Wildcat Nr. 80, Winter 2006/2007, S. 36 [w80_holy6.htm]
Where do we go from here?
Im Gegensatz zu früheren Mobilisierungen wollte Block G8 den Gipfel nicht stürmen, sondern symbolisch blockieren. Das schuf Raum für Geheimabsprachen, letztlich wurde nur symbolisch blockiert (wobei die BlockiererInnen und die Bullen im Feld das nicht wussten und sich real bekämpften). Linksradikale sollten sich nicht als Teil der Inszenierung instrumentalisieren lassen. Sie sollten keine Absprachen mit Polizei, Attac und Linkspartei treffen, und ihre »Vertreter« sollten nicht mit lauter anderen wichtigen Politikern auf dem Gegengipfel sitzen. Aber gibt es andere Orte und Gelegenheiten, für die gemeinsame Diskussion? Können wir solche Orte herstellen? Oder läge die Radikalisierung darin, beim nächsten Mal wieder zum Gipfelsturm aufzurufen? Was hätte man nach einem Durchbruch zum Luxustagungshotel gemacht? »Ein Symposium, eine Art Parteitag, oder eine Vollversammlung durchführen, ein Organisationsbüro für kommende Kampagnen einrichten, einfach das Büffet leer fressen, die Räume bunt bemalen, ein alternatives Tagungshaus mit Vokü einrichten oder den ganzen Komplex verwüsten und niederbrennen?« [Markus Mohr in antidot]
a) Die Verherrlichung der guten Ansätze verhindert deren Entfaltung
Der respektvolle Umgang miteinander, die große Fähigkeit zur Selbstorganisation, die transparenten Entscheidungsstrukturen sind Keimformen einer revolutionären Bewegung, sie stehen mit den Inhalten des Kampfs in notwendiger, dialektischer Verbindung. Wie wären die »Grenzen der sozialen Autonomie« zu überwinden? Die »Basisse« sollten sich nicht »multispektral« an die Institutionen anbinden lassen, sondern »übergreifen«: die gemeinsamen Erfahrungen zusammen diskutieren, sich von der eigenen Neugier leiten lassen, auf die eigenen Fähigkeiten vertrauen.
b) MigrantInnen
Linke, die den Willen nach Veränderung nicht am eigenen Hass auf die Verhältnisse festmachen, sondern an der stellvertretenden Besorgtheit über das Elend anderer, unterdrückter Menschen, thematisieren Migration als Problem von Betreuung und von juristischen Rechten. Die Migrationsfrage steht aber im grundsätzlichen Widerspruch zur Idee des Bürgerrechts. Sie sprengt Vorstellungen wie »garantiertes Mindesteinkommen«, sie macht immer wieder klar, dass Revolution nur als weltweite zu haben ist.
Andere Ansätze, breitere und weitergehenden Bewegungen lassen sich in der Geschichte (die Wobblies), oder in Spanien, Frankreich und den USA finden. Wie lassen sich diese zu uns »übersetzen«? Geht das überhaupt?
c) Andere soziale Kämpfe
An allen Ecken und Enden gibt es »Arbeitskämpfe«. Warum mischen sich Leute, die in Heiligendamm aktiv waren, dort nicht ein? Eine Aktivistin sagte uns, sie würde die »vielen Widersprüche« in solchen Kämpfen nicht aushalten. Wer nur eine Welt aus »widerspruchsfreien Guten« gegen »die Bösen« aushält, kann auch beim Bäcker keine Brötchen holen! Schon gar nicht taugen solche binären und identitären Zuschreibungen als Bestimmung für politisches Handeln.
Wie und wodurch sind solche Vorbehalte überwindbar und wo weisen sie auf einen konsequenzlosen Scheinradikalismus hin? Oder brauchen wir die Erfahrung(en) einer Bewegung in erster Person (siehe die SchülerInnen-Mobilisierung in den Niederlanden!), um uns – in revolutionärer, nicht betreuender Absicht! – auf andere soziale Kräfte einzulassen?
d) Revolution
Die Vorstellungen von einer radikalen Revolutionierung der Gesellschaft sind in eine schwere Krise geraten. Aber ohne solche Vorstellungen bleibt politisches Handeln im »hier und jetzt Möglichen« gefangen. Wenn der black block die einzige sichtbare »revolutionäre Praxis« ist, brauchen wir uns über die Marginalisierung der radikalen Linken nicht zu wundern.
Aber wie stellen wir uns eigentlich Revolution vor? Partisanengruppen? Befreite Gebiete? Konspirative Kleingruppen? Einfach alle Kapitalisten erschießen?
e) Reproduktion
Kann der »Schwung von Heiligendamm« mehr werden als die Suche nach einer besseren Wohnform oder nach dem nächsten Gipfel-Event? Gerade das Kollektive an der gemeinsamen Reproduktion in den Camps wurde als das Tolle und das Vorwärtsweisende empfunden. Warum individualisiert sich das im Alltag sofort wieder? Hier kollektiv nach Antworten und Handlungsmöglichkeiten zu suchen, erfordert viel mehr Radikalität, als sich von Bullen auf einer Demo verprügeln zu lassen, und mit den dabei zugezogenen Wunden lässt sich nicht so gut prahlen. Aber diese Radikalität müssen wir mit subversiver Geduld immer wieder aufbringen – schon um den »professionellen« Enteignern was entgegensetzen zu können, von unten, kollektiv und revolutionär!
aus: Wildcat 80, Winter 2007/2008