Wildcat Nr. 87, Sommer 2010 []



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Update China

Die Euro-Krise verschärft Chinas Probleme

Chinas Wirtschaft wuchs im ersten Quartal 2010 um 11,9 Prozent, der gewaltige Handelsbilanzüberschuss ging zurück. Manche Kommentatoren malen bereits ein rosiges Bild und halten China als positives Beispiel hoch: dort werde in erneuerbare Energie und Eisenbahnen investiert, statt mit unsinnigen Abwrackprämien veraltete Industriebranchen zu stützen. In der Tat wird beispielsweise ein Hochgeschwindigkeits-Bahnnetz ausgebaut, das größte aller kreditfinanzierten Projekte. Aber es wird wohl kaum genügend Kunden geben, die sich den Schnellzug leisten können – und die wirkliche Verschuldung des chinesischen Staates ist viel höher, als offizielle Zahlen weismachen. Der kurzfristige Rückgang des Handelsbilanzüberschusses geht weitgehend auf gestiegene (und regierungsfinanzierte!) Importe von deutlich teurer gewordenen Rohstoffen zurück. Langfristig werden aber die chinesischen Exporte aufgrund der sinkenden globalen Nachfrage zurückgehen. Das chinesische Regime versucht mit Regierungsgeldern, die Wirtschaft vor dem Einbruch zu retten, und steht gleichzeitig vor der Anforderung, Liquidität aus dem System zu ziehen. Letzteres ist dringend notwendig, um eine Inflation und ein weiteres Wachstum von Blasen zu verhindern, deren Platzen an allen Ecken droht. Im Kampf gegen die Krise war in China die Kreditvergabe in einem Tempo hochgefahren worden, das es im Kapitalismus noch nie gegeben hatte. Damit wird aber vor allem spekuliert, weil das viele Geld gar nicht produktiv angelegt werden kann: Überinvestition und Unterkonsumtion bei hauchdünnen Profitmargen.

Bremsmaßnahmen beschneiden diese Profite noch weiter, gefährden damit das Wachstum – und provozieren womöglich Börsencrashs, weil die Nervosität bereits sehr groß ist. Ministerpräsident Wen Jiabao hat schon verkündet, angesichts der Eurokrise mit solchen Maßnahmen vorsichtig zu sein – prompt stiegen die Aktienkurse. Was kann die Regierung also tun, um die Überhitzung zu bremsen? Die realen Zinsen liegen sehr niedrig, können aber nicht erhöht werden, weil sonst noch mehr hot money ins Land fließen und die Spekulation an den Börsen und auf dem Immobilienmarkt weiter anheizen würde.

Eine Aufwertung des Yuan würde zwar die ohnehin prekäre Lage der Exportwirtschaft verschärfen, sie könnte aber die Blasenbildung bremsen, Importe verbilligen und die Nachfrage im Land stärken.

Die USA fordern eine solche Aufwertung seit langem, mittlerweile haben sich auch die Handelspartner in Asien (Indien!) und Afrika angeschlossen. Es war klar, dass China über kurz oder lang aufwerten würde – allerdings weniger als von den usa gefordert. Im März wurden über 1000 Unternehmen aus zwölf Branchen daraufhin untersucht, welche Auswirkungen eine Aufwertung der Währung auf sie hätte. Aber dann kam die »Eurokrise«. Der Yuan ist in den vergangenen vier Monaten um 14,5 Prozent zum Euro gestiegen, chinesische Waren werden in Europa teurer, und die Eurozone ist der größte Absatzmarkt Chinas! Zudem hatte China einen Teil seiner Währungsreserven von Dollar in Euro umgeschichtet. Die faz berichtete Mitte Mai, durch den Wertverlust des Euro habe China ca. 80 Mrd. Dollar verloren – das entspricht dem Jahreseinkommen von 80 Mio. ArbeiterInnen. Berichte, dass China sich nach anderen Anlagemöglichkeiten umsehe, wurden eilig dementiert, um weitere Kursstürze zu verhindern.

Wo bleibt die Zeit fürs Rebalancing?

Im Kapitel »Rebalancing« seines aktuellen Berichts zur Weltwirtschaft nimmt der iwf die Überschussländer China und Deutschland regelrecht an der Hand. Mehrere Länder werden angeführt, die ihren Handelsbilanzüberschuss abgebaut haben, ohne dass dies zu weniger Wachstum geführt habe. Auch die Beschäftigung sei nur in der Produktion, nicht aber insgesamt zurückgegangen. Und dann wendet sich der iwf direkt an China – ohne es beim Namen zu nennen: Eine Währungsaufwertung habe das Wachstum zwar verlangsamt, das könne aber durch die Stimulation der Binnennachfrage ausgeglichen werden. In einigen Fällen sei die Entwicklung einer höherwertigen Produktion gelungen. Dazu sei die Liberalisierung des Handels und eine Restrukturierung in Richtung »Dienstleistungen« vonnöten. Gefährlich sei hingegen eine zu expansive Geldpolitik, die Inflation und Blasenbildung mit sich brächte.

Aber das chinesische Regime kennt die Geschichte: Japan hat in einer ähnlichen Situation mit dem Plaza-Abkommen von 1985 dem Druck nachgegeben und seine Währung aufgewertet. Den usa hat das nur kurzfristig genützt, Japan hat es bisher zweieinhalb Jahrzehnte Stagnation gebracht.

Obwohl »Griechenland-« bzw. die »Eurokrise« schon wie eine Aufwertung des Yuan wirkt, werden die globalen Ungleichgewichte größer. Die Spar- und Deflationspolitik, die die eu den südeuropäischen Ländern verordnet hat, führt dazu, dass diese weniger (chinesische) Waren auf dem Weltmarkt kaufen. Bisher hat sich die Handelsbilanz der eu-Länder insgesamt ungefähr ausgeglichen: 26 Prozent der Handelsbilanzdefizite (weit hinter den USA) wogen knapp 30 Prozent der globalen Handelsbilanzüberschüsse (fast so viel wie China und Hongkong zusammen) fast auf. Nun steigen die Überschüsse sogar noch (siehe die Entwicklung der brd-Wirtschaft), die Defizite fallen aber weg. Von wegen Rebalancing! Mit der verschärften Konkurrenz um Absatzmärkte drohen Handelskriege und protektionistische Maßnahmen, die weiter zum Rückgang der Weltwirtschaft beitragen und Chinas Exporte hart treffen würden.

Das Zeitfenster für eine »Anpassung« Chinas wird somit extrem eng. Ob aber in dieser Situation eine (weitere) Aufwertung überhaupt richtig ist, darüber wird in China scharf gestritten. Denn es gibt ja auch noch innenpolitische Probleme, Überhitzung der Wirtschaft, Immobilienblasen, ein überschuldetes, marodes Bankensystem, Probleme mit der Arbeiterklasse...

Immobilienblase

Die Immobilienblase wird immer praller. Die Immobilienpreise stiegen im Februar und März stark, laut chinesischem Statistikbüro um 12,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, auf der Urlaubsinsel Hainan stiegen die Preise im vergangenen Jahr um 50 Prozent. Land ist inzwischen so teuer, dass nur noch staatliche Unternehmen kaufen. Der Handel damit ist zu einer Transferkette zwischen unterschiedlichen Abteilungen des Staates geworden, staatliche Banken leihen staatlichen Unternehmen Geld, damit diese Land vom Staat kaufen. Da ein guter Teil des Wirtschaftswachstums – bis zu 60 Prozent – auf die Immobilien- und Baubranche zurückgeht, sind scharfe Eingriffe der Regierung hochriskant (die Zinserhöhungen der US-Notenbank haben schließlich vor vier Jahren die subprime- und Finanzkrise getriggert!). Schon länger fährt sie deshalb eine Stop-and-Go Politik, um zwischen »Anfeuern« und »Überhitzung« zu balancieren. Im Moment ergreift sie einige regulatorische Maßnahmen, um die Spekulation und ein weiteres Steigen der Preise einzudämmen. Im April wurden die Anzahlungen bei Immobilienkäufen und die Zinsen für Zweitwohnungen erhöht. Die Kreditvergabe für Immobilien soll stärker kontrolliert werden. Die Immobilienpreise sind in Reaktion darauf Ende April bereits gefallen.

Banken und Kredit

Die Geldpolitik der Zentralbank wird schrittweise restriktiver. Sie hat die Mindestreserve erhöht, die Banken halten müssen. Im Vergleich zu Zinserhöhungen ist das ein behutsamer Schritt, um Geld aus dem Umlauf zu ziehen. Trotzdem ist er nicht ohne: Die Banken müssen ihr Kapital in diesem Jahr viermal so stark erhöhen wie geplant, ohne zu wissen, wie sie es auftreiben sollen. Denn wegen einer Masse fauler Kredite, die bereits seit Jahrzehnten verlängert werden, und solchen, die aufgrund der lockeren Geldpolitik im Rahmen der Krisenbekämpfung noch fällig werden, stehen die chinesischen Banken sowieso schon mit einem Bein im Grab. Sie sind an den Börsen stark überbewertet, westliche Anleger werden ihre Anteile schnell zurückziehen, wenn diese Probleme an die Oberfläche kommen.

Der Chef der großen Bank icbc, Yang, fordert bereits die Zulassung von »kreditbesicherten Wertpapieren«, also genau der »Junkbonds«, die das Kreditrisiko breit streuen und so zur Ausweitung der weltweiten Finanzkrise beigetragen haben.

Arbeitskräftemangel

In den Sonderwirtschaftszonen fehlen bereits wieder Arbeitskräfte, nach dem Frühjahrsfest sind in diesem Jahr weniger Wanderarbeiter zurückgekehrt als sonst. Die Anziehungskraft dieser Zentren hat nachgelassen, die Leute wandern nicht mehr so weit, gehen in nähere Provinzstädte. Dort sind die Löhne inzwischen nicht mehr viel niedriger als in den Küstenregionen, der Unterschied wird durch geringere Lebenshaltungskosten ausgeglichen. In den zentralen Provinzen gibt es im Moment mehr Jobs aufgrund der regierungsfinanzierten Infrastrukturprojekte, und auch weil bereits viele Betriebe aus den Küstenregionen auf der Suche nach günstigerer Arbeitskraft dorthin abgewandert sind. Die Sonderwirtschaftszonen könnten nur mit höheren Löhnen mehr ArbeiterInnen anziehen. Die können aber bei der bestehenden Industriestruktur nicht gezahlt werden, weil viele Exportbetriebe mit sehr geringen Profitraten von höchstens zwei, zum Teil unter einem Prozent operieren. Die Preise können sie andererseits kaum erhöhen, weil sie in einem stark umkämpften Markt tätig sind. Manche Betriebe haben in letzter Zeit draufgelegt, um überhaupt ihre Kunden zu halten.

»Meine Großeltern waren Bauern, meine Mutter hat am Fließband gestanden, beides möchte ich nicht«, sagt die 25 Jahre alte Jian Fengjuan aus der Provinz Hunan.
(Aus einem Artikel von Anfang März zur Arbeitskräfteknappheit in den chinesischen Exportzonen)

In die Produktionszonen an der Küste zu gehen, lohnt sich nur noch, wenn man einen richtig guten Job kriegt. Fabrikarbeiterin zu sein reicht kaum noch, um die steigenden Lebensmittelpreise und Lebenshaltungskosten zu tragen. Die neue Generation der WanderarbeiterInnen hat höhere Ansprüche als die Eltern, ist selbstbewusster und mobiler, weiter weg vom Landleben: »Was an mir sieht denn aus wie ein Bauer?«, sagt einer von ihnen. Vermehrt wird berichtet, dass junge Leute nicht mehr in Fabriken arbeiten wollen, dass ihre Eltern versuchen, ihnen eine Ausbildung zu ermöglichen. In Shenzen sind die Jobmessen für FabrikarbeiterInnen schlecht, die für Fachkräfte der Autoindustrie sehr gut besucht. Die besser Ausgebildeten haben allerdings Schwierigkeiten, Jobs zu finden. Die viel beschworene »Mittelklasse« hat kaum am Wachstum teil, die steigenden Wohnungskosten drücken auf den Konsum, ein Makler oder eine Bankangestellte kann sich oft keine Wohnung in Peking leisten. Die Konsumausgaben steigen zwar – aber es ist unklar, wieviel davon auf kurzfristige Konjunkturmaßnahmen und Ausgaben der Regierung zurückgeht.

Im Frühjahr wurden in verschiedenen Provinzen Mindestlohnerhöhungen beschlossen, durchschnittlich 20 Prozent in der Provinz Guangdong, 13 Prozent in Jiangsu, 24,5 Prozent in der Provinz Fujian im Osten. Die tatsächlich gezahlten Löhne liegen oft darüber. Es wird mit einer durchschnittlich sechs- bis achtprozentigen Erhöhung der Reallöhne in diesem Jahr gerechnet. Nachdem mit der Krise anfangs Lohnsenkungen durchgesetzt werden konnten, scheinen die Löhne damit zurück auf Vorkrisenniveau zu sein. Im Mai erregte ein wilder Streik bei einem Zulieferbetrieb von Honda A-ufsehen. Die über 1800 ArbeiterInnen fordern angeblich, dass ihre Löhne von 1500 Yuan auf 2000-2500 Yuan und damit das Niveau der Honda-ArbeiterInnen angehoben werden. Honda musste mangels Teilen seine vier chinesischen Fabriken anhalten – das erste Mal hat ein Streik in China einen multinationalen Konzern derart zum Stillstand gebracht. Beim riesiegen Elektronikkonzern Foxconn führte eine Selbstmordserie von Arbeiter-Innen zur Ankündigung von zwanzigprozentigen Lohnerhöhungen.

Bisher sind aber die Lohnerhöhungen noch nicht so groß, dass sie eine starke inflationäre Wirkung hätten. Trotzdem steigen die Preise, im April um 2,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr, und damit am stärksten seit 18 Monaten. Die Regierung hatte beim Volkskongress im März angekündigt, dass die Teuerung drei Prozent nicht übersteigen solle. Es ist fraglich, ob ihr das gelingt. Auch hier steht das Regime vor einer Gratwanderung: Wenn sie gegen die Inflation die Zinsen erhöhen, locken sie nicht nur mehr hot money ins Land (s.o.), sie würgen auch das Wirtschaftswachstum ab und bringen eine Vielzahl von Krediten zum Platzen. Aber Inflation bedroht den »sozialen Frieden«, wer kaum was verdient, kann und will nicht auch noch steigende Preise verkraften – das haben die chinesischen ArbeiterInnen in der Vergangenheit schon öfter demonstriert.

In a country where inflation and social unrest are historically linked, that statistic cannot be ignored by China's leaders. On several occasions in the past, rising food prices in China have led to political problems for the government. Inflation in 1988 is thought to have contributed to the demonstrations in Beijing's Tiananmen Square the following year. (bbc 2007)

»Im Westen« wiederum hat man Angst davor, dass in China die Löhne zu schnell steigen, oder die Regierung zu viel Geld ausgibt, um den »sozialen Frieden« zu erhalten. Dann würde die Inflation »aus den Schwellenländern hierher überschwappen«. So oder so steckt dahinter die Angst vor der chinesischen Arbeiterklasse.



aus: Wildcat 87, Sommer 2010



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