Wildcat Nr. 94, Frühjahr 2013 []



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Griechenland Kämpfe in der Krise

Militante Generalstreiks, hohe (Jugend-)Arbeitslosigkeit und erstarkende Nazis – dieses Bild wird uns gewöhnlich durch die Medien vermittelt – und es ist nicht nur falsch. Griechenland wird unter Aufsicht der Troika »Arbeitsmarktreformen« unterzogen, die stark an die Agenda 2010 erinnern und in ihrer Konsequenz deutlich darüber hinausgehen. Während Linke in der BRD große Hoffnungen in politische Generalstreiks legen, sagt dieser Artikel eines Genossen aus Athen etwas anderes: weg von der abstrakten Politik, hin zu konkreten Aktionen am Arbeitsplatz und in den Stadtteilen. Die Illusion von der »großen Nacht«, die alles ändert, ist vorbei.

Der Zyklus der Generalstreiks in Griechenland ist vorbei

Die Generalstreiks von Mai 2010 bis Februar 2012 waren Ausdruck der diffusen Wut von unten. Doch was geschah vor solchen Streiks? Wurden sie vorbereitet? Zum Beispiel mit Versammlungen und Organisierung des Streiks? Welche Nachwirkungen für einen dauerhaften Kampf hatten die Generalstreiks? Haben all diese Streiks dazu beigetragen, dass die Leute miteinander in Kontakt kommen, um über ihre Probleme auf Arbeit zu diskutieren oder Strukturen aufzubauen?

Der Aufruf zu einem Streik lief meist über die Medien. Die Bürokratie des Gewerkschaftsdachverbandes gsee rief von oben zu den Generalstreiks auf, die ArbeiterInnen waren am Beschluss kaum beteiligt; die Frage der Dauer und seiner Zielsetzung (ob er vielleicht die Regierugn stürzen sollte) wurde nie gestellt. Bisher liefen die Generalstreiks immer den Maßnahmen der Regierung hinterher. So funktionierten sie wesentlich als Ventil, um Wut abzulassen. Vor den Streiks gab es keine Intervention in Betrieben. Der gsee vertritt keine breite Arbeitergemeinschaft (bzw. nur die bisherige Arbeiteraristokratie).

Bei neuen Generalstreiks sollte man die in der Krise neu zusammengesetzte Klasse und die politischen Erwartungen der Streikenden untersuchen. Die neue Klassenzusammensetzung ist das Ergebnis der immensen Erhöhung der Arbeitslosigkeit, des Zusammenbruchs der »Mittelklasse« und der Ausweitung der prekären Arbeitsverhältnisse. Auf die Straße gingen einerseits die Menschen, die sich an der Uni (Akademiker), in prekären Verhältnissen oder Arbeitslosigkeit bewegen, andererseits die Beamten und Gewerkschafter im öffentlichen Dienst. Letztere erleben den Abbau ihrer Rechte – der Angriff von oben zielt vorrangig auf sie. Trotz der großen Demo haben nur wenige wirklich gestreikt. Im Privatsektor ist Streiken praktisch »verboten«, sonst droht die Entlassung. In diesem Sinne waren die Generalstreiks Ausdruck der Wut – aber sie haben kaum die Produktion blockiert.

Sichtbar beteiligt an den Demos waren immer Basisgewerkschaften, kleine Betriebsgruppen, linke Parteien, politische Gruppen, Studentengruppen, Nachbarschaftsversammlungen mit ihren Transparenten. Aber aufgrund ihrer kurzen »Vorgeschichte« und ihrer beschränkten Kontakte in Betriebe hatten sie keine Möglichkeit, die Entwicklung zu beeinflussen; sie riefen halt zu selbstorganisierten Kämpfen und zum politischen Generalstreik (als Parole!) auf.

Besonders bei den Demos der letzten Generalstreiks war eine diffuse Enttäuschung und Perspektivlosigkeit der Leute sichtbar. Die Stimmung war flau und die Kampfbereitschaft sowohl der »politisierten« Leute als auch der »vereinzelten« Demonstranten war deutlich geringer. Man hatte das Gefühl, dass die Mehrheit der Leute den leichten Regen oder das Tränengas zum Vorwand nahm, um den Syntagma-Platz nach einem kurzen Steinwurf zu verlassen. Bewegungsroutine eben.

Anlass für die meisten Generalstreiks bisher waren neue Sparmaßnahmen; die Spitze der Mobilisierung fand am Tag der Verabschiedung der Gesetze im Parlament statt. Die Demonstranten hofften oder erwarteten, dass die Sparmaßnahmen zurückgenommen würden. Dieses sich wiederholende soziale Phänomen, diesen Protest – oft auch mit Straßenschlacht, Aufstandsklima (wie am 12.2.) und großer Beteiligung – können die Herrschenden verwalten. Als die Sparmaßnahmen trotzdem jedes Mal verabschiedet wurden, gingen die Leute enttäuscht nach Hause. Alles zusammen erzeugte den Widerspruch oder das schizophrene Erlebnis, dass man sich als protestierende Masse auf der Straße stark fühlt, aber damit nichts erreichen kann.

Arbeitslosigkeit Dezember 2009 – 2012:
2009 2010 2011 2012
Beschäftigte 4471420 4298356 3907686 3642102
Arbeitslose 383681 702732 1026373 1350181
Arbeitslosenquote 10,5 14,5 21,4 26,4

Die massenhafte Beteiligung der Leute am Sonntag, den 12.2.2012, wo es stundenlange Straßenschlachten gab, kam nach zwei schwachen und wenig lebhaften Streikdemos. Die Leute glaubten, dass sie den zentralen politischen Beschluss der Regierung blockieren könnten. Die einen meinten, dies durch ihre friedliche, massenhafte Präsenz erreichen zu können, die anderen (besonders die Metropolen-Jugend) durch Straßenschlachten.

Die Generalstreiks hatten somit einen politischen Charakter. Sie waren eigentlich eine Verabredung, ein Treffen, eine Hoffnung auf die »große Nacht«, die einen »neuen Tag« bringt. Auf den Protesten tauchten Bilder und Symbole anderer historischer Ereignisse auf (z. B. Argentinien, Hubschrauber für die Flucht der Regierung..., manche Leute trugen aus Protest solche T-Shirts). Als die Maßnahmen dann verabschiedet wurden, war die kollektive, gesellschaftliche Enttäuschung umso größer – eine Sackgasse. Die Grenzen dieser zentralen Mobilisierungen zeigten sich immer deutlicher.

Arbeitslosenquote nach Geschlecht
(jeweils Dezember):
2011 2012
Männer 18,0 24,0
Frauen 24,6 31,1
Insgesamt 21,4 26,4

Die entscheidende Frage hier ist nicht der politische Generalstreik, sondern dass die Logik bzw. die Vorstellung der »großen Nacht« gescheitert ist. Diese Vorstellung hat bei den Leuten leider zu einer bestimmten Interpretation der griechischen und globalen Krise geführt: dass sie nämlich eine Frage der politischen Macht, d. h. der Regierung sei und keine systemische, strukturelle Frage des Kapitalismus. Die linke Rhetorik, die heute auf eine Regierungsübernahme hofft, unterstützte viele Leute im Glauben daran, dass eine neue Regierung und die Blockade der Sparmaßnahmen zum Ende der Krise führen würde!

Während die ArbeiterInnen die materiellen Folgen der Krise im Alltag immer härter erleben, blieben der Protest bei Generalstreiks und der Widerstand gegen die alltäglichen Auswirkungen der Krise abstrakt. Die Krise ist natürlich eine politische Frage, aber nicht im Sinne von Parlament, Rechtsstaat, Abgeordneten, Wahlen, rituellen Generalstreiks, einer Regierungsübernahme usw. Die Krise ist vielmehr als politische Frage ein dauerhafter Klassenkampf, eine Frage der Kräfteverhältnisse zwischen Herrschenden und ArbeiterInnen. Dieser Kampf findet täglich an den Arbeits- und Reproduktionsstätten statt, in Vierteln und Nachbarschaften, wo die Kämpfe konkret werden, alltägliche Bedürfnisse betreffen, solidarische und gemeinschaftliche Strukturen aufbauen. Hier geht es darum, ob und wie die Kämpfe miteinander verbunden werden können.

Kämpfe in der Telekom-Branche

In den letzten Monaten gab es bei Telekomfirmen (Handynetze, Call Center) Kämpfe gegen Massenentlassungen und Lohnkürzungen. Der Angriff der Unternehmer zielt auf die Senkung der Arbeitskosten und eine Umstrukturierung der Arbeitsbedingungen. Waren diese schon immer flexibel und prekär, so werden sie mit dem Ausbruch der Krise immer schlimmer, weil hohe Arbeitslosigkeit, Entlassungen, verspätete Lohnzahlungen und Lohnsenkungen als Erpressungsmittel wirken. Hinzu kommen Neueinstellungen mit niedrigeren Löhnen und neuen Arbeitsverträgen gemäß den letzten Arbeitsmarktreformen.

Am 18. und 19.12.2012 legten ArbeiterInnen der Firma hol (Hellas On Line) die Arbeit nieder. Die meisten von ihnen kamen aus der technischen Abteilung (z. B. Einrichter, Netzreparatur) und dem Kundenservice (Call Center). Das sind nicht nur die personalintensivsten Abteilungen, sie haben auch direkten Kundenkontakt.

Die Arbeit bei hol soll intensiviert werden, im Kundenservice soll die Gesprächsdauer gesenkt werden. Z. B. wird gemessen, wie schnell man ein Gespräch annimmt und einen Anruf beantwortet. Die Verwaltung verlangte im Sommer die Erhöhung der »Netto-Arbeitszeit« pro Person. Jede/r ArbeiterIn soll ständig die Zeiten optimieren und mit den Kollegen konkurrieren. Dabei hat die Arbeitsmenge schon drastisch zugenommen. Während der Schicht kann man kaum ausruhen, das führt zu körperlicher und seelischer Erschöpfung. Wegen der Menge von Anrufen wird man manchmal zu Überstunden gezwungen. Alle sollen für viele Aufgaben qualifiziert werden, damit sie überall eingesetzt werden können. Früher dauerte die Ausbildung der Neueingestellten nur ein paar Tage, heute dauert sie bis zu fünf Wochen.

Arbeitslosenquote nach Altersgruppen
(jeweils Dezember):
Altersgruppe 2011 2012
15-24 53,1 57,5
25-34 28,8 34,0
35-44 17,6 23,4
45-54 15,4 19,5
55-64 10,9 16,3
65-74 4,1 5,7
Insgesamt 21,4 26,6

Um möglichen Widerstand gegen Massenentlassungen zu vermeiden, entlässt die Firma nur nach und nach alte und erfahrene ArbeiterInnen. Die alte Belegschaft ersetzen sie durch Neueingestellte. Diese Politik funktioniert auch als Drohung für die restlichen KollegInnen. Der massive Angriff löst aber alle individuellen Illusionen der Beschäftigten auf eine bessere Zukunft in Luft auf. Mit dem familiären Klima auf Arbeit ist es schon lange vorbei. Die Unzufriedenheit unter den KollegInnen führte zu täglichen Debatten und zur Mobilisierung.

Auf der Vollversammlung, zu der die Gewerkschaft nach der Entlassung einer Arbeiterin aufgerufen hatte, wurde eine Arbeitsniederlegung am 18.12.2012 zwischen 8 und 12 Uhr beschlossen. Morgens wurde das Haupttor der Firma blockiert, um weitere KollegInnen zu überzeugen. An der Mobilisierung beteiligten sich auch Leute aus anderen Abteilungen. Vergeblich versuchten die Vorgesetzten, die Streikenden dazu zu bringen, an die Arbeit zu gehen. Danach wandten sie sich an die Neueingestellten. Nach diesen Einschüchterungsversuchen gab es wieder eine Vollversammlung im Hof, die beschloss, am nächsten Tag erneut die Arbeit niederzulegen.

Die Bosse versuchten am 19.12., die Mobilisierung zu sabotieren und die Präsenz von mehr Leuten bei der Blockade zu verhindern, indem sie den Schichtplan änderten und KollegInnen in andere Gebäude schickten. Trotzdem legten viele die Arbeit nieder, auch ohne bei der Blockade mitzumachen.

Es gab danach wieder Entlassungen, das Unternehmen geht zum Outsourcing über; weitere Streiks lehnte die Vollversammlung ab. Die Teilnahme an der Mobilisierung war sehr wichtig, um das Gefühl zu überwinden, dem Unternehmer ganz allein ausgeliefert zu sein. Die Unzufriedenheit brachte auch KollegInnen ohne politische oder gewerkschaftliche Erfahrung dazu, sich zum ersten Mal an einem kleinen Kampf zu beteiligen. Auch wenn man eine Niederlage erlebt, ist es immer besser, gemeinsam zu kämpfen, als sich ohne Kampf und Würde zu unterwerfen.

Das Ende der gewerkschaftlichen Vertretung?

Seit dem 15.2.2013 sind 42 Branchentarifverträge ausgelaufen, von denen 600 000 Lohnabhängige betroffen sind. Wenn in den kommenden drei Monaten (Übergangsphase) keine neuen Branchenverträge unterschrieben werden, können die jeweiligen Löhne bis auf 30 Prozent gesenkt werden, also bis zum Grundlohn (586 Euro brutto bzw. 510 Euro brutto für unter 25-Jährige, davon gehen 16 Prozent Steuern und Sozialabgaben ab, es bleiben also 492 bzw. 429 Euro). Der Arbeitgeber kann nun aus dem Arbeitgeberverband seiner Branche austreten und unter Ausschaltung der Branchengewerkschaft mit einer Arbeitnehmergruppe im Betrieb verhandeln. Das ist dem Wesen nach das Ende des »Dialogs« zwischen den Sozialpartnern: Gewerkschaften, Staat und Unternehmerverbände. Den Grundlohn kann der jeweilige Arbeitsminister per Gesetz festlegen. Der nationale Manteltarifvertrag wird nur noch grundlegende Arbeitsbedingungen festlegen (z. B. Pausen, Urlaub, Gesundheitsschutz, Arbeitssicherheit usw.), nicht mehr die Entlohnung. Damit erlangen individuelle Arbeitsverträge und Haustarifverträge Gültigkeit. Laut Angaben des Arbeitsministeriums haben bereits 60 Prozent der Beschäftigten im Privatsektor individuelle Verträge zu niedrigerem Lohn (durchschnittlich 22 Prozent weniger) unterschrieben. Es gibt nur noch vier Lohnzulagen und zwar für Berufserfahrung, Kinder, Studium und gefährliche Arbeit. Mit der letzten Arbeitsmarktreform wurde die Ehegattenzulage (beide bekamen zehn Prozent auf den Lohn hinzu) abgeschafft, die Überstundenzulage für bis zu 120 Stunden pro Jahr um 50 Prozent und die Entlassungsabfindung gekürzt.

»Gemeinnützige Arbeit«

Unter dem Vorwand der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wurden in den letzten Monaten neue Arbeitsbeschaffungsprogramme eingeleitet. In den Programmen für »gemeinnützige Arbeit« arbeiten ca. 57 000 Arbeitslose. Die Maßnahmen dauern fünf Monate, der Lohn beträgt 25 Euro am Tag (also bis zu 625 Euro pro Monat), es gibt weder Weihnachts- noch Urlaubsgeld, und keine der üblichen Lohnzulagen für mindestens dreijährige Berufserfahrung, Studium oder Spezialisierung des Arbeitnehmers. Die Versicherungsbeiträge bezahlt das Arbeitsamt (oaed), d. h. sie werden aus den Beiträgen der Beschäftigten finanziert. Gerade wurde beschlossen, die Dauer dieser Maßnahmen auf zwölf bzw. 24 Monate auszudehnen.

»Gemeinnützig« wird definiert als »zum Wohl der Gesellschaft«. Deshalb arbeitet man in Krankenhäusern, bei Stadtverwaltungen (z. B. Müllabfuhr, Protokollbüro), in Kindergärten und bei anderen staatlichen Dienstleistungen. Viele übernehmen dabei Tätigkeiten, die gar nicht in ihrem Arbeitsvertrag stehen, denn offiziell müssen sie ja »anderen Aufgaben« nachgehen. In Wirklichkeit arbeiten sie an grundlegenden, wichtigen Arbeitsstellen im öffentlichen Dienst.

Anstieg der Arbeitslosigkeit
vom 3. Quartal 2011 bis zum 3. Quartal 2012
Kurve Arbeitslosigkeit

Diese Arbeitsprogramme sind im Wesentlichen ein Pilotversuch, um eine neue Gruppe von Beschäftigten im öffentlichen Sektor zu formen. Diese »neuen« Beschäftigten haben keine (oder weniger) grundsätzliche Arbeitnehmerrechte und sind gefangen zwischen Arbeitslosigkeit und neuen Arbeitsbedingungen. Wer eingestellt wird, muss Arbeitsverträge unterschreiben, in denen er auf tarifvertraglichen Schutz verzichtet.

Die »gemeinnützige Arbeit« ist Leiharbeit, wobei die Arbeitgeber Nichtregierungsorganisationen sind (ngos), die von jedem Arbeitnehmer fünf Prozent des Lohns kassieren. Den Lohn finanziert das Arbeitsministerium mit eu-Geldern. Die ngos funktionieren als Subunternehmer und Leiharbeitsfirmen. Die billigen ArbeiterInnen dieser Arbeitsprogramme stopfen die »Lücken«, die der Stellenabbau im öffentlichen Sektor hinterlassen hat. Sie stehen zwischen ihrem direkten Arbeitgeber (ngo) und ihrem indirekten (öffentlicher Dienst).

In einigen Stadtverwaltungen werden die ArbeiterInnen unter Androhung von Entlassung zu Samstags- oder Sonntagsarbeit gezwungen. Sie bekommen für die Sechs-Tage-Woche aber auch bloß 625 Euro, obwohl der Arbeitsvertrag 25 Euro pro Tag vorsieht.

Die neue Arbeitsform wurde im Mai 2010 im Rahmen des ersten Memorandums mit der Troika verabschiedet. Sie ist eine »an Griechenland angepasste« Kopie ähnlicher »workfare«-Programme aus den usa und Großbritannien. Das Ziel der Projekte ist einerseits der Abbau öffentlicher Dienstleistungen, die jetzt »humanitäre« private Träger (ngos) mit entsprechenden Arbeitsverhältnissen übernehmen oder kontrollieren. Zudem versuchen sie, den Begriff der Arbeit neu zu bestimmen. Zum Beispiel werden die Parkpflege und die Straßenreinigung, die früher Aufgabe der Stadtverwaltung waren, nun zur gemeinnützigen Tätigkeit einer ngo, die Arbeitslose durch ein Arbeitsangebot »unterstützt«. Dies führt zu einer Spaltung innerhalb der Beschäftigten im öffentlichen Dienst und zur Schwächung der Gewerkschaften.

Eine der größten Leiharbeitsfirmen ist der Gewerkschaftsdachverband (gsee), der über sein Berufsausbildungszentrum (kek) des Arbeitsinstituts (ine/gsee) 20 000 Leute bei Stadtverwaltungen in ganz Griechenland beschäftigt. Im Namen der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit fördert der gsee so die Ausweitung der Leiharbeit und den Abbau der gültigen Arbeitsbedingungen und des nationalen Tarifvertrags, für dessen Einhaltung er offiziell eintritt!

Vielleicht werden auch die Einzelgewerkschaften selbst künftig zu ngos/Arbeitgebern (wie in Deutschland), um politisch zu überleben und ihre Vermittlerrolle zu behalten.

Andererseits wird die staatliche Subvention der Arbeitslosigkeit zur Subvention der Arbeit. Die Arbeitslosen sind gezwungen, die Maßnahmen anzunehmen: Viele sind verarmt, denn das Arbeitslosengeld wurde im letzten Jahr um 22 Prozent gekürzt. Es ist absehbar, dass zukünftig Arbeitslosen das Geld gestrichen wird, wenn sie die Stelle nicht annehmen. Die Arbeitsprojekte führen zum ständigen Wechsel und zur ständigen Suche nach Arbeitsstellen, aber auch zu unbezahlter Arbeitslosigkeit. Denn nach fünf Monaten Arbeit bekommt man in Griechenland kein Arbeitslosengeld. Man muss mindestens sieben Monate arbeiten, um fünf Monate lang Geld zu bekommen.

Seit September/Oktober 2012 haben ArbeiterInnen dieser Programme in Athen und anderen Städten Mobilisierungen und Versammlungen organisiert. Ihre Hauptforderung ist die pünktliche Lohnzahlung und die Einhaltung des Arbeitsrechts. Mobilisierungen und Proteste gab es bisher vor einigen ngo-Büros und Stadtverwaltungen. In Herakleion (Kreta) haben die »gemeinnützigen ArbeiterInnen« am 27. und 28.11.2012 gestreikt. Sie forderten die sofortige Zahlung des Lohns am Monatsende und die Anwendung des Arbeitsrechts in Bezug auf Überstunden, Lohnzulagen, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaub, Spätschichtzulage, Pause usw. In Patras haben im September 420 befristete ArbeiterInnen für vier Stunden die Arbeit niedergelegt und das Rathaus besetzt. Damit erreichten die an verschiedenen Dienststellen der Stadtverwaltung Arbeitenden die Auszahlung ihres Lohns für die ersten zwei Monate ihrer Arbeit – sie hatten drei Monate lang keinen Lohn bekommen. Immerhin ein kleiner Sieg!

Es ist noch zu früh, um die Grenze und die Dynamik dieser Kämpfe einzuschätzen. Aber die Wut über nicht gezahlte Löhne hat schon griechenlandweit ArbeiterInnen dazu gebracht, Druck von unten auf die direkten und indirekten Arbeitgeber auszuüben. Aufgrund der kurzen Dauer der Arbeitsverträge (fünf Monate) ist es nicht möglich, lange Kämpfe zusammen mit denselben KollegInnen und Erfahrungen vor Ort zu führen und zu organisieren. Die Forderungen beschränken sich meist auf die Anwendung des geltenden Arbeitsrechts. Manche haben vielleicht noch die Illusion, dass sich ihre Situation stabilisiert: dass sie über diese kurze Arbeitserfahrung oder guten Kontakt zum Boss zu einer Festanstellung kommen. Darüber hinaus gibt es auch bei diesen Projekten Klientelismus, d. h. Familienmitglieder, Verwandte, Freunde usw. der Arbeitgeber kriegen eine befristete Arbeitsstelle.

Die Strategie der Bosse ist dagegen sehr deutlich erkennbar: ein Ausnutzen der Arbeitslosigkeit, »fünf Monate arbeiten, ein Jahr oder länger arbeitslos bleiben« usw. Doch die Bosse brauchen die ArbeiterInnen, also kann man dort neue Formen von Klassenkampf erfinden und organisieren, um die Räder der Produktion zum Stillstand zu bringen.

Neue vereinzelte Kämpfe in Betrieben

Trotz des Niedergangs der massenhaften Streikdemos entstehen seit Monaten an verschiedenen Arbeitsstätten Kämpfe – und zwar in Branchen oder Betrieben, die wenig oder gar keine Kampftradition haben. Sie sind häufig autonom/selbst organisiert, besonders dort, wo es keine gewerkschaftliche Vertretung gibt. Leute ohne politische oder gewerkschaftliche Erfahrung organisieren Basisversammlungen und bauen Kampfstrukturen auf. Manchmal treiben sie Betriebsräte oder Branchengewerkschaften in eine radikale Richtung.

Aus diesen Basisstrukturen heraus kommt es zu Arbeitsniederlegungen, lang andauernden Streiks (Stahlarbeiter), Betriebsbesetzungen (geräumte Stahlfabrik bis letzten August, Fintexport) und selbstverwalteten Fabriken (Vio.Me seit dem 12.2.2013 in Thessaloniki). An den Kämpfen beteiligen sich sowohl Stammbelegschaften als auch Saisonarbeiter, z. B. bei Call-Center-Firmen, bei ikea in Athen, Gemeinden/Stadtverwaltungen (»gemeinnützige Arbeit« in ngos), Regionalbehörden oder an der Uni in Thessaloniki (Beschäftigte bei Subunternehmern). Griechenlandweit gibt es womöglich ähnliche unbekannte »kleine« Arbeiterkämpfe, über die man keine Infos erhält.

Hauptgegenstand dieser Kämpfe sind a) die Lohnfrage: entweder die pünktliche Lohnauszahlung oder Widerstand gegen Lohnkürzungen, b) die Abwendung von Entlassungen, c) Widerstand gegen Arbeitsintensivierung und prekäre Bedingungen. Diese Kämpfe haben keinen Kontakt zur unteren gsee-Bürokratie und noch weniger zu den Gewerkschaftsdachverbänden, von denen die Streikenden nichts erwarten. Die traditionellen Gewerkschaften sind unfähig (oder sie haben große Schwierigkeiten), solche Kämpfe zu kontrollieren. Auch als Klientelstruktur haben die Gewerkschaften ausgedient, ihre Vermittlungsrolle ist nutzlos für die Bosse. Staat und Kapital gehen in der sich vertiefenden Krise zunehmend totalitärer und gewalttätiger gegen Kämpfe vor.

Zwei wichtige Fragen stellen sich hier: a) die nach der Verbindung zwischen den einzelnen Kämpfen und b) die nach dem Kontakt zwischen »alten« und »neuen« Arbeitersubjekten in diesen Kämpfen. Warum gibt es kaum Verbindungen?

a) Viele Kämpfe blieben isoliert, sogar innerhalb derselben Branche. Sie konnten keine Verbindung herstellen zu ArbeiterInnen aus anderen Sektoren oder ihren »Kunden«. Beispiel: Als die U-BahnarbeiterInnen in Athen streikten, behaupteten die Herrschenden, dieser Streik sei gegen das Allgemeinwohl gerichtet – weil die Fahrgäste nicht befördert wurden (nicht zur Arbeit gehen konnten!). Streiks im öffentlichen Nahverkehr werden immer mit diesem Argument angegriffen.

Soli-Kampagnen von anderen Basisgewerkschaften, die nicht im Betrieb selbst vertreten sind, konnten bisher die Niederlage von Kämpfen nicht verhindern (z. B. im besetzten und später geräumten Stahlwerk in Athen).

b) ArbeiterInnen, die zu unterschiedlichen Bedingungen (siehe gemeinnützige Arbeit) an derselben Arbeitsstelle arbeiten und sich mobilisiert haben, haben bisher selten einen praktischen Zusammenhang entwickelt. Die Kämpfe in den Stadtverwaltungen zeigen diese fehlende Zusammenarbeit. Die Stammbelegschaft protestiert gegen geplante Entlassungen und Lohnkürzungen mithilfe der traditionellen Gewerkschaften, und auf der anderen Seite kämpfen die Saisonarbeiter selbstorganisiert für die Auszahlung ihrer Löhne. Eine Rolle spielt dabei möglicherweise, dass die älteren Beschäftigten andere existenzielle Probleme (z. B. Familie, Kredite) haben als die jüngeren.

Teile der Linken versuchen, die Kämpfe abstrakt zu vereinen, d. h. ohne praktische Vorschläge zu machen. Der Feind bleibt hier das Memorandum mit der Troika. Die Linke in der Opposition (Syriza) wiederum schlägt einen Sturz der Regierung durch Neuwahlen vor oder hofft vielleicht auf den Niedergang der gsee-Bürokratie und eine Übernahme der Führung des Gewerkschaftsbundes, der noch von der sozialdemokratischen pasok kontrolliert wird.

Die Verbindung der Kämpfe in der Reproduktionsphäre (Stromversorgung, Volksküche, Gesundheitsversorgung, antirassistische und antifaschistische Mobilisierungen) mit denen in der Produktion ist wichtiger als die rituellen und immer weniger mobilisierenden Generalstreiks. In manchen Stadtteilen werden solche Soli-Strukturen aufgebaut, die an den alltäglichen Bedürfnissen der Leute ansetzen, um z. B. den Strom wieder anzuschließen, oder eine Arztpraxis zu organisieren. Das hat erst in den letzten zwei Jahren begonnen. Sie sind jedoch zu minoritär, um angesichts der wachsenden Verarmung die Interessen und Bedürfnisse der Mehrheit der Arbeiterklasse zu befriedigen.

Sehr wichtig ist jetzt die Unterstützung der Kämpfe gegen Entlassungen und nicht gezahlte Löhne; dabei muss die Spaltung zwischen neuerer und älterer Belegschaft, zwischen Einheimischen und Migranten überwunden werden. All diese Kämpfe sind seit zwei Jahren mit Repression und ideologischen Angriffen von oben konfrontiert. Die Regierung benutzt eine Rhetorik der Polarisierung und des Bürgerkriegs, sodass auch Syriza seit Dezember von einer »Strategie der Spannung« spricht.1

Die Regierung stigmatisiert Mobilisierungen, Arbeiterkämpfe, besetzte Häuser und Freiräume bzw. erklärt sie für illegal. Zynisch fördert sie eine gewalttätige Atmosphäre bzw. ein autoritäres Klima in der Gesellschaft, um Angst zu verbreiten. Die Botschaft an alle ist »Null Toleranz«, jede illegale Tätigkeit oder der Widerstand von unten insbesondere gegen neue Investitionsprojekte wird angegriffen (z. B. gegen den Goldabbau in Chalkidiki: Anfang März marschierten schwerbewaffnete und Riot-Bullen in der Kleinstadt Ierissos auf und führten Hausdurchsuchungen durch). Die Leute sollen daran gehindert werden, Kontakt zueinander aufnehmen und gemeinsam zu kämpfen.2

Fußnoten:

[1] Ein paar Tage nach der stundenlangen Demo am 12.2.2012 in Athen, wo hunderttausende Demonstranten auf die Straße gegen die damals neuen Sparmaßnahmen gingen, »entdeckten« die Bullen am 25.2.2012 einen Brandsatz auf einem Sitz in einem Waggon in der U-Bahnstation von Aigaleo. Die Verbreitung solcher »Tatsachen« funktioniert als Vorbereitung des (tiefen) Staates für eine mögliche Strategie der Spannung oder zumindest als Politik der Angst im öffentlichen Nahverkehr. Dieses brutalisierte Klima dauert nun schon mindestens ein Jahr an.

[2] Am 13.2.2013 drangen zwei Polizeibeamten ins Gewerkschaftsbüro der lohnabhängigen Techniker ein (es war ein »Besuch«), wo die Koordinationsversammlung von Gewerkschaften aus dem öffentlichen und privaten Sektor stattfand. Sie wollten untersuchen, ob die öffentliche Ordnung und Sicherheit eingehalten wird! Nach der Versammlung protestierten die Gewerkschafter vor der nahegelegenen Polizeistation. Der zuständige Polizeioffizier sprach von einer »gewöhnlichen Kontrolle«.



aus: Wildcat 94, Frühjahr 2013



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