Wildcat Nr. 91, Herbst 2011 []



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Weltspartag!

26. Oktober, BRD
Der Bundestag beschließt die Verlängerung der Anti-Terrorgesetze um weitere vier Jahre und ermächtigt Merkel zur ›Eurorettung‹. Die Renten steigen nächstes Jahr im Westen um 2,3 im Osten um 3,2 Prozent. Die IG Metall fordert sieben Prozent im Stahlbereich. Vor der EZB in Frankfurt stehen 90 Zelte (Occupy Frankfurt! - ein Interview, S. 56).

26. Oktober, Griechenland
Die Regierung beschließt das vierte Sparpaket, die Löhne von Staatsbediensteten und viele Renten werden noch einmal um rund 20 Prozent gekürzt, 100 000 sind auf der Straße und im zweitägigen Generalstreik. (S.16)

Gestern vor zehn Jahren hat sich unser aller Leben verändert. Am 25. Oktober 2001 erblickte der US Patriot Act das Licht der Welt – die Mutter aller Anti-Terror-Gesetze, die in der westlichen Welt folgen sollten. Pünktlich zum Jahrestag setzt eine heftige Räumungsserie gegen die Occupy-Bewegung ein (Oakland, Atlanta, Baltimore) – wir haben noch einen aktuellen Bericht kurz vor Druckbeginn ins Heft gedrückt (Occupy Oakland!, S. 65). Bei der Wildcat 90 war es schlimmer, da kam der Spanien-Artikel erst nach Druckbeginn. Wir wollten den aber auf jeden Fall drin haben, so dass wir den ›Preis‹ dafür bezahlt haben, im ganzen Heft keine Korrekturen mehr machen zu können. Die Rubrik ›Was bisher geschah‹ haben wir eingeführt, um dort Errata zu korrigieren und updates zu Artikeln aus den vorigen Heften zu bringen. Die Fehler im letzten Heft waren aber so massen- haft, dass wir es gar nicht schaffen könnten, die alle zu korrigieren. Dafür war der Artikel sehr weitsichtig, so dass diesmal reicht ein kurzer Nachtrag zu Spanien reicht – und die Rubrik WBG entfällt.

Der Klassenfeind erhöht überall den Einsatz: Krieg (Libyen), Repression, Muslimbrüder, Wahlen... Von Libyen, Syrien, Saudi-Arabien aus wird der arabische Frühling geostrategisch eingekreist.
Aber die Klasse kämpft auf allen Ebenen, auf der Straße (Riots in England, S. 20), in den Fabriken (Indien, S.36, Iran, S. 40), in den Knästen (S. 30), in den Schulen (Spanien, S. 32). Die Streiks nehmen zu in Kuwait,China, den USA, migrantische Tagelöhner in Süditalien (S. 42)... Von Israel (S.60) bis zum Gaza-Streifen: die Dynamik einer weltweiten Bewegung ist nicht zu unterschätzen, auch wenn bisher nur schwache Ausläufer in der BRD angekommen sind.

In diesem Heft haben wir viele Beiträge aus anderen Ländern. Wir hoffen, dass wir dazu beitragen können, Erfahrungen, Kämpfe und Debatten nach Deutschland reinzuholen!

In den USA, in Spanien, England, Italien... fast überalldas gleiche Problem: Unsere GenossInnen sind angesichts von Entlassungen und erzwungener Selbstständigkeit dermaßen mit dem Verdienen der eigenen Brötchen beschäftigt, dass kaum noch Zeit bleibt, um regelmäßig auf Demos zu gehen, geschweige denn, Artikel zu schreiben. Dazu ist bald mal ein eigener Schwerpunkt angesagt.

Denn die Krise wird schlimmer. Mitte Oktober schien das Tandem Merkozy ›1931‹ spielen – auch in der damaligen Weltwirtschaftskrise war der Crash 1929 in den USA, zur wirklichen Weltwirtschaftskrise wurde es erst im Gefolge des Zusammenbruchs der Österreichischen Creditanstalt am 11. Mai 1931. Aber was wie Tolpatschigkeit der beiden Spitzenpolitiker aussieht, sind handfeste Gegensätze: Wer zahlt? – und riskiert damit sein AAA, und folglich die Refinanzierbarkeit seiner Kredite? Allerdings konnte man in letzter Zeit tatsächlich den Eindruck gewinnen, angesichts katastrophaler Aussichten seien die Herrschenden zur Einsicht gekommen: lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Damit schließt Paolo Giussanis Artikel (S.46), der radikal die naiven linken Vorstellungen eines aufgewärmten Keynes kritisiert. Der andere Beitrag zur Krisendebatte (S.51), ebenfalls aus Italien, stimmt dem zu – und bietet in seiner politischen Stoßrichtung (Abspaltung der sozialen Reproduktion von der finanziellen Erpressung) jede Menge Anknüpfungspunkte für die Commons-Diskussion. Darauf werden im nächsten Heft nochmal eingehen.

27. Oktober
Nach der langen Nacht in Brüssel schießt der Dax heute mehr als fünf, die europäischen Aktien sogar um sechs Prozent nach oben. Gleichzeitig erfahren wir: ›Griechenland erlebt Rekordrezession‹. Eine so schwere Rezession wie in Griechenland hat es seit dem Zweiten Weltkrieg in keinem westlichen Land gegeben; seit Ende 2008 haben die GriechInnen ihren Konsum um 15 Prozent eingeschränkt.

28. Oktober
Ausgerechnet heute, am ›Weltspartag‹, erlebt Italien ›ein Desaster am Anleihemarkt‹. Die Regierung versuchte, im Windschatten der ›Eurorettung‹ neue Schulden aufzunehmen; insgesamt lieh sie sich 7,9 Milliarden Euro – und musste dafür die höchsten Zinsen seit der Einführung des Euro zahlen. 6,06 Prozent für Anleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren, das liegt nicht mehr weit unter jenen sieben Prozent, ab denen Euroländer in der Regel ›unter den Rettungsschirm schlüpfen‹ müssen.
In Frankfurt vor der EZB stehen jetzt 100 Zelte. In Kairo wieder einige tausend (S. 14).



aus: Wildcat 91, Herbst 2011



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