Wildcat Nr. 81, Mai 2008
Die Südkoreanische Arbeiterklasse:
Vom Massenstreik zu Deregulierung und Rückzug
Loren Goldner
Den großen Kämpfen in Südkorea Ende der 1980er Jahre folgte mit der Demokratisierung die Fragmentierung der Arbeiterklasse, die bis heute jede Kampfkraft lähmt. Der folgende Artikel von Loren Goldner führt diese Zersetzung zum einen auf die weltwirtschaftlichen Entwicklungen und die asiatische Finanzkrise, zum anderen auf die Politik der Gewerkschaften zurück. Die einst radikalen Kräfte kooperieren heute mit dem Kapital und tragen zum Gegeneinander von ArbeiterInnen mit regulärem und dereguliertem Status bei. Hintergrund ist Loren Goldner zufolge, dass ein Teil der ArbeiterInnen wegen der jahrzehntelangen Erfahrung von Diktatur und Korruption zunächst zu bürgerlicher Demokratie und Neoliberalismus hingezogen waren. Aus der südkoreanischen Geschichte erklärt sich auch, dass die Linke von den Entwicklungen in der Neuen Linken in anderen Ländern ab den 1960er Jahren abgetrennt und stark stalinistisch geprägt war. Viele AktivistInnen zogen sich nach dem Ende der Sowjetunion, dem Einsetzen harscher Repressionen und den ersten Niederlagen zurück.
Der Artikel hilft erstmal dabei, die Spaltung und die Schwäche der ArbeiterInnen in Südkorea zu verstehen. Allerdings erfahren wir wenig aus der Sicht der ArbeiterInnen selber über ihre Kämpfe, auch wenn der aktuelle Streik bei E-Land ausführlich geschildert wird, in dem Loren einen Aufbruch sieht.
Die Streikwelle, die in Korea als Der Große Arbeiterkampf (Nodongja Taettujaeng) bekannt ist, begann im Juni 1987 und dauerte in beachtlicher Stärke bis 1990. Sie ist so bedeutend wie die polnische Solidarnosc 1980-81, die iranischen Arbeiterräte 1979-81 oder die Streikwelle in Brasilien von 1978-83, also eine Schlüsselepisode im Klassenkampf der 1980er. Sie erschütterte die Fundamente einer seit dem Koreakrieg fast durchgängigen Diktatur, erreichte für weite Teile der südkoreanischen Arbeiterklasse bedeutende Lohnerhöhungen und etablierte für eine kurze Zeit (1990-94) im Nationalen Gewerkschaftskongress NGK (ChoNoHyop) radikaldemokratische Gewerkschaften, die sich zumindest verbal dem Antikapitalismus verschrieben.1
Doch kaum hatte die Streikwelle ihren Sieg errungen, wurden ihre Erfolge schon wieder untergraben. Der ChoNoHyop wurde durch staatliche Repression gegen seine besten Militanten zerstört, während die Regierung die konservativeren Aktivisten dabei unterstützte, ab 1995 den Koreanischen Gewerkschaftsverband KGV (Minju Nochong) aufzubauen.
Trotz Finanzkrise, »Strukturanpassung« und einer fast endlosen Reihe von Rückschlägen musste die südkoreanische Arbeiterklasse Stufe um Stufe niedergeschlagen werden – in langen und bitteren Streiks – und die jüngsten Ereignisse zeigen, dass ihre Kampfbereitschaft noch immer anhält. Heute, 20 Jahre nach dem Großen Arbeiterkampf von 1987, ist die Situation der ArbeiterInnen in Südkorea eine der größten Erfolgsgeschichten kapitalistischer Deregulierung weltweit, zumindest unter den entwickelten Industrieländern. Etwa zehn Prozent der südkoreanischen ArbeiterInnen sind in Gewerkschaften innerhalb des KGV organisiert und haben geregelte Jobs und Löhne, während 60 Prozent deregulierte, ausgelagerte und verschlankte Arbeitsplätze haben.
Hintergrund: Der Generalstreik und die IWF-Krise 1997-1998
Ende 1996 peitschte die Regierung Kim Young Sam in einer nächtlichen Sondersitzung des Parlaments und in Abwesenheit der Opposition das erste einer Reihe von Gesetzen zur Deregulierung der Arbeit durch. Diese Gesetze waren darauf ausgelegt, die Wirtschaft des Landes vollständig auf die Linie der »Globalisierung« zu bringen, Unternehmern die Entlassung von ArbeiterInnen zu erleichtern und das Nebeneinander unterschiedlicher Arbeitsverträge zu ermöglichen. Die Unternehmer hatten die Errungenschaften der Arbeiter aus den 80er Jahren stetig scheibchenweise zurückgedrängt, die Wirtschaft siechte während des gesamten Jahres 1996 weiter dahin, und Bankrotte häuften sich, doch dies war die erste direkte Konfrontation mit der neu gewonnenen Macht der Arbeiterklasse.
Der KGV, fest in der Hand der Rechten, die den NGK besiegt und abgelöst hatten, rief unter dem Druck der Massen sofort zum Generalstreik auf. Dieser Aufruf wurde auch weithin befolgt. Sogar die konservative »gelbe« Gewerkschaft FKTU aus der Zeit des Kalten Krieges beteiligte sich. Auch Angestellte nahmen teil, und an seinem Höhepunkt waren drei Millionen ArbeiterInnen im Streik. (Der ursprüngliche Gesetzestext wurde zurückgezogen, doch im März 1997 wurde ein praktisch gleichlautendes Gesetz verabschiedet, ohne dass der KGV groß eingeschritten wäre.) Die historische Erfahrung der südkoreanischen Arbeiterklasse und die Neuheit der Deregulierung führten wieder einmal dazu, dass der Streik eher »antifaschistisch« wurde als anti-neoliberal. Der KGV tat alles in seiner Macht stehende, um eine Konfrontation mit der Regierung zu vermeiden, und demobilisierte tatkräftig, wo er nur konnte. Die Basis ihrerseits zeigte große Spontaneität, etwa bei Hyundai und Kia Motor Company. Es gab Gerüchte, denen zufolge der KGV sich heimlich mit den Kapitalisten traf und ihnen versicherte, dass der Streik unter Kontrolle und am Abflauen sei. Er schlug die ohnmächtige Taktik des »Mittwochsstreiks« vor – die in den folgenden Jahren oft wiederholt wurde. Der Streik lief Ende Januar ohne Ergebnis langsam aus.
Als Folge des Generalstreiks wurde im Frühjahr 1997 die Koreanische Demokratische Arbeiterpartei (KDAP oder Minju Nodong Tang) gegründet, in der dieselben Rechtsgerichteten vertreten waren, die im KGV das Sagen hatten.
Der Misserfolg des Generalstreiks vom Januar 1997 wurde allerdings von den Verwüstungen der südkoreanischen Wirtschaft während des asiatischen Finanzmeltdowns von 1997-98 noch in den Schatten gestellt.
Die Krise hatte im Juli 1997 mit dem Verfall der thailändischen Währung begonnen und schwappte in den folgenden Monaten quer durch ganz Asien. Jedes Land, das freudig den »freien Markt« begrüßt und demzufolge seine Kontrollen über das Kapital gelockert hatte, erlebte eine massive Kapitalflucht und den plötzlichen Verfall seiner Währung, wobei Thailand, Indonesien und Südkorea am stärksten betroffen waren. Bis die Regierung Kim Young Sam im November 1997 vom IWF die Finanzspritze von 57 Mrd. US-Dollar erhielt, hatte der südkoreanische Won 40 Prozent an Wert verloren. Als Bedingung für die Auszahlung der Summe mussten alle vier Kandidaten zur Präsidentschaftswahl im Dezember 1997 unterschreiben, dass sie sich mit dem IWF-Abkommen einverstanden erklärten. Somit musste Kim Dae Jong, der nach Jahrzehnten der Unwägbarkeiten demokratischer Opposition endlich zum Präsidenten Südkoreas gewählt worden war, seine Amtszeit damit verbringen, das drakonische Paket der IWF-Maßnahmen durchzusetzen: Entlassungen, Kürzungen bei den öffentlichen Dienstleistungen, den fremdfinanzierten, unkontrollierten Ausverkauf südkoreanischer Industrien und Banken an ausländische Firmen, sowie die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse. Wie zuvor die organisierte Arbeiterbewegung Südkoreas feierte die südkoreanische Demokratie ihren Triumph just in dem Augenblick, als die Erfüllung ihrer bisherigen vorgeblichen Versprechen unmöglich geworden war – und sie triumphierte als das notwendige Feigenblatt für solch bittere Medizin.
Die Zahl der Bankrotte und Selbstmorde nahm sprunghaft zu. Ursprünglich hatte der IWF von den südkoreanischen Banken verlangt, die Hälfte ihrer Belegschaft zu entlassen (dieser Anteil wurde später auf 30 Prozent gesenkt), ähnlich im Öffentlichen Dienst. Bis 1999 verdreifachte sich die Arbeitslosenquote, und Millionen wurden in Armutsverhältnisse zurückgeworfen.
In dieser Situation spielten Kim Dae Jong und der KGV die ihnen gebührende Rolle. Kim brachte im Februar 1998 den KGV zur »historischen Übereinkunft«, im Gegenzug zu dessen voller Legalisierung Hunderttausenden vom IWF geforderten Entlassungen und Betriebsverkleinerungen zuzustimmen. Zur Beschönigung richtete die Regierung Kim Dae Jong 1998 die gemäß korporatistischen Grundsätzen aufgebaute Dreiparteien-Kommission aus Vertretern von Staat, Kapital und Arbeitern ein. Diese Institution war völlig bedeutungslos und handelte natürlich nur zugunsten von Staat und Kapital.
1998 gab es einige breitere Streiks gegen Entlassungen, etwa bei der Hyundai Motor Company (HMC), aber die neue Leitung des KGV wurde verhaftet und die Streiks insgesamt niedergeschlagen.
Während der IWF-Krise wurden viele kleine Fabriken ausradiert, einschließlich solcher mit kämpferischen Belegschaften, die zu Zeiten der Streikwelle gegen Ende der 1980er Jahre entstanden waren und zuvor mit dem KGV sympathisiert hatten. So wurden im Einklang mit der Erfüllung der IWF-Forderungen die zu deregulierten Bedingungen Beschäftigen zum ersten Mal ein bedeutendes Phänomen innerhalb der südkoreanischen Arbeiterschaft. Als Reaktion auf den erzwungenen Ausverkauf der Korea Telcom-Aktien an Investoren der Wall Street beispielsweise brach ein Streik aus. Dieser wies immer mehr Anzeichen der zunehmenden Spaltung zwischen regulären und deregulierten Arbeitern auf. Die älteren regulären ArbeiterInnen erhielten nicht nur mehr Geld für weniger Arbeit, ihnen fehlten auch die Computerkenntnisse der jungen Deregulierten, so dass sie fürchteten, ihre Arbeitsplätze zu verlieren. Die Gewerkschaftsführer hielten scharfe Reden, unternahmen aber nichts. Schließlich streikten sowohl die regulären als auch die deregulierten Arbeiter, allerdings nicht gleichzeitig. Der Streik bei Korea Telcom endete mit der Entlassung von 10 000 deregulierten ArbeiterInnen.
Das Abkommen vom Februar 1998 zwischen Kim Dae Jong und der rechten KGV-Führung über Massenentlassungen führte zu einer Revolte der KGV-Basis. Die gesamte Führung wurde abgesetzt, nachdem mit Stahlrohren bewaffnete Arbeitermilitante die KGV-Büros besetzt hatten. Eine neue linke Führung übernahm die Kontrolle und versuchte im Mai, Juni und Juli vergeblich, nochmals einen Generalstreik gegen das neue Arbeitsgesetz in Gang zu bringen. Die alte Führung hielt sich in den Gewerkschaften der Schwerindustrie verschanzt und wandte sich gegen militante Aktionen. Im Sommer 1998 gab es einen 28 Tage langen Streik bei HMC, der mit der Entlassung von 10 000 regulären Arbeitern endete. An ihrer Stelle wurden binnen zweier Jahre 10 000 deregulierte Arbeiter eingestellt. Korea Telcom und verschiedene Banken feuerten ebenfalls reguläre Arbeiter und stellten sie als Deregulierte wieder ein.
Nach 1998 – Der Gegensatz zwischen regulären und deregulierten Arbeitern wird zum Hauptproblem der Arbeiterbewegung
Seit der IWF-Krise gewannen die Frage der deregulierten Arbeit und der Antagonismus zwischen regulären und deregulierten Arbeitern in der südkoreanischen Bewegung an Bedeutung. Die regulären Arbeiter sehen in den Deregulierten eine Gefährdung ihrer Jobs. (Im Jahr 2000 wurde eine landesweite Gewerkschaft der deregulierten ArbeiterInnen gegründet, daraus wurde inzwischen ein Dachverband mit über 50 000 Mitgliedern).
Schon 1999 hatte ein landesweiter 32-Tage-Streik von 4000 Tutoren der Jaenung-Schulen (Hakwon, Privatakademien für Feierabendstudien) das Recht auf Tarifverhandlungen durchgesetzt. Die Regierung hatte bestritten, dass sie Arbeiter seien, und bezeichnete sie stattdessen als »unabhängige Subunternehmer«. Der Streik war wichtig, denn er zeigte, dass es möglich ist, deregulierte ArbeiterInnen zu organisieren, sogar gegen den Widerstand von Staat und Arbeitgebern.
Ein weiterer Streik bei Korea Telcom in den Jahren 2000-2002 dauerte 517 Tage. Nach der Niederlage wurde die Gewerkschaft der deregulierten Arbeiter aufgelöst. Die regulären ArbeiterInnen bei Korea Telcom waren allgemein den deregulierten gegenüber feindlich eingestellt. Nach dem Streik stellte Korea Telcom Leute als »indirekte Subunternehmer« ein. 2002 wurden 49 Prozent der Anteile des Unternehmens an US-Investoren verkauft, was mit erhöhten Abfindungszahlungen sowie der Ausgabe von Aktien an die Festangestellten verbunden war.
2000-2001 gab es einen Streik bei einer Klimaanlagen-Fabrik, der über einen Monat dauerte und gegen die Militanz der deregulierten ArbeiterInnen von den Regulären verraten wurde.
Ein Gegenbeispiel ist jedoch die Kampagne zur Organisierung der Arbeiter bei Lotte Hotel im Jahr 2000. Sie zeigte, dass eine Gewerkschaft der regulären ArbeiterInnen unter bestimmten Umständen Deregulierte organisieren konnte. Nach gewaltigen Repressalien seitens der Hotelbesitzer und der Verhaftung von Streikenden willigte das Hotel ein, die Verträge seiner ArbeiterInnen über einen Zeitraum von zwei Jahren zu regularisieren.
Während derselben Jahre driftete die KDAP jedoch nach rechts, und die Vorherrschaft der auf die Bürokraten des KGV und die Politiker der KDAP ausgerichteten »NB«-Linie2 verhinderte die Organisierung deregulierter Arbeiter. (Im Jahr 2004 half der KGV sogar einem Hyundai-Manager bei seiner Wahlkampagne als Unabhängiger.) Einige Militante sahen im KGV einen integralen Bestandteil des Neoliberalismus, der sogar Auslagerungen durchsetze. Zum Beispiel gelang 2003 LKWFahrern aus Pusan ein Streik, aber Regierung, Arbeitgeber, KGV und KDAP sabotierten ihn. Im selben Jahr brach ein großer Streik in der LG Caltex-Raffinerie aus (heute GS Caltex), aber der KGV unternahm nichts, um den Streikenden zu helfen. 2005 streikten in Ulsan 10 000 deregulierte Öl- und Chemiearbeiter 83 Tage lang für bessere Arbeitsbedingungen. Die per Arbeitsgesetzgebung vorgeschriebene komplizierte Beschäftigungsstruktur und die Firmenstrategie lähmten den Streik jedoch. Für die Schlichtung wurde ein »Komitee für die Region Ulsan« gegründet, das aus Kapitalisten, Managern, kleineren Unternehmern, NGOs und der Ulsaner KGV-Fraktion bestand. Eine Vereinbarung wurde erzielt, die sich auf die Anerkennung der Gewerkschaft beschränkte. Die ArbeiterInnen nahmen die Arbeit wieder auf, während die »Diskussion« im Komitee sechs Monate lang anhielt, ohne zu einem Ergebnis zu führen. Die Firma erreichte die Wiederaufnahme der Arbeit durch kleine Zugeständnisse. Nachdem KGV und KDAP sich aus dem Geschehen zurückgezogen hatten, setzte sie jedoch nie auch nur einen Teil der Vereinbarung in Kraft.
Über den Sommer 2005 gab es bei Ulsan HMC wieder eine Schlacht um Deregulierung, als ein Arbeiter sich aus Protest selbst tötete und die Gewerkschaft sich weigerte, seinen Tod in Zusammenhang mit der Arbeitssituation zu stellen. Die Deregulierten versuchten, das Fließband anzuhalten, aber die regulären Arbeiter zogen nicht mit. Manager ließen das Band mit Streikbrechern wieder anlaufen, während die regulären Arbeiter dabeistanden und nichts unternahmen. Alle an dem Kampf beteiligten deregulierten Arbeiter wurden gefeuert.
Im Juni 2006 stimmte die Metallergewerkschaft dafür, eine Industriegewerkschaft zu bilden. Das war ein Versuch, die Zersplitterung der Arbeiter in die Myriade von Tochterfirmen-Ausgründungen mit unterschiedlichen Verträgen zu überwinden, aber HMC verhandelt immer noch mit der HMC-Firmengewerkschaft. Viele militante Arbeiter waren wegen ihrer korporatistischen Ausrichtung gegen diese Initiative für eine Industriegewerkschaft. Später im Sommer traten die deregulierten Bauarbeiter der gigantischen POSCO Stahlwerke in Pohang in einen wilden Streik und erlitten eine Niederlage. Und als im August 2007 die deregulierten Arbeiter bei KIA Motor Company wild streikten und einen Teil der Fabrik besetzten, wurden sie von den regulären Arbeitern von KIA mit körperlicher Gewalt angegriffen und zur Wiederaufnahme der Arbeit gezwungen.
Eine positive Entwicklung ist, das im November 2007 reguläre und deregulierte Arbeiter der HMC in Ulsan zum ersten Mal eine gemeinsame Basisbewegung starteten.
Der Streik bei E-Land: Hoffnungsschimmer am gesellschaftlichen Horizont
Während dies geschrieben wird (im März 2008), dauert der Streik bei der Supermarktkette E-Land immer noch an. Es ist der jüngste und in mehrerlei Hinsicht der wichtigste Kampf von allen, denn er rückt die Frage der deregulierten ArbeiterInnen ins Zentrum der südkoreanischen Gesellschaft.
Im November 2006 verabschiedete die südkoreanische Regierung in einem Gesetzespaket ein weiteres Gesetz über deregulierte Arbeit und nannte es frei nach Orwell »Gesetz zum Schutz deregulierter Arbeiter«. Das Gesetz wurde gemacht, um die Illusion zu erzeugen, es würde gegen die Verhältnisse, die mittlerweile über 60 Prozent der aktiven Bevölkerung in Südkorea betreffen, »etwas getan«. Es sah vor, dass alle Arbeiter nach zwei Jahren in einem Job automatisch regulär beschäftigt würden. Sieben Monate später, am 1. Juli 2007, trat das Gesetz in Kraft, aber es ließ Arbeitgebern, die deregulierte Arbeiter vor der Frist entlassen wollten, riesige Schlupflöcher. Einige Firmen hielten sich an das Gesetz, aber weitaus mehr taten dies nicht und entließen ihre deregulierten Arbeiter bis Juni. Am deutlichsten wurde dieser Prozess bei einer Kaufhauskette namens E-Land, und einem damit verbundenen Kampf bei einer ähnlichen Kette namens New Core.
E-Land hatte als kleiner Familienbetrieb eines fundamentalistischen Christen angefangen und war zu einem 58 Mrd. Dollar schweren Unternehmen mit 61 Niederlassungen in ganz Südkorea angewachsen. Es hatte die Läden der französischen Carrefour-Kette übernommen. Die Firma war bekannt für besonders harte Beschäftigungsbedingungen, wobei meist Frauen zu Armutslöhnen von 800 Dollar im Monat bei 36 Wochenstunden beschäftigt wurden, oft in Zwölf-Stunden-Schichten ohne Toilettenpausen. Darüber hinaus verlangte die Firma von allen Angestellten, ob Christen oder nicht, die Kirche auf dem Betriebsgelände zu besuchen. Im Jahr 2006 spendete der Firmenchef von E-Land seiner Kirche 10 Millionen Dollar. Kurz bevor das neue Gesetz in Kraft trat, entließen E-Land und New Core 1000 ArbeiterInnen, die nach dem neuen Gesetz einen regulären Status erhalten hätten.
Die unmittelbare Antwort war ein Streik, der mittlerweile im neunten Monat ist und inzwischen auf eine beinahe sichere Niederlage zuläuft. Aber in den ersten Streiktagen kamen in ganz Südkorea Tausende von deregulierten Arbeitern aus anderen Branchen, um dabei zu helfen, die E-Land-Kaufhäuser dicht zu machen. Der KGV wurde aktiv und tat alles, um den Streik unter geschmackloser Rhetorik zu begraben, während er die Energien der Basis und der Unterstützer »von außen« in bedeutungslose symbolische Aktionen umlenkte. Am 20. Juli 2007 besetzten dennoch 200 E-Land-Beschäftigte ein Kaufhaus in Seoul und schlossen es. Die Antwort der Regierung bestand darin, 7000 Soldaten, Polizisten und angeheuerte Schlägertrupps loszuschicken, um die 200 Leute gewaltsam zu entfernen und zu verhaften. Die schwächelnde, äußerst unpopuläre Noh Moon Yon-Regierung, deren Amtszeit im Februar 2008 auslaufen sollte, konnte den Erfolg des neuen Gesetzes hervorragend für sich nutzen. Aber sie war nicht die einzige, die die Bedeutung des Streiks erkannte. Viele große Chaebol3 kamen E-Land mit Dollarkrediten in Millionenhöhe zu Hilfe. Der KGV seinerseits versprach den Betriebsgewerkschaften von E-Land und New Core Ende des Sommers, als ihre Streikfonds aufgebraucht waren, beträchtliche Summen, zog das Angebot dann aber wieder zurück. Er drängte die Betriebsgewerkschaften ständig an den Verhandlungstisch, obwohl es von Seiten des E-Land-Managements keinerlei Entgegenkommen gab. Im November versuchte E-Land sogar, in Pohang mit ausschließlich deregulierten ArbeiterInnen ein neues Kaufhaus zu eröffnen. 500 E-Land-ArbeiterInnen und andere Deregulierte blockierten den Eingang des Gebäudes, griffen sogar die zum Schutz des Ladens abgestellten Polizisten und Schläger an und entwaffneten diese. Ähnliche Aktionen, einschließlich Blockaden und Kaufhausbesetzungen, kamen den ganzen Herbst über immer wieder vor.
Vielleicht am bemerkenswertesten am E-Land-Streik im Gegensatz zu vielen vorherigen Streiks, bei denen die deregulierte Arbeit im Mittelpunkt stand, ist seine breite Sympathie und Unterstützung unter deregulierten ArbeiterInnen. Ein landesweiter Boykott hatte bis Dezember den Umsatz von E-Land um 30 Prozent gesenkt, und selbst die Medien hatten im Allgemeinen wohlwollend über den Streik berichtet, zumindest in den ersten Wochen.
Ob der Streik bei E-Land die Wiedereinstellung der ArbeiterInnen durchsetzt oder nicht (wonach es im Moment aussieht), er wird für die breitere Bewegung der Arbeiterklasse ein Sieg sein, weil er die Deregulierung der Arbeit in Südkorea endgültig zu einer Frage macht, die nicht länger ignoriert werden kann.
Bei den letzten Wahlen im Dezember 2007 stimmten viele Arbeiter in der vergeblichen Hoffnung auf eine Rückkehr zur expansiven Wirtschaft der 1970er und 1980er für den Präsidentschaftskandidaten der rechtsextremen Partei Eine Nation (Hanaratang), Lee Myoung Back, einen ehemaligen Manager von Hyundai und Bürgermeister von Seoul. Sein Wahlsieg besiegelte womöglich das Schicksal des E-Land-Streiks, denn die neue Regierung unterstützt das E-Land-Management noch offener als die ehemalige, weithin verachtete Mitte-Links-Regierung, die so viele Menschen enttäuscht hatte. Das E-Land-Management wird zudem weiterhin von anderen großen südkoreanischen Chaebols finanziell unterstützt, während die Streikenden von fast all ihren Verbündeten fallen gelassen worden sind, vorneweg vom KGV. Die neue Regierung hat eine breite Offensive von Privatisierungen und »Marktreformen« versprochen, und wird notwendigerweise ihre Anhänger aus der Arbeiterklasse enttäuschen, die eher über die alte Regierung empört waren, als dass sie die neue Regierung stützen wollten. Erfolglose Streiks ziehen sich in Südkorea oft jahrelang hin, wobei der harte Kern dahinschrumpft und die meisten Streikenden andere Jobs finden oder auf die alten Arbeitsplätze zurückkriechen. Aber noch einmal: der E-Land-Streik hat dazu geführt, dass die sich verschärfende Krise, die sich in der deregulierten Arbeit in Südkorea ausdrückt, nicht länger unter den Teppich gekehrt werden kann.
Loren GoldnerSeoul, Südkorea, März 2008
Fußnoten:
1 Siehe Wildcat 42: Südkorea – Demokratie oder Arbeiterautonomie Teil I
und Wildcat 43: Südkorea – Demokratie oder Arbeiterautonomie - Teil II2 »Nationale Befreiung« oder Juche-isten: eine pro-nordkoreanische Fraktion (»juche« bedeutet nach nordkoreanischer Doktrin etwa Autarkie ). 3 Chaebol sind große familienkontrollierte Konglomerate, die in der südkoreanischen Wirtschaft seit dem Korakrieg eine entscheidende Rolle spielen.
aus: Wildcat 81, Mai 2008