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05.03.2014

aus: Wildcat 95, Winter 2013/2014

Faschos in Griechenland: Von der Straße ins Parlament und zurück

Seit dem Ende der Miltärdiktatur wurden faschistische Kräfte vom Staat benutzt, um gegen DemonstrantInnen und Proteste vorzugehen. Seit der Krise hatte sich dieser Zusammenarbeit verstärkt, dadurch ist die Goldene Morgenröte innerhalb fünf Jahren von einer militanten Nazibande zur parlamentarischen Kraft aufgestiegen. Nach dem Mord an dem HipHopper und linken Aktivisten Pavlos Fyssas wurde sie vom Staat wieder zurechtgestutzt.

Den Wahlerfolgen der Goldenen Morgenröte im Mai und Juni 2012 waren drei Jahre staatlicher Propaganda vorausgegangen. Nach dem Aufstand vom Dezember 2008 und angesichts der hereinbrechenden Krise hatten die Herrschenden die Faschos verstärkt gefördert. Man wollte in der Lage sein, »notwendige« Maßnahmen durchzusetzen. Dahinter steht die Frage: Wem gehört die Straße? In der Krise war sie zum Ort des Klassenkampfs geworden, zum Ort von unkontrollierten Protesten, Streiks, Demos, Krawallen und Versammlungen. Dieses Terrain musste zurückerobert werden.

Während viele Linksradikale den Aufstand im Dezember 2008 und die Monate danach in euphorischer Stimmung erlebten, bereitete der (tiefe) Staat bereits seine Antwort vor. Schon im Dezember hatten in einigen griechischen Städten parastaatliche Gruppen, Bullen und Einwohner gemeinsam Demos angegriffen. In der Hafenstadt Patras gingen am 9. Januar 2009 Rechtsradikale, »empörte« Kleinbürger (u.a. eine »Bürgerinitiative gegen obdachlose Afghanen und die Verslumung des Viertels«) und Kleinunternehmer (v. a. Ladenbesitzer), hinter den Zivil- und Riotbullen auf die Straße, um Demonstranten zu verfolgen. Dieser Mob hatte sich direkt neben der Polizeizentrale getroffen und wurde vom damaligen Polizeichef der Stadt angeführt, der heute für die Nea Dimokratia im Parlament sitzt. Solche Episoden passten zur repressiven Gesamtstrategie: In Larissa (Zentralgriechenland) wurden festgenommene Schüler auf Grundlage des Antiterrorgesetzes angeklagt.

Ein lokales Pilotprojekt

Vor diesem Hintergrund trieb der Staat Pilotprojekte voran, eines davon im Viertel Agios Panteleimonas und dem benachbarten Attiki-Platz. Ein paar hundert Meter entfernt liegt die seit März 1990 besetzte [und im Dezember 2012 geräumte] Villa Amalias. 1 Agios Panteleimonas war in den 60er Jahren ein kleinbürgerliches Musterviertel, als Griechen massenhaft aus der Provinz nach Athen in moderne Neubauten zogen. Seither sind aber viele in reichere Vorstädte umgezogen und vermieten ihre alte Wohnung – seit Anfang der 90er Jahre vor allem an MigrantInnen aus Asien, Afrika und dem Balkan. Die Mieten sind hier relativ niedrig.

Anfang 2009 begannen die Faschos, offensiv in einer Bürgerinitiative gegen migrantische Kriminalität, obdachlose Afghanen und »Ekelhäuser« im Viertel mitzuarbeiten. Diese forderte vor allem mehr Polizeipräsenz. Ihr Protest richtete sich freilich nicht gegen die vielen Bordelle oder Bars, die seit langem Unternehmen der organisierten Kriminalität sind. Im Gegenteil wirkten in der bi lokale Mafiosi mit. Einer von ihnen, zugleich Mitglied der Goldenen Morgenröte, wurde 2011 wegen zweier Morde verhaftet. Trotzdem wurde die bi von der Politik durchgängig protegiert, selbst der damalige Minister für öffentliche Ordnung trat einmal mit ihr zusammen öffentlich auf.

Seit 2009 fanden immer wieder kurze Pogrome gegen MigrantInnen in verschiedenen Vierteln von Athen statt, an denen stets ein paar Dutzend Nazis beteiligt waren. Sie wurden außerdem begleitet von Bullen und Medienkameras. Obwohl sie wie Theaterstücke orchestriert waren, erzielten sie Wirkung; der politische »Gewinner« in der Öffentlichkeit waren die Faschos, die sich als effektive Ordnungsmacht an der Seite der Kleinbürger präsentieren konnten. Ein Pfarrer im Viertel, der an obdachlose MigrantInnen Essen und Klamotten verteilte, wurde in eine andere Gemeinde versetzt.

Die staatliche Antwort auf den Aufstand

Im Aufstand vom Dezember 2008 hatten Einheimische und MigrantInnen gemeinsam auf der Straße ihrer Wut gegen Bullen, Banken und Geschäfte Luft gemacht. Die multinationale proletarische Gewalt bedrohte das System – zu einer Zeit, als sich die globale Krise entfaltete. Zudem hatte die Polizei durch den Mord an Alexis Legitimitation in breiten Teilen der Bevölkerung verloren. Der Staat reagierte auf drei Ebenen: Aufrüstung, verschärfter Rassismus und Unterstützung der Faschos. So wurden z. B. neue Motorradeinheiten aufgestellt, die seit Mai 2010 brutale und rücksichtslose Einsätze gegen Demos fahren. Zweitens propagierte das Regime verstärkt Rassismus. Soziale Fragen wurden zu Problemen öffentlicher Ordnung umdefiniert. Der Gesundheitsminister bezeichnete das Zentrum Athens als »Hygiene-Bombe«. Dafür verantwortlich seien Obdachlose, Drogenabhängige und MigrantInnen in heruntergekommenen Wohnungen. Derselbe Minister erklärte die Behandlung illegaler MigrantInnen zum Grund der Misere der Krankenversicherung und ließ kurz vor den Wahlen im Mai 2012 (illegale) Prostituierte verhaften, weil sie griechische Kunden mit aids angesteckt hätten. Sie wurden durch die Veröffentlichung ihrer Fotos im Fernsehen und Internet stigmatisiert, aber später vor Gericht freigesprochen. Dieser staatliche Rassismus gipfelte im Sommer 2012 in der Operation Gastfreundlicher Zeus, bei der tausende MigrantInnen von der Polizei kontrolliert und schikaniert wurden. Zum Verständnis der dritten Ebene (Zusammenarbeit mit den Faschisten) ist ein kurzer Rückblick auf die Vorgeschichte nötig:

Seit den 80er Jahren verlor der griechische Kapitalismus seine Konkurrenzfähigkeit, die Exporte gingen zurück. Dagegen wurden seit Anfang der 90er Jahre zwei Maßnahmen ergriffen: die Finanzierung großer Infrastrukturprojekte mit eu-Geldern und massive Ausweitung der Kredite, um die Unternehmen, den Massenkonsum und den Wohnungsbau zu fördern. Beide Maßnahmen explodierten in der griechischen Schuldenkrise.

Zum anderen wanderten nach dem Zusammenbruch des Ostblocks sehr viele ArbeiterInnen aus bankrotten, völlig kaputten Nationalwirtschaften Osteuropas in ein Land ein, das zuvor kaum Immigration kannte. Der massive Rückgang der Löhne auf dem Bau, in Gastronomie und Landwirtschaft war aber keine »natürliche« Folge dieser Zuwanderung, wie es linke Thesen manchmal vereinfachend darstellen. Es gab auch keinen »unorganisierten« Staat ohne Migrationspolitik, wie bis heute oft behauptet wird. Stattdessen führte die systematische Illegalisierung und die damit einhergehende organisierte Gewalt gegen migrantische ArbeiterInnen zu rapide fallenden Löhnen. Die »innere Abwertung« der Arbeit, die heute die ganze Arbeiterklasse betrifft, begann in diesen Jahren. Das ganze Ausmaß der Niederlage der Klasse und ihrer zunehmenden Spaltung zeigt sich erst heute.

Anfangs hatte es noch militante Arbeiterkämpfe gegen Privatisierungen sowie breite Proteste gegen die Schulreform gegeben. Danach wurde die Deindustrialisierung weiter vorangetrieben. Entschärft wurden die Konflikte durch das Versprechen, dass alle Griechen zur Mittelschicht gehören können. Um es einzulösen, wurden Kredite aufgenommen, seine Basis aber war die Ausbeutung der MigrantInnen, die mit miesen Löhnen die einzigen boomenden Branchen der letzten Jahre – Bau, Tourismus, Landwirtschaft – am Laufen hielten.2

In diesen »goldenen Jahren« des griechischen Wirtschaftswunders wurde der griechische Faschismus gesellschaftlich und staatlich geprägt; auch die organisierte Kriminalität wuchs stark an – und verschmolz mit Teilen des Staatsapparats, vor allem der Polizei. Durch diese Kontakte mit dem Staat konnten kleine und mittlere Mafiastrukturen nicht nur ihre Geschäfte schützen und ausbauen, sie wurden auch gesellschaftlich legitimiert. Gerade diese sozialen Subjekte, die zwei Jahrzehnte lang das Versprechen auf Wohlstand verkörpert hatten, machten bei den Wahlen 2012 die Goldene Morgenröte, eine parastaatliche Mafia- und Kapogruppe, zur parlamentarischen Kraft und zum »langen Arm« der herrschenden Klasse.

An wen wenden sich die Faschos?

Die Faschos zielen nicht darauf, breite Teile der Bevölkerung von ihren »innovativen« Vorschlägen, Argumenten oder kulturellen Werten zu überzeugen. Sie haben weder eine attraktive Ideologie, noch hat die Goldene Morgenröte soziale Hilfsstrukturen aufgebaut, wie es etwa die Hamas gemacht hat. Die öffentliche Verteilung von Lebensmitteln – natürlich nur an Griechen –, oder ihre Ankündigung, Kindergärten nur für Griechen zu organisieren, waren lediglich symbolische Aktionen. Andere Ankündigungen, etwa die Kontrolle des Anteils migrantischer Kinder in Kindergärten, waren lächerlich und grausam und riefen den sofortigen Widerstand von LehrerInnenverbänden und Gewerkschaften auf den Plan. Als die Faschos Blut nur für Griechen spenden wollten, schritten sofort KrankenpflegerInnengewerkschaften und Ärzteverbände dagegen ein. Mit solchen Positionen und Bildern empörten sie demokratische, bürgerliche Leute.

Der Aufstieg der Faschos erklärt sich viel stärker aus der Interessengemeinschaft mit den Herrschenden und einem Teil der Kleinunternehmer und kleinen Grundbesitzer, die z. B. Wohnungen an Migranten vermieten oder deren Arbeitskraft ausbeuten. Wer Schwarzarbeit ausbeutet und mit Gewalt diszipliniert, hat gemeinsame Interessen mit Mafiastrukturen. Diese leisten oft die Schutzdienste. Körperliche Angriffe auf streikende Landarbeiter oder einzelne migrantische Lohnarbeiter gab es auch schon in den »goldenen Jahren«, sie haben in der Krise aber stark zugenommen. Jetzt braucht man Schläger, die säumige MieterInnen dazu bringen, ihre Schulden zu bezahlen oder die Wohnung zu räumen. Immer mehr Unternehmer holen bei Konflikten mit ihren ArbeiterInnen, etwa wegen ausstehender Löhne, Faschos oder Mafiatypen zu Hilfe (z. B. gegen die Erdbeer-Erntearbeiter in Manolada). Die Mafiaverwaltung des illegalen und migrantischen Sektors breitet sich langsam auf den gesamten Arbeitsmarkt aus und bedroht heute die ganze Klasse.

Die Faschos sind Kettenhunde

In den Wählerumfragen vor dem Mord an Pavlos Fyssas lag die Goldene Morgenröte bei etwa zwölf Prozent, Tendenz steigend. Danach fiel sie kurzzeitig auf etwa 6-7 Prozent, seither sind die Werte wieder auf etwa zehn Prozent gestiegen – obwohl sich viele Medien mittlerweile gegen sie richten. Das ist weder Grund zur Panik noch zur Beruhigung. Die Faschos haben ein begrenztes Wählerpotential und können ihre staatlich überwachte Funktion nicht überwinden. Aber gerade darin liegt ihre Gefahr: Die systemische Rolle der Faschos zielt auf die Verbreitung von Angst und Disziplin in der Arbeiterklasse. Sie könnten auch für eine Strategie der Spannung benutzt werden.

In den Polizeikräften gibt es viele Wähler, Mitglieder und aktive Sympathisanten der Goldenen Morgenröte. Bei den letzten Wahlen haben in Athen bis zu 50 Prozent der Bullen faschistisch gewählt. Die heutigen Bullen sind durch die gesellschaftliche Entwicklung der 90er Jahre geprägt, sie waren ausführendes Organ der brutalen Illegalisierung migrantischer Arbeit. Zur ideologischen Nähe kommt die lange Zusammenarbeit, man kennt die paramilitärischen Gruppen der Faschos schon lange vom Vorgehen gegen Demos.

Bis zu welcher Ebene die Kontakte gingen, zeigte die nach dem Mord an Pavlos einsetzende Repression: Einige örtliche Polizeichefs wurden festgenommen, die zwei höchsten Polizei-Offiziere des Landes mussten zurücktreten, weitere acht hohe Offiziere wurden strafversetzt, darunter die Leiter der Abteilungen »Sondereinsätze«, »organisierte Kriminalität« und »Explosivstoffe«.

Aber der Wind hatte sich schon vor dem Mord gedreht. Die internationale Presse verurteilte die rassistische Gewalt in Griechenland. Das us-Außenministerium gab eine Reisewarnung wegen der Neonazigefahr aus. Im Oktober 2012 berichtete cnn über die Gewalt der Faschos gegen Afrikaner in Athen und über die 15 von den Bullen festgenommenen und gefolterten Antifas. Gerade die rassistische Polizeigewalt wurde immer mehr problematisiert: Ein Backpacker aus Südkorea wurde bei einer Straßenkontrolle in Athen verprügelt und rassistisch beschimpft; ein Tourist aus Neuseeland wurde in Chania verprügelt und festgenommen; ein Professor aus Indien, zu Gast bei der Wirtschaftsuniversität von Athen, wurde vor dem Unigebäude festgenommen, weil er keinen Reisepass dabeihatte. Die jeweiligen Botschafter legten Protestnoten ein, die griechische Regierung geriet unter Druck.

Seit dem Winter 2012 berichteten auch griechische Medien vermehrt über die »schlimmen« Seiten der Goldenen Morgenröte: Fotos vom Hitlergruß bei Kundgebungen, von ihren Tattoos und ihren ns-Symbolen usw. häuften sich. Auch regierungsnahe Zeitungen brachten erste oberflächliche Artikel über mögliche kriminelle Tätigkeiten der Partei oder einiger Mitglieder.

Die griechische eu-Präsidentschaft 2014 soll nicht von Faschos gestört werden, bei den Europa- und Kommunalwahlen im Mai 2014 sollen sie nicht allzu erfolgreich sein. Beides sind klassische Protestwahlen. Enttäuschte Nea-Dimokratia-WählerInnen könnten diese nationalistischen Lumpenfiguren mit ihren Nazitattoos und ihrem offensiv-paranoiden Blick ins Europaparlament wählen. Bei der zweiten Runde zur Bürgermeisterwahl in Athen könnte der Kandidat der Goldenen Morgenröte dem von Syriza gegenüberstehen. Kann eine Touristenmetropole einen rechtsradikalen Bürgermeister haben, der unter anderem live im Fernsehen eine Abgeordnete der kke verprügelte?

Diese Diskussionen führten auch zu ersten Reaktionen der Polizei. Hin und wieder wurde nun auch ein Fascho verhaftet – meist blieben ihre Aktionen aber weiterhin folgenlos.

Staatlicher Antifaschismus

Nach dem Mord an Pavlos Fyssas begann der Staat, ernsthaft gegen die Goldene Morgenröte vorzugehen und sich als der bessere »Antifaschist« darzustellen. Dass man gegen die Faschos vorgeht, die »politischen Kinder« des griechischen Notstandsstaats, ist keine Überraschung – der Anlass, ein Mord an einem linken Rapper, zunächst schon. Zwischen Januar 2012 und April 2013 wurden vier Menschen aus rassistischen Gründen ermordet; über 135 wurden verletzt. Das löste keinen staatlichen und medialen Antifaschismus aus. Aber der Mord an Pavlos geschah im engen zeitlichen Zusammenhang mit zwei anderen wichtigen Ereignissen.

Angriff auf die institutionelle Linke: Als Erstes gab es einen organisierten Angriff der Goldenen Morgenröte in der Nacht des 12. September 2013 im Hafenviertel von Perama. Etwa 50 Leute gingen mit Knüppeln auf kke- und pame-Mitglieder los, die in der Nähe der Werften plakatierten, darunter auch der Vorsitzende der Metallgewerkschaft. Perama ist eine Gegend mit sehr hoher Arbeitslosigkeit und eine Hochburg der kke und ihrer Gewerkschaft pame. Der offene Angriff auf eine bürgerliche, parlamentarische Partei wie die kke zeigt die Selbstüberschätzung der Goldenen Morgenröte.

Angriff auf die institutionelle Rechte: Am 15. September marschierten Mitglieder und Abgeordnete der Goldenen Morgenröte bei der jährlichen Kundgebung für die Opfer des Bürgerkriegs (1946-49) auf und störten sie. Die Kundgebung ist eine wichtige Gedenkveranstaltung der politischen Rechten in Griechenland. Als der Nea Dimokratia-Bürgermeister von Meligala seine Rede hielt, beleidigten die Faschos ihn heftig und übernahmen die Veranstaltung. Daraufhin verließ er zusammen mit anderen lokalen Würdenträgern die Kundgebung. Die Polizei griff nicht ein. Es war eine Machtdemonstration der Nazis.3

Der Mord an Pavlos Fyssas geschah am 17. September auf einer belebten Hauptstraße in der Vorstadt Keratsini nahe Piräus. Auch hier waren Bullen anwesend und haben nicht eingegriffen. Es war ein gezielter und koordinierter Angriff.

Mit dem Angriff auf die kke und der Machtdemonstration beim Gedenktag der traditionellen Rechten zeigte die Goldene Morgenröte, dass sie sich jetzt als echte Partei sieht, die Anspruch auf die Hegemonie in der Rechten erhebt und ihre Gegner offen angreift. Der Mord zeigt, dass sich die Faschos unangreifbar fühlten. Viele Kader hielten den von den staatlichen Institutionen gelassenen Raum für eigene Stärke und stellten ihre Arroganz und Gewalttätigkeit offen zur Schau. Sie drohten nicht nur auf der Straße aus dem Ruder zu laufen.

Am 22. Oktober stoppte das Parlament die staatliche Finanzierung der Goldenen Morgenröte. Darin waren sich alle Parteien einig, einschließlich Syriza. Zurzeit sitzen der Generalsekretär Michaloliakos, einige Abgeordnete und andere hochrangige Mitglieder im Knast. Hauptanklagepunkt ist »Aufbau einer kriminellen Vereinigung«, da die Goldene Morgenröte in letzter Zeit verstärkt versucht hatte, Bereiche der organisierten (und staatlich kontrollierten) Kriminalität zu erobern.

Die regierende Rechte in Gestalt der Nea Dimokratia hat eine extrem neoliberale Agenda durchgesetzt, sie braucht neben sich keine faschistische Partei mehr als Rechtfertigung, selber immer weiter nach rechts zu rücken. Deshalb attackiert sie die (von ihr zunächst selbst aufgebaute) Goldene Morgenröte. Und auch für den »tiefen Staat« gibt es mittlerweile Alternativen, falls er parlamentarische Reserven oder militante Straßenstrukturen gegen eine mögliche Dynamik von unten braucht. Bei Polizei, Militär, Security-Firmen, organisierter Kriminalität und in der rechten Szene findet sich ein großes Potential an geeigneten Personen.

Angriffe gegen links

Schon im August 2012 waren besetzte Häuser und Zentren geräumt worden. Seit dem Frühjahr 2013 wird das Verbot von selbstorganisierten Open-air-Konzerten und Soli-Partys mit Polizeieinsätzen durchgesetzt. Das zielt einerseits auf die sozialen Strukturen der antiautoritären Szene und andererseits auf selbstorganisierte Überlebensstrukturen der MigrantInnen.

Wenige Tage nach dem Mord und den ersten Razzien gegen die Faschos wurde die Gangart gegen links weiter verschärft. Die Justiz ermittelt nun gegen zehn AktivistInnen, die in Chalkidiki (Nordgriechenland) gegen den geplanten Goldabbau kämpfen, wegen »Bildung einer kriminellen Vereinigung«. Im Zuge dessen wurde bekannt, dass Telefongespräche der EinwohnerInnen, AktivistInnen, JournalistInnen und lokalen Syriza-Abgeordneten von der Polizei abgehört wurden.

Die Polizeipräsenz im Zentrum von Athen und die Kontrollen von MigrantInnen haben zugenommen. Fünf inoffizielle, selbstfinanzierte Moscheen in Agios Panteleimonas wurden geschlossen – Räume, wo asiatische MigrantInnen auch Griechisch-Sprachkurse machen.4

Demnächst beginnt das Verfahren wegen der Brandstiftung der Marfin-Bank während des Generalstreiks am 5. Mai 2010, bei der drei Bankangestellte getötet wurden. Gegen den einzigen Angeklagten aus der antiautoritären Szene gibt es laut seiner Verteidiger keinen wirklichen Beweis.

Im November wurde das monatelang besetzte Gebäude des ehemals öffentlichen Fernsehens (ert) in Athen geräumt. Die Schließung war die erste Massenentlassung im öffentlichen Dienst.

Polarisierung der Gesellschaft und Extremismustheorie

Das gleichzeitige Vorgehen »gegen rechts und links« hält die Extremismusdoktrin wach, die zusammen mit einer krassen Bürgerkriegsrhetorik jede politische Praxis (Streiks, Demos, Proteste) von unten entlegitimieren soll. Diese Doktrin kommt in Griechenland aus dem engsten Beraterkreis von Premier Samaras. Einige dieser Berater haben eine rechte Vergangenheit als Mitglied von Diktyo 21 (Netz 21). Dies war in den 90er Jahren eine Organisation von patriotischen Intellektuellen, Professoren, Journalisten, Rechtsanwälten, Geheimdienstlern und Politikern. Auch sonst nimmt Nea Dimokratia immer wieder rechtsradikale Politiker auf: erst kürzlich den heutigen Gesundheitsminister Georgiadis und Makis Voridis, beide waren zuvor Laos-Abgeordnete, Und wie Michaloliakos, der Generalsekretär der Goldenen Morgenröte, war Voridis in den 80er Jahren in der Jugendorganisation der diktaturfreundlichen Partei Epen.

Seit den Wahlen 2012 sind in den Regierungsparteien Nea Dimokratia und Pasok die Vertreter der rechten, nationalistischen und imperialistischen Flügel und des tiefen Staates an die Spitze der Fraktionen gerückt. Sie sind geprägt durch die 90er Jahre, die Kriege auf dem Balkan, die Zusammenarbeit mit Milošević, die Unterstützung von pkk und Öcalan und die antagonistischen – immer an der Schwelle zum Krieg stehenden – Beziehungen zur Türkei. Sie betreiben die neoliberale autoritäre Verwaltung der Krise ohne soziale Kompromisse. Die »liberalen« Fraktionen der Parteien wie der ehemalige Premier Papandreou sind heute abgemeldet. Nur Syriza wendet sich noch an die »Mitte«, also die enttäuschten Pasok-WählerInnen. Die regierenden Parteien brauchen keine »Mitte« mehr; sie setzen in der aktuellen sozialen Polarisierung auf Law and Order und die Verschärfung der sozialen Spaltung. Bei seinem Italienbesuch im Oktober sagte Samaras, es gäbe »in Griechenland so viele illegale Migranten wie Arbeitslose«, nämlich 1 300 000.

Gegen die Angst!

Der Staat ist durch seine »neue« Politik gestärkt worden und nun besser gerüstet, um Sicherheitspolitik, öffentliche Ordnung und neue Sparmaßnahmen durchzusetzen. Nicht nur die von der Krise betroffene Gesellschaft allgemein, sondern auch politisierte Gruppen und Leute haben die Angst und den Terror verinnerlicht. Die fundamentale Unsicherheit hat sich in letzter Zeit sogar noch ausgeweitet. Um gegen diese staatlich vermittelte Verwirrung und Verzweiflung vorgehen zu können, sollten wir uns zuerst die wirkliche politische Bedeutung der Ereignisse klarmachen:

Der politische Aufstieg der Faschos zur parlamentarischen Kraft und ihr (kurzzeitiger?) Fall ist nur ein Teil der staatlichen Aufrüstung und der wachsenden Macht von Mafiastrukturen. Die Faschos sind überwacht und abhängig von staatlicher Finanzierung sowie Tolerierung ihrer illegalen Geschäfte. Die politische Dominanz dieser materiellen Interessengemeinschaft wird an der heutigen Migrationspolitik, an den neuen Lagern, an den ertrunkenen MigrantInnen und an der sozialen Polarisierung insgesamt deutlich!

Der staatliche Antifaschismus schont die parastaatlichen Strukturen in Armee und Polizei. Früher oder später wird er sich gegen kämpferische, klassenorientierte Projekte und Kämpfe richten. Erste Anzeichen dafür gibt es schon. Die Medien stellen den antifaschistischen Kampf auf der Straße als identitären Konflikt zwischen der antiautoritären Szene und den Neonazis dar.

Linke Analysen erklären die Stärkung der griechischen Faschos oft vereinfacht damit, dass Verzweiflung und Verarmung die Menschen in die Hände der Faschos trieben. Teils behaupten sie auch, dass die Armen und Ungebildeten leichter Faschos werden, und im Umkehrschluss, dass relativ Reiche und Gebildete, von der Krise weniger Betroffene sich eher nach links wenden würden. Durch diese Auffassung kommt man leicht zu der gefährlichen Schlussfolgerung, dass Antifaschismus Aufgabe einer staatlich finanzierten Linken sei.

Die (Selbst-)Beschränkung des antifaschistischen Kampfes auf Identitätspolitik im Rahmen einer linksradikalen Szene führt schnell zu einer Marginalisierung, die der polizeilichen Repression und medialen Diffamierung Tür und Tor öffnet. Das gilt umso mehr für individuelle terroristische Aktionen, wie etwa die Schüsse am 1. November auf drei Nazis vor einem lokalen Büro der Goldenen Morgenröte, wobei zwei starben. Egal wer die Täter waren und was ihre Motive sind, diese Aktion nützt nur den Bullen und dem Repressionsapparat.

Naiv sind auch linke und pazifistische Vorstellungen, die letztlich auf den Rechtsstaat gegen die Faschos hoffen. Sie sind der Extremismusdoktrin bereits in die Falle gegangen. Proletarische antifaschistische Gewalt ist heute auf jeden Fall notwendig, besonders dort, wo linke Aktivitäten oder auch nur die Anwesenheit von Linken durch Faschos behindert oder bedroht werden. Wir dürfen den Faschos nicht das Gewaltmonopol überlassen.

Der faschistische und polizeiliche Angriff auf die MigrantInnen ist ein Angriff auf die gesamte Arbeiterklasse. Deswegen ist der Kampf gegen neofaschistische Strukturen nicht nur eine humanitäre, sondern auch eine Klassenfrage. Der Antifaschismus muss Teil der breiten Arbeiterkämpfe sein. Der Klassencharakter der Krise muss ebenso klar werden wie die grundsätzliche Ablehnung der nationalen Einheit zur »Rettung der Heimat«.

Ein solcher Antifaschismus bietet auch neue Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen und gegen die Individualisierung und Notstandsatmosphäre anzugehen. Multinationale Freundeskreise von Jugendlichen oder SchülerInnen, neue ArbeiterInnen unter neuen Arbeitsbedingungen, enttäuschte Linke .... können zusammenkommen. Das zeigen die positiven Reaktionen auf antifaschistische Initiativen und Aktionen auf der Straße, die von vielen »Unbeteiligten« (zumindest verbal) unterstützt werden. Der Aufbau von gegenseitigem Vertrauen stärkt das Gefühl kollektiver Kraft.

Nur die Einheit der Arbeitslosen, ArbeiterInnen und Verarmten kann sich den öffentlichen Raum wieder aneignen und die Angst im Alltag zerbrechen.

Antifaschismus heißt Klassenkampf!
Das Netzwerk von Faschos und Mafiastrukturen

Die Boulevardzeitung Proto Thema unterstützte im letzten Jahr die Goldene Morgenröte. Ihre berühmte Reportage über die von Nazis »beschützte« und zum Bankautomaten begleitete Oma stellte sich schnell als Ente heraus: Die Frau war die Mutter eines lokalen Mitglieds der Goldenen Morgenröte.

40 Prozent der Zeitung gehören dem Unternehmer Pallis, einem Unterstützer der Faschos. Dieser wird wegen Steuerflucht und Waffenhandels gesucht. Ihm werden der Import von 4000 Waffen und die Finanzierung der Goldenen Morgenröte vorgeworfen.

Die importierten Waffen waren aber nicht für die Goldene Morgenröte bestimmt, wie viele Journalisten glauben. Sondern sie sollten der organisierten Kriminalität zukommen, besonders für die Ausrüstung von Schutzdiensten für griechische Schiffe im Meer vor Somalia und ähnliche Einsätze privater Söldner. Da auch die Faschos Geschäfte in diesen Bereichen machen, ist es oft schwer, sie von der organisierten Kriminalität abzugrenzen.

Pallis arbeitete mit dem wegen Steuerflucht und Geldwäsche inhaftierten Reeder und ehemaligen Bankbesitzer Victoras Restis zusammen. Restis war offenbar der Hauptfinanzier der Goldenen Morgenröte und stand in Kontakt mit Dimitris Giovanidis, dem ebenfalls inzwischen inhaftierten ehemaligen Polizeichef von Nikaia, einem Arbeiterviertel im Westen von Athen. Unter der Aufsicht von Giovanidis war 2009 ein pakistanischer Migrant zu Tode gefoltert worden.

Die Bullen und die Faschos haben in Nikaia offen zusammengearbeitet; dies war das zweite Pilotprojekt zur staatlichen Förderung der Goldenen Morgenröte. Deren örtliche Zelle hatte viele Hooligans rekrutiert. Aus dieser Zelle und der aus Perama kamen die Mörder von Fyssas.

Nicht nur in Nikaia wurden Bullen verhaftet, auch am Ort des ersten Pilotprojekts Agios Panteleimonas wurde der lokale Bullenchef inhaftiert. In den Häusern und auf den Konten der Verhafteten wurden große Geldsummen und Beweise ihrer Aktivitäten gefunden: Faschos und Bullen betrieben die systematische Abwertung der Gegend zur Immobilienspekulation und erpressten Schutzgeld von migrantischen Kleinunternehmern und Straßenhändlern. Im Komplex Restis-Pallis-Giovanidis-Nikaia zeigen sich die Umrisse des griechischen Mafiakapitalismus.

english version

Fußnoten:

[1] Die »Villa Amalias« kommt aus der politisierten Punkbewegung, die in den 90er Jahren radikale kulturelle Fragen in die antiautoritäre Szene hineintrug. Seitdem war sie ein Kulturzentrum mit Konzerten, Theater, Veranstaltungen, Buchladen, aber auch ein Ort offensiver Antifa-Politik, vor dem die Nazis große Angst hatten. Die Villa war eine in ganz Athen bekannte linke Institution. In all diesen Jahren sind tausende Jugendliche vorbeigekommen und wurden indirekt politisiert.

[2] Zu Kämpfen in Griechenland gab es zahlreiche Artikel in der Wildcat, insbesondere seit Ausbruch der Krise 2008:

  • #60: Zum Streik der MüllarbeiterInnen in Griechenland – Brief eines kurdischen Genossen zur Situation von Flüchtlingen in Griechenland
  • #68: Oktober der Unzufriedenheit in Griechenland
  • #69: Griechenland: Tote auf den Olympia-Baustellen
  • #87: Griechenland: Chronologie der Krise – EU, Sparpolitik und die Linke – Kritische und erstickende Zeiten – Wir sind ein Bild der Zukunft
  • #88: Griechenland: Kein heißer Herbst?
  • #90: Krise der EU – Weiße Rosen aus Athen
  • #91: Griechenland: Einheit und Spaltung – Generalstreik gegen das vierte Sparpaket
  • #92: Griechenland: Fortgesetzte Angriffe, Riots und Streiks #94: Griechenland: Kämpfe in der Krise

[3] Athen ist vielleicht die einzige europäische Hauptstadt ohne offizielle Moschee, der Bau wird seit Jahrzehnten durch politischen Druck von lokalen Kirchenorganisationen, Politikern und Anwohnern verschoben.

[4] In Meligala wurden im September 1944, gleich nach dem Abzug der deutschen Besatzungstruppen, von der kommunistisch dominierten Widerstandsorganisation eam-elas zwischen 800 und 1400 Mitglieder der rechten »Sicherheitsbataillone« und anderer Gruppen exekutiert, die mit den Deutschen kollaboriert hatten. Meligala wurde deshalb zum Wallfahrtsort der griechischen Rechten, dort wird jährlich das »Festival des Hasses« veranstaltet. Dieses Festival diente zugleich als Machtdemonstration der jeweils herrschenden Rechten: In der Nachkriegsära bis zur Militärdiktatur 1967 den patriotischen und königstreuen Antikommunisten, dann den Obristen und nach dem Fall der Junta der neue reche Sammlungspartei Nea Dimokratia.

 
 
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