbeitszeiten werden immer länger, es gibt Reallohnverluste, Auslagerungen, Privatisierungsdruck.
Bei der Ablösung des alten BAT im Öffentlichen Dienst durch den TVöD ging es den Gewerkschaften vor allem um die Aufrechterhaltung ihres Vertretungsanspruchs. Der »Flächentarifvertrag« ist in dieser Optik ein staatlich und institutionell garantierter Flickenteppich mit zig Spaltungslinien (öffentlich/privat/kommunal/ Land/Bund), und ver.di hat in den Streiks im Öffentlichen Dienst auch gar nicht versucht, die Basis gegen diese Spaltungen zu mobilisieren, sondern im Gegenteil immer weiter »Spartentarifverträge« abgeschlossen.

Im Frühjahr 2008 stehen wieder Streiks im Öffentlichen Dienst und damit auch in den Krankenhäusern an: Lohn und Arbeitszeit werden im Zentrum stehen – zumindest wenn es nach der Gewerkschaft geht. Die »Gewerkschaftsbasis« fordert Lohnerhöhungen um die zehn Prozent, bzw. Festgeld von 250-300 Euro, die Arbeitgeber wollen die 40-Stunden-Woche durchsetzen und eine weitere Nullrunde beim Reallohn. Die Gewerkschaft wird entlang der oben skizzierten Spaltungen für einen »Kompromiss« aus beidem mobilisieren. Das können wir nur aufbrechen, wenn der Kern der Umstrukturierungen aufgegriffen wird: Stellenabbau, Arbeitsverdichtung, Privatisierungsdruck, Auslagerungen...

Die KollegInnen an den Amper Kliniken in Dachau haben in den letzten Jahren an mehreren Fronten gegen die weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen gekämpft. Wir hoffen, dass ihr Bericht vor der anstehenden Streikrunde 2008 die Diskussion befl ügelt und dass die Grenzen der Streikrunde 2005/6 überwunden werden.

***

Die ehemaligen Kreiskliniken Dachau/Indersdorf wurden bereits vor der Übernahme durch den Konzern Rhön Klinikum AG »vorprivatisiert«. Seit 2001 wurden unter dem landkreiseigenen Dach Amper Kliniken AG Teil-GmbHs für verschiedene Abteilungen gegründet: der ambulante Pflegedienst MiCura; Amper Medico eine Art Leihfirma für das ärztliche Personal, die Physiotherapeuten und vor allem Ärzte mit individuellen Arbeitsverträgen zu schlechteren Konditionen einstellt; KDI Service für die Putzfrauen, die Wäscherei und die Küche. Arbeitsabläufe sollten rationalisiert, Personal reduziert und Auszubildende nicht mehr übernommen werden, Zuschläge wie die Ballungsraumzulage sollten wegfallen.1 Im Gegenzug wurden neue Prachtbauten errichtet, ein kompletter Neubau mit jeweils neun bis zwölf Betten auf allen sechs Stockwerken, ein Parkhaus mit sauteuren Preisen fürs Personal; ein Fachärzte-Zentrum (das allerdings nicht von der Klinik selbst gebaut wurde, aber nun hauptsächlich von ihr genutzt wird).2

Erste kritische Stimmen wurden von der Klinikleitung mit Abmahnungen, Versetzungen und sogar Anzeigen zum Schweigen gebracht. Von Frühjahr bis Sommer 2004 kam es zu mehreren Flugblattaktionen gegen die verschlechterten Bedingungen. Alles von Einzelpersonen (darunter auch Mitglieder der FAU), der Organisationsgrad bei ver.di lag zu dieser Zeit vielleicht bei drei Prozent, und der noch unerfahrene Betriebsrat agierte mehr im Verborgenen.

»You don´t need a weatherman to tell ...«

Dann kam 2005 der Schock: der Landkreis trat den Großteil seiner Anteile (74,9 Prozent) an den Kliniken an einen »fi nanzkräftigen Partner« ab, die Rhön Klinikum AG. Schnell wurde klar, woher der neue Wind wehte: Straffung des Arbeitsalltags durch Stellenabbau, keine Neubesetzung von Stellen (die Fluktuation wird nicht ausgeglichen), befristete Verträge und eine Erneuerung der Hierachie (eine von der Pflege freigestellte sogenannte Bereichsleitung zur Koordination der »Umstrukturierung«). Die Folge waren Krankheitsausfälle durch Überlastung, viele Überstunden – und weiterer Stellenabbau in einer Situation teilweiser Überbelegung (auf den internistischen und chirurgischen Stationen waren über einen Zeitraum von neun Monaten mehr Patienten als Betten vorhanden).3

Ver.di bemühte sich nach der Übernahme um einen Haustarifvertrag für Dachau/Indersdorf und Pasing/Perlach, die Gegenseite forderte die 40-Stunden-Woche. Im Anschluss an die Verhandlung hängte die Tarifkommission von ver.di neben dem Brett des Betriebsrats und dem der Pflegedienstleitung selbst gemalte Plakate auf, die verkündeten, dass dies »mit uns« nicht zu machen sei. Die Plakate hingen keine zwölf Stunden. Aber eines Morgens waren in den Hauptaufzügen »illegale « Plakate vorzufinden, die das Vorgehen der Klinikleitung brandmarkten.

Die Tarifkommision selbst sah keinen Anlass, irgendetwas zu tun, und wartete lieber, bis zwei Monate später die offi ziellen Flyer von ver.di draußen waren. Inzwischen hatten Aktive nach Feierabend die Stationen abgeklappert und Mund-zu-Mund Propaganda betrieben, bis eine Abstimmung kam, in der 78 Prozent gegen die 40-Stunden-Woche stimmten. Dies war zwar nicht der Bringer, wäre aber ohne das selbsttätige Einschreiten weniger nicht vorstellbar gewesen. Als der Tarifvertrag abgeschlossen war, gab’s keine Mitgliederversammlung oder dergleichen. Nur eine Broschüre, die das Ergebnis darlegte. Das Jahr 2006 bis ins Frühjahr 2007 war ein Jahr der Depression, im wahrsten Sinne. Der anfängliche Schwung geriet komplett zum Stillstand. Die KollegInnen waren am Ende ihrer Kräfte, konnten oder wollten nicht mehr. Für die meisten war die Abwärtsspirale nicht aufzuhalten, viele zogen sich zurück. So auch die im Frühjahr 2006 gegründete Betriebsgruppe Amperkliniken, die eigentlich offen im Betrieb agieren wollte.

Ein paar Sachen geschahen trotzdem:

  • Ende September 2006 hängten Unbekannte am Parkhaus gegenüber der Klinik ein über vier Meter langes Transparent auf: »Nein zum Stellenabbau! Solidarität mit den Betroffenen«.
  • Anfang Oktober 2006 gaben alle Pflegestationen gleichzeitig Überlastungsanzeigen ab. Die Bereichsleitungen hatten das untereinander abgesprochen und koordiniert. Es war nur eine kurze »Ventilöffnung« um »Schlimmeres« zu verhindern, da immer mehr kollektiver Unmut spürbar wurde.

»...which way the wind blows« (Bob Dylan)

Anfang 2007 fiel ein Konzept zur Einführung eines »Service-Sektors« in die falschen Hände. Dort war vorgesehen, je Fachbereich drei Vollzeitstellen in der Pfl ege zu streichen und durch billigere »Service-Kräfte« zu ersetzen. Außerdem sollten ArbeiterInnen mit altem, unbefristeten Vertrag mit der Klinik durch »freiwillige Kündigungen« in die externe Reinigungsfi rma Gies Dienstleistungen GmbH gedrängt werden. In den letzten Märzwochen 2007 fand ein Treffen von allen noch bei der Amper Klinik direkt unter Vertrag stehenden Reinigungsleuten statt, insgesamt 14 Menschen, ein Überbleibsel aus kommunaler Hand, die meisten von ihnen seit mindestens 20 Jahren hier. Ihnen wurde mitgeteilt, dass sie vier Tage Zeit hätten, dann würde ein neues Treffen stattfinden, auf dem sie ihre Kündigung und ihre neue Bewerbung für den Service oder für Gies GmbH abgeben sollen. Der anwesende Betriebsrat riet ihnen allen Ernstes, das so zu machen. Leider stimmten daraufhin vier sofort zu. Die restlichen zehn wandten sich an die Betriebsgruppe und verweigerten die »freiwillige« Kündigung. Dagegen konnte die Klinikleitung nicht viel ausrichten, alle zehn wurden in die Wäsche-Abteilung versetzt. Sie machen dort seitdem zu zehnt in acht Stunden täglich die Arbeit, die vorher von zwei Leuten in vier Stunden gemacht worden war – was der Anzugfraktion gar nicht gefällt.

Bitter war allerdings die »betriebsbedingte« Kündigung von 25 KollegInnen aus dem Reinigungspersonal der Tochterfirma KDI zum 1.10.2007. Ein eher trauriges Ende, da diese 25 KollegInnen nicht gekämpft haben, der Betriebsrat ihnen keine Unterstützung bot, und sie auf die Anfragen der Betriebsgruppe nicht antworteten.

Seit Juli 2007 betreibt die Gies GmbH die gesamte Reinigung. 90 Prozent der Gies-Beschäftigten sprechen kein Deutsch, ihr Stundenlohn beträgt 6,50 Euro. Das Verhältnis der Pfl egekräfte zu den Reinigungs-KollegInnen ist mehrheitlich herab lassend, wenn auch nicht rassistisch.

Im Juli 2007 nutzte die Geschäftsführung einen Aufruf des Internet-Forums ungesundleben zur Vernetzung von Betriebsgruppen im Gesundheitswesen dazu, Drohgebärden vom Stapel zu lassen, u.a. gegen die Jugend-und Auszubildenden-Vertretung, die bedrängt wurde, Namen zu nennen.

Hilfe von außen naht...

Am 17. August 2007 fand am Klinikgelände eine Kundgebung der FAU statt, bei dem mit einem ausführlichen Flugblatt die Beschäftigten und BesucherInnen über die allgemeinen Bedingungen aufgeklärt wurden. Die Blätter wurden anscheinend in die Klinik mitgenommen und von KollegInnen unter der Hand verteilt. Mitglieder der Geschäftsführung versuchten, sie auf den Stationen wieder einzusammeln. Gegen fünf TeilnehmerInnen der Kundgebung laufen Anzeigen wegen Hausfriedensbruch.

… der Stein gerät ins Rollen

Die FAU wehrt sich öffentlich gegen die Anzeigen, bietet Gespräche an, will als im Betrieb vertretene Gewerkschaft anerkannt werden. Am 14./15. September 2007 fand ein Aktionswochenende mit einer Veranstaltung in Dachau zum Thema »Arbeitskämpfe in privatisierten Gesundheitseinrichtungen « statt. Zum Abschluß sollte eine Kundgebung mit anschließender Demonstration am Bahnhofsplatz in Dachau stattfi nden. Es kamen etwa 30 Leute, unter ihnen auch einige Klinikbeschäftigte. Diese rieten aber, aufgrund zu befürchtender Repression, von der Demonstration ab, was von der FAU berücksichtigt wurde. Am selben Tag brachte ausgerechnet die konservative Lokalzeitung eine Sonderseite über die Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals an den Kliniken Dachau und Indersdorf, darin anonyme Zitate einzelner Beschäftigter.

Die FAU hat sich durch ihre Entschlossenheit einen gewissen Respekt erkämpft und den Leuten Mut gemacht, aus eigener Kraft etwas zu erreichen. Sie wird von vielen Beschäftigten mittlerweile als normale Gewerkschaft wahrgenommen. Dies ist auch ver.di nicht entgangen. Ihr Verhandlungsführer entdeckte in einem Interview nun plötzlich Mängel in der Personalpolitik und stellte sich zaghaft hinter die Beschäftigten. Gleichzeitig betonte er aber, die Bedingungen in Dachau wären nicht exemplarisch für den gesamten Rhön-Konzern, mit dem er so ziemlich jeden Tarifvertrag im Raum abgeschlossen hat. Außerdem sei der Haustarifvertrag »eine gute Grundlage, den inneren Frieden in der Amperkliniken AG zu entwickeln«.

Ob Betriebsrat oder Gewerkschaft: Wer jahrelang die Augen verschließt, braucht sich nicht wundern, wenn er irgendwann den Dingen hinterher läuft und die Initiative von anderen ausgeht. Bleibt zu hoffen, dass der Versuch misslingt, den Protest in geregelte Bahnen zu lenken.

Mittlerweile hat sich ein Kern von aktiven KollegInnen gebildet, die sich regelmäßig und zwischendurch treffen. Zum einen soll mit Infoständen »nach außen« informiert werden, »drinnen« soll mit einer Betriebszeitung weitergemacht werden...

Dr. Mandingo & Madame Ascaso
Zwei Militante aus dem Betrieb

Fußnoten

[1] Wir haben den Artikel vom Oktober 2007 gekürzt und aktualisiert. Das Original – und weitere Informationen – findet Ihr auf ungesundleben.

[2] Noch befindet sich nur ein relativ kleiner Teil der Krankenhausbetten in privaten Kliniken (zur allg. Entwicklung siehe Wildcat 67: Arbeitsplatz Krankenhaus). Die Rhön Klinikum AG ist mit inzwischen 46 Kliniken mit 15 000 Betten einer der größten Krankenhauskonzerne. Im Dezember 2005 übernahm die Rhön-Klinikum AG die fusionierten Universitätskliniken von Gießen und Marburg. Seitdem wurden 300 Stellen gestrichen, im Pflegebereich 43.000 Überstunden angesammelt. Eine Situation, die man auch aus nicht privaten Kliniken kennt. Auch die Tendenz, Neueingestellte und die ArbeiterInnen in Küche und Wäscherei beim Lohn und der Arbeitszeit schlechter zu stellen, ist nicht neu.

[3] Die Einstellung von »Servicekräften« ist eine in vielen Kliniken angesagte Kostensenkungsstrategie: Ein neuer Mix aus »gut bezahlten« KrankenpflegerInnen und schlechter bezahlten Krankepflegehelferinnen oder »Aushilfen« und »Servicekräften«. So verdient eine KrankenpflegerIn zwischen 2000 und 2600 brutto (je nach Tätigkeit und/oder Berufserfahrung); hat sie schon vor der Privatisierung in der Klinik gearbeitet, können es 50-100 Euro mehr sein; die Reinigungskräfte verdienen zwischen 1300-1450 brutto, die neuen »Servicekräfte« kriegen für eine 75 Prozent-Stelle 900-950 brutto.

 
 
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