Wildcat Nr. 82, August 2008, [w82_krise.htm]



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Globale Krise


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Nur wenn der Kapitalismus an Grenzen stößt (siehe »Bauernartikel«) gibt es ernsthafte Aussichten auf eine das Kapitalverhältnis radikal umstürzende Revolution – deshalb schauen wir uns die aktuelle Krise an. Seit der »Ölkrise« Mitte der 70er Jahre lauert in jedem Konjunkturabschwung die Systemkrise. Aber in der letzten Krise war »das System« selbst in Argentinien, wo es zu Aufständen kam, nie ernsthaft in Gefahr, weil die strategischen Sektoren weiter funktionierten; die Leute gingen zwar abends auf die Demo, arbeiteten aber tagsüber weiter. Diese Klassenspaltung haben wir auch in der BRD in den letzten Jahren erlebt: Streiks nehmen zu, finden aber nicht in den strategischen Sektoren der Exportbranchen statt.

Klar stellt die aktuelle Krise eine »Grenze« des Kapitalismus dar. Aber ist sie nur ein Konjunkturabschwung oder läuft sie auf einen Crash zu? Bleibt sie weitgehend auf die Finanzwelt beschränkt oder greift sie auf die »Realwirtschaft« über? An den vielen Kämpfen weltweit gegen die Auswirkungen der Krise (Fahrerstreiks, »Nahrungsmittelrevolten« und andere Kämpfe gegen die Teuerung), interessiert uns, ob es in ihnen zu einer Neuzusammensetzung (siehe Ägyptenartikel) kommt, und ob in ihnen Perspektiven entstehen, die über den Kapitalismus hinausweisen.

Krise mit Ansage

Seit über vier Jahren wird über die Immobilienblase in den USA diskutiert, und wenn jemand »Blase« sagt, meint er damit, dass das Ding früher oder später platzen wird! Die Deutsche Bank beispielsweise wettete schon 2006 auf Zahlungsausfälle bei Subprime-Krediten, JP Morgan Chase begann im Frühjahr 2007 mit Absicherungsmaßnahmen, andere Banken kauften ab Anfang 2007 bestimmte Schuldeninstrumente nicht mehr.[1] Dennoch bzw. gerade deswegen wurde Ende 2006, als die ersten hohen Subprime-Ausfälle bekannt wurden, die Meinung in die Öffentlichkeit gepumpt, das System werde dies wegstecken. Die US-Regierung ließ z.B. verlauten, die Verluste aus der Subprime-Krise würden sich auf maximal 50 bis 100 Mrd. Dollar belaufen – Peanuts!

Peanuts vor dem Hintergrund eines außergewöhnlich innovativen Jahrzehnts der Banken. Sie entwickelten immer neue Wege, Darlehen neu zu sortieren, umzuschichten, aufzuhübschen und in Verbriefungen zu verwandeln, die sich verkaufen lassen. Da diese Geschäfte größtenteils außerhalb der Bilanzen abliefen, kennt niemand das genaue Volumen. Es wird geschätzt, dass zwischen 2000 und 2006 der Nominalwert ausgegebener Kreditinstrumente weltweit von 250 Mrd. Dollar jährlich auf 3000 Mrd. Dollar angestiegen ist. Besonders ab 2004 ging es sprunghaft nach oben. 50-100 Mrd. einmalige Ausfälle bei einem jährlichen Umsatz von 3000 Mrd.? Peanuts!

Als aber im Juli 2007 die kleine IKB vor dem Kollaps steht, weil ihre Zweckgesellschaft Rhineland Funding sich auf dem US-Hypothekenmarkt verspekuliert hat, warnt die deutsche Finanzaufsicht BaFin vor der »schwersten Bankenkrise seit 1931«. Und als die Europäische Zentralbank (EZB) daraufhin am 9. August 2007 »zur Beruhigung der Märkte« 95 Mrd. Euro in den Markt pumpt und kurz darauf die amerikanische Zentralbank (Fed) nachzieht, führt das zu Panik an eben diesen Märkten.

Was war passiert?

Das hauptsächliche Mittel zur Ausweitung des Kreditvolumens in den letzten Jahren war die Verbriefung (engl.: securitization), das heißt man macht aus Forderungen (= zukünftige Zahlungsströme) oder Eigentumsrechten im weitesten Sinne handelbare Wertpapiere (engl.: securities). Im dot.com-Crash hatten sich Aktien als unsicher erwiesen; die Blasenbildung seither beruhte auf den angeblich sicher(steigend)en Immobilien(preisen) in den USA. Der Käufer solcher Wertpapiere refinanziert seinen Kauf durch die Ausgabe von weiteren Papieren auf dem Kapitalmarkt. Beispiele für verbriefte Wertpapiere sind: Mortgage Backed Securities (MBS), Collateralized Debt Obligation (CDO) usw. usf. (es gibt noch ABCPs, CLOs, CBOs … wie gesagt, ein »innovatives Jahrzehnt«!) Die Verbriefung lief meistens über Zweckgesellschaften (wie Rhineland Funding), deren einziger Zweck die Emission dieser Wertpapiere war.

Zur Verbriefung hinzu kam die Vermischung: Zur Risikoabsicherung tauschten die Banken untereinander kreuz und quer diese Papiere. Die neuen Käufer schnürten die in den Papieren enthaltenen »Kreditbündel« häufig auf, verknüpften sie mit anderen Paketen und verkauften sie weiter. »Kontrolliert« wurden diese Kreisläufe durch die Prüfnoten der Ratingagenturen. Am Ende wusste niemand mehr, wer die riskanten Kredite eigentlich besaß, weil die Geschäfte der Zweckgesellschaften nicht in den Bilanzen der Banken auftauchten. Diese beiden Prozesse (Aufblähung des Kreditvolumens; Verstecken/Streuen des Risikos) multiplizieren sich in der aktuellen Krisenentwicklung.

Aber wo kommen die »riskanten Kredite« her? Diese Kreisläufe lebten davon, dass sie sich ständig ausweiteten. Zu dem Zweck wurden auch Leute reingezogen, die sich gar kein Haus hätten leisten können. Schätzungen zufolge soll der sogenannte Subprime-Markt ein Volumen von 1000 Mrd. (eine Billion) Dollar erreicht haben. Die Krise hat ihren Namen daher, dass das Kartenhaus von diesem Ende her zu bröckeln begann: viele Leute mit niedrigem Einkommen konnten ihre Hypothekenzinsen nicht mehr bezahlen, und die Banken konnten zwar die Häuser pfänden, wurden sie aber bei fallenden Immobilienpreisen nicht mehr los.

Der Begriff Subprime-Krise verdeckt, dass es eine allgemeine »Schuldenkrise« ist (Häuser, Kreditkarten, Autokredite, Unternehmenskredite…), die sich sofort zu einer Bankenkrise ausgeweitet hat und inzwischen die »Realwirtschaft« errreicht.

Als erste Banken in Zahlungsschwierigkeiten gerieten, wurde sofort klar, dass die CDOs das gesamte Bankensystem »radioaktiv verseucht« hatten: niemand weiß, welche Banken vor dem Kollaps stehen (»Vertrauenskrise«). Mit wenigen Ausnahmen wie z.B. GoldmanSachs, die an der Krise viel verdient hat, indem sie auf den Zusammenbruch spekulierte, sind alle großen multinationalen Banken betroffen (CityGroup, Morgan Stanley, Merrill Lynch, UBS, Société générale, Deutsche Bank usw.).

Nach dem Einbruch wollte niemand mehr diese »strukturierten Produkte« kaufen. Das löste bei vielen Investmentvehikeln eine sofortige Liquiditätskrise aus. Die Banken konnten Forderungen wie Hypotheken nicht mehr zu Subprime-Titeln gebündelt weiterverkaufen und gerieten in Kapitalnot. Befürchtet wurde, dass der Zugang zu Krediten für Unternehmer schwieriger wird (»Kreditklemme«), was seither auch teilweise eingetreten ist.

Tatsächlich hat aber die Finanzkrise in ihrem ersten Jahr weit weniger »realwirtschaftlichen Schaden angerichtet«, als es die gigantischen Summen erwarten ließen. Der Chefökonom der Financial Times Deutschland sprach am 8. August hämisch von der »zauberhaften Katastrophe« und merkte an, dass auch nach dem Aktiencrash 1987 und nach der Asienkrise 1998 die »befürchtete Rezession« ausgeblieben war.

Man könnte dem »Chefökonomen« zwei Dutzend Artikel entgegenhalten, in denen er selber von der »größten Finanzkrise aller Zeiten«, dem drohenden »Kollaps des internationalen Finanzsystems« usw. schreibt. Aber Propaganda spielt beim handling von Finanzkrisen eine ganz wichtige Rolle. Und die Trendvorhersagen der »Experten« sind mehr oder weniger zufällig, weil sie nur die Entwicklung der jeweils letzten Tage weiterrechnen; die Krise entwickelt sich aber ganz deutlich in Stufen. Und drittens: Es stimmt tatsächlich, dass nach 1987 und 1998 die Rezession ausblieb – und zwar deswegen, weil alle Krisen der letzten Jahrzehnte damit gelöst wurden, dass die Zentralbanken, vor allem die Fed, riesige Mengen Kreditgeld in die Wirtschaft gepumpt haben. Damit konnten sie verhindern, dass die Krise zum Crash wird – damit haben sie aber auch jedes Mal die Grundlagen für die nächste Krise gelegt. So auch diesmal.

Krise in Stufen[2]

Nach einem Jahr »Finanzkrise« sind wir beim Übergang von der ersten zur zweiten Phase. Ihren Höhepunkt wird die Krise erst 2009 oder sogar 2010 erreichen. Die Entwicklung hat ihren Ursprung darin, wie die Krise Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre »gelöst« wurde. Die Unternehmer flohen vor Profitratenfall, steigenden Reallöhnen und widerspenstigen ArbeiterInnen in Finanzanlagen. Von 1969 bis 1971 verdoppelten sich die an den weltweiten Finanzmärkten gehandelten Dollarströme, sie nahmen in drei Jahren soviel zu wie in den vorhergehenden Jahrhunderten (allerdings geht es hierbei um Summen, die uns heute lächerlich vorkommen). In Reaktion darauf löste der damalige US-Präsident Nixon am 15.8.1971 den Dollar von seiner Goldparität, wertete ihn gegen den Yen und die DM ab, erhob Sonderzölle auf Importe in die USA und verhängte einen »Lohn- und Preisstopp« (fünf Prozent). Das war das Ende von Bretton Woods, des nach dem Zweiten Weltkrieg ausgehandelten Währungssystems. Durch die freigehandelten Währungen mussten sich international tätige Unternehmen gegen Währungsschwankungen absichern; daraus entstand der Derivatehandel (wodurch die Finanzströme um so stärker anwuchsen). Und viele Unternehmer erkannten, dass sich mit Währungsspekulation leichter Geld verdienen ließ als mit produktiven Investitionen (wodurch die Finanzströmen noch viel stärker anwuchsen).

Der sogenannte »Neoliberalismus« mit der »Deregulierung der Finanzmärkte« hat sich von Ausweg zu Ausweg aus Krisenkonstellationen entwickelt. Es waren Reaktionen und keine »unabhängigen politischen Entscheidungen«, der Mechanismus war strukturell immer derselbe: Kapital sucht nach gewinnbringenden Anlagemöglichkeiten, die Gewinnchancen am Kapitalmarkt scheinen Unternehmern sicherer als die Investition in die eigene Firma. Im letzten Zyklus waren es u.a. die Rentenfonds. Sie verwalten riesige Summen und sind gesetzlich verpflichtet, nur in »AAA« geratete Papiere zu investieren, so viele gibt es aber gar nicht! Die »Lösung« bestand in der oben beschriebenen »Innovation«: Banken schnürten »reguläre« Papiere mit weniger regulären und mit völlig faulen zum neuen »Anlageprodukt« CDO. Verkauft wurden diese über eigens gegründete Conduits (engl.: Structured Investment Vehicle), um die Eigenkapitalvorschriften der Bankenaufsicht zu umgehen.

Das Ausweichen in die Finanzsphäre ist eine normale Verlaufsform kapitalistischer Krisen, Marx hat das anhand der ersten Weltwirtschaftskrise 1857 bereits analysiert und dafür den Begriff »fiktives Kapital« geprägt (siehe die Artikel von Loren Goldner [4]). Und ebenfalls schon sehr früh wurden im Kapitalismus »hedging«-Instrumente zum Spekulieren benutzt (schon im 17. Jahrhundert sicherten sich Bauern mit futures gegen den Preisverfall ihrer Ernten ab; und seit 1848 wird an der Warenterminbörse in Chicago mit der »verbrieften« Form solcher futures gehandelt, also spekuliert). Aber im Unterschied zu früheren Verlaufsformen kam es in den Krisen seit 1973 nicht zu einer massenhaften Entwertung der angehäuften Spekulations- und Kreditmassen (»Deflation«); deshalb steht das Verhältnis zwischen Finanzkapital und in Sachwerten angelegtem Kapital heute in einem Verhältnis, das es noch nie gab. Und deshalb scheint in jedem konjunkturellen Abschwung die »Systemkrise« auf. [5]

Das Ende von Bretton Woods II

Nach dem Ende von Bretton Woods existierten seine Institutionen (IWF und Weltbank) fort, und die G7 wurde als neue Institution gegründet, um die Folgen der einseitigen Aufkündigung des alten Vertragswerks durch Nixon einigermaßen abzufangen. Es kam zu keinem neuen Vertrag, stattdessen bildete sich »vertragslos« etwas heraus, das seit einigen Jahren als Bretton Woods II bezeichnet wird. Es basiert darauf, dass die USA in riesigem Umfang Industrieprodukte aus Asien importieren. Da weder China noch Japan viel in den USA kaufen, kommt es zu einem hohen und ständig steigenden US-Außenhandelsdefizit. Im Gegenzug kaufen Japan und vor allem China US-Anleihen und Dollars, die sie als Währungsreserven halten. Die USA mussten also lediglich Dollar drucken, um das System in Gang zu halten. Entgegen der landläufigen Meinung ist nicht das hohe Außenhandelsdefizit der USA das Problem (es wird aufgewogen durch die zurückfließenden Profite der US-Multis; z.B. hat Wal-Mart mehr als 700 Fabriken in China), sondern die hohe Verschuldung. Von 1987 bis Ende 2007 stieg die Gesamtverschuldung der USA (Haushaltsdefizit, Schulden der Bundesstaaten, Schulden der Unternehmen) von 11 auf 48 Billionen Dollar (zum Vergleich: das Weltsozialprodukt beträgt ca. 61 Billionen Dollar), und sie wächst weiter: Allein der Regierungshaushalt 2009 sieht 482 Mrd. Dollar neue Schulden vor. Um diese Kredite bedienen zu können, brauchen die USA jährlich Kapitalzuflüsse von 400-500 Milliarden Dollar. Mit den massiven Zinssenkungen der Fed 2007 und der starken Abwertung des Dollars 2008 ist Bretton Woods II zusammengebrochen. Die neoliberale Wirtschaftspolitik des Herabdrückens der Reallöhne und der gleichzeitigen Aufrechterhaltung der Binnennachfrage durch Ausweitung des Kredits ist erschöpft. Es ist unklar, wie ein neues, temporär »stabiles« System aussehen könnte.

Das aus der Immobilienblase abfließende Kapital auf der Suche nach sicheren Anlagen hat Rohstoffe (Kupfer, Gold, Erdöl, auch Wasser!) und Nahrungsmittel entdeckt. Dieses »Überangebot an Geld« löste eine weltweite Inflation aus, vor allem Nahrungsmittel und Energie aller Art verteuerten sich im Frühjahr 2008 dramatisch und weltweit. Die Preise für Erdöl stiegen stark an, obwohl die Nachfrage nur noch langsam wuchs und etwa seit Mitte 2008 stagniert (Zeichen der schrumpfenden Weltwirtschaft; in den letzten Wochen ist der Preis für Erdöl deshalb wieder stark gefallen). Aber zurück zu unserer Frage: Zerstören diese Finanz-Tsunamis nur die Lebensbedingungen vieler Millionen Menschen und haben womöglich gar keinen Einfluss aufs »Kapital«? Wo bleibt der Crash?

Bankenkrise

Die größte Krise in der Geschichte der Banken ist noch keineswegs vorbei. Da unklar ist, wo überall faule Kredite stecken, leihen sich die Banken untereinander kein Geld mehr. Es gibt eine »Vertrauenskrise«. Und Vertrauen in den geregelten Gang der Geschäfte ist eine materielle Voraussetzung des Kapitalismus. Bisher haben die Banken weltweit 450 Milliarden Dollar abgeschrieben, weniger als die Hälfte an ›faulen Krediten‹. Ende Juli verkaufte Merrill Lynch vergiftete Papiere mit einem Abschlag von 78 Prozent. Die Preise auf dem US-Häusermarkt fallen weiter. Die Zahl der Kreditausfälle nimmt zu, im Juli um 55 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Am Ende der Krise könnte die Hälfte des gesamten haftenden Eigenkapitals der größten Bankkonzerne in den USA, Europa und Japan pulverisiert sein. Mehr als 100 kleinere US-Banken könnten bankrott gehen.

Größere Banken (wie die Sachsen LB, Northern Rock in GB, in den USA Bear Stearns im März und IndyMac im Juli 2008) waren zahlungsunfähig. Beim Bankrott von Bear Stearns wäre um ein Haar das internationale Finanzsystem kollabiert. Deshalb wurden all diese Banken gerettet, entweder indem der Staat oder die Zentralbank für ihre faulen Kredite garantierte und sie zu einem Spottpreis an eine andere Bank verkauft wurden, oder sie wurden, so wie IndyMac, die zweitgrößte gecrashte Bank in der US-Geschichte, im August vom staatlichen Einlagensicherungsfonds der US-Banken übernommen. Falls nicht doch noch das ganze internationale Finanzsystem crasht, wird der Bankensektor massiv konzentriert. (Dies gilt übrigens für die gesamte Ökonomie; siehe Autoindustrie!)

Im Sommer 2008 kommt die Krise bei den Versicherungen an (AIG, Münchener Rück, Hannover Rück, Allianz, Swiss Re usw.). Das war logisch und zu erwarten. Sie springt aber sofort auf die »konsumnahen Branchen« Einzelhandel und Autoindustrie über, die schon länger kriseln.

Die Autoindustrie in der Krise

Als erste Industriebranche wurde die Autoindustrie von der Krise erfasst. Daimler, BMW, Fiat, Toyota kommen unter Druck; General Motors, Ford und Chrysler, die bereits vorher wackelten, sind nun sogar von der Pleite bedroht. [6]

Der Autoverkauf bricht ein, weil das Benzin teurer wird und weil die Konsumenten in der Krise ärmer werden. Zudem wurden die Rohstoffe und somit die Autos selber teurer, was die Absatzprobleme verschärft. Die Automultis kommen außerdem in die Bredouille, weil ihre Aktienkurse eingebrochen sind und sie von Ratingagenturen runtergestuft wurden (die Aktienkurse der erwähnten Automultis fielen im ersten Halbjahr zwischen 20 und 40 Prozent; die Ratingagenturen stuften GM und Chrysler auf B- runter, das ist fast junkbond-Niveau!)[7]. Konzerne, die niedrig geratet sind, müssen hohe Zinsen zahlen, um sich Geld am Kapitalmarkt zu beschaffen. Sie brauchen aber viel Geld, um durch technologische Innovationen aus der »Erdölfalle« rauszukommen. Als wäre das alles nicht genug, ist auch noch das Geschäftsmodell »Autobanken« zusammgebrochen. In den USA werden 80 Prozent der Autos auf Pump gekauft, die Finanzierung dieser Verträge war bisher so lukrativ, dass die Autobanken als »Geldmaschinen« galten. Seit November 2007 kamen sie aber durch hohe Kreditausfälle in Schieflage, Leasing lohnt sich für die Firmen bei einbrechenden Gebrauchtwagenpreisen gar nicht mehr.

Seit Jahren bauen die Autokonzerne riesige Überkapazitäten auf. 2008 brechen die Absätze in der »Triade« (USA, Westeuropa, Japan) ein. Hier wurden 2008 bisher acht Prozent weniger Autos verkauft, in den USA sogar 18 Prozent; General Motors hat bereits vier Autofabriken geschlossen. Gleichzeitig geht der Aufbau neuer Fabriken in den BRIC-Ländern weiter. Dass die Krise dort erst mit Zeitverschiebung ankommt, führt zu irrwitzigen »Trendrechnungen der Experten«, ein weiter steigender Absatz in Brasilien, Russland, Indien und China könne den Kriseneinbruch verhindern. Was allerdings sicher ist: die Automultis, die die Krise überleben, werden danach eine völlig andere Standortverteilung haben; tendenziell werden in der BRD z.B. keine Kleinwagen mehr hergestellt.

Die Autoindustrie, Schlüsselbranche und Namensgeber des Fordismus, und das Auto, Schlüsselprodukt der modernen Industriegesellschaft überhaupt, stehen beide vor radikalen Veränderungen. [8]

Nach der Autoindustrie sind Maschinenbau und Technologie, Stahl und Chemie gefährdet. Sie alle sind »Spätzykliker«, d.h. die Krise trifft sie später. Auto, Chemie, Stahl, Maschinenbau… – die strategischen Branchen der BRD-Ökonomie.

Der Exportweltmeister geht krachen

Anfang 2008 feierte die Bundesregierung die fünfte Exportweltmeisterschaft in Folge: »Deutsche Unternehmen haben sich hervorragend auf die Erfordernisse der Globalisierung eingestellt«, klopfte man sich auf die Schulter. Die BRD exportierte 2007 Waren im Wert von 969,1 Milliarden Euro, bei einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2 423 Milliarden. Chemie- und Autoindustrie setzen sogar weit mehr als die Hälfte ihrer Produktion im Ausland ab. Der Außenhandelsüberschuss stieg von einem Minus von 17 Milliarden Euro in der Krise im Jahr 2000 auf 198 Milliarden 2007. Diese aggressive Außenhandelsstruktur ist Ergebnis einer gezielten Wirtschaftspolitik, die für umfangreiche Steuersenkungen für Unternehmer und massive Verbilligung der Ware Arbeitskraft sorgte.

Seit der Steuerreform des Schröder-Regimes ist die BRD ein Steuerparadies für Kapitalisten. Schon 2005 machten die Unternehmenssteuern nur noch 0,6 Prozent des BIP aus, während es im EU-Durchschnitt 2,4 Prozent sind (sogar im neoliberalen Musterland Slowakei mit dem einheitlichen Steuersatz Flat-Tax sind es 2,7 Prozent).

Hartz IV drückte die Löhne auf breiter Front. Die bewusst kalkulierte Verelendung der ALG-II-Bezieher soll alle abschrecken, die sich Lohnkürzungen oder unerträglichen Arbeitszeitverlängerungen widersetzen wollen. Damit wurde ein Niedriglohnsektor aufgebaut, in dem fast ein Viertel aller Beschäftigten in der BRD schuftet. (Vom Regime als »Zunahme der Erwerbstätigkeit« bejubelt.)

Die Netto-Lohnquote, der Anteil der Löhne an den verfügbaren Einkünften aller privaten Haushalte, ist von 48,1 Prozent im Jahr 1991 auf 41,2 Prozent 2005 gesunken – 1960 hatte sie noch bei 55,8 Prozent gelegen! Der durchschnittliche Stundenlohn stagniert seit 1991, inflationsbereinigt lag er 1991 bei 11,17 pro Stunde, 2006 bei 11,68. Die BRD ist – neben den USA – eins der wenigen Industrieländer, in denen die Reallöhne in den vergangenen Jahrzehnten nicht gestiegen sind. Deutsche Waren sind auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig, weil sie unter hoher Produktivität von – im Verhältnis zu anderen, ähnlich produktiven Industriestaaten – gering bezahlten Arbeitskräften produziert werden: Die Lohnstückkosten waren in der BRD 2005 niedriger als 1995, während sie im übrigen Europa teilweise erheblich stiegen.

Der letzte Aufschwung basierte fast ausschließlich auf einem gewaltigen Schub der Auslandsnachfrage.

Seit dem Frühjahr findet mit enormem Tempo ein Wechsel von Wachstum auf Rückgang statt, besonders drastisch im Exportgeschäft. Denn die vier wichtigsten europäischen Abnehmerländer deutscher Exporte kriseln: Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien (die USA liegen in etwa mit GB gleichauf). Die extreme Ausrichtung der deutschen Ökonomie auf den Export wird in der globalen Krise zur Achillesferse (siehe Autoindustrie). Diese Krise wird die BRD besonders hart treffen, und sie wird in eine Bevölkerung einschlagen, in der breite Teile in den letzten Jahren einem Pauperisierungsprozess unterworfen wurden (es gibt heute eine Million sozialversicherungspflichtig Beschäftigte weniger als im Jahr 2000). Viele Firmen haben in den letzten Wochen Massenentlassungen angekündigt: BMW, Infineon, Telekom, WestLB usw. Die Arbeitslosenzahlen werden ansteigen, die Auseinandersetzungen schärfer werden.

Globale Krise…

Die aktuelle Krise ist so weltweit wie noch nie eine Krise war. »Subprime« war nur der Auslöser, Inflation nur der (vorübergehende) Ausdruck. Der Mechanismus »Herabdrücken der Löhne« und schuldenfinanzierter Konsum von Rohstoffen und Industrieprodukten »aus der Peripherie« ist zerbrochen. Dahinter wird mit aller Macht der Kern der Krise sichtbar: Überakkumulation. Das Kapital ist in mehr als drei Jahrzehnten einmal um die Erde geflüchtet auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten. Nun ist der Kreis rund. Aus der aktuellen Krise gibt es nicht mehr den Ausweg, den es Mitte der 70er einschlug: Verlagerung, »Industrialisierung der Peripherie«. Die Peripherie ist heute industrialisiert.

Mit zurückgehender Nachfrage in den USA und den anderen G7-Staaten werden die »neu industrialisierten Länder« stark getroffen. Die BRIC-Staaten werden – mit Zeitverschiebung – tief in die Krise rutschen. Seit Oktober 2007 sind die Aktien in China um mehr als 60 Prozent abgestürzt. Im Juli 2008 war die Produktion erstmals seit 2005 rückläufig. Russland hatte bereits 2007 eine offizielle Inflationsrate von fast 12 Prozent, der Lebensstandard der Leute sinkt; die Lohnerhöhungen liegen unter der Inflationsrate, Nahrungsmittel haben sich um bis zu 50 Prozent verteuert. Die Investitionen gingen im ersten Quartal um 42,8 Prozent zurück. Die russische Ökonomie ist besonders verwundbar, weil sie völlig vom Export von Erdöl und Erdgas, sowie in geringem Maß von Erdöl-Raffinaten abhängt. Indien sieht schlechten Zeiten entgegen, die Inflation ist auf Rekordhöhen, das Bruttosozialprodukt wächst schwächer, 15 Prozent aller Ausfuhren gehen in die USA. Anders sieht es zur Zeit noch in Brasilien aus, das nach wie vor boomt.

Seit Mitte der 70er Jahre hat die Proletarisierung der Weltbevölkerung wie noch nie in der Geschichte zugenommen. In der Krise bildet sich nun ein weltweiter Arbeitsmarkt heraus, den wir uns aber nicht als etwas homogenes vorstellen dürfen, im Gegenteil wird die internationale Arbeitsteilung noch schärfer aufgespalten werden, womöglich wird sich die bereits zu beobachtende Re-Industrialisierung einiger Metropolen (»Rückverlagerung«) verstärken. Krisenbedingt werden sich die Migrationsströme weltweit noch einmal massiv verschieben – z.B. werden innerhalb von Europa Millionen OsteuropäerInnen aus den Krisengebieten (Irland, England, Spanien) wieder abwandern.

In diesen Prozessen wird eine weltweite Arbeiterklasse sichtbar.

… in Zeitlupe

Im Juli stieg die Inflation in den USA auf 5,6 Prozent – den höchsten Wert seit Dezember 1990. Besonders zu Buche schlugen gestiegene Preise für Bekleidung (die Importe aus China werden teurer). Die Arbeitslosigkeit ist den siebten Monat in Folge gestiegen und liegt nun offiziell bei 5,7 Prozent, Viele Großunternehmen entlassen: General Motors 5000 Leute, United Airlines 7000, American Airlines 6840 usw. usw. Aufgrund einer Etatkrise verkündete Gouverneur Schwarzenegger Ende Juli den Abbau von 22  000 Stellen im Öffentlichen Dienst Kaliforniens.

Die Verschuldung in den USA wächst weiter. Jeder Steuerbürger bekam einen Scheck von der Regierung, im Juli summierten sich diese auf 30 Mrd. Dollar. Zusätzlich verschuldeten sich die Privathaushalte um weitere 14,3 Mrd. Dollar. Trotzdem setzte der Einzelhandel lediglich 0,1 Prozent mehr um. Den Anstieg des BIP um 1,8 Prozent im zweiten Quartal 2008 nahmen viele Experten – mal wieder! – als Ende der Krise in den USA.

Der Euro(raum)

Die EZB erhöhte Anfang Juli den Leitzins auf 4,25 Prozent und hielt an dieser Entscheidung auch auf ihrer Sitzung Anfang August fest. Die Kommentatoren rätseln, viele kritisieren, manche fragen: wissen die was, was wir nicht wissen? Keynesianer spielen sich mal wieder als die »besseren Nationalökonomen« auf, denn volkswirtschaftlich gesehen ist es natürlich irrsinnig, die Zinsen in einer Rezession zu erhöhen. Hatte die EZB was verpennt?

Dabei liegt die Antwort auf der Hand: Die EZB kämpft auf der einen Seite gegen die Klasse auf der anderen Seite gegen den Dollar. Der Euro war mit dem Ziel etabliert worden, die Vormachtstellung des Dollar aufzubrechen, und er hat wichtige Schritte in dieser Richtung gemacht. Zwar werden die meisten Rohstoffe nach wie vor in Dollar gehandelt und der Großteil der weltweiten Währungsreserven in Dollar gehalten, aber in vielen Ländern rund um die Eurozone ist der Euro informelle Zweitwährung, im illegalen Waffen- und Drogenhandel hat er angeblich den Dollar weitgehend verdrängt (das bedeutet hohe zinslose Kredite!), und vor allem werden inzwischen mehr internationale Anleihen in Euro begeben als in Dollar, der Euro knabbert somit an dem Privileg der USA, sich im Ausland in der eigenen Landeswährung verschulden zu können. Um in dieser Richtung weiterzukommen, muss er sich als starke Währung präsentieren. Das ist die eine Erklärung für den geldpolitischen Kurs der EZB: Angriff auf den Dollar. Die Zinserhöhung der EZB nahm der Fed die Möglichkeit, die Zinsen in den USA weiter zu senken (zuvor hatte diese siebenmal in Folge den Leitzins auf zuletzt zwei Prozent gesenkt). Die Fed steckt in einem Zwiespalt zwischen drohender Rezession und zu hoher Inflation und kann das nicht mehr durch Dollar Drucken ausgleichen.

Für uns wichtiger ist das – erklärte – Ziel der EZB, es nicht zu einer Preis-Lohn-Spirale kommen zu lassen (die Lohnforderungen werden höher, um die Inflation auszugleichen), was sie frecherweise »Lohn-Preis-Spirale« nennen: »In einem solchen Kontext ist es nach wie vor von entscheidender Bedeutung, breit angelegte Zweitrundeneffekte bei der Lohn- und Preissetzung zu vermeiden.« Der EZB-Rat beobachte deswegen die Tarifverhandlungen im Euro-Raum »mit besonderer Aufmerksamkeit«. (EZB-Monatsbericht, August 2008)

Eine knallharte Kampfansage, während sich die Krise entfaltet.

Inflation

ProletarierInnen haben nur Geld, kein anderes Vermögen, deshalb verlieren sie in einer Inflation mehr als andere; die prozentual viel stärker gestiegenen Preise für Grundnahrungsmittel und Energie treffen sie doppelt, weil diese Kosten einen viel größeren Anteil ihrer Ausgaben ausmachen. Noch viel mehr schlägt die Teuerung in Ländern wie Indien durch, wo Leute die unterhalb der Armutsschwelle leben, durchschnittlich mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben. Strukturell ähnliche Entwicklungen gibt es aber in den Metropolen: Zum Beispiel gab Anfang der 90er Jahre ein durchschnittlicher Haushalt in den USA 25 Prozent seines Einkommens für Wohnen aus, heute 50 bis 60 Prozent! Denn im letzten Aufschwung sind die Löhne nicht gestiegen: 2006 hatte das mittlere Realeinkommen US-amerikanischer Familien noch nicht wieder das Niveau des Jahres 2000 erreicht, somit geht die Durchschnittsfamilie mit einem Einkommen in diese Rezession, das unter dem liegt, was sie vor der vorigen Rezession hatte. Das gab es bislang erst einmal, nämlich 1981 in einer Rezession mit doppeltem Tiefpunkt. Die Krise trifft also auf bereits »geschwächte Verbraucher«, die sehr stark verschuldet sind. In den früheren Krisenangriffen konnte die US-amerikanische Arbeiterklasse bei sinkenden Reallöhnen ihren Lebensstandard nur durch Zweit- und Drittjobs halten – im letzten Angriff nur durch Schulden. Diese wurden bei irrwitzig steigenden Immobilienpreisen oft in Form von Hypotheken, evtl. subprime, aufgenommen.




Berichte

Da die Krise in der BRD immer mit etwas Verspätung, dafür dann umso heftiger ankommt, sollten wir uns vorbereiten! Wir haben deshalb im Juni FreundInnen auf der ganzen Welt angeschrieben und um Antworten auf zwei Fragen gebeten: Wie wirkt sich bei Euch die Krise sozial aus (Job weg, Wohnung weg, Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln und Energie…)? Welche Kämpfe gibt es an dieser Front? Als wir beim letzten Irakkrieg eine ähnliche Aktion starteten, bekamen wir in kurzer Zeit sehr viele Zuschriften, diesmal viel weniger. Auf Nachfragen stellte sich raus, dass schon die Beantwortung der ersten Frage schwer fällt (was ist Krisengeschrei, was sind reale Entwicklungen, was ist Gesundbeterei und was ist Panikmache?). Das Folgende ist – zusammen mit den Artikeln zu Ägypten und zu Rumänien – nur ein Anfang.

Vieles deutet daraufhin, dass die Krise in Europa vor allem in den neuen Beitrittsländern zuschlagen wird, die noch nicht den Euro eingeführt haben. Die baltischen Staaten, Rumänien, Bulgarien… die bisherigen Boomregionen befinden sich in einem starken Abschwung bei hoher Inflation (um die 20 Prozent). Die Nahrungsmittelpreise sind in der EU um 7,1 Prozent gestiegen, in Bulgarien und den Baltischen Staaten fast um 30 Prozent. Im Abschwung wird überall deutlich, dass der Aufschwung kreditfinanziert war, und dass v.a. der Konsum der Arbeiterklasse auf Pump beruhte.

Rumänien
Die Gas- und Energiekosten (Heizung, Kochen, Warmwasser) sind bisher um 10-20 Prozent gestiegen, Preise für Grundnahrungsmittel stärker: Getreide 25 Prozent, Öl 100 Prozent, Milchprodukte, Gemüse und Obst 30 Prozent (immer im Vergleich zum Vorjahr). Immer mehr Leute haben ein Auto, entsprechend schlägt hier die Verteuerung von Kraftstoff ein. Aber die Preise für öffentliche Verkehrsmittel sind noch relativ erschwinglich, und die Preise für Teilnahme am kulturellen Leben, für Freizeitgestaltung und für Klamotten sind gleichgeblieben. Ein Grund, warum die Gesamt-Inflationsrate wesentlich niedriger ist. Die Bewegung von der Stadt zurück aufs Land hält an. Viele haben noch ein Stück Land und können den Preissteigerungen etwas ausweichen.
Generell haben die Leute kaum Erspartes. Viele, ob ArbeiterInnen oder besserverdienende Mittelschicht (ein Programmierer mit frischem Abschluss verdient 1000 Euro), haben Privatkredite aufgenommen und leben auch sonst auf Pump (ganz oft ein Argument, warum einige einen längeren Streik mit entsprechendem Lohnausfall nicht durchhalten). Privatkredite waren sehr einfach zu kriegen, aber inzwischen sind die Zinsen angehoben und die Kalkulationen der Leute hauen nicht mehr hin.
Konflikte? Alle Streiks, von denen ich mitbekommen habe, waren von den hohen Preissteigerungen motiviert. In wichtigen Bereichen (Dacia, Hafen, Stahlwerk) gab es jährlich Lohnerhöhungen über 10 Prozent, ohne dass gestreikt wurde. Zu den Streiks kam es, weil diese Lohnerhöhungen nicht mehr ausreichten. Auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen und in den Fernsehnachrichten werden die hohen Lohnsteigerungen (im Durchschnitt 25 Prozent) für die krasse Preisexplosion verantwortlich gemacht.
»Spaniens Wirtschaft fällt am tiefsten«
titelte die Financial Times Deutschland am 11. August. »Spaniens Wirtschaft legt derzeit eine Vollbremsung hin, die an Tempo und Heftigkeit alle anderen großen Ökonomien in Europa in den Schatten stellt.« Die Industrieproduktion brach im Juni um neun Prozent ein. Spanische Unternehmen haben durchschnittlich sehr wenig Eigenkapital und werden von steigenden Kreditkosten und geringerer Kreditvergabe der Banken viel härter als Firmen in anderen Ländern getroffen. Die Arbeitslosenrate stieg schon im Juni auf 10,4 Prozent, die offizielle Inflation auf 5,3 Prozent. Der Absatz v.a. von dauerhaften Konsumgütern bricht ein (im Juni minus 20 Prozent), im Juli (in Spanien traditionell einer der verkaufstärksten Monate) ging der Autoabsatz sogar um 27,5 Prozent zurück.
In den letzten zehn Jahren wurde in Spanien (45 Mio. Einwohner) mehr gebaut als in der BRD, Frankreich und Italien zusammen. Der Bauboom beruhte auf steigender Nachfrage nach Wohnraum durch Millionen neue Immigranten, durch junge Leute, die aus dem Elternhaus auszogen, und durch Touristen, die sich ihren Traum von einer Ferienwohnung am Mittelmeer erfüllten. Der lange spanische Boom beruhte fast ausschließlich auf den Branchen Tourismus und Bau, beide trugen jeweils fast ein Fünftel zum Bruttosozialprodukt bei, die Industrie nur 13,4 Prozent. Spanien hat ein gewaltiges Handelsbilanzdefizit – und kann, anders als während der letzten Krise Anfang der 1990er Jahre, seine Währung nicht mehr abwerten, um die Exporte anzukurbeln. Deshalb wackelt das ganze Land, bisher scheint lediglich die Tourismusbranche nicht unter der Krise zu leiden (sie hängt aber stark am Ölpreis und an der Konsumlaune in anderen Ländern).
Etwa seit Beginn diesen Jahres bestimmt die »Krise« das bisweilen hysterische Mediengeplärr und die Gespräche des täglichen Lebens. Seit dem größten Bankrott in der Geschichte des Landes, der Pleite der Immobiliengesellschaft Martinsa, setzt sich die Einsicht durch, dass die Krise gerade erst begonnen hat. Für viele geht es ans Eingemachte, andere haben ziemlichen Reibach gemacht mit dem Monopoly der letzten Jahre. In der Krise der Bauindustrie werden zuerst die MigrantInnen entlassen (in Spanien leben offiziell um die vier Millionen AusländerInnen legal; nichts hat die spanische Gesellschaft derart verändert, wie die Immigration der letzten Jahre), auch von ihnen haben viele Kredite für ein Auto oder eine Wohnung aufgenommen.
Jahrelang wurden halb »illegale« Kredite für den Wohnungkauf vergeben (fast ohne Eigenkapital und auf der Grundlage von Gutachten, die den Wert der Wohnungen viel höher als den Kaufpreis setzten; solange die Preise stark stiegen – von 1997 bis 2006 um elf Prozent jährlich! –, war das Risiko gering). Inzwischen gibt es viel mehr Wohnungen als zahlungskräftige Nachfrage (es soll um die 1,5 Mio. unverkaufte Häuser auf dem Markt geben) und die Preise für Wohnungen und Büros fallen in den Keller. Aber die Zinsen auf die Schulden und die Hypotheken steigen, sie haben in Spanien variable Zinsen, und der Zinssatz ist in den letzten 18 Monaten extrem gestiegen. Der Wohnimmobilienmarkt ist in den letzten Monaten um ein Drittel eingebrochen, die Vergabe von Hypotheken ist um 40 Prozent zurückgegangen. Der Anteil an ›faulen‹ Krediten hat sich im Jahr 2007 mehr als verdoppelt, Tendenz steigend.
Trotzdem haben die Leute in meinem Bekannten- und Freundeskreis bis heute nicht aufgehört, schuldenfinanzierte Unterkünfte zu erwerben, und ich kann mir nur schwer vorstellen, dass die alle irgendwann an die Luft gesetzt werden. Vielleicht erleben wir bald statt eines Mietstreiks einen Zinsstreik. Die Banken in den USA und auch in Spanien unternehmen längst alles erdenkliche, was bereits einem weichen Zinsstreik entspricht: Kredite werden verlängert, umgeschichtet und verringert, bloß um nicht die offene Anerkennung der Nichteinforderbarkeit an die große Glocke zu hängen.
Konflikte gab es bisher eher wenige. Im Mai und Juni gab es noch wichtige Streiks und Protestaktionen von den Lastwagenfahrern, Fischern und Bauern, mit heftiger Repression. Aber seitdem scheint es ruhig zu sein. es gibt eine große Unzufriedenheit und alle erwarten von der Regierung, dass sie was macht. Ich kann mir aber vorstellen, dass der Herbst heiß wird.
Großbritannien
Die Inflation in Großbritannien ist mit 5 Prozent höher als in der Euro-Zone, der Wirtschaftsrückgang stärker, im zweiten Quartal 2008 haben z.B. 15 Prozent mehr Unternehmen Insolvenz angemeldet. Die Leute spüren die steigenden Preise sehr stark, aber »Experten« und Regierung sprachen die ganze Zeit lediglich von einer »wirtschaftlichen Abkühlung«. Real sind Lebensmittel im Juli etwa elf Prozent, Grundnahrungsmittel (Fleisch, Brot, Cerealien, Öl und Fett) sogar ein Drittel teurer als vor einem Jahr. Die Kosten für Benzin, Elektrizität und Gas dürften mehr als 60 Prozent gestiegen sein (gerade wird bekannt, dass British Gas den Gaspreis nochmal um 35 Prozent erhöhen will). Die niedrigsten Einkommen sind am stärksten von der Inflation betroffen; und die Bezüge von Arbeitslosen, Rentnern und z.B. von alleinstehenden Müttern auf benefit werden nur einmal im Jahr an die (künstlich runtergerechnete) Inflation angepasst. Aber auch Beamte in den unteren Lohngruppen leiden unter der Regierungsvorgabe, die Gehälter im Öffentlichen Dienst nicht mehr als 2,5 Prozent zu erhöhen. Zwei Studien zufolge haben etwa 30 Prozent der Bevölkerung so wenig Ersparnisse, dass sie davon keine zwei Wochen leben können.
Ende Juli setzt Krisenhysterie ein. Die Sun, Großbritanniens wichtigstes Revolverblatt, nennt die Folgen des Kriseneinbruchs einen »Horrorfilm«. Und als die Bank of England Mitte August in einem Bericht zum ersten Mal öffentlich erklärt, dass das Wirtschaftswachstum »stagniert«, stürzt das britische Pfund ab.
Die Pfändung von Häusern und Wohnungen nimmt stark zu: Im ersten Halbjahr 2008 gab es 48 Prozent mehr Häuserpfändungen, im gesamten Jahr sollen es 45 000 werden (bei insgesamt 11,74 Millionen Hypothekenbesitzern in GB). Zum Vergleich: In den USA war bereits Anfang 2008 jeder zehnte Hypothekenkredit notleidend; es gab mehr als eine Million Zwangsversteigerungen und 3,9 Millionen unverkaufte Einfamilienhäuser, die Hauspreise fielen im Mai 2008 stärker als in der Weltwirtschaftskrise 1929, nämlich um 15,8 Prozent. In GB sind sie bisher »nur« um 8,8 Prozent gefallen, aber bei weiter fallenden Preisen werden viele Haus»besitzer« in die Situation kommen, für ihre Hypothek mehr bezahlen zu müssen, als das Haus wert ist – in den USA droht das 25 Millionen Hausbesitzern! – und sie werden weniger Schulden auf ihre ›Hypothek‹ machen können (auch die britische Arbeiterklasse hat ihren Lebensstandard zum großen Teil über steigende Verschuldung gehalten; der gesamte ›private‹ Schuldenberg beträgt angeblich eine Billion Pfund).
Die Bewilligung von neuen Hypothekendarlehen ist noch stärker gefallen als in Spanien: um 69 Prozent. Dadurch steigen die sowieso schon exorbitanten Mieten auf dem privaten Wohnungsmarkt weiter an und die Baubranche bricht noch stärker ein (der industrielle Output ist seit Jahren im Minus). Die Regierung hat größere Projekte eingefroren und verstärkt somit den Trend. Entlassene Bauarbeiter finden keine neuen Jobs; der Guardian schätzt, dass die Arbeitslosenrate von 5,4 Prozent im Moment auf mehr als 7 Prozent steigen wird. Die Entlassungswelle greift zunehmend auf Dienstleistungen und Finanzbranche über: bis Ende 2009 sollen in der City 350 000 Leute entlassen werden (v.a. bei Goldman Sachs, Citigroup und Lehman Brothers). Auch im Einzelhandel wird es viele Entlassungen geben, kleinere Läden gehen bereits bankrott.
Konflikte: Im Juni haben Shell-Tankwagenfahrer vier Tage lang gestreikt. Die Treibstoffversorgung der Tankstellen war lahmgelegt; andere Fahrer zeigten sich solidarisch. Kurz vor der zweiten angekündigten Streikaktion bekamen sie 14 Prozent Lohnerhöhung über zwei Jahre (9 Prozent im ersten Jahr). Weitere Streiks aufgrund der hohen Inflation: Kommunale Beschäftigte streikten im Frühjahr einen Tag lang landesweit, ebenso Lehrkräfte, die in der Weiterbildung arbeiten. Im Juli die Angestellten im Öffentlichen Dienst in ganz GB – etwa 300  000 bis 500  000 – zwei Tage lang, Pass-Beamte sogar drei Tage. Seit März hat mehrfach die Küstenwache gestreikt, sie fordern nicht nur Inflationsausgleich sondern auch Angleichung ihrer Löhne an die in den anderen Notdiensten (sie verdienen etwa 30 Prozent weniger als Polizei, Feuerwehr usw.). Trotzdem sind die Löhne im Durchschnitt nur um 3,4 Prozent gestiegen, also unterhalb der Inflationsrate.



Die Möglichkeit eines besseren Gesellschaftssystems?

»In der Krise des entwickelten Kapitalismus schimmert auch immer die Möglichkeit eines besseren Gesellschaftssystems auf: denn Krisen sind nicht mehr wie in den Jahrhunderten zuvor Ausdruck des Mangels, sondern des Überflusses: es gibt zuviel Waren, zuviel Arbeitskräfte, zuviel akkumuliertes Kapital: Überproduktion, Arbeitslosigkeit, Konkurse … D.h. in der Krise wird handgreiflich klar, was »das Kapital« eigentlich ist: die Entfremdung der produktiven Möglichkeiten (!) der vergesellschafteten Menschen zu einer ihnen feindlichen, destruktiven und sie beherrschenden Macht…« (Wildcat-Zirkular 56, Mai 2000)

Wo finden wir diese Möglichkeiten aktuell?

Es ist gar nicht die Frage, ob Unternehmer und Staat die Krise wieder als Gelegenheit ergreifen, unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen mit weiteren »Dammbrüchen« zu verwüsten – das tun sie bereits, wie in allen bisherigen Kriseneinbrüchen! Und es ist nicht die Frage, ob es Widerstand dagegen geben wird – der hat bereits angefangen (siehe die food riots weltweit, siehe die Artikel zu Ägypten und Rumänien…). Die Frage ist, ob sich aus dem Widerstand Perspektiven entwickeln, in denen »die Möglichkeit eines besseren Gesellschaftssystems« deutlich wird. Ob aus Widerstand Angriff wird. Das lässt sich aus den drei Berichten nicht erkennen – dazu ist es auch noch etwas zu früh!

In der letzten großen Wirtschaftskrise kam es im Gefolge einer starken Rezession 1998/99 und einem Kollaps des Finanzsystems zu Aufständen und breiten Massenbewegungen in Argentinien. Aber letztlich waren die Herrschenden schneller als die Aufständischen. Die Folgen der Krise wurden auf die Proleten abgewälzt, und »die Wirtschaft« ist seit 2003 wieder auf Wachstumskurs.

Was ist zu tun, wenn es zu ähnlichen Entwicklungen kommt?

Seit dem Manifestwerden der Krise klammert sich die Linke beinahe instinktiv an die Verteidigung des Status quo und des Sozialstaats, somit mal wieder an den eigenen Nationalstaat. Eine Variante davon ist, dass sich einige als die besseren Volkswirtschaftler empfehlen und »Keynesianismus« als Lösung vorschlagen. Wenn das Leute tun, die an die Regierung wollen – PDS, Lafontaine –, brauchen wir das nicht weiter kommentieren, wenn es aber im ak propagiert wird, zeigt das, dass die radikale Linke mit der Entwicklung nicht mehr mitkommt. Noch vor zehn Jahren gingen diese Leute von drei Annahmen aus: Der Prozess der Globalisierung sei weitgehend abgeschlossen; wir haben es mit dem »Ende der Arbeit(erklasse)« zu tun; und wir müssen gegen den Neoliberalismus kämpfen. Der »Neoliberalismus« ist am Ende, die Arbeiterklasse keineswegs – sich jetzt auch noch damit auseinandersetzen, dass »Globalisierung« Ausdruck einer krisenhaften Entwicklung war, die nun an ihr Ende gekommen ist?! Das ist offensichtlich zuviel!

Immer nur Alternativen zum Regierungsprogramm zu formulieren, macht den Quark nicht fett: Schröder koppelt den Sozialstaat vom Lohn ab und führt mit ALG II ein miserables Grundeinkommen ein – die Linke fordert ein höheres Mindesteinkommen. Merkel faselt vom Klimagipfel – die Linke macht Klimacamps… Die Gewerkschaften wollen ihre Krise durch organizing überwinden – die Linken machen mit…

Solche sozialliberalen Positionen haben keine Antwort auf die neuen krisenhaften Entwicklungen des Kapitalismus. Der Finanz-Keynesianismus der letzten Jahre, der aus dem Crash des IT-Booms entstand und eine Immobilien- und Konsumentenkreditblase aufpumpte, ist geplatzt. Die Rückkehr zu einem »richtigen« Keynesianismus ist nicht machbar – selbst von den Kommandobrücken aus, auf die linke Denker sich so gerne stellen. Im nationalen Rahmen funktioniert das heute nicht mehr. Auf europäischer Ebene wurden die bisherigen Divergenzen durch die Erweiterung der EU so sehr verstärkt, dass ein europaweiter Keynesianismus gar keine Grundlage hätte. Übrigens konnte der historische Keynesianismus die Wirtschaftskrise erst im Zweiten Weltkrieg lösen.

Solche Programme müssten Forderungen in den Kämpfen zum Antrieb für die kapitalistische Entwicklung umbiegen. So was könnte in China passen, wo das Streikrecht konstitutionell verankert werden soll und Gewerkschaften entstehen – aber in Europa? Aber selbst wenn die Linken bereit wären, als Grenzträger der Macht alle Oppositionsbewegungen an den Staat zu binden und neue Instrumente zur Befriedung von Arbeiterkämpfen bereit zu stellen – wozu Die Linke natürlich konstitutiv da ist! – bräuchte es einen neuen säkularen Aufschwung, um den Kapitalismus zu stabilisieren. Ist das realistisch? Wird es nochmal zu einem »goldenen kapitalistischen Zeitalter« kommen?

Lieber die Kommandobrücken verlassen und »von unten« gucken, wie sich die Widersprüche zwischen den Bedürfnissen der Menschen gegen die krisenhafte Entwicklung des Kapitals in politische Kämpfe übersetzen! Kämpfe, die in sich die Potenzen haben, die ganze Scheiße zu überwinden. Die Macht liegt im Maschinenraum!




zu den 23 Thesen zur kapitalistischen Krise

[1] Während die Prime Rate den Zinssatz für »erstklassige« Kunden bezeichnet, fallen KreditnehmerInnen mit niedrigem Einkommen unter den Subprime-Markt mit auf die Laufzeit gerechnet schlechteren Bedingungen. Im Immobilienboom wurden Leute mit Lockangeboten geködert, bei denen das Einkommen nicht überprüft wurde und sie im ersten Jahr nicht einmal Zinsen bezahlen mussten. Die Banken wähnten sich sicher, weil ihnen im Fall der Zahlungsunfähigkeit die Häuser zufallen.

[2] Alle Euch unbekannten Begriffe findet Ihr auf Wikipedia.
Alle Vergleiche bei Prozentzahlen beziehen sich auf das Vorjahr – wenn nicht anders angegeben

[4] Loren Goldner in

Wildcat 77: Dollar-zentrierte Weltakkumulation – Kontinuitäten und Brüche,Wildcat-Sonderheft Krieg: Historische Parallelen?

Deutschlands Drängen zum Krieg in den 30er Jahren und der gegenwärtige Krieg der Cheney-Bush-Regierung

[5] Spekulation in Rohstoffen Ein paar Zahlen, um einen Eindruck von der Heftigkeit solcher Kapitalbewegungen zu kriegen: Die kalifornische Pensionskasse Calpers hat gut eine Milliarde von ihrem Gesamtvermögen von knapp 250 Milliarden Dollar in Rohstoffe investiert und zwar in sogenannte passive Investments; das Volumen dieser, eigentlich nicht spekulativen, Papiere ist von fünf Milliarden Dollar im Jahr 2001 auf über 250 Milliarden Dollar angewachsen. Spekulative Anlagen in Rohstoffe an den weltweiten Börsen sind von 15 Milliarden Dollar Anfang 2004 auf rund 300 Milliarden Mitte 2008 gewachsen. Noch viel mehr läuft außerhalb der Börse: der Nominalwert der außerbörslichen Rohstoff-Derivate, sogenannte Open Interests, wurde Ende 2007 auf 9000 Milliarden Dollar geschätzt.

[6] Der Konkurs einer der »großen Drei« hätte finanztechnisch ähnlich massive Auswirkungen wie ein Bankencrash: Allein Ford steht mit 63 Milliarden Dollar in der Kreide. Hinzu kommen Milliardenbeträge an Kreditderivaten, die an die Autobonds gekoppelt sind. Ein Zusammenbruch würde Finanzfirmen, Banken und Versicherungen – und letztlich den US-Dollar runterreißen.

Die Unternehmen beschaffen sich Geld u.a., indem sie Anleihen verkaufen. Die Zinsen, die sie dafür bezahlen müssen, hängen davon ab, wie die Ratingagenturen das Unternehmen bewerten.

Wenn solche Agenturen sagen, General Motors, Ford und Chrysler seien von der Pleite bedroht, dann »errechnen« sie das aus den Preisen, die gezahlt werden müssen, um sich mit Derivaten gegen den Ausfall dieser Anleihen abzusichern. Daraus errechnet sich eine Wahrscheinlichkeit von über 70 Prozent für einen Zusammenbruch von Ford, und als noch wahrscheinlicher, dass Chrysler zahlungsunfähig wird.

[7] Die Aktie von GM rutschte im Juli zum ersten Mal unter die Marke von zehn Dollar (9,98 Dollar). Das war so niedrig wie nie seit dem 13. September 1954. Seit dem Antritt von GM-Chef Rick Wagoner vor acht Jahren ist der Kurs damit um 86 Prozent geschrumpft.

Die Aktienkurse der Automultis sind inzwischen so niedrig, dass allenthalten mit dem Einstieg eines »Finanzinvestors« gerechnet wird. Dass aber der Verkauf von Chrysler an eben einen Finanzinvestor mehrfach scheiterte und am Ende auch nur halb gelang, zeigt, wie tief die Finanzkrise geht.

[8] Ende Juli 2008: Alarm in der Autobranche

24.7.2008: Daimler schockiert mit Gewinnwarnung – Die Aktie fällt prozentual zweistellig.

25.7.2008: Mercedes-Benz – Im Juni brach der Absatz in Spanien, Italien und Großbritannien mit zweistelligen Raten ein. Auch Südafrika und Japan gehören zu den schwachen Märkten. Produktion soll im zweiten Halbjahr gekürzt werden.

Chrysler streicht bis Ende September 1000 Stellen in der Verwaltung.

25.7.2008: Ford-Verlust 8,7 Mrd. Dollar. In zwei Jahren summierten sich die Verluste auf mehr als 15 Mrd. Dollar. Der angeschlagene Konzern erklärte, er verfüge noch über genug Geld, um die Krise zu überleben.

Spekulationen über eine drohende Insolvenz bei GM, das seine Existenz mit drastischen Sparmaßnahmen und Entlassungen sichern will.

25.7.2008: Renault streicht 5000 Stellen.

Gewinn und Umsatz steigen, aber die Aussichten sind düster. Gespräche mit Gewerkschaften über Einsparungen haben begonnen. Bis 2010 sollen 5000 Stellen in Europa abgebaut werden. Sollte der europäische Markt anstelle der erwarteten vier Prozent um zehn Prozent zurückgehen, werde das Unternehmen seine Ziele noch weiter senken müssen.

28.7.2008: Akute Krise der US-Autobranche: Chrysler tut sich schwer, bei verschiedenen Banken die Erneuerung einer 30 Milliarden Dollar schweren Kreditlinie zu erreichen. Rabattschlacht beginnt: Chrysler will 72-monatige zinsfreie Kredite anbieten. GM wird den Verkauf von Autos zum Mitarbeiterpreis ausbauen.

29.7.2008: Schlimmster Abschwung seit 15 Jahren

Die Automärkte in der Triade dürften in den nächsten Monaten nur eine Richtung kennen: abwärts. In den kommenden eineinhalb Jahren werde der Automarkt auf das niedrigste Niveau seit 1993 fallen. Werksschließungen könnten auch in Westeuropa ein Thema werden. Mindestens bis 2010 bleibe die Lage schwierig. Bis 2013 dürften die neuen Werke in Russland fertig sein.

1.8.2008: Von der Finanz- zur Autokrise – BMW bricht der Gewinn weg. Der Umsatz ging im zweiten Quartal um 0,9 Prozent auf 14,5 Mrd. Euro zurück. Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern brach um 58,3 Prozent ein, der Überschuss um 32,7 Prozent. Die Aktie sinkt um elf Prozent auf den tiefsten Stand seit 2003. BMW musste die Risikovorsorge für Leasing-Rückläufer in den USA erhöhen und 107 Mio. Euro für den geplanten Stellenabbau zurückstellen.

1.8.2008: GM erleidet zweistelligen Milliardenverlust. Der angeschlagene US-Autohersteller hat den drittschlimmsten Verlust seiner Geschichte eingefahren. Für das zweite Quartal gab GM einen Nettoverlust von 15,5 Mrd. Dollar und einen Absatzeinbruch in Nordamerika um ein Fünftel bekannt. GM baut wie Ford und Chrysler massiv Stellen ab.

2.8.2008: Hiobsbotschaften von BMW und GM. Der Umbau der Modellpalette kostet viel Zeit und Geld. Auch für die Werksschließungen und den massiven Personalabbau muss GM tief in die Kasse greifen. Finanzexperten schließen selbst eine Pleite nicht mehr ganz aus.

2.8.2008: Düstere Perspektiven auf dem amerikanischen Automarkt. GM hat 27 Prozent, Ford 15 Prozent, Chrysler 29 Prozent weniger als im Vorjahr verkauft. Die Ratingagentur Standard &Poor's rechnet auch 2009 mit einem miserablen Jahr.

3.8.2008: Schwacher US-Automarkt. In den USA wurden im Juli so wenig Autos verkauft, wie seit 16 Jahren nicht mehr. Es ist der neunte Monat in Folge mit rückläufigen Verkäufen. Wegen fallender Gebrauchtwagenpreise drohen hohe Verluste im Leasinggeschäft. In den USA kommen 2008 insgesamt 2,2 Millionen Leasing-Fahrzeuge wegen auslaufender Verträge zurück.

4.8.2008: Die Exporte der deutschen Autoindustrie gingen im Juli um sechs Prozent zurück, die Zahl der Neuzulassungen im Inland legte um etwa zwei Prozent zu (allerdings war der Automarkt im Vorjahr wegen der Mehrwertsteuererhöhung auf das niedrigste Niveau seit der Wiedervereinigung gesunken).

5.8.2008: Toyota muss Absatzziele senken. Steigende Benzinpreise, verändertes Kundenverhalten, falsche Modelle, schwerfälliges Management und nicht zuletzt teure Qualitätsprobleme… Bereits 2007 waren die Zulassungszahlen in Japan auf ein 27-Jahres-Tief gesunken.

Im Juni fuhren amerikanische Autofahrer mehr als neun Milliarden Meilen weniger, seit Anfang des Jahres fast 30 Milliarden.

7.8.2008: Gewinneinbruch um 28 Prozent bei Toyota.

8.8.2008: USA: Chrysler zieht die Notbremse im Leasinggeschäft. Autofirmen haben mit günstigen Leasingverträgen gegen die Absatzflaute gekämpft. Mit fallenden Gebrauchtwagenpreisen wird das zu einem Fass ohne Boden. Das Schlimmste steht erst bevor: Weil die Leasingverträge über 36 Monate laufen, werden in diesem Jahr bei den Banken erst die Verluste der Fahrzeuge realisiert, die im Jahr 2005 verkauft wurden. Ein Verlustberg türmt sich bei den Autobanken bis zum Jahr 2011 auf.

8.8.2008: BMW – Aktie auf Rekordtief: unter 27 Euro. BMW-Chef Norbert Reithofer will erst für 2010 Besserung versprechen. BMW sei mitten drin im Abbau von mehr als 8000 Stellen und stehe von den deutschen Autokonzernen am schlechtesten da, stellt Nord LB-Analyst Frank Schwope klar. Mit zu günstig kalkulierten Leasingverträgen habe man in den USA Fahrzeuge in den Markt gedrückt.

Mitte Juli meldete Spiegel online, dass in der BRD fast jedes dritte als neu zugelassen gemeldete Auto in Wirklichkeit von einem Autohändler zugelassen wurde, um es dann mit Rabatten in den Markt drücken zu können. »Besonders hervor tun sich dabei Opel mit zirka 40 Prozent sowie VW und Seat



aus: Wildcat 82, August 2008



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