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17.03.2016

Südafrika: Studentenproteste

Vorbemerkung 15.3.2016

Auch im neuen Jahr sind die Kämpfe an den Unis in Südafrika nicht abgebrochen: im Januar fanden vereinzelt Proteste oft zu Anlässen wie zentralen Einschreibungs- oder Prüfungsterminen statt. Die TU Kapstadt ließ ihre zentralen Prüfungen deshalb auf dem Militärstützpunkt durchführen, auf dem die Prüfungen auch 1976 (!) stattgefunden hatten.

Seit Mitte Februar entwickelt sich an den meisten Universitären eine neue Protestwelle1; die Themen sind weitgehend die im Artikel beschriebenen:

  • Schuldenerlass
  • kostenlose Universitäten
  • bessere Studienbedingungen
  • bezahlbare Wohnungen2

Parallel dazu setzen auch die ArbeiterInnen an den Unis ihre Kämpfe für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen fort. Sie wollen direkt durch die Unis angestellt werden, da man dann oft das Doppelte verdient. ArbeiterInnen und StudentInnen kämpfen meist gemeinsam. Oft kommt es dabei zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und Sicherheitsdiensten der Unis.

Bisher hat sich allerdings wenig geändert: die Universitäten sind überbelegt und unterfinanziert, viele haben ihre Zusagen aus dem letzten Jahr noch nicht umgesetzt. Dass sich kurzfristig viel verändert ist angesichts der schweren Krise, in der sich Südafrika befindet, eher unwahrscheinlich.

Es wird sich zeigen, wie die kämpfenden StudentInnen und ArbeiterInnen auf diesen Stillstand reagieren.

aus: Wildcat 99, Winter 2016

»Students must fall«3

Die soziale Situation Südafrikas verschärft sich immer weiter. Zu den chronischen Problemen mit der Stromversorgung kommt seit einigen Wochen eine massive Wasserknappheit, ausgelöst durch eine langanhaltende Dürre. Das hat zu starken Ernteausfällen geführt, zum ersten Mal seit sieben Jahren muss mehr Mais importiert werden, als exportiert wird. In Großstädten wie Johannesburg wird das Wasser inzwischen rationiert. Dazu kommt die wirtschaftliche Krise. Im Dezember wurde das Rating von Südafrika von Agenturen auf eine Stufe über Junk gesenkt, kurz danach entließ Staatspräsident Zuma in nur wenigen Tagen zweimal den Finanzminister, und die Börsenkurse stürzten dramatisch ab. Die Regierung steht von allen Seiten unter massivem Druck.

In dieser Situation entwickelte seit Oktober sich die größte Studentenbewegung seit 1994, die auch international wahrgenommen wurde. An allen größeren Universitäten gingen StudentInnen auf die Straße und forderten kostenloses Studium – gegen eine Ankündigung der Regierung, die Studiengebühren um zehn bis zwölf Prozent zu erhöhen. Die Studenten koordinierten sich landesweit und trafen sich auch immer wieder außerhalb der Unis, der Betrieb aller 23 Universitäten lag für knapp zwei Wochen lahm. Wie viele StudentInnen an den Protesten aktiv beteiligt waren ist schwer zu schätzen, die Zahl wird wahrscheinlich irgendwo zwischen hunderttausend und fünfhunderttausend liegen.

Vorausgegangen waren Proteste unter dem Slogan »Dekolonisierung«. Im März hatte ein Student der Uni Kapstadt eine Statue des Kolonialisten und Industriellen Cecil Rhodes mit Exkrementen überschüttet, die er aus seinem Township mitgebracht hatte. Nachdem sich viele Studis der Aktion angeschlossen hatten, wurde die Statue abgerissen. In einer Erklärung sprachen StudentInnen davon, dass »die Verfassung nur ein Dokument zum Erhalt des Status Quo ist«. An der Universität Stellenbosch forderten andere unter der Parole »ein Land, eine Sprache«, die Vorlesungssprache solle Englisch und nicht mehr Afrikaans sein.

Daneben gab es wie in den vorigen Jahren viele Proteste und Riots an den Universitäten, in denen es vor allem um die Bedingungen der Immatrikulation oder um Zwangsexmatrikulationen ging.

Die Bewegung gegen die Studiengebühren entwickelte sich kurz vor der Prüfungsphase und war deshalb recht wirkungsvoll. Die Schließung der Universitäten bedrohte den gesamten Uni-Betrieb. Deshalb ruderte die Regierung schnell zurück und nahm die Gebührenerhöhung für das nächste Jahr zurück. Damit waren die großen Demonstrationen erst einmal vorbei. Allerdings waren bereits in den Tagen vor Zumas Einlenken erste Brüche sichtbar geworden: Zwei Tage nach einer Demo mit 20 000 Menschen in Kapstadt kamen zu einem offenen Planungstreffen nur wenige hundert, und viele drückten ihre Angst aus, dass die Proteste ihre akademische Karriere gefährden. Es kam zu einem offenen Konflikt mit der Fraktion, die vertrat, dass es um freie Bildung gehe und StudentInnen und ArbeiterInnen zusammen kämpfen sollten. Am selben Tag unterschrieben angeblich »Tausende« in Kapstadt eine Petition, die Proteste zu beenden.

Seitdem gibt es immer wieder aufflackernde kleinere und größere Proteste, aber sie sind jetzt klar die Proteste einer Minderheit. Damit ändern sich auch die Themen: Die Arbeitsbedingungen an den Unis rücken in den Vordergrund. Viele der dort Beschäftigten hatten sich durchgängig an den Protesten beteiligt – ohne dass ihre Forderungen wahrgenommen worden wären. Nun aber wurde der Kampf gegen das »Outsourcing« von Tätigkeiten wie Hausmeistern, Reinigung und Küche in den Fokus gerückt – und damit überhaupt die Arbeitsbedingungen.

Auch diese Proteste zeigen Wirkung: Die Universität Witwatersrand konnte erst Anfang November den Lehrbetrieb wieder aufnehmen, nachdem die Verwaltung erklärt hatte, das Outsourcing »prinzipiell« zu beenden und auch auf die anderen Forderungen der Studenten einzugehen. Die Universität Johannesburg unterschrieb eine Einigung mit der Dienstleistungsgewerkschaft NEHAWU, in der sie ein »Insourcing« verspricht. Und am 29. November erklärte die Universität Westkap, dass alle outgesourcten ArbeiterInnen ab dem 1. Dezember eine monatliche Zulage von 2000 Rand erhalten und dieselben Studienrabatte für sich und ihre Familie bekommen wie Festangestellte. Im selben Zuge kündigte sie an, neue Instrumente zur Entschuldung von StudentInnen zu schaffen.

Die Entwicklungslinien

Proteste und Bewegungen an Schulen und Universitäten haben in Südafrika eine lange Geschichte, sie waren ein wichtiger Teil des Anti-Apartheidskampfes und auch nach 1994 gingen die Proteste durchgängig weiter.

Seit 1994 hat sich die Zahl der Studierenden verdoppelt, von 495 356 in 1994 auf 938 201 in 2011. Gleichzeitig hat die Regierung die Finanzierung der Universitäten in den letzten Jahren nicht im selben Maße erhöht, die Unis sind immer mehr auf andere Geldquellen angewiesen: Studiengebühren, Spenden und Drittmittel, sowie Einnahmen aus Gebühren. Das hatte zur Folge, dass nur 15 Prozent der StudentInnen einen Abschluss machen (so eine Untersuchung des Bildungsministeriums von 2011).

Die Universitäten erfüllen zwei Funktionen, als legitimer Weg des gesellschaftlichen Aufstiegs für einzelne, als Sozialstaatsersatz für viele. Immatrikulierte Jugendliche können sich und ihre Familien durch Stipendien und Kredite zumindest für eine gewisse Zeit versorgen.

Weil aber viele tausend Jugendliche dadurch hoch verschuldet sind und merken, dass sie keine Chance haben, das Studium erfolgreich abzuschließen, kommt es oft zu Protesten und Riots; Auslöser sind die Exmatrikulation von Studenten wegen zu hoher Schulden, die Organisation der Lehre und die immer weiter steigenden Studiengebühren. Die Bewegung im Oktober war deshalb so massenhaft, weil viele StudentInnen schon vor den Prüfungen wussten, dass sie wegen ihrer Leistung oder finanziellen Situation kaum noch die Aussicht auf einen Abschluss haben. Ihre Probleme prägten die Forderungen der Bewegung: Erlass aller Schulden; Abschaffung der Registrierungsgebühren; Änderung der Einschreibedauer von einem Semester auf ein Jahr; weiter studieren können, auch wenn man mit den Studiengebühren im Rückstand ist, oder allgemeiner: Abschaffung von Studiengebühren.

Solange die Studenten Studenten bleiben...

Insgesamt zeigte sich auch in dieser Bewegung (wie in vielen anderen weltweit), dass viele Studenten mit ihrem Studium den individuellen Anspruch auf gesellschaftlichen Aufstieg verbinden. Sie sind an diesem Punkt einer Meinung mit dem Staat, der nach 1994 ein Programm zur »Transformation« entwarf mit dem Ziel, allen »begabten« Jugendlichen Zugang zur höheren Bildung zu verschaffen und ihnen so den sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Viele StudentInnen sehen formale Bildung als Möglichkeit, miserable Lebensbedingungen hinter sich zu lassen; sie kritisieren nicht das Ziel, sondern nur den Weg dorthin, d. h. das schlecht funktionierende Unisystem.

Deswegen unterscheiden sich die Reden und die dahinter stehenden Vorstellungen von »Dekolonisierung« und »Transformation« vieler StudentenführerInnen nicht groß von den Positionen der Regierung und der Medien, die Auseinandersetzung geht eher darum, welche Formen »zulässiger« Protest haben darf und was zur Zeit »realistisch« ist. Es bleibt am Ende eine Idee von »Transformation« durch individuellen Aufstieg. Deshalb konnten politische Parteien (vor allem der ANC (!) und die EFF) in den Protestversammlungen immer wieder Einfluss gewinnen. »Radikalere« Forderungen wie »freie Bildung« konnten sich bei der Mehrheit der Beteiligten nicht durchsetzen.

Aber dieser massenhafte Ausdruck des Unmuts an den Universitäten hat ein viel tiefer gehendes gesellschaftliches Potential. Er hängt mit vielen sozialen Problemen zusammen, vor allem mit Armut und Ungleichheit, besonders im ländlichen Raum. Wer es von dort bis an die Uni geschafft hat, weiß um seine Verpflichtungen gegenüber der erweiterten Familie. Die Protestierenden haben aus den vorigen Bewegungen gelernt, dass sie ihre Forderungen schneller durchsetzen können, wenn sie »bildungspolitisch« und nicht »sozial« argumentieren; das ist die größte Grenze der Bewegung und erklärt, warum die Proteste auf die Universitäten begrenzt geblieben sind.

Im Unterschied zur südafrikanischen Schülerbewegung der 80er Jahre stellen sie das Bildungssystem nicht als solches infrage. Damals wurde die Schule als konterrevolutionär und verdummend bekämpft, der Schulboykott dauerte so lange, dass ein großer Teil nie einen Abschluss machte. Die Schüler zerstörten die Schulgebäude und gingen zu den Fabriken und auf die Straßen, um dort gegen den Staat und die Unternehmer zu kämpfen.

Trotz allem ist es für südafrikanische StudentInnen leichter als für viele ihrer KommilitonInnen weltweit, Kontakte zu ArbeiterInnen zu knüpfen. Denn viele der Putzfrauen, Köche und Hausmeister sind nur etwas ältere MigrantInnen mit derselben Herkunft wie ein Teil der StudentInnen selbst; viele haben ein Studium abgebrochen, viele kommen aus denselben Townships. Seit dem Ende der Apartheid sind Studentenproteste deswegen geprägt vom Zusammenkommen mit den Uni-Beschäftigten.

Auf die Schulen hat sich die Bewegung dagegen nicht ausgeweitet, obwohl es immer wieder Proteste und Riots von SchülerInnen gibt. Und auch LehrerInnen wehren sich. Grundschullehrer haben im September den jährlichen Vergleichstest boykottiert, weil diese Tests den SchülerInnen nichts bringen. Die dort gewonnenen Punkte seien nur für die Behörden von Belang. Die Schulbehörde hatte den Test für Anfang Dezember erneut angesetzt. Die Regierung hat bisher keine Zahlen veröffentlicht, aber es ist klar, dass der Test in einem großen Teil der Schulen nicht geschrieben wurde. Bisher haben sich aber weder andere Lehrer und Professoren, noch die SchülerInnen und Studenten auf diese Proteste bezogen. Stattdessen hat sich der Congress of South African Students, eine der großen Schüler- und Studentenorganisationen für die Tests ausgesprochen, offiziell, weil er die Bildung verbessere, aber auch, weil diese Art formalisierter Tests leichter zu bestehen sind, und so den Weg zum Abschluss erleichtert...

Der Staat und das Kapital mit dem Rücken zur Wand

Mit dem Verzicht auf die Erhöhung der Studiengebühren zeigte die Regierung ein weiteres Mal einem Protest gegenüber Schwäche; in diesem Jahr hatte sie schon die Löhne im öffentlichen Dienst um über zehn Prozent erhöht, und in vielen kleineren Konflikten nachgegeben. Die die Streiks und Proteste weiten sich immer weiter aus. Die Kämpfe verhindern nicht nur die Austerität, sondern treiben die Regierung sogar zu massiv erhöhten Ausgaben – wobei nicht klar ist, wo das Geld dafür herkommen soll.

Derweil gehen die Privatisierungen ungebrochen weiter, in der Rohstoffindustrie stehen alle Zeichen auf Krise. Die Entlassungen häufen sich, sowohl in den Bergwerken, als auch in staatlichen Betrieben wie der Telekom. Die großen Platinkonzerne drohen mit der Stilllegung vieler Bergwerke und ihrer Verarbeitungskette. Lonmin hat durch solche Drohungen seine Aktionäre und Banken dazu gebracht, weitere 707 Millionen Dollar zur Verfügung zu stellen, und danach die meisten angedrohten Entlassungen zurückgenommen.

Proteste Januar bis März 2015

11.3. Streikende ArbeiterInnen blockieren und verwüsten die Stellenbosch Universität in Kapstadt.

8.3. Die Tshwane University of Technology in Gauteng stellt den Betrieb bis April ein, weil der Lehrbetrieb andauernd durch Proteste gestört wird.

5.3. In Limpopo wird während Elternprotesten das Gebäude einer Grundschule angezündet.

1.3. Riot von Arbeiterinnen und StudentInnen nach Demonstration für die Abschaffung der Studiengebühren und das Ende des Outsourcings an der Tshwane University of Technology in Pretoria.

25.2. Riot in Durban nach einer Demonstration für das Ende des Outsourcings.

21. - 24.2. Proteste an der Universität Westkap in Kapstadt gegen Outsourcing und Repression.

24.2. Mafikeng: North-West University wird vorerst geschlossen, da in Protesten ein Fahrzeug des Sicherheitsdiensts und mehrere Verwaltungsgebäude und eine Hausmeisterwohnung abbrannten, nachdem Polizei und Sicherheitsdienste eine Versammlung angegriffen hatten.

22.2. Streikende ArbeiterInnen und StudentInnen blockieren die Universität von Kwazulu-Natal, Forderung: Ende des Outsourcings.

22.2. Die TU Durban wird durch Proteste von StudentInnen blockiert.

22. - 24.2. Die Universität von Free State muss geschlossen werden, nachdem die Blockade eines Rugbyspiels durch schwarze ArbeiterInnen und StudentInnen von den Rugbyspielern und weißen StudentInnen angegriffen wurde.

22.2. Streikende Reinigungskräfte der Universität Westkap besetzen ein Verwaltungsgebäude.

19. - 25.2. Nach einer Woche von Protesten und Demonstrationen schließt die Universität Pretoria zwei Standorte für eine Woche, weil die Proteste gegen Afrikaans als Unterrichtssprache immer heftiger werden, und es vermehrt zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam.

16.2. Kapstadt: In einem Protest wegen fehlender Studentenwohnungen (und die Bevorzugung von ausländischen GaststudentInnen bei der Vergabe) werden Gemälde, Busse und Autos angezündet.

19.1. In Port Elisabeth blockieren Eltern 52 Schulen, um die Einstellung von mehr LehrerInnen zu erzwingen.

16.1. Die Universität Kapstadt führt ihre Examensprüfungen auf einer Militärbasis durch, um eine Blockade zu verhindern.

13.1. In Pretoria bringen tausende ArbeiterInnen mehrere Universitäten durch Streik zum Stillstand.

11.1. An den Unis in Johannesburg wird die Einschreibung unterbrochen. Forderungen: Keine Einschreibegebühren, kostenloses Studium und Schuldenerlass.

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Fußnoten:

[1] Einen Überblick findet ihr in der Liste einiger Proteste in diesem Jahr am Ende des Artikels.

[2] Laut einer Studie von 2015 über die Wohnstituation an neun Universitäten gab es für 140000 BewerberInnen 68000 Plätze in Wohnheimen; eine Wohnung in der Nähe ist unbezahlbar, deshalb pendeln viele aus weit entfernten Vierteln.

[3] Minister als Reaktion auf die Proteste, in Anlehnung an das Motto der Studenten »Fees must fall«

 
 
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