Wildcat Nr. 80, Winter 2006/2007, S. 34–35 [w80_holy5.htm]



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www.perspektiventage.de

»Fragen, die nochmal besprochen werden müssen«

Gespräch mit einer Frau aus der Berliner Vorbereitungsgruppe, Ende November

Ihr hattet uns gebeten, Euren Aufruf zu den Perspektiventagen in der Wildcat zu veröffentlichen. Wir dachten, ein Interview wäre besser, auch damit uns selber klarer wird, was Ihr da genau vorhabt…

Ich bin in ner kleinen linksradikalen Gruppe, die schon zwei Jahre vorher zum G8 mobilisiert hat und auch im dissent!-Netzwerk drin war. Nach Heiligendamm haben alle ihre Auswertungen gemacht, dissent!, IL, Attac, der Hannoverkreis… Es gab ein paar Texte und n paar Auswertungstreffen, und das war's dann, aber was folgt jetzt weiter daraus, wo fließen die Erfahrungen ein? Die Perspektiventage sollen nochmal so ne richtig große Auswertung mit allen ermöglichen. Denn für mich war ein wichtiger Punkt der Proteste die Frage von Bezugnahme einer breiten Bewegung, sowohl themen- als auch spektrenübergreifend.

Was sind Spektren für Dich?

Das ist für mich dieses »linksradikal bis zivilgesellschaftlich«. Beim G8 waren die linksradikalen Kräfte das dissent!-Netzwerk, das Anti-G8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive, und die IL; das sind die drei größeren linksradikalen Netzwerke, das ist für mich ein Spektrum. Auf dieses Spektrum haben sich auch Frauen-, Lesben-, Transgender- und queere Zusammenhänge bezogen. Ein anderes Spektrum ist Attac und Umfeld, ein weiteres Spektrum sind die NGOs, die das Grönemeyer-Konzert und die Interviews mit Bono mitorganisiert haben; die Gewerkschaften sind ein Spektrum, die (evangelische) Kirche ist eins…

Wie soll eine dermaßen weit gefasste Zusammensetzung eine gemeinsame Ausarbeitung machen? Erstmal müssten doch die Linksradikalen untereinander eine politische Auswertung hinkriegen…

Die Linke ist ja sehr marginalisiert, die radikale Linke noch viel marginalisierter, und ich fand bei den G8-Protesten, was da zusammenkam von der Wahrnehmbarkeit in den Medien aber auch sonst, von den Menschen, die erreicht wurden… also ich finde das für mich jetzt schon eine Herausforderung, die sich politisch lohnen würde – ob die realistisch ist, ist nochmal was anderes, da bin ich gar nicht so überoptimistisch –, wenn verschiedene Kräfte, die sich bewegen oder die Gegenpositionen haben, anfangen sich aufeinander zu beziehen.

Die Gewerkschaften haben Euch mit der Vorbereitung allein gelassen. Die Linksradikalen in der BRD sind absolut marginal, da gebe ich Dir recht. Das hat aber unter anderem den Grund, dass sie auch dann, wenn sie mal was hingekriegt haben, nachher nix besseres wissen, als wieder zu den Institutionen hinzulaufen!

Das sind sozusagen schon grundsätzlich verschiedene Haltungen. Seit dem G8 gibt es Vollversammlungen in der Köpi, »die radikale Linke muss gucken, wo sie steht und was sie will«, da sind das, was du sagst und das, was ich sage, konträre Positionen. Die einen sagen: »Dieses breitere Bündnis und diese Kooperationen, das ist verschwendete Energie, die müssen wir in unsere Gruppen, Projekte, Forderungen und Kämpfe stecken, dann werden wir auch wieder stärker«. Eine andere Position, die ich vertrete, ist eher: »Linksradikale Politikanalysen, Forderungen, Ausarbeitungen nicht vernachlässigen, aber mir ist daneben, parallel dazu eine Bezugnahme auf andere wichtig.«

Das erste ist nicht meine Position; aber klar, wir beide vertreten unterschiedliche Positionen. Das ist aber nicht der Punkt: Ich würde auch in Italien oder in Frankreich sagen, wir sollten unsere Dinge ohne Gewerkschaften organisieren. Aber in Italien haben die Gewerkschaften und Rifondazione eine wichtige Rolle z.B. bei der Mobilisierung nach Genua gespielt, während die deutschen Gewerkschaften kaum Leute nach Heiligendamm mobilisiert haben! Es geht mir nicht um zwei verschiedene Ansichten, sondern um Lernprozesse, um geschichtliche Erfahrungen, wenn du so willst.

Ich würde auch sagen, die großen Gewerkschaften haben sich auf G8 minimalst bezogen, das passte denen eigentlich gar nicht in den Kram. Ich fänd‘s aber trotzdem falsch, sie bei Versuchen nicht anzusprechen und einzuladen.

Aber mit welcher Perspektive?

Wo gibt es Themen, auf die man sich zusammen beziehen kann? Wo gibt es Kämpfe, aus denen man ne Stärke entwickelt? Ein Beispiel ist die Initiative um globale soziale Rechte, da gab es im Februar 2007 in Frankfurt ein Treffen mit 130 Leuten, und da waren gleichermaßen Gewerkschafter, antirassistisches, linksradikales Bewegungsspektrum und NGOs, also Fian und so. Ich find das überhaupt nicht verkehrt, die Gewerkschaften als Kraft anzusprechen. So oder so sind sie ein Faktor, den man nicht außen vor lassen sollte.

Gibt es eine inhaltliche Zielsetzung für die Perspektiventage?

Wir geben keine konkreten Inhalte vor, sondern stellen die Frage: »Gibt es Interesse an einer themen- und spektrenübergreifenden Bezugnahme?« Es werden inhaltliche Zielrichtungen eingebracht von Leuten, die schon bestimmte Ideen haben, also globale soziale Rechte, Planungen für ein Klimacamp, antirassistischer Aktionstage, Kampagnen gegen Privatisierung… Was gäbe es da für Möglichkeiten für Bezugnahmen, um die stärker zu machen. Dann Fragen von Arbeitskämpfen und Prekarisierung, was wäre da möglich. Wir sind im Austausch mit allen möglichen Gruppen…

Wie viele Leute bereiten die Perspektiventage vor?

Die Vorbereitung ist breit und selber schon spektrenübergreifend. In Berlin sind 15 Leute intensiv dabei. Es gab vier bundesweite Vorbereitungstreffen. Eins war in Cottbus auf dem Sozialforum, da waren siebzig Leute, bei den anderen in Berlin waren so dreißig Leute.

Ihr schreibt im Aufruf, Ihr wollt »die politischen Themen weiter bearbeiten«. Wie sieht das aus?

Es wird Blöcke geben, die offener, open-space-mäßiger sind, wo sich Leute mit mit ihren Sachen einbringen können. Und Blöcke mit vorbereiteten inputs, z.B. Auswertungen des Aktionstages »Migration« oder »Block G8«. Und es sollen crossover mit anderen Themen geschaffen werden, dass verschiedene Teilbereichsbewegungen sich aufeinander beziehen, z.B. mit einem Camp im Sommer 2008, wo Klima-Camp und antirassistische Aktionstage zusammenkommen. Da geht es um Kräfte Bündeln und dadurch ne Stärke erreichen.

Wen wollt Ihr erreichen? Und wie versucht Ihr das?

Eigentlich wollen wir gerne alle ansprechen, die sich bewegen wollen, die Veränderung wollen. Klar, von den Überschriften oder Bildern, mit denen man wirbt, ist es nicht einfach, die einen anzusprechen, ohne dass sich die anderen nicht angesprochen fühlen. Wir hoffen aber, dass wir in den Einladungstexten klar machen können, dass es auch für die, die nicht in Heiligendamm waren, interessant ist.



aus: Wildcat 80, Winter 2007/2008



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