Wildcat Nr. 86, Frühjahr 2010 [w86_auto.htm], S. 30-34



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Hybridmotor oder Klassenkampf

Der Verbrennungsmotor prägte die kapitalistische Gesellschaft wie wir sie kennen. Seine Krise ist die Krise dieser Gesellschaft.
Der Hybridmotor gaukelt technischen und sozialen Fortschritt vor, in Wirklichkeit ist er eine technologische Sackgasse und repräsentiert eine Niederlage. Er kombiniert das »Alte« (Verbrennungsmotor) mit dem vermeintlich »Neuen« (Elektromotor), um das Image aufzupolieren – damit alles beim Alten bleiben kann. Diese Methode, alles beim Alten zu lassen, macht gerade Schule. Kapital, Staat, Vertretung und der vereinzelte Arbeiter hybridisieren ihre jeweilige Krise. So prägt der Motor weiter alles und jedeN.

So weiter wie bisher?

Die Konjunkturprogramme verhinderten Absatzeinbrüche ins Bodenlose. Mit minus 5,4 Prozent weltweit verkauften Pkw kamen die Automultis 2009 glimpflich davon. Das lag vor allem am Zuwachs in China von 44 Prozent oder 2,5 Millionen neu zugelassenen Pkw. In Europa, Japan, Nordamerika, aber auch Russland (minus 44 Prozent!) waren die Absätze trotz Milliardenstützen rückläufig.

Die Programme nutzten den Automultis und bestimmten sozialen Schichten. In der BRD kam die Abwrackprämie Hartz IV-Empfängern nicht zugute. Trotz seiner überhöhten Preise hatte VW mit fast 18 Prozent den größten Anteil an mittels Prämie finanzierten Fahrzeugen. Die zweistelligen Absatzeinbrüche deutscher »Premiumhersteller« wurden mit dem Zuwachs in China übertüncht. Dort bediente sich vor allem die Ober- und Mittelschicht aus den Fördertöpfen.

Die globale Autoproduktion wird geografisch neu sortiert. 2008 wurden noch drei Viertel aller Autos in der Triade produziert. Aber Schwellenländer und Billiglohnstandorte holen kräftig auf, tendenziell geht es in Richtung 50 Prozent in der Triade, 50 Prozent in bric-Staaten. Indiens Produktion liegt nun etwa gleichauf mit Frankreich und Spanien. China zieht mit den USA gleich.

In der BRD setzen die Unternehmen auf die weitere Verdichtung und Optimierung der Arbeit und nutzten die Phase massenhafter Kurzarbeit zu einem breiten Angriff auf die Arbeitsbedingungen. Einerseits investieren sie kräftig; allein Audi, Daimler und VW legten zusammen 17 Milliarden in Sachinvestitionen an, zusätzlich zu den Ausgaben für Forschung und Entwicklung (die Sachinvestitionen der gesamten Industrie brachen dagegen 2009 mit 20 Prozent regelrecht ein). Andererseits werden Teile von Belegschaften und andere Werke, vorrangig Zulieferer, abgewickelt. Bestimmte Regionen trifft dies besonders hart. Gleichzeitig läuft ein gewaltiger Konzentrationsprozess, die gegenseitigen Aufkäufe und Fusionierungen sind in vollem Gang. Die »alten« Hersteller versuchen, mit hohen Stückzahlen und einer breiten Modellpalette weltweit konkurrenzfähig zu bleiben. Die »Neuen« kaufen das nötige Know how hinzu, um eine eigene Fahrzeugproduktion aufzubauen; einige von ihnen beginnen bereits, CKD-Fabriken1 weltweit aufzubauen.

Nirgendwo ist bisher eine Antwort auf Überakkumulation und sinkende Profite zu erkennen, ein neues Verwertungsmodell ist genauso wenig in Sicht wie ein neues Produkt. Stattdessen werden die staatlichen Abwrackprämien vielerorts neu aufgelegt, und die Automultis versuchen, noch weitergehende Subventionen herauszuschlagen. Die Händler liefern sich eine Rabattschlacht.

Entlassen & Abwickeln

In den USA begegneten Kapital und Staat den Überkapazitäten und dem Profitratenverfall der Autoindustrie mit Fabrikschließungen und Stellenabbau. Milliarden an Staatsgeldern waren nötig, um Unternehmen aufzukaufen und unproduktive Standorte abzuspalten bzw. zu schließen. Vor der Krise waren bereits hunderttausende Stellen abgebaut worden, nun fallen nochmals hunderttausende weg. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit wurde mit der Anhebung des Arbeitslosengelds und der Bezugsdauer von 26 Wochen auf 99 Wochen abgefedert.

In der BRD wurden die Leute noch mit Sonderschichten und Stückzahlerhöhung weiter angetrieben, als die weltweite Autokrise schon lange ausgebrochen war. Die deutschen Autohersteller nutzen jeden Tag, um weiter Autos in den Weltmarkt zu pumpen. Gleichzeitig wurden auch hier bereits im Boom und fast unbemerkt Stellen abgebaut, bei Daimler, Opel und VW jeweils um die 10 000. Die Beschäftigungsverhältnisse änderten sich massiv (Gesetzesänderungen bezüglich Leiharbeit, Befristungen, Hartz IV …). In den letzten zehn Jahren hat die Anzahl aller Vollzeitbeschäftigten in der BRD um 1,4 Millionen oder sechs Prozent auf 22,4 Millionen ab- und die Teilzeitbeschäftigung um 1,3 Millionen oder 36 Prozent auf fünf Millionen zugenommen. Minijobs sind in den letzten sechs Jahren um 29 Prozent auf über sieben Millionen hochgeschnellt. Und jeder dritte neue Job in den Jahren 2006 und 2007 war Leiharbeit.

Mit dem Kriseneinbruch wurde Kurzarbeit als Allheilmittel gegen Massenentlassungen propagiert. Ohne Kurzarbeit wären 400 000 Arbeitsplätze in der Industrie und eine Million in der BRD mehr weggefallen. Mit Kurzarbeit sind 2009 laut Regierungsangaben 240 500 Industriearbeitsplätze gestrichen worden, der Spiegel beziffert den Abbau allein bei Daimler auf über 5000 Stellen. (Das in einem Umfeld von massiven Entlassungen in der BRD: Quelle, Siemens, Thyssen-Krupp, Metro…)

In diesen Verschiebungen stehen die Autoarbeiter in der BRD heute da, wo die Bergarbeiter Ende der 50er Jahre standen. Aber viele Bergarbeiter gingen damals in die neu gebauten Autofabriken. Heute gibt es kein solches Auffangbecken. Schwer erklärlich, dass vor diesem Hintergrund die Propaganda »Technologiestandort Deutschland« immer noch zieht. Immer wieder wird einzelnen Abteilungen oder Belegschaften eine rosige Zukunft vorgegaukelt. »Wir werden kürzen, aber auf diesen Standort (diese Abteilung, diese Berufsgruppe usw.) können wir nie verzichten!«

In den Streiks der letzten fünf Jahre war die Spaltung zwischen »Produktion« und »Entwicklung« meist entscheidend für die Niederlagen oder schlechten Kompromisse; in den seltenen Fällen, wo beide Bereiche gemeinsam kämpften, konnte viel mehr durchgesetzt werden. Der jetzige Angriff ist wesentlich umfangreicher, aber nicht unbedingt leichter zu durchschauen. Er betrifft Bandarbeiter, Entwickler und die Hierarchie selber.

Verdichten & Optimieren

In den USA schlug die Krise unmittelbar auf die (Auto-)ArbeiterInnen durch. Die Werke der Big Three wurden an die Standorte im Süden der USA bezüglich Durchlaufzeiten, Arbeitszeiten und Löhnen angeglichen. Durch massiveren Stellenabbau haben die amerikanischen Standorte die Produktivität z.B. der deutschen Konkurrenz überholt. Durch den üblichen Mix aus noch mehr Staatsknete, noch stärkerer Kostensenkung und noch höheren Stückzahlen konnten sämtliche Fahrzeugbauer am Leben gehalten werden.

Die alten Autofabriken in der BRD hinken hinterher, was Durchlaufzeiten und Arbeitsorganisation betrifft. VW liegt trotz seiner neuen effizienteren Standorte noch immer weit hinter dem Branchendurchschnitt beim Anteil an »nicht wertschöpfender Arbeit« (80 zu 60/65 Prozent im Branchendurchschnitt).

Die deutschen Automultis begegnen der Überakkumulation der ganzen Branche mit einer weiteren Ausweitung der Maschinerie – erhöhen also in den Zentren die organische Zusammensetzung. Auf die Kämpfe Ende der 60er Jahre hatte das Kapital mit einem massiven technologischen Angriff geantwortet. Heute sind die Werke derart voll gestopft mit Technik, dass das Verhältnis zwischen Investition, Arbeit und Absatz völlig aus den Fugen geraten ist. Immer wieder versuchten die Unternehmen, irgendwo eine Halle aufzustellen, wo eine Handvoll Leute in Handarbeit produzieren (Zulieferer).

In der Krise verschärft sich dieser Trend: Die großen Zulieferer übernehmen weitere Abläufe, ersetzen Einzelarbeitsplätze durch Fließbänder – was hohe Investitionen in neue Maschinen erfordert. Somit reduziert sich »Auslagerung« als Maßnahme gegen die hohe organische Zusammensetzung auf die Zweit- und Drittzulieferer. In den Stammwerken wurden alte Anlagen erneuert, aber auch neue Anlagen eingeführt. Vielfach geht es dabei um teure Hilfsmittel, die über den Entwicklungsstand z.B. bei der Vereinheitlichung der Fahrzeuge, oder der Modellvielfalt hinwegtäuschen. Nicht nur bei den großen Zulieferern, auch bei den Stammwerken gibt es einen Trend zur Vergrößerung.

Damit einher geht die Zunahme von Handarbeitsschritten. In den letzten zehn Jahren wurde der Rohbau roboterisiert und die zentrale Rolle der Schweißer untergraben. Mittlerweile werden aber zuvor ausgelagerte Arbeitsplätze, auch die von Schweißern, wieder zurück in die Stammwerke geholt. Auch in anderen Bereichen wird rückverlagert: Als Ausgleich zu Beschäftigungsgarantien holt Daimler die Sitzherstellung ins Stammwerk zurück. Die im Durchschnitt »alten« Kollegen werden den Preis für diese Garantien schnell erkennen. Die jahrelange Rationalisierung beim Zulieferer wird der Grundstein für eine effiziente Abteilung sein. Die Versetzung an solch einen »neuen« Arbeitsplatz bedeutet eine Arbeitsintensivierung, friss oder stirb! Denn von der hohen organischen Zusammensetzung der Autoindustrie kommt das Kapital nur herunter, wenn es die Arbeitergenerationen rausschmeißt, deren Verweigerungshaltung und Kämpfe mit diesen Maschinen gekontert werden musste.

Zur Vorbereitung all dieser Schritte leisteten sich Unternehmen und Staat einen gewaltigen Überhang an Leuten. Nun gehen sie in die Offensive. Während der Kurzarbeit haben Unternehmen die Arbeitsintensität um bis zu 20 Prozent hochgetrieben (die Zahl lässt sich schwer berechnen und kaum belegen; sie beruht auf eigenen Erfahrungen und auf Gesprächen). Nun werden in vielen Werken Auftragspuffer benutzt, um testweise volle Produktion zu fahren. Dabei sind wir nicht nur mit kürzeren Taktzeiten, mehr Arbeitsschritten und weniger Leuten konfrontiert; wir sollen noch flexibler Schichten und vor allem Arbeitsplätze wechseln: kurzfristig angesagte Schichten und Schichtwechsel, phasenweise Nachtschichten, sowie auch schon wieder Wochenendschichten – während andere Abteilungen noch Kurzarbeit fahren.

Fehlende Aufträge waren das Argument für abgesenkte Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich. Teilweise wurden die Arbeitszeiten nicht abgesenkt, sondern nur die Löhne – die Leute arbeiten weiter wie bisher, um ihre negativen Stundenkonten auszugleichen. Wer zu Beginn der Krise 250 Minusstunden hatte, muss fast zwei komplette Monate umsonst arbeiten, um diese abzubauen. Der Druck durch weitere Rationalisierung sorgt dafür, dass in aller Regel in 30 Stunden soviel wie bisher in 35 gearbeitet wurde.

KVP – Grenzen der sozialen Kontrolle

Alles, was noch aus den Zeiten der »Humanisierung der Arbeitswelt« (Einbau von Puffern an den Bändern) und den Versuchen mit »teilautonomer Gruppenarbeit« übrig ist, wird beseitigt. Wir erleben nicht nur die ungebrochene Renaissance des Fließbandes, sondern die Bänder laufen schneller, die Takte sind kürzer, die Rotation ist nicht »Anreicherung« bzw. »Abwechslung«, sondern körperliche Notwendigkeit. Gleichzeitig werden alte Hierarchie-Ebenen wieder eingeführt, die die verkleinerten Gruppen direkter kontrollieren sollen – gerade dort, wo von lange zusammen arbeitenden Gruppen häufig Kampfaktionen ausgingen.

Die Aufteilung der Arbeiter in Gruppen von überschaubarer Größe mit direkten Vorgesetzten soll Konkurrenz provozieren, die durch Druck auf den Einzelnen noch verstärkt wird. In Gruppenstrukturen von etwa zehn Leuten wird ein Gemisch hergestellt, das gegeneinander arbeitet. Fünf Festangestellte, drei Befristete und zwei Leiharbeiter müssen nicht zwangsläufig Konkurrenten sein. Bei Kündigungsdruck ist dies aber objektiv so. Zudem lässt sich in derartige Gruppengrößen leicht ein »Kollegenschwein« setzen, das den Zusammenhalt untergräbt und wie eine Art Aufpasser wirkt.

Teams, die zusammenhalten, bremsen hin und wieder oder stellen sich stur bei neuen Anforderungen. Zerrissene Teams wehren sich nicht kollektiv. Aber sie gewähren dem Management auch keinen Einblick in die Produktion, weil die Vorgesetzten beim Anschwärzen und Konkurrenzgehabe nicht mehr durchblicken. Fehler werden nicht einfach behoben, sondern weitergeschickt, damit sie auch alle mitbekommen.

Diesen Widerspruch versuchen die Unternehmen mit »Ideenmanagment« und einer immer weiteren Standardisierung der Arbeit aufzuheben. Die Arbeitsabläufe werden bis ins Detail berechnet, die persönliche Einteilung soll dir bei Fehlern noch mehr Verantwortung aufhalsen. Nicht selten wird dadurch Kooperation während der Arbeit verboten, was den Produktionsprozess erstmal verlangsamt. Die Leute sollen ihr Erfahrungswissen preisgeben und unter dem Kürzel kvp – »kontinuierlicher VerbesserungsProzess« – Vorschläge zur Verbesserung ihrer Arbeitsschritte und –plätze machen. Das funktioniert aber nicht, zum einen wegen des wachsenden Arbeitsdrucks oder weil doch nur vorgeschlagen wird, beim Management zu sparen. Aus einzelnen Werken wird berichtet, dass 2009 bis zu 70 Prozent der eingereichten »Ideen« ignoriert wurden. Also werden die Prämien für produktivitätssteigernde Vorschläge nochmal kräftig erhöht.

Wie schlecht das alles läuft, zeigen die millionenfachen Rückrufe beim kvp-Meister Toyota. Jahrelange Kosten- und Personalreduzierung haben die Produktion anfällig für Fehler gemacht. Dem Management gelingt es zwar, die kollektiven Strukturen auseinanderzutreiben, aber anstatt für, arbeiten diese gegen seine Zwecke. Ein einzelner Arbeiter kann mit einer Sabotageaktion bei einem kleinen Zulieferer potenziell einen ganzen Konzern anhalten. Die Vereinheitlichung der Fahrzeugteile weitet diese Macht auf andere Konzerne aus. Alle Automultis kopieren seit zwei Jahrzehnten das Toyota-Modell – und somit auch dessen Krise. Das gesamte Produktionssystem der Automultis krankt.

Angriff auf die ArbeiterInnen

Doch »kranke Köter beißen!« Und in dem Sinne muss ihr Angriff auch verstanden werden. Um die »Notschlachtung« zu vermeiden, versuchen sie, die Symptome brachial auszureißen, das macht den Angriff politisch brisant. Denn die Arbeiter nehmen nur zögerlich wahr, dass die Automultis in ihrem Überlebenskampf dabei sind, eine ganze Generation von ihnen abzuräumen, den multinationalen »Massenarbeiter« mitsamt seinen hohen, einst erkämpften Standards, Garantien, Lohnzulagen und Sonderregelungen, von denen Leiharbeiter, Befristete und Arbeiter in neueren Kleinbetrieben nur träumen können.

Kaum eine Belegschaft erkennt ihre potenzielle Macht gegen diesen Prozess. Vielmehr herrscht die Suche nach individuellen Auswegen vor: sich mit dem Geld arrangieren, Hoffnungen auf Abfindung und neuen Job… Und die, die »verschont« bleiben, werden von den noch einmal verkürzten Taktzeiten kaputt gemacht. Denn sie sind im Durchschnitt sehr alt; wenn bei Daimler an einzelnen Standorten ein Durchschnitt von 44 errechnet wird, ist das noch niedrig.

Die Achs- und Motorenwerke haben sie nie richtig zur Ruhe bekommen. Durch etliche Verlagerungen wurde versucht, die Standorte gegeneinander aufzubringen. Durch Vereinheitlichung und auch Verkleinerung etwa der Motoren sind ganze Abteilungen überflüssig geworden. Mit der Zunahme von Elektrobausteinen bei Motoren (Einspritzung, Hybrid) und Achsen (Bremsen, Antrieb, Differenzialsperren) haben sich die Produktionsschritte verändert. Die klassische Metallverarbeitung und die Montage wurden auch hier mit Modulen von Zulieferern versetzt.

Unter anderem durch die Modularisierung an einzelnen Standorten gelang den Unternehmen die Einführung von Roboteranlagen. Daimler hat eine Anlage eingeführt, an der das Personal flexibel einsetzbar ist: an einem Rondell arbeiten mehrere Arbeiter im Kreis um eine hohe Anzahl von Robotern. Dort können unerfahrene Leute (Leiharbeiter) eingesetzt werden, die alte Belegschaft wird zersetzt. Und »ganz nebenbei« ermöglicht die Geschwindigkeitsregulierung der Roboter eine stetige Verkürzung der Takte. »Dummerweise« kam es vor drei Jahren in Harburg genau an dieser Anlage zu einem Bummelstreik, mit dem Leiharbeiter und Festangestellte gemeinsam eine Reduzierung der Geschwindigkeit durchsetzen konnten.

Die Montage-Abteilungen waren seit jeher die Zentren des Arbeiterkampfs. Die wilden Arbeitsniederlegungen kürzlich in Sindelfingen gingen von der Montage aus. Bisher wurde auch in hochtechnisierten Fabriken in den Montagehallen fast auschließlich mit der Hand gearbeitet. Es gelang nicht, die Montagearbeit durch Maschinen zu ersetzen. Aber mittlerweile laufen bei Daimler Leichtbauroboter in der Testphase, die auch in der Montage an sich bewegenden Fahrzeugen eingesetzt werden sollen. Sie können auf unterschiedliche Werkstücke reagieren und damit auch an ständig wechselnden Fahrzeugvarianten arbeiten. Diese Roboter sind sehr klein und sollen »Hand in Hand« mit Arbeitern einsetzbar sein, da sie auf ihr Umfeld reagieren. Sie müssen weniger aufwendig »eingearbeitet« werden und sollen tendenziell ganze Arbeitsschritte übernehmen. Bis es soweit ist, werden allerdings noch viele Techniker notwendig sein. Das bringt Bandarbeiter und Techniker in den kommenden Monaten zusammen. Eine Chance, wenn beide nicht nur ihre Arbeit tun!

Denn die in den Produktionshallen eingesetzten Instandhalter trifft die Flexibilisierung und Ausdehnung der Arbeitszeit bislang am heftigsten. Wurden in Zeiten des Booms fast alle freien Tage genutzt, um kleinere Optimierungsschritte zu verwirklichen, wird nun in den wochenlangen Produktionspausen und den »freien« Nachtschichten gearbeitet. Der Arbeitsdruck nimmt erheblich zu. Die wachsende Erfahrung mit komplexen Roboteranlagen, die Wiederholung von Wartungsschritten und Fehlern ermöglicht eine Standardisierung. Sobald jemand bewiesen hat, dass ein Gelenk in einer Stunde anstatt in zwei Stunden gewechselt werden kann, wird dies zum Standard für alle.

Nicht nur die Produktion einzelner Fahrzeugteile, sondern auch deren Entwicklung wird seit langem an Zulieferer abgegeben. Die Versuche, die Fahrzeuge zu vereinheitlichen und bestimmte Teile in unterschiedlichen Modellen mehrfach zu verwenden, führt in den Entwicklungsabteilungen der Stammwerke zu häufigen Aus- und Rückverlagerungen. Mal bekommt die Tochter X, mal die Tochter Y den Zuschlag für die neue Plattformbasis. Beim Chassis das gleiche. Die Belegschaften werden so oft wie möglich durchmischt. Das macht mürbe und verhindert kollektive Versuche von Gegenwehr. In diesen Abteilungen wird viel alleine gearbeitet, und der Blick fürs Ganze ist häufig verstellt. Bei vw etwa werden die Leute so unter Zeitdruck gesetzt, dass die Abteilungen selber vorschlagen, einzelne Arbeitsschritte abzugeben. Eine solche Auslagerung spielt der Standardisierung und Beschleunigung in die Hände.

Die Selbstsicherheit der Entwicklungsabteilungen wurde immer wieder ausgenutzt: Erst wird ihre Unverzichtbarkeit beteuert, dann wird draufgehauen. Komisch, dass das immer noch funktioniert.

Auch die Autohändler bleiben nicht ungeschoren: um Absatzmärkte auszuweiten, brauchen die Automultis neue Verkaufs- und Servicestrukturen. Dazu müssen sie andere Firmen mitsamt deren Servicenetzen aufkaufen oder selber welche aufbauen. Gleichzeitig legen sie die Axt an die herkömmlichen Strukturen. Die deutschen Händler und Vertragswerkstätten gelten als veraltet. Viele Angestellte hätten nicht genug Ehrgeiz, etwas zu verkaufen. Auch im Autohandel soll die Krise zur Arbeitsverdichtung und zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten genutzt werden. Immer mehr Werkstätten sind 24 Stunden geöffnet und müssen einen Pickup-Service garantieren. Der Arbeitsaufwand bei Rückrufaktionen verwandelt Werkstätten zeitweise in kleine Fließbänder. Sie müssen immer mehr Dienstleistungen anbieten, was sie gehörig unter Druck setzt.

Die Versuche von Daimler und psa, das sinkende Interesse von Jugendlichen und Stadtbewohnern am eigenen Auto mit Mietangeboten aufzufangen, stellt den ganzen Händlerverkauf in Frage. Die teuren Autohäuser sollen durch den Verkauf nach dem Prinzip der Versicherungsvertreter oder via Internet reduziert werden.

In den letzten Monaten sind gemeinsame Versammlungen und Aktionen in den regionalen Clustern der Autoindustrie gelaufen, über die Trennung in Stammwerke und Zulieferer hinaus. Das ist ein wichtiger Schritt. Im nächsten Schritt müssen nun Solidarisierungen über die »Marke« hinweg laufen. Das klappt aber nur, wenn die Solidarisierung über die Straße hinaus auch in der Produktion stattfindet. Der Kampf der Takata-Petri ArbeiterInnen in Aschaffenburg (Zulieferer von Lenkrädern) hat den Stammwerkern bei BMW , Audi, Daimler und vor allem VW schon nach ein paar Stunden deren »Produktionsmacht« (B. Silver) deutlich gemacht. Durch Blockade der Werkstore verhinderten sie den Abtransport der Teile, in den Montagewerken stand die Produktion. Einen ähnlichen Effekt erzielten die ArbeiterInnen in Tschechien (siehe den Bericht auf Seite 44). Nun kommt es drauf an, die gemeinsame Produktionsmacht einzusetzen! Gegen die laufenden Angriffe könnten solche Kämpfe einen historischen Erdrutsch auslösen, erinnert sei an die Sit-down-Streiks in der amerikanischen Autoindustrie Mitte der 30er Jahre – in einer ähnlichen Krisenkonstellation wie heute, haben die (Auto-)ArbeiterInnen damals wirklich Geschichte gemacht.
Heute gleichen sich die Muster des Mürbemachens überall. Es bringt nichts, auch nur ein einziges Zugeständnis zu machen. Ein Sich-Verschanzen am einzelnen Arbeitsplatz ist nicht mehr möglich. Wir müssen einen Weg finden, dem Kapital nicht die Symptome, sondern die Ursache seiner Krise entgegenzustellen: die Verwertung der Arbeitskraft.
Fußnoten:

[1] CKD – completely knocked down CKD-Fabriken sind Werke, wo für lokale Märkte Fahrzeuge erneut montiert werden. Zuvor wurden sie in anderen Regionen zusammengebaut, wieder zerlegt und verschifft.



aus: Wildcat 86, Frühjahr 2010



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