Wildcat Nr. 82, August 2008, [w82_leitgedanke.html]



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Globale Krise

Globale Arbeiterklasse

Nur wenn der Kapitalismus an Grenzen stößt, gibt es ernsthafte Aussichten auf eine das Kapitalverhältnis radikal umstürzende Revolution – das ist unser Grund, immer wieder auf die Krise zurückzukommen. Seit der »Ölkrise« Mitte der 70er Jahre lauert in jedem Konjunkturabschwung die Systemkrise. Aber in der letzten Krise war »das System« selbst in Argentinien, wo es zu Aufständen kam, nie ernsthaft in Gefahr, weil die strategischen Sektoren weiter funktionierten, die Leute gingen zwar abends auf die Demo, arbeiteten aber tagsüber weiter.

In der BRD nehmen das vierte Jahr in Folge die Streiks zu. Aber in den strategischen Sektoren des »Exportweltmeisters« bleibt es verdammt ruhig. Kein Wunder, dass trotz immer mehr Streiks die Bedingungen sich weiter verschlechtern, die Reallöhne sinken und die Arbeitszeiten sich ausweiten. 2007 wurden die Löhne von 1,3 Millionen Menschen mit HartzIV aufgestockt. Fast ein Viertel aller Beschäftigten schuftet im Niedriglohnsektor.
Wenn es im Boom nicht zu Lohnerhöhungen gereicht hat, was kommt da erst in der globalen Krise auf uns zu?

An den vielen Kämpfen weltweit gegen die Auswirkungen der Krise (Fahrerstreiks in den USA, GB, Spanien, auf den Philippinen, in Indien; »Nahrungsmittelrevolten« in Ägypten, Haiti, Bahrain, Saudi Arabien, Kamerun und in vielen anderen Ländern), interessiert uns, ob es in ihnen zu einer Neuzusammensetzung (siehe Ägyptenartikel) kommt, und ob in ihnen Perspektiven entstehen, die über den Kapitalismus hinausweisen.

Inzwischen wird die Autoindustrie von der Krise erfasst.
Der Autoverkauf bricht ein, weil das Benzin teurer wird und weil die Konsumenten in der Krise ärmer werden. Die Autos selber werden teurer, verschärft werden auch die ökologischen Probleme diskutiert.
Was allerdings sicher ist: die Automultis, die die Krise überleben, werden danach eine völlig andere Standortverteilung haben; tendenziell werden in der BRD z.B. keine Kleinwagen mehr hergestellt.
Die Autoindustrie, Schlüsselbranche und Namensgeber des Fordismus, und das Auto, Schlüsselprodukt der modernen Industriegesellschaft überhaupt, stehen beide vor radikalen Veränderungen.
Im Juni fuhren amerikanische Autofahrer mehr als neun Milliarden Meilen weniger, im ersten Halbjahr 2008 fast 30 Milliarden.

Nach der Autoindustrie sind Maschinenbau und Technologie, Stahl und Chemie gefährdet. Sie alle sind Spätzykliker. Das heißt, die Krise wird sie später treffen. Auto, Chemie, Stahl, Maschinenbau… – die strategischen Branchen der BRD-Ökonomie.

Der Exportweltmeister geht krachen
Anfang des Jahres feierte die Bundesregierung noch die fünfte Exportweltmeisterschaft in Folge: Deutsche Waren sind auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig, weil sie unter hoher Produktivität von – im Verhältnis zu anderen, ähnlich produktiven Industriestaaten – gering bezahlten Arbeitskräften produziert werden: Die Lohnstückkosten waren in der BRD 2005 niedriger als 1995, während sie in anderen europäischen Industrienationen teilweise erheblich stiegen.

Der letzte Aufschwung basierte fast ausschließlich auf einem unglaublichen Schub der Auslandsnachfrage. Diese extreme Ausrichtung auf den Export wird nun zur Achillesferse. Die globale Krise wird die BRD besonders hart treffen, und sie wird in eine Bevölkerung einschlagen, in der breite Teile in den letzten Jahren einem Pauperisierungsprozess unterworfen wurden (es gibt heute eine Million sozialversicherungspflichtig Beschäftigte weniger als im Jahr 2000). Viele Firmen haben Massenentlassungen angekündigt: BMW, Infineon, Telekom, WestLB usw. Die Arbeitslosenzahlen werden ansteigen, die Auseinandersetzungen schärfer werden.

Die aktuelle Krise ist so weltweit wie noch nie eine Krise war, es bildet sich ein weltweiter Arbeitsmarkt heraus. Das Kapital ist in mehr als drei Jahrzehnten einmal um die Erde geflüchtet auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten. Seit Mitte der 70er Jahre hat die Proletarisierung der Weltbevölkerung wie noch nie in der Geschichte zugenommen. Nun ist der Kreis rund. Aus der aktuellen Krise gibt es nicht mehr den Ausweg, den es Mitte der 70er einschlug: Verlagerung, »Industrialisierung der Peripherie«. Die Peripherie ist heute industrialisiert.

Anstatt sich auf diese weltweiten Prozesse und Kämpfe zu beziehen, klammert sich die Linke seit dem Manifestwerden der Krise beinahe instinktiv an die Verteidigung des Status quo und des Sozialstaats, somit mal wieder an den eigenen Nationalstaat. Eine Variante davon ist, dass sich einige als die besseren Volkswirtschaftler empfehlen und »Keynesianismus« als Lösung vorschlagen. Wenn das Leute tun, die an die Regierung wollen – PDS, Lafontaine -, brauchen wir das nicht weiter kommentieren, wenn es aber im ak propagiert wird, zeigt das, dass die radikale Linke mit der Entwicklung nicht mehr mitkommt.

Immer nur Alternativen zum Regierungsprogramm zu formulieren, macht den Quark nicht fett: Schröder koppelt den Sozialstaat vom Lohn ab und führt mit ALGII ein miserables Grundeinkommen ein – die Linke fordert ein höheres Mindesteinkommen. Merkel faselt vom Klimagipfel – die Linke macht Klimacamps… Die Gewerkschaften wollen ihre Krise durch organizing überwinden – die Linken machen mit…

Solche sozialliberalen Positionen haben keine Antwort auf die neuen krisenhaften Entwicklungen des Kapitalismus. Der Finanz-Keynesianismus der letzten Jahre, der aus dem Crash des IT-Booms entstand und eine Immobilien- und Konsumentenkreditblase aufpumpte, ist geplatzt. Die Rückkehr zu einem »richtigen« Keynesianismus ist nicht machbar. Im nationalen Rahmen funktioniert das heute nicht mehr. Auf europäischer Ebene wurden die bisherigen Divergenzen durch die Erweiterung der EU so sehr verstärkt, dass ein europaweiter Keynesianismus gar keine Grundlage hätte. Übrigens konnte der historische Keynesianismus die Wirtschaftskrise erst im Zweiten Weltkrieg lösen.

Stattdessen sollten wir »von unten« gucken, wie sich die Widersprüche zwischen den Bedürfnissen der Menschen gegen die krisenhafte Entwicklung des Kapitals in politische Kämpfe übersetzen! Kämpfe, die in sich die Potenzen haben, die ganze Scheiße zu überwinden.



aus: Wildcat 82, August 2008



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