Wildcat Nr. 92, Frühjahr 2012 [Griechenland_ Streik im Stahlwerk]



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Griechenland

Streik im Stahlwerk

Seit dem 31. Oktober 2011 sind die Arbeiter des Stahlwerks in Aspropyrgos, Attica im Streik. Sie kämpfen gegen die Entlassung von 15 Kollegen und einen Fünf-Stunden-Tag mit 40 Prozent Lohnverlust. Manesis, Besitzer des Halivourgia-Konzerns und Präsident der Vereinigung Griechische Stahlindustrie, hatte sie am 12. Oktober aufgefordert, zwischen der fünfstündigen Kurzarbeit und der Entlassung zu wählen. Nach dem einheitlichen »Nein« begann er mit Entlassungen. Am 20. Oktober verabschiedete das griechische Parlament das Polinomoschedio, ein Gesetz, das praktisch alle übrig gebliebenen Arbeitsrechte durch die Abschaffung kollektiver Arbeitsverträge auslöscht; nun sollte es zum ersten Mal angewandt werden.

Für die Unternehmer scheint die Wirtschaftskrise eine hervorragende Gelegenheit zu sein, Gewinnausfälle und notwendige Einsparungen zu behaupten und in hohe Lohnkürzungen zu übersetzen. Die Arbeiter von Halivourgia sind da anderer Meinung: Sie sagen, dass die Produktion von 1,5 Millionen auf 2,7 Millionen Tonnen angestiegen sei. Manesis selbst hat keinen genauen Geschäftsbericht für das letzte Jahr veröffentlicht.

In den Nachrichten kam der Streik nicht vor

Der Beginn des Streiks fiel mit der Einsetzung der neuen »Technokraten-Regierung« Papadimos zusammen, nachdem es am Nationalfeiertag (28. Oktober) zu Unruhen gekommen war. Bei zahlreichen Demos wurde die Wut auf die PolitikerInnen zum Ausdruck gebracht, in Thessaloniki musste sogar die traditionelle Militärparade abgesagt werden. Die Diskussion über die Zukunft der Eurozone überlagerte den Kampf der etwa 400 Stahlarbeiter; in den Nachrichten kam er nicht vor. Erst nach einer Weile wurden ArbeiterInnen, Arbeitslose und andere Streikende darauf aufmerksam. Zwei oder drei Wochen nach Streikbeginn gingen die ersten Solidaritätsbekundungen ein. Nach einem Monat aber entstand vor den Toren des Stahlwerks eine Welle der Solidarität, wie wir sie noch nicht gesehen haben. Alle Arten von ArbeiterInnen-, sozialen und politischen Gruppen und Organisationen sehen im Kampf der Stahlarbeiter den Kampf der griechischen Gesellschaft gegen den Angriff des Kapitals. Und fast alle sind sehr stolz darauf. Viele Leute aus allen Ecken des Landes halfen den Streikenden mit Geld- und Nahrungsmittelspenden zu überleben.

Die mythischen Dimensionen, die dieser monatelange Streik in Griechenland angenommen hat, erklären sich zum einen damit, dass er in einem Stahlwerk stattfindet. In einem Land mit einem großen Anteil von Bauern, Kleinunternehmern und Selbständigen, in dem sich die ökonomische Aktivität seit der Integration in die eg/eu zum Tourismus und anderen Dienstleistungen1 hin verlagert hat, hat das gesellschaftliche Ideal des Fabrikarbeiters im kollektiven Gedächtnis der Klasse einen wichtigen Platz. Darüber hinaus versucht die herrschende Klasse, die Leute davon zu überzeugen, es gebe in Griechenland keine industrielle Produktion, das Land sei völlig deindustrialisiert. Und dann ein Streik in der Schwerindustrie! Also gibt es doch Fabriken in Griechenland. Also gibt es doch Streiks, die die Produktion lahmlegen.

Außerdem ist es harte Arbeit, möglicherweise die härteste in diesem Land. Sie war früher gut bezahlt, aber in den letzten Jahren führten Kürzungen der Überstunden- und Wochenendzuschläge sowie der Zulagen zu einem dramatischen Lohnrückgang.

Viele verstreute Streiks

Hinter dem Streik der Stahlarbeiter zeigte sich eine wundersame Welt dutzender Streiks, von denen die Medien des Regimes nichts wussten oder die sie vergessen hatten. Streiks in der Nahrungsmittelindustrie, der Telekommunikationsbranche, von unbezahlten Journalisten der Zeitung Eleftherotipia und dem Fernsehsender Alter, ArbeiterInnen in Hotels und Bäckerei-Ketten, die ihre Löhne einfordern und sich an die Seite der Stahlarbeiter stellen, so dass nun eine Klassenfront gegen den Angriff des Kapitals steht.2 Es schien unmittelbar bevorzustehen, dass Feuer ausbrechen »an den Toren zur Hölle« (wie die Stahlarbeiter ihre Fabrik nennen) und die anderen Fabriken und Arbeitsplätze in Griechenland mobilisieren, so dass alle gemeinsam die Sparmaßnahmen wegfegen. Das ist leider nicht passiert.

Politische Kontrollversuche

Es ist eine bekannte Taktik der Herrschenden, die Kämpfenden zu zermürben. Die – relativ wenigen – Streikenden, die in einem der härtesten Winter der letzten Jahrzehnte Tag und Nacht vor dem Fabriktor ausharrten, waren sicherlich erschöpft. Aber neben dem Wetter hatte der längste griechische Streik seit den 1980er Jahren von Anfang an auch politische Probleme. In den beiden anderen Fabriken in Zentralgriechenland stimmten die Betriebsgewerkschaften dem Fünf-Stunden-Tag im Gegenzug für einen Verzicht auf Entlassungen zu. Aufgrund des Streiks arbeiten sie seither allerdings acht Stunden – Streikbrecherarbeit! In Aspropyrgos war die kommunistische Gewerkschaft pame allgegenwärtig. Alle gaben zu, dass nur die pame sie bei der Streikentscheidung unterstützt hatte, auch diejenigen Arbeiter, die selber nicht in der KKE sind (die Mehrheit). Ein wichtiger Funktionär der pame für die Metallindustrie war die meiste Zeit bei den Streikenden.

Dennoch hat die Versammlung der Stahlarbeiter seit ihrem ersten Treffen eine Bedeutung gewonnen, die den Rest der Gesellschaft überrascht hat. Auch wenn sie in einem Text vom 15. November behauptet, die pame stehe an ihrer Seite, schreibt sie am 31. November: »Gewerkschaften, Arbeitslose, Arme, StudentInnen, SchülerInnen, ihr alle helft uns mit den Löhnen, die ihr gar nicht habt«. Sie weist so auf die umfassende Unterstützung hin, die weit über die Partei hinausgeht, seit sich alle Gruppen der soziale Bewegung einschließlich des antiautoritären Milieus beteiligen.

Die festliche Stimmung – Tausende feierten den Jahreswechsel vor dem Fabriktor – hatte ein Ende, als es um politische Entscheidungen ging. Der 17. Januar sollte ein Tag der Solidarität sein, von pame ausgerufen, von einigen Workers’ Centers unterstützt, vom griechischen Gewerkschaftsbund ignoriert. Unabhängige Gruppen und andere Streikende, die ihre Solidarität mit dem Stahlstreik zeigen wollten, nahmen die Idee freudig auf. Aber bei ihrem ersten »öffentlichen« Auftritt im Zentrum von Athen entschieden sich die Arbeiter, mit der pame zu marschieren.3 Unter den pame-Leuten waren sie dann als aktiv streikende Stahlarbeiter nicht mehr sichtbar. Aber sie entschieden sich für die Sicherheit bei der KKE und ihren Isolationismus, statt für ein unabhängiges Zusammenkommen mit anderen Streikenden.

Die Präsenz der KKE setzte sich fort: es schien, als würde sie alle öffentlichen Auftritte der Betriebsgewerkschaft organisieren, abgesehen von einigen Reden von Nachbarschaftsversammlungen, linksradikalen Parteien, sozialen Zentren und anderen, die den anwesenden Streikenden eine andere als die KKE-Sicht nahebrachten. Sogar Leute, die erkannten, wie kurzsichtig die KKE-Perspektive war und wie dringend vonnöten eine breitere Unterstützung durch andere politische Gruppen gewesen wäre, hinterfragten die Unterwerfung unter den Willen der KKE nicht wirklich. Der hundertste Streiktag sah aus wie eine inhaltsleere Party, nur die Leute der »Wir zahlen nicht«-Bewegung waren mit ihren Fahnen da.

Streit um Einfluss

Die griechische KKE ist nicht die einzige »linke« Organisation, die in diesem Operettenhaus namens Parlament mitspielt. Auch die »Koalition der radikalen Linken« syriza beteiligt sich daran. Sie war wohl nicht zufrieden damit, dass ein Streik mit so breiter Unterstützung in der Bevölkerung komplett von der KKE kontrolliert wurde. In einem Artikel in ihrer Zeitung Avgi schreiben sie: »Sie benutzt die armen Stahl-Arbeiter als Versuchskaninchen, auch wenn sie weiß, dass man Syndikalismus nicht ohne Flexibilität und Rückzüge praktizieren kann, vor allem angesichts einer Depression in der Industrie. Ein, zwei, drei Monate, oder sogar ein Jahr der Solidarität, und dann?«4 Kontra, eine kleine Gruppe ehemaliger StalinistInnen, die jetzt mit den AnarchistInnen anbandelt, schrieb einige Artikel gegen die Dominanz von pame und KKE und kritisierte, dass diese ihre Wahlpropaganda über den Streik gestellt habe, dass sie die Streikenden vom Rest der Solidaritätsbewegung isolieren wolle und die Stahl-Arbeiter in einen »Wanderzirkus« verwandelt habe, der nicht nur ihre syndikalistische Praxis, sondern auch ihr Wahlprogramm unterstützt.5 Der Rest der sozialen Bewegung hat es vorgezogen, einen direkten Angriff auf das zu vermeiden, was für die heiligste Sache gehalten wurde: diesen langen Streik in der Schwerindustrie.

Zwar wurde die Allgegenwart der KKE-Kräfte von den meisten hingenommen, doch die Weigerung der Streikführer, sich zur Gesellschaft hin zu öffnen, und ihr Beharren darauf, allein vor dem Fabriktor aktiv zu werden und bei den Demos im pame-Block zu bleiben, entmutigte viele Leute, die solidarisch sein wollten. Die Volksküchen und Feste, mit denen Geld gesammelt wurde, nahmen ab, die Autos hörten auf, vor dem Werk zu hupen. Ein Streik, der von den staatlichen Medien komplett ignoriert wird, gerät so leicht in Vergessenheit. Das kann auch zu Geldproblemen für den Soli-Fonds führen, aus dem monatlich 400 Euro an die Streikenden bezahlt werden sollen. Bei der Vollversammlung Mitte Februar ging es hoch her, zum ersten Mal stimmte sie nicht einstimmig für die Weiterführung des Streiks. 51 Arbeiter stimmten dagegen, 204 dafür. Am nächsten Tag tauchte eine Liste mit Namen der Gegner auf. Es schien, als wolle der Fabrikbesitzer Material aus den Gebä uden holen, um es in seinen anderen Fabriken einzusetzen, in denen nicht gestreikt wird.

Nazis vor dem Fabriktor

Der letzte Angriff auf die Streikenden, möglicherweise von der Geschäftsleitung angeleiert, war das plötzliche Auftauchen der Nazi-Gang Chrisi Avgi (Goldene Morgendämmerung) vor dem Fabriktor am 17. Februar. Sie brachten klägliche Essensspenden und redeten unglaublichen Mist ins Mikro: »Wir wollten früher herkommen, aber wir hatten keine Zeit, weil wir auch Arbeiter sind.«6 Die Streikenden vor Ort haben nicht darauf reagiert, ich denke aus verschiedenen Gründen: nationalistische Ideale hatten in Krisenzeiten immer einen starken Einfluss auf Proletarier, weil sie eine starke Kritik an der korrupten Macht mit dem Bezug auf rassische Überlegenheit kombinieren, die vom Bildungssystem erfolgreich vermittelt wurde. Nur ein Arbeiter im Werk ist tatsächlich Mitglied bei Chrisi Avgi, aber einige sympathisieren mit solchen Ideen. Zweitens flö& szlig;en die Faschisten Angst ein: eine Schlägerei vor dem Fabriktor schien zu diesem Zeitpunkt möglicherweise keine gute Idee zu sein. Der Gewerkschaftsvorsitzende entschied sich für eine »demokratische« Lösung: er überließ den Nazis das Mikro, stand neben ihnen und sagte einige schlappe Begrüßungsworte, was er offensichtlich nicht hätte tun sollen. Die Nazi-Gang veröffentlichte hinterher ein Video, das einen Sturm von Reaktionen bei denen auslöste, die in den vergangenen Monaten ihre Solidarität gezeigt hatten. Das Bild des Gewerkschaftsvorsitzenden neben den Mördern von Chrisi Avgi war mindestens entmutigend.

Nun hörte der Waffenstillstand gegenüber pame auf, alle sahen die Zeit gekommen, ihre Meinung über den Streik zu sagen. Es gab alle möglichen Kommentare – dass der Vorsitzende den Faschisten schmeichle; dass die KKE vom Besuch der Gang gewusst und ihn zugelassen habe, so dass alle UnterstützerInnen enttäuscht sein und und den Streik im Stich lassen würden, weil die KKE dessen Niederlage wolle. Viele anonyme Blogger stellten den Streiks – und überhaupt jeden Streik - infrage, wenn er kein antifaschistisches Bewusstsein erzeugen könne. Einige andere schrieben Texte über die zweifelhafte Rolle des Industrieproletariats in der kommenden Revolution.

Die Reaktion der Betriebsgewerkschaft kam am 21. Februar – sie kritisierte die Faschisten für ihre heuchlerische last minute-Solidarität (und bezog sich u.a. auf migrantische Arbeiter, die aus Solidarität gekommen waren, sowie auf »andere Gewerkschaften, Organisationen und Millionen Arbeiter in Griechenland und weltweit, die andere Meinungen und Ziele haben als wir«) und erklärte gleichzeitig ihre Loyalität mit pame – gegen »alle Faschisten und mächtigen Revolutionäre«. Einige Leute überzeugte das, andere nicht. Trotzdem ebbte die Solidaritätswelle nicht ab, es wurden weiter Parties und Festivals organisiert, um Geld zu sammeln. Denn Solidarität ist mehr als notwendig für einen so langen Streik, der damit begonnen hat, sich gegen einen Fünf-Stunden-Tag für 560 Euro im Monat zu wehren, und in einem Land enden wird, in dem ArbeiterInnen per Gesetz 560 Euro für einen Acht-Stunden- Tag kriegen.

R., Athen, 16.3.2012

Fußnoten:

[1] Dem Nationalen Statistikamt zufolge verteilte sich die wirtschaftlich aktive Bevölkerung Griechenlands im Jahre 2001 wie folgt: von insgesamt 4 614 499 sind 12 043 Bergarbeiter, 530 515 arbeiten in der Produktion, 38 547 in der Wasser-, Gas- und Elektrizitätsversorgung und 375 660 im Baugewerbe (es war die Periode vor den Olympischen Spielen, als es viele öffentliche Baumaßnahmen gab), außerdem sind 599 755 Bauern. 1981 gab es noch 1 305 611 IndustriearbeiterInnen (darunter sind alle obigen Kategorien zusammengefasst) bei insgesamt 3 543 797 Beschäftigten.

[2] Nur ein paar Beispiele: Besetzung der Bäckerei Chastzis in Saloniki, Streik im Hotel »Novotel« in Solidarität mit einer entlassenen Kollegin, eintägiger Streik im Kaufhaus »Notos Galleries« gegen die Einführung von Kurzarbeit…

[3] Im letzten Jahrzehnt hat die pame immer separate Demonstrationszüge durchgeführt, einzige Ausnahme war die Demo am 20.10. 11 vor dem Parlament, die bekanntermaßen in Zusammenstößen zwischen ihren Ordnern und Autonomen endete.

[4] KKE Kommunistische Partei Griechenlands. pame: (wörltich: »Los geht‘s«) Die Abkürzung steht für Kampffront aller Arbeiter; von der KKE gegründete Gewerkschaft.

[5] Christou Dimitris, »Eine politische Front ist kein NGO«, Avgi, 08/01/2012.

[6] Kontra, 29-1-2012, Wie die Stahlarbeiter siegen können

[7] Es war dieselbe Gang, die die Streikenden in einem Text dafür kritisiert, dass sie nicht einen Kompromiss mit dem Boss eingegangen sind, wie ihre Kollegen in den anderen Werken. Siehe Kaloutsas Artemios: Elliniki Chalivourgia: the new Pirelli case, 19/12 2011, xavolos.blogspot.com

R., Athen, 16.3.12


aus: Wildcat 92, Frühjahr 2012



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