Wildcat-Zirkular Nr. 1 - Februar 1994 - S. 59-80 [z01bello.htm]


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Plan, Kapital, Demokratie

Die Begriffe einer Debatte [1]

Riccardo Bellofiore (aus: altre ragioni 1, Mailand 1992)

»Und was machen wir jetzt?«, haben sich viele gefragt, als das Erdbeben im Osten schließlich die Sowjetunion erreicht hatte. Eine Antwort auf diese Frage ist schwierig, vielleicht unmöglich. Bevor man etwas sagen kann, muß man natürlich erst mal nachdenken, aber die Kluft zwischen den Begriffskategorien und den Tatsachen erscheint so tief, daß einem nur die Zuschauerrolle übrigzubleiben scheint, was einen harten Schlag für den traditionellen Gerechtigkeits- und Solidaritätssinn der Linken darstellt. Im Osten sind die Länder des entwickelten, freien und reichen Westens ein Idealbild; sie verkörpern die Vorstellung eines Kapitalismus der freien Marktwirtschaft, in dem jeder nach seinen Fähigkeiten belohnt wird und in dem die Ungleichheit der unumgängliche Preis für Leistungsfähigkeit und Wohlstand ist. Auch die verblaßten Errungenschaften des keynesianischen Reformismus und des Wohlfahrtsstaats fallen in Ungunst, wie alles, das nicht »privat (organisiert)« ist. Im Westen sehen die Wenigen, die weiterhin glauben, daß die Geschichte in der Welt der Ideen aber auch in der der Gesellschaft weitergeht, sprachlos dem Zusammenbruch eines Gebäudes zu, das, so autoritär es auch gewesen sein mag, wenigstens dem Namen nach die Überreste des Traums von einer anderen, nicht auf Konkurrenz beruhenden und egalitären Gesellschaft in sich trug.

So gut wie überall ist die »zweite Revolution« im Osten als endgültige Bestätigung der liberalen Thesen angesehen worden, nach denen das Privateigentum, der freie Markt, die Teilung in Arme und Reiche die Voraussetzungen für die wirtschaftliche Entwicklung und die politische Freiheit sind. Diese Ungleichheit sei die Triebfeder für das ununterbrochene Wachstum des Reichtums und vielleicht auch eine Folge jener Rechte, die den Kern der Demokratie ausmachen. Und das ist noch nicht alles: die Ideale der Linken, die Unabhängigkeit (Autonomie) und die soziale Gerechtigkeit, seien, insoweit sie auf menschliche Art erreicht werden können, nichts anderes als eine Folge jenes so verhaßten Kapitalismus. Die Autonomie/Unabhängigkeit, weil der Marktindividualismus dafür sorgt, daß jeder »seines Glückes Schmied« ist, soweit er das will und kann. Die soziale Gerechtigkeit, weil es denen, »die unten sind«, in einer (Wachstums-)Gesellschaft, die sich ausdehnt und die die »formellen« Freiheiten garantiert, trotzdem besser geht als in einem nur dem Namen nach egalitären System (das in Wirklichkeit von einer Bürokratenkaste beherrscht wird), in dem sie von einer Leistungsunfähigkeit der Wirtschaft eingeschlossen sind, durch die im besten Fall nur die Armut verteilt wird (wobei in Wirklichkeit der Wohlstand sinkt), und die die Abschaffung der Demokratie als echte Freiheit ausruft (wobei in Wirklichkeit mit politischem Terror regiert wird). Und schließlich wird uns gesagt, daß sich die Ungleichheit unter den Menschen von selbst auflöst, sobald der wirtschaftliche Fortschritt in Bewegung gekommen ist und seine schlimmsten Auswirkungen mindert. Wenn die Dinge so stehen - und wie ich zeigen werde, stehen sie in einer gewissen Weise wirklich so: das ist ein gar nicht so unwichtiger Teil der Wahrheit - dann scheint da kein Platz mehr für die Linke zu sein, nicht einmal im Sinne von antikapitalistisch, sondern schon für eine auch nur ganz gemäßigte reformistische Linke.

Wer angesichts dieser Situation auf den Lobgesang des Kapitalismus und die dazugehörige Todeserklärung des Kommunismus antworten will, hat fast automatisch den Reflex, daß er darauf hinweist, daß die Unterscheidung zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern in der gegenwärtigen Gesellschaft bestehen bleibt, obwohl zugegebenermaßen eine andere Gesellschafts- und Wirtschaftsform nicht zu verwirklichen sei; er betont, daß es Ungleichheit gibt, wenn es auch unmöglich sei, den Kapitalismus zu überwinden. In dieser Art von Reaktion verbirgt sich ein dreifaches Mißverständnis oder besser gesagt ein einziges Mißverständnis in dreifacher Form. Das erste Mißverständnis besteht darin zu glauben, es sei ausreichend, sich auf die offensichtlichen Tatsachen zu berufen, um die Ungleichheit Ausbeutung zu nennen: also etwas, das zu bekämpfen ist, auch wenn man jetzt nicht in der Lage dazu ist. Was mich betrifft, so bin ich im Gegenteil überzeugt, daß es da Begriffskategorien, eine regelrechte Theorie braucht, um die Ungerechtigkeiten und die Grenzen der gegenwärtigen Gesellschaftsorganisation zu begründen; eine Theorie, die in der Lage ist, die Möglichkeit, und vielleicht gar die Notwendigkeit, einer radikalen Veränderung zu begründen. Dabei sind es gerade die Begriffskategorien, gerade die Theorie, die auf bis jetzt ungelöste Schwierigkeiten gestoßen sind: so muß man auf jeden Fall die Beziehung zwischen der Krise der Theorie und den Schwierigkeiten der Praxis der - wie sie sich einst nannte - Arbeiterbewegung untersuchen, denn es gibt da zweifellos einen Zusammenhang. Das zweite Mißverständnis ist, daß heute so etwas wie eine moralische Kritik am Markt ausreiche, wobei nicht ganz klar ist, in wessen Namen diese Kritik ausgeübt wird: mit dieser Position landet man unweigerlich bei der Akzeptanz des gegenwärtigen Zustands, wenn man sich wirklich das Problem »Was tun?« stellt, oder man zieht sich auf eine elitäre Kritik zurück, vielleicht sogar - ich sage das ohne jeden laizistischen Kitzel - unter die Hegemonie des antibürgerlichen Katholizismus. Das dritte Mißverständnis ist, daß man, oft im Gegensatz zu den eigenen Absichten, sich zum Glauben an die Ideale, wenn auch nicht an die Praxis, des Kommunismus bekennt, was schlußendlich darauf hinausläuft, die zentrale Frage der Natur der Planwirtschaft und der Ursachen für den Zusammenbruch des realen Sozialismus beiseite zu lassen, womit man schlußendlich die Argumente der liberalen Kritik unbeantwortet läßt. Damit verläßt man das Terrain der inhaltlichen Auseinandersetzung und reduziert alles auf eine Frage der Kräfteverhältnisse. Wobei man sich dann nicht wundern muß, daß dies in einer Phase, in der sie ungünstig sind, bedeutet, sich allein darauf zu beschränken, Zeugnis von den eigenen Vorstellungen abzulegen.

In diesem Text will ich versuchen, auf der mir vertrauten Ebene der Auseinandersetzung - der Reflexion über Theorie und die ökonomischen Fakten - einige Überlegungen gegen die keineswegs oberflächlichen Argumente der Lobsänger des freien Marktes zu entwickeln: diese Gegenargumentation enthält jedoch, das will ich gleich unterstreichen, eine tiefgreifende Infragestellung eines großen Teil der »überlieferten Lehre« der marxistischen und nichtmarxistischen Linken. Ich werde die drei zentralen Punkte der liberalen Argumentation nacheinander angehen: die Frage der Unmöglichkeit einer effizienten Planung, also das Verhältnis zwischen Privatbesitz und Markt; die These, nach der das Wirtschaftswachstum unter Bedingungen des laisser faire am stärksten ist, also die angeblich fehlende Verbindung zwischen Plan und Kapital; die Annahme, nach der der Kapitalismus die notwendige und vielleicht gar die hinreichende Voraussetzung der Demokratie sei, also die Beziehung zwischen Kapital und Freiheit.

Meine Überlegungen werden sich auch nicht auf die Erfahrungen im Osten, zu der ich einige Schlußfolgerungen ziehen werde, beschränken, sondern vor allem auch den Charakter und die Dynamik der Marktkapitalismen einbeziehen: diese, oder wenigstens ihr idealisiertes Abbild, werden nämliche gerade zum Modell erhoben. Ich werde die Hypothese vertreten, daß - im Gegensatz zu dem, was heute als selbstverständlich angenommen wird, aber in Einklang mit einer unvoreingenommen Analyse des realen Kapitalismus - dieser aus einer besonderen Kombination von Planung und Konkurrenz lebt: es ist kein Zufall, daß die dynamischsten Marktwirtschaften auch die mit der weitestgehenden Planung sind. Ich werde auch argumentieren, daß die Demokratie keineswegs eine Folge des Marktes ist, sondern dem Kapital gerade von jenen »unverträglichen« sozialen Konflikten aufgezwungen wird, die in der Vergangenheit einer der wichtigsten Faktoren der wirtschaftlichen und politischen Modernisierung waren. Heute ist jedoch vielleicht gerade dieser circulus »virtuosus« in Frage gestellt: diese Kontinuität zwischen Entwicklung der Produktion und Entwicklung der Gesellschaft - die natürlich immer mit Problemen verbunden war, aber »auf lange Sicht« real war -, auf der die Linke für lange Zeit ihre Erfolge gegründet hat, und die heute anscheinend ins Gegenteil umgeschlagen ist.

1. Plan und Markt: erste Halbzeit

Wer sich auch vor nur dreißig Jahren in die Literatur über die sowjetische Planwirtschaft vertieft hätte, wäre auf ganz andere Urteile als auf die heute gängigen gestoßen. Ich beziehe mich natürlich nicht auf die marxistischen, sondern auf die damals herrschenden Schulen und vor allem auf den »Bastard«-Keynesianismus, der damals in Mode war: also jene Synthese aus einerseits neoklassischer Theorie, die die These vertrat, eine Marktwirtschaft mit perfektem Wettbewerb wäre in der Lage, Leistungsfähigkeit mit gerechter Verteilung zu verbinden und »automatisch« die Vollbeschäftigung zu erreichen, und andererseits die keynesianische Wirtschaftspolitik, die demgegenüber auf die Notwendigkeit hinwies, die strukturellen »Starrheiten« zu überwinden, die die reale Wirtschaft vom abstrakten Optimalmodell abweichen ließen.

Genauso wie heute das bestehende System gefeiert wird, indem man auf das Scheitern der Planwirtschaft als nachträglichen Beweis für den Fehlschlag eines schon immer unmöglichen Experiments hinweist, wurden damals die gewaltigen Wachstumsraten der schwach und rückständig aus dem ersten Weltkrieg hervorgegangenen Sowjetunion hervorgehoben und die Tatsache, daß sie dank einer beschleunigten Industrialisierung zur zweiten Weltmacht geworden war, daß sie nicht nur militärisch der nazistischen Aggression standgehalten habe. All dies schien zu bestätigen, daß die zentrale Planung und das Nichtvorhandensein eines Marktes ein durchaus geeignetes Mittel wäre, um das sicher nicht nebensächliche Problem zu lösen, eine Volkswirtschaft aus der Unterentwicklung heraustreten zu lassen. Ich werde noch auf den (scheinbaren?) Erfolg der Planung unter Stalin, und auf die darauf folgende (endgültige?) Krise der Dezentralisierungsversuche zu sprechen kommen. An dieser Stelle ist es mir wichtig hervorzuheben, daß diesem sozusagen empirischen Urteil auch auf der Ebene der Theorie eine breite Zustimmung entsprach, nach der etwa die liberale Kritik an der Möglichkeit eines effizienten Modells von Planwirtschaft, wie sie damals zuerst von Ludwig von Mises und dann von Friedrich von Hayek geäußert wurde, als ungerechtfertigt abgetan wurde.

Von der Debatte über die Planwirtschaft erzählte man sich in den fünfziger und sechziger Jahren folgendes: [2] Mises hatte 1920 in einem Artikel, dem wenige Jahre später ein Buch folgte, die sozialistischen Volkswirtschaftler mit der Behauptung »herausgefordert«, die rationale Planung wäre theoretisch unmöglich. Diese Behauptung ging von der Annahme aus, daß es das ökonomische Problem jeden Typs von Gesellschaft sei, bei gegebenen beschränkten Ressourcen und gegebener Alternativen zur Befriedigung/Erfüllung der Ziele des Systems, die höchstmöglichen Resultate zu erreichen, und daß dieses Problem nur durch eine rationelle Berechnung der relativen Knappheit der Ressourcen möglich sei. Seine Schlußfolgerung war, daß einer Volkswirtschaft, so wie sie sich Marx vorgestellt und wie sie die Bolschewiken verwirklicht hatten, in der es kein Geld und keinen Tausch und folglich also auch keinen Privatbesitz und keinen Markt gab, ein System der echten und nicht willkürlich festgesetzten relativen Preise fehle und damit die Berechnungsbasis für diese relativen Knappheiten. Auf diese Herausforderung antworteten in den dreißiger Jahren einige angelsächsische Volkswirtschaftler von hauptsächlich sozialistischer Herkunft. Die Hauptfigur ist der Pole Oskar Lange, der in der London School of Economics, in der Lionel Robbins und später Hayek unterrichteten, und in Harvard, wohin inzwischen Schumpeter gelangt war, studiert hatte. Politisch bezog sich Lange auf ein Gemisch aus konstruktivem Anarchismus, Zunft-Sozialismus und Austro-Marxismus. Die Befürworter der Rationalität der Planung beschränkten sich nicht darauf hervorzuheben, daß trotz der Kritik von Mises sich die Planwirtschaft nicht aufgelöst habe, sondern in der Tat in der UdSSR weiter existierte. Sie gaben sich auch nicht mit der Behauptung zufrieden, daß ja schon Lenin mit der Wiedereinführung von marktwirtschaftlichen Elementen und der »Neuen Ökonomischen Politik« einen Schritt zurück gegenüber dem »Kriegskommunismus« gemacht hatte, die unter den nachrevolutionären Bedingungen die Kommandowirtschaft des kapitalistischen Deutschland im Ersten Weltkrieg nachgeahmt hatte, gegen die Mises auf jeden Fall einige gute Argumente auf Lager hatte.

Ihre Antwort packte das Problem bei der Wurzel, indem sie behaupteten, daß in einem System mit Staatseigentum der Produktionsmittel grundsätzlich nichts der perfekten Simulation einer perfekten Konkurrenzwirtschaft im Wege stünde. Man müsse den Verbrauchern die freie Wahl auf dem Gütermarkt lassen und eventuell den Arbeitern die Möglichkeit, sich ihre Arbeit auszusuchen und in einem Prozeß von Trial and Error zentral die Preise der anderen Produktionsressourcen festlegen. Die Verwalter der öffentlichen Betriebe, denen man die Minimierung der Kosten und die Festlegung der Preise der Endprodukte aufgrund der Kalkulation der Grenzkosten aufzwingt (also die gleichen Kriterien wie in einer Marktwirtschaft, die von der Profitmaximierung reguliert wird und mit freien Einnahmen und Ausgaben), teilen dem Zentrum ihr Angebot und ihre Nachfrage von Produktionsfaktoren mit, und die Planungsbehörde ändert dann deren Preise, um Angebot und Nachfrage zur Übereinstimmung zu bringen. Langes theoretisches Modell einer effizienten Planung, das wohl das vollständigste einer ganzen Beitragsfamilie ist, beeindruckte die Volkswirtschaftler mit seiner großen, und gewollten, Ähnlichkeit mit der damals dominierenden Theorie, der neoklassischen Version des allgemeinen ökonomischen Gleichgewichts von Walras. Wie schon der italienische Volkswirtschaftler Enrico Barone, der 1908 das walrasianische Schema auf eine zentral gelenkte Wirtschaft angewendet hatte, vorausgesehen hatte, erschien Langes Modell wie eine Nachahmung der Effizienz des kapitalistischen Marktes, wie sie damals von der strengsten »bürgerlichen« Theorie dargestellt wurde, für eine sozialistische Wirtschaft, in der der etwas unrealistische Auktionator (durch den die Preise Angebot und Nachfrage übereinstimmen lassen) in der abstrakten Theorie des französischen Ökonomen einfach durch die Figur des Planers ersetzt wurde.

Wie schon erwähnt, hatte Hayek versucht, von vornherein derartigen Thesen entgegenzutreten, die die prinzipielle Möglichkeit der effizienten Planung vertraten, und die Thesen von Mises auf seinem eigenen Terrain als unbegründet abzutun, aber seine Position wurde damals als ein Rückzug vor der Attacke von Mises interpretiert. Man sagte, Hayek gebe zu, daß ein effizienter Sozialismus zwar rein theoretisch nicht unmöglich, aber nicht zu verwirklichen sei. Es sei kaum vorstellbar, daß der Planer ein derart kompliziertes System von Gleichungen, wie es das allgemeine wirtschaftliche Gleichgewicht verlangt, aufstellen und noch dazu lösen könne: die Schwierigkeit bestünde darin, die richtigen Daten zu erkennen, sowie die ganzen Berechnungen anzustellen, beides Probleme, die es auf den realen Märkten nicht gibt. Auf jeden Fall hätte der Prozeß der Annäherung an die richtigen Werte, wie Lange ihn sich vorstellte, soviel Zeit benötigt, daß er nicht mehr mit den realen wirtschaftlichen Vorgängen vereinbar wäre, was den Fortbestand und die Zunahme der Ineffizienz der Planung bestätige. Die Kritiken Hayeks erschienen so nebensächlich: die Probleme, die richtigen Daten herauszufinden und zu berechnen, hätten nach und nach mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung gelöst werden können; die zeitlichen Verzögerungen bei der Anwendung des Plans hätten erst einmal festgestellt werden müssen und wurden als wahrscheinlich geringfügig abgetan.

Dies schien also der Ausgang der Kontroverse zu sein. Auf theoretischer Ebene hatten die »Österreicher« auf ganzer Linie unrecht: eine effiziente Planung und also ein »rationeller« Sozialismus waren durchaus möglich. Diese Schlußfolgerung war um so überzeugender, da sie von einem der größten Theoretiker des Kapitalismus, der politisch felsenfest antisozialistisch und noch dazu selbst Österreicher war, akzeptiert wurde: Schumpeter. In der Wirklichkeit sahen die Planwirtschaften des realen Sozialismus dem Planungsmodell von Lange alles andere als ähnlich: diese Systeme waren, unter der Dringlichkeit einer Notsituation und politischem Druck, ohne klare theoretische Bezugspunkte zusammengeschustert worden. Die Wirtschaftsvorgänge wurden fast alle vom Zentrum aus durch allgemeine, branchenbezogene und betriebliche Jahrespläne gelenkt, die mittels einer Buchhaltung ausgearbeitet wurden, die eine effiziente Auswahl von Produktionsmethoden unmöglich machte. So unterließ man es völig, sparsam mit den Ressourcen umzugehen, was eine intensive, mit hoher Produktivität verbundene, Entwicklung hätte in Gang bringen können. Es war sozusagen ein System, das mit der größtmöglichen Anstrengung versuchte, das höchstmögliche Resultat zu erreichen. Aber einer Rationalisierung des Systems stand nichts im Wege, und so hätten die Sachzwänge die Planungsleiter unweigerlich zu jener Simulation des Marktes gebracht, die in Planungsmodellen der dreißiger Jahre schon vorausgesehen worden war.

2. Plan und Markt: zweite Halbzeit

Von heute aus gesehen erscheint eine derartige Darstellung jener Diskussion äußerst unzureichend [3]. Die Argumentation von Hayek war viel scharfsinniger, und in gewisser Weise auch viel weitsichtiger, als man zunächst angenommen hatte. Hayek stellte aus zwei verschiedenen Gründen die Möglichkeit in Frage, daß eine sozialistische Wirtschaft, mit Staatsbesitz an den Produktionsmitteln und zentralisierter Planung, die gleiche Leistungsfähigkeit wie Marktkapitalismus mit Privateigentum erreichen könne. Der erste Grund war die starke individuelle Motivation zum sparsamen Umgang mit den Ressourcen im kapitalistischen Gesellschaftssystem, in dem die Triebfeder der privaten Aneignung des Profits voll ins Spiel kommt - eben diese Triebfeder muß aber in einem echten Sozialismus aus Prinzip bekämpft werden. Der zweite Grund, der mit dem vorigen zusammenhängt, ist, daß in einem wirklichen Markt, im Gegensatz zu einem simulierten, dank der Dezentralisation der Entscheidungsträger die höchstmögliche Zahl von Informationen geschaffen und verteilt wird. Das erste Argument erinnert an die »unsichtbare Hand« bei Smith: aus der anthropologischen Annahme eines unveränderlichen »Egoismus« der Individuen folgen die einzelnen ihrem reinen Eigeninteresse, arbeiten dabei jedoch gleichzeitig ohne es zu wollen im Interesse des allgemeinen Wohlergehens. Das zweite Argument hat nichts zu tun mit der rechnerischen Schwierigkeit, eine Unmenge von Informationen zusammenzubringen, sondern vielmehr mit der Vorstellung, daß jeder selbst am besten weiß, was er braucht und daß er auf jeden Fall daran interessiert ist, neue Informationen zu schaffen, um seinen eigenen Vorteil zu erreichen. Eine »egalitäre« Gesinnung, ganz abgesehen vom politischen Druck, der notwendig ist, um in der »Übergangsphase« die menschliche Natur von einer individualistischen in eine gemeinschaftliche zu verwandeln, hat den Nachteil, daß sie Unterschieden in den Verhaltensweisen und in den Informationen, die die einzelnen über ihre Bedürfnisse vermitteln, keinen Raum gibt und also auch schon allein aus diesem Grund wirtschaftliche Entscheidungen unmöglich macht. Außerdem wird das Planungszentrum nicht nur Schwierigkeiten bei der Informationssammlung haben, sondern auch keinen Anreiz haben, von selbst neue, noch nicht zur Verfügung stehende Informationen zu suchen. Der unsichere und unvollständige Charakter der Informationen ist also ein unüberwindbares Hindernis für eine rationelle Planung, während diese in einem freien Markt gerade die größte Stärke darstellt. [4]

Die Bedeutung der von Hayek gestellten Fragen - die nicht nur in seinen Beiträgen in der Polemik um die Planung, sondern auch in scheinbar trockeneren Artikeln zur Theorie der Information und zu den Grenzen des allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewichts enthalten sind - ist in den letzten Jahrzehnten immer mehr anerkannt worden. Auch die Schule der »Reformer« in den Ökonomien des Ostens, die eine dezentralisierte Planung befürworteten, die Plan und Markt kombinieren sollte, hat versucht, eine Synthese aus dem Marktsozialismus von Lange und den Positionen von Hayek zu bilden, die in die Notwendigkeit umgesetzt wurden, materielle Anreize für eine leistungsstärkere Arbeitsteilung in den Produktionseinheiten und eine vollständigere Informationsübertragung von diesen zum Zentrum zu schaffen. Das ist teilweise, vor allem in Ungarn, seit den sechziger Jahren geschehen. Damit hat man aber die Zerstörungskraft der Kritik Hayeks nicht verstanden: es mag zwar gelingen, die Manager der sozialistischen Unternehmen dazu zu bringen, sich wie Privatunternehmer zu verhalten und die Informationsverbindung mit dem Zentrum wirklich effizient zum Funktionieren zu bringen, doch würden die gleichen Resultate wie in einer freien Marktwirtschaft erreicht durch materielle Anreize - und schon allein aus diesem Grund zu höheren Kosten als durch die Vermittlung des Marktes. Und welchen Abstand hat eine derartige »sozialistische« Wirtschaft, die die produktivsten Arbeiter und Manager mit Geldprämien oder Naturalien belohnt, noch von der Ethik des Gewinns? Da wäre doch gleich eine klare und eindeutige Rückkehr zu einer erklärtermaßen kapitalistischen Wirtschaft vorzuziehen, die man ja eventuell mit ein paar Verbesserungen ausstatten könnte. Es überrascht nicht, daß Leute wie Frank Hahn oder János Kornai zu solchen Schlußfolgerungen gekommen sind: Hahn, der wichtigste Weiterführer der jüngsten Entwicklungen zur Theorie des allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewichts, in einem Artikel über die »ökonomischen Grenzen der Politik«; Kornai, einer der bedeutendsten ungarischen Reformer, mit seinem vor kurzem erschienenen Buch »Auf dem Weg in eine freie Wirtschaft«, das eine ganz bewußte Umkehrung von »Der Weg zur Knechtschaft« ist, in dem Hayek 1944 den unausweichlich autoritären Ausgang der unvernünftigen Versuche, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu planen, gebrandmarkt hatte. Und so sind wir bei der Schlußfolgerung für heute angelangt: in der Debatte über Planung hatte Hayek recht und Mises ist gerächt. [5]

Doch das Urteil ist verfrüht. Es lohnt sich nämlich, einige Aspekte dieser Wiederentdeckung der liberalen Argumentation hervorzuheben. Zuerst einmal enthalten die Thesen von Hayek wie auch die von Mises, wie schon angemerkt, eine explizite Kritik an der Theorie des allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewichts. Lange hatte diesen Ansatz übernommen in der Vorstellung, daß der Kapitalismus, der inzwischen seine monopolistische Phase erreicht habe, nicht mehr im entferntesten, falls er das je getan haben sollte, die perfekte Konkurrenz darstellte, mit all den dazugehörigen optimalen Eigenschaften, die von der walrasianischen Theorie behauptet worden waren. Die Ergebnisse des perfekten Wettbewerbs könnten jedoch das Ziel der Planung sein, wenn es gelingen würde, die unvermeidliche Tendenz zur Bürokratisierung des wirtschaftlichen und politischen Lebens, der sich der polnische Volkswirtschaftler sehr wohl bewußt war, zu überwinden. Außerdem waren die Vernichtung von Ressourcen und die Arbeitslosigkeit, die mit dem kapitalistischen Zyklus zusammenhingen und die in den dreißiger Jahren mindestens so augenfällig waren, wie es heute der Zusammenbruch des »Kommunismus« ist, ein spürbarer Beweis für die Ineffizienz des Kapitalismus. Und schließlich konnte der Planer auch jene sozialen Kosten und Vorteile beachten, die der Unternehmer nicht in seine Berechnungen einbezieht, weil ihnen keine in Geld ausgedrückten Werte entsprechen. All diese Überlegungen behalten auch heute noch ihre Gültigkeit und können wohl kaum zu einem Lobgesang auf einen nicht näher definierten Markt führen. Aber Hayeks zweifellos richtige Vorstellung von der idealen und statischen Natur des allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewichts führt nicht notwendigerweise dorthin, wo es sich der österreichische Volkswirt schaftler vorgestellt hatte.

Das ist der springende Punkt. Im Modell von Walras werden wie auch bei Lange keine wirtschaftlichen Entscheidungen getroffen, solange man nicht ein Gleichgewicht erreicht hat. Dies ist auf den wirklichen Märkten offensichtlich unmöglich, diese sind nämlich nie im Gleichgewicht - da liegt also die rein abstrakte Natur dieses Theoriegebildes. Außerdem verlangt ein wirklich allgemeines wirtschaftliches Gleichgewicht - ein aus mehreren Perioden bestehendes Modell des perfekten Wettbewerbs -, daß jedes Subjekt nicht nur die eigene Technologie, seine eigenen Vorzüge und die gängigen Preise kennt, sondern auch die Preise auf allen zukünftigen Märkten. Er muß also schon heute durch den Auktionator in den Besitz aller wichtigen Informationen gekommen sein. Auf den realen Märkten sind die Entscheidungsträger, also in erster Linie die Unternehmer, unentwegt auf der Suche nach Informationen, zu einem großen Teil produzieren sie sie selbst: das heißt auch, daß sich die Daten der Produktion und des Konsums fortwährend verändern. Nach Hayeks Sichtweise sind die Märkte, um einen Marxschen Terminus zu benutzen, »anarchisch«, also fortwährend außerhalb des Gleichgewichts: der Unternehmer wirkt als »harmonisierender« Faktor, der, vom »Souverän« Konsument dazu getrieben, unentwegt in Richtung Gleichgewicht drängt. Der Wettbewerb führt also durch eine unentwegte Anstrengung zur größtmöglichen technischen Leistungsfähigkeit und gesellschaftlichen Bedürfnisbefriedigung.

Die Frage ist jedoch durchaus zulässig, ob man, wenn man das zwar sichere, aber auch unrealistische Paradigma des allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewichts hinter sich gelassen hat, weiterhin die gewohnte Schlußfolgerung beibehalten kann, daß der Markt unbestreitbar die beste Form des sozialen und wirtschaftlichen Lebens sei. Genau dies behauptet mehr oder weniger direkt die österreichische Schule. Das sieht ganz offensichtlich nach einem ungerechtfertigten Lobgesang aus, denn die Studien Hayeks rechtfertigen noch keine derartige Schlußfolgerung, und einige Überlegungen lassen sehr daran zweifeln, daß sie je erreicht wird.

3. Plan und Kapital

Die Kritik Hayeks besagt also, daß der Markt, von dem das allgemeine wirtschaftliche Gleichgewicht und mit ihm die Befürworter des Marktsozialismus schwärmen, ein Hirngespinst ist. Wir haben von der, auch gegenüber der »bürgerlichen« Theorie, zersetzenden Kraft dieser Kritik gesprochen. Aber ist Hayeks Vorstellung von Markt tatsächlich real, entspricht sie der Wahrheit? Nachdem der österreichische Volkswirtschaftler unseren Zweifeln freien Lauf gelassen hat, indem er den Markt von einem scheinbaren Gleichgewicht befreit und in einen Ort des Ungleichgewichts verwandelt hat, an dem die äußerst kapitalistische Kraft des Unternehmers waltet, kommt die Lust auf, noch weiter vorzudringen. Man könnte sich da ja beispielsweise einem anderen österreichischen Volkswirtschaftler, einem Zeitgenossen Hayeks, dem bereits erwähnten Schumpeter zuwenden. [6]

In der Theorie der qualitativen Entwicklung Schumpeters steckt, wie bei Hayek, eine starke Betonung des Ungleichgewichts und des dynamischen Wettbewerbs. Aber die Unterschiede sind groß! Der Unternehmer ist alles andere als jemand, der durch die Beeinflussung von Angebot und Nachfrage die Wirtschaft zum Gleichgewicht treibt; er ist der Erneuerer/Innovator, der das Ungleichgewicht in einem sonst in routinemäßiger Wiederholung versunkenen System produziert: der Hang zum Gleichgewicht, der nach Meinung der »Österreicher« gerade dank der Unternehmer besteht, ist hingegen Anzeichen eines sich (vorübergehend) erschöpfenden Erneuerungsdrangs. Die Entscheidungen des Unternehmers sind zwar zweifellos durch die Triebfeder des Profits beeinflußt, keineswegs durch das Verhalten des Verbrauchers geprägt, aber auch nicht völlig autonom: Die Anzahl und die Qualität der Waren, unter denen die Verbraucher auswählen können, wenn sie ihr Geldeinkommen ausgeben, sind durch die Entscheidungen anderer bedingt und sind eher ein Zeichen der »Souveränität« des Produzenten als des Verbrauchers, die in diesem Prozeß gar aktiv geleugnet wird. Es ist wichtig zu erkennen, daß der Wirtschaftsprozeß nicht vom Verhalten des Verbraucher abhängt, auch wenn dieser über dem Existenzminimum lebt und seinem größtmöglichen Vorteil nachgeht, denn der Spielraum der Entscheidungsfreiheit wird von anderen festgelegt: in der heutigen Wirtschaftstheorie wird dies als die Unmöglichkeit bezeichnet, eine »exogene« (also unabhängige) Konsumwahl anzunehmen. In der Soziologie nennt man dies Konsumzwang, in der politischen Theorie spricht man von der Überflußgesellschaft.

Störungen im Gleichgewicht und neue Kombinationen können auch durch das Verhalten der Banken entstehen, jener »gesellschaftlichen Buchhalter«, die Schumpeter eindeutig mit einer Art von Planungsbüro verglichen hat. Sie bestimmen durch ihre Entscheidungen, die sie eventuell mit den Unternehmern, denen sie Kredit gewähren, absprechen, die zukünftige Struktur der Wirtschaft und also auch die Umstände der Einkommensverteilung und der Arbeitsbedingungen, denen die »Haushalte« unterliegen. Wie Augusto Graziani [7] bemerkt hat, kann man, wenn es keine Souveränität des Verbrauchers gibt, den Zinssatz nicht als Preis der Ersparnisse auffassen, die vom Sparer freiwillig dem Investor zu Verfügung gestellt werden. Der Zinssatz ist also kein Ausdruck der Wahl zwischen heutigem oder morgigem Konsum (»intertemporale Präferenz«), sondern einfach der Preis des Bankkredits; seine Höhe, von der die Akkumulationsrate abhängt und auf diesem Weg die Sparquote des Einkommes, ist genauso wenig »natürlich« wie die Festlegung der Expansionsrate der Wirtschaft durch den Planer.

So kommt man zu einem ganz anderem Bild als Hayek. Es geht nicht nur um die Schlußfolgerung, die sich aus dem vorigen ergibt, daß nämlich die kapitalistische Entwicklung der Ausdruck des Willens einiger gesellschaftlicher Klassen ist, die Geld und Produktion kontrollieren, und von deren Entscheidungen die Klasse der Lohnarbeiter abhängig ist. Um zum Kern unserer Diskussion zurückzukommen: es geht darum, daß im Wettbewerb unter kapitalistischen Unternehmen eine gewisse allgemeine Planung, der Art und Größenordnung der Produktion entsprechend, unausweichlich ist. Diese Planung ist das nicht a priori feststehende Ergebnis der Verhandlungen zwischen Unternehmen und Banken, das der unternehmensinternen Planung mit dem Ziel der Profitmaximierung vorausgeht, der hingegen vom Wettbewerb auf dem Markt »aufgezwungen« ist; auch dieser Wettbewerb erscheint uns jetzt viel weniger »rein«, sondern von Machtbeziehungen durchzogen. [8]

Diese Art von Plan, der den Markt in gewisser Weise beherrscht und leitet, und ohne den es - das sei hier unterstrichen - keinen »Fortschritt« und keine echte wirtschaftliche »Entwicklung« gäbe, eben dieser Plan bestimmt auch Kommandohierarchien zwischen den Kapitalen: diese bestehen aus einer asymmetrischen Beziehung zwischen »Subjekten« (wenn man unbedingt den Begriff »gesellschaftliche Klassen« vermeiden will), die auch bestimmt, wer plant und in welchem Rahmen er plant. Die Agenten dieses Plans, die Banken, handeln zugunsten der Entwicklung nur insofern sie den Privatbesitz negieren, indem sie den Erneuerern Zutritt zu den Produktions»faktoren« verschaffen, die diesen aufgrund der bestehenden Verteilung der Ressourcen und Einkommen nicht zustehen würden. Der Wettbewerb/die Konkurrenz ist kein Mittel der Selektion im Prozeß der gesellschaftlichen Evolution, er ist vielmehr ein Prozeß der schöpferischen Zerstörung, in der die Preiskonkurrenz an den Rand gedrängt wird und durch die Suche nach Vorteilen mittels technischen oder organisatorischen Innovationen des Produktionsprozesses oder mittels der Produktinnovation ersetzt wird. Schumpeter beschreibt den Unterschied dieser Art von Wettbewerb zum harmlosen Wettbewerb der traditionellen Markttheorie mit einem militärischen Vergleich: die erstere sei so viel wirkungsvoller als die zweite, »wie ein Bombardement gegenüber einem Einbruchsversuch«.

In der Terminologie von Marx könnte man sagen, daß hier die Betonung nicht auf der Anarchie des Marktes liegt, nach der das wirtschaftliche Gleichgewicht ein Zufall ist, sondern auf der kapitalistischen und ununterbrochenen Umwälzung der Produktionsweise. Sie ist der Ursprung jener den »economies of scale« innewohnenden Tendenz, die auf den produzierten Reichtum eine weit größere Auswirkung hat als die Vorteile, die aus einer »optimalen« Verteilung der Ressourcen herrühren: wachsende Skalenerträge, die angesichts der Notwendigkeit der »monetären Ergänzung« der Erneuerung wenig zu tun haben mit den Automatismen eines nicht regulierten Marktes. Auf einem anderen Weg kommt man zur selben Schlußfolgerung: man kann beweisen daß, angesichts einer gegebenen Produktionsstruktur, die - wie wir gesehen haben - wenigstens teilweise das Ergebnis der vorherigen Entscheidungen der Banken und Unternehmen ist, es mehrere mögliche Gleichgewichtszustände (der Reproduktion, oder auch von Angebot und Nachfrage) gibt, und daß also die zukünftige Entwicklung wiederum im weitesten Sinn politische Entscheidungen erfordert - was nicht nur der traditionellen walrasianischen Theorie widerspricht, sondern auch dem Laisser-faire-Ansatz von Hayek.

Sicherlich gibt es bei Marx im Gegensatz zu Schumpeter eine Art materialistische Umkehrung der Ursachen der Entwicklung. Bei Schumpeter entspringt die Entwicklung schlußendlich dem kreativen Geist des Unternehmers [9], der neue Kombinationen der Produktionsfaktoren ausprobiert, während bei Marx die Innovationen die Folge der unausweichlich antagonistischen Natur der Klassenbeziehungen im Produktionsprozeß, als Mittel des Verwertungsprozesses, sind. Das Kapital muß, in jeder seiner Phasen, den potentiellen oder realen gesellschaftlichen Konflikt überwinden, welcher im Umstand steckt, daß die Arbeitskraft nicht unmittelbar Arbeit und daß die Arbeit keine Ware ist. Anders gesagt muß das Unternehmen beachten, daß die gesellschaftlich gesicherte Reproduktion einer gewissen Anzahl von Arbeitern an sich noch nicht bedeutet, daß die entsprechende Arbeit tatsächlich geleistet wird. Die Innovation ist eben das Mittel, mit dem man dem möglichen Widerstand der Arbeiter gegen ihre Reduzierung auf variables Kapital zuvorkommt oder auf diesen reagiert. Dieser Widerstand ist umso wirkungsvoller, je mehr er sich nicht in Forderungen um Lohnerhöhungen äußert, sondern in Forderungen nach anderen Arbeitsbedingungen, und er ist oft Träger von solidarischen Werten innerhalb der Arbeitergemeinschaft und der Ablehnung jeglicher Identität mit der Kapitalistenklasse. Insoweit der Arbeiterkampf auf die Verwertungsbedingungen einwirkt und zum »Konkurs« des Unternehmens führt, ist er Bedingung der Krise; insoweit gegen ihn technische und organisatorische Veränderungen vorgenommen werden, ist er hingegen entscheidende Ursache der Entwicklung. Bei Marx verdankt sich der wirtschaftliche Fortschritt also genausoviel - wenn nicht mehr - jenen, die, obwohl von innen, gegen den Kapitalismus kämpfen, als der doch wesentlichen Konkurrenz zwischen den Unternehmen.

Die Bezugnahme auf Marx ist auch aus anderen Gründen passend. Wie wir gesehen haben, führt die Kritik der sowjetischen Planwirtschaft und des Marktsozialismus nicht zu einer sozusagen stürmischen Aufwertung des Marktes, wie es inzwischen im Osten noch mehr als im Westen Mode ist. Die bisher aufgezählten Argumente führen schon zu dem Schluß, daß diejenigen, die glauben - und das sind nicht wenige -, es reiche aus, die Planung so schnell wie möglich abzuschaffen, um dem wilden Geist des Kapitalismus Platz zu schaffen, eine falsche Vorstellung von diesem haben, und daß ihnen ein übles Erwachen bevorsteht. Eine weniger oberflächliche Interpretation von Marx als die heute geläufige ermöglicht es uns, die Analyse des Kapitalismus und auch der Gesellschaften des Ostens, des »Realsozialismus« und »Kommunismus« zu vertiefen. Die Definitionen von Kapitalismus und Sozialismus, die in der Debatte »Plan gegen Markt« von allen - Schumpeter inbegriffen -, benutzt wurden, waren nämlich irreführend vereinfachend und zweifellos falsch: Kapitalismus war das Privateigentum an Produktionsmitteln plus Laisser faire; Sozialismus und Kommunismus waren dementsprechend Staatseigentum an Produktionsmitteln plus Planung.

Wir haben schon über die Verwechslungen bei der Gleichsetzung von Kapitalismus und »freiem« Markt gesprochen, doch diese Fehler gehen noch viel weiter. Nach Marx besteht das Unterscheidungsmerkmal des Kapitalismus sicher nicht im Privateigentum an sich, sondern in der Trennung des Arbeiters von der Arbeit, als Konsequenz des Fehlens von Besitz und Kontrolle über die Produktionsweise. Das Unterscheidungsmerkmal des Lohnarbeiters ist, daß seine Arbeitszeit für eine bestimmte Zeit anderen zu Verfügung steht, und zwar nach einem Wissensstand und Leistungsbedingungen, die ihm von außen aufgezwungen sind: das ist, bei Licht besehen, die genaueste Definition der Ausbeutung, über die wir bis heute verfügen. Dieses Merkmal ist offensichtlich auch den Ländern des Realsozialismus, welche also in diesem grundlegenden Aspekt kapitalistisch, staatskapitalistisch, geblieben sind. In dieser Hinsicht ist es absolut nebensächlich, ob der Besitz in den Händen von Unternehmern oder eines ebenso fremden Staates ist, ob der Betrieb von privaten Managern oder von Parteibürokraten geleitet wird, ob die Entscheidungen über den Markt vermittelt oder von einem Planungsorgan gefällt werden. Man muß höchstens anmerken, daß die von oben gelenkte Einteilung der Arbeit, indem sie die individuelle Freiheit in der Stellenwahl einschränkt, dazu tendiert, das System in einen vorkapitalistischen, noch untertänigeren, Zustand zurückzuvesetzen, wenigstens insoweit der Arbeiter direkt als Teil der Produktionsmittel und als von diesen nicht unterscheidbar angesehen wird. Der Widerstand gegen derartige Arbeitsbedingungen hat vor allem dazu geführt, dieser politischen Struktur, die auf irgendeine Weise eine Arbeiterzentralität in der Gesellschaft rechtfertigen mußte und die zumindest das Ziel der Vollbeschäftigung erreichen mußte, Vorteile abzugewinnen. Das hieß vor allem - nach den Phasen des Neuanfangs und des Krieges oder der extremen politischen Unterdrückung -, diese Situation im Sinne einer niedrigen Arbeitsproduktivität auszunutzen.

Daß die Vorstellungen von Marx über den Kommunismus nie mit sowjetischer Kommandowirtschaft oder dezentralisierter Planung gleichgesetzt werden können, läßt sich an seiner positiven Formulierung des Kommunismus beweisen, in deren Mittelpunkt die gesellschaftliche Kontrolle der Produzenten über ihre Lebensbedingungen steht. Also sicher etwas ganz anderes als die Veränderung der Eigentumsrechte; aber auch eine Vorstellung, die - man erlaube mir dieses Paradox - dem Liberalen Hayek sehr viel näher steht als der geläufigen marxistisch-leninistischen Doktrin, denn in Kohärenz mit den Ideen von Marx kann man unter Kommunismus nur die Dispersion der Macht verstehen. [10] Sich auf diesen Marx zu beziehen, heißt gegen das Primat der Ökonomie zu kämpfen, was auf unterschiedliche Weise schlußendlich die Vorstellungen vieler Liberaler und vieler Kommunisten zusammenführt, und heißt, an dessen Stelle eine Kritik am Vorrang der Produktion vorzuschlagen, welche nicht nur mit der zentralistischen, sondern auch der industrialistischen Tradition der Arbeiterbewegung bricht.

Die These, nach der der Realsozialismus ein Staatskapitalismus gewesen ist, ist - das muß hier klar sein - in einer dem Anspruch nach an Marx angelehnten Analyse der »sozialistischen« Gesellschaften notwendig aber nicht hinreichend: sie muß mit klaren Begriffen arbeiten. Zwar ist die Planung mit der kapitalistischen Natur des Produktionsprozesses vereinbar, doch hat das Fehlen eines Marktes als Ort des dynamischen Wettbewerbs zwischen den Unternehmen im oben ausgeführten Sinn, diesem System einen für den Kapitalismus wesentlichen Bestandteil genommen, der für das schnelle Wachstum der Produktion von Reichtum verantwortlich ist. So erklärt sich, warum es den Realsozialismen nicht nur an einer Verteilungs-»Rationalität« auf den Märkten fehlte, sondern auch immer mehr ihre Grenzen bei der bei ihnen scheinbar so vorteilhaften Maximisierung des Wachstumsprozesses aufwiesen - womit sie praktisch die Position von Autoren wie Maurice Dobb widerlegten, welche die Überlegenheit der sozialistischen Wirtschaften gegenüber den kapitalistischen vertraten, weil erstere die Möglichkeit hätten, die Probleme des Kapitalismus bei der Koordinierung der Investitionen zu überwinden, welche den Investor angesichts des Marktrisikos dazu zwingen, seinen zeitlichen Planungs-Horizont zu verkürzen.

Ich glaube, daß man nun erste Interpretationen machen kann, um die Fakten etwas zu ordnen und einige politische Schlußfolgerungen ziehen kann, um auch die Gefühle in Ordnung zu bringen.

Sehen wir uns zuerst mal die Fakten an. Die zentrale Planung war in den dreißiger und vierziger Jahren in der UdSSR auf ihre Weise erfolgreich, weil sie sich ein einziges und begrenztes Ziel setzte - es gab also sozusagen gar kein Auswahl-Problem. Das »Ziel« des Plans war im wesentlichen die Schaffung einer Schwerindustrie, und es wurde durch extensive Methoden in einem an Rohstoffen und Arbeitskraft reichen Land erreicht - dank diesem Überschuß an Ressourcen richtete die geringe Fähigkeit, sparsam mit den »Mitteln« umzugehen, keinen vernichtenden Schaden an. Als es dann darum ging, zu einer gleichzeitig verbreiteteren und intensiveren Akkumulation überzugehen, bei der es notwendig wurde, unter verschiedenen Zielen auszuwählen und gleichzeitig den passiven Konsens durch eine Verbesserung des in der ersten Phase gesunkenen Lebensstandards zu erhöhen - also die Bedürfnisse der Verbraucher in einem weiter entwickelten Markt zu befriedigen -, da zeigte das System seine Grenzen: die Schwierigkeiten wurden durch den sozialen und politischen Widerstand gegen die Aufhebung der für die niedrige Arbeiterproduktivität verantwortlichen Bedingungen noch verschlimmert.

So gesehen hat das durch Reagan entfesselte Wettrüsten dem System zwar den Gnadenstoß gegeben, doch die Ursachen der Krise liegen zeitlich viel weiter zurück, und für ihre Beschleunigung ist wahrscheinlich die technologische Revolution im Westen verantwortlich, denn durch sie wurde offenbar, daß der Osten nicht mit dem Qualitätssprung des Westens mithalten konnte. Marktgesellschaft und Plangesellschaft hatten parallel das Zeitalter des Fordismus und des Wohlfahrtsstaats erlebt, wobei das Fließband und der »soziale« Eingriff des Staates einer zentralisierten Planung entsprachen, welche ebenfalls einige Ziele erreicht hatte: ab den siebziger Jahren veränderten die Flexibilität durch Informatisierung und die Rolle des Staates bei der Restrukturierung auf Weltebene das Bild auf der einen Seite des Vorhangs, während auf der anderen Seite nichts entsprechendes passierte. Dieser geschichtlichen Begrenztheit entspricht eine theoretische, die schon seit einiger Zeit bekannt war: Die »sozialistische« Planung war als Reproduktion des Kapitals außerhalb des Kapitals gedacht worden, und deshalb konnte sie sich nur als widersprüchlich erweisen, um schlußendlich von diesem Widerspruch in die Krise gebracht zu werden.

Man tut nicht gut daran, irgendeine klar politische Konsequenz der bisherigen Abhandlung zu verschweigen. Der Plan hat im Osten zu einem Staatskapitalismus geführt, wenn nicht gar zu einem Rückfall in vorkapitalistische Gesellschaftsformen, wobei es nicht nur an »formellen« Freiheiten, sondern auch an einem Wachstum des materiellen Wohlstands fehlte. Man hat sich darauf beschränkt, das Kommando des Kapitals durch die Willkür des Plans zu ersetzen. Es überrascht also nicht, daß die Realsozialismen nicht nur weniger effizient, sondern auch weniger angenehm waren, und so einen regelrechten gesellschaftlichen Zusammenbruch erlebt haben - auch wenn als Aktiva auf dem Schuldenkonto der »Realsozialismen« die Vollbeschäftigung und das Vorhandensein einiger sozialer Dienstleistungen verbucht wurden, von denen man wohl glaubte, daß sie ewig bestehen bleiben würden. Wenn man den Zusammenbruch des Ostens in diesem Rahmen sieht, so hat er nichts mit dem Niedergang des Kommunismus zu tun: dieser hat, wenn überhaupt, Ende der zwanziger Jahre stattgefunden. Deshalb teile ich nicht die Trauer um das Ende der Sowjetunion - was jedoch nicht heißt, daß die damit entstandenen Probleme nicht dramatisch wären. Sonst würde auch die Kritik »von links«, die im Marxismus der dreißiger und vierziger Jahre geübt wurde, keine Erklärung finden. Sonst wäre auch jene verbreitete Haltung nicht zu erklären, mit der man sich zumindest seit den sechziger Jahren als Kommunist bezeichnen konnte, weil man wußte und sagte, daß die Gesellschaften im Osten nichts mit dem Kommunismus zu tun haben; denn wenn das der Kommunismus wäre, dann wären »wir« Antikommunisten.

Damit öffnet der Zusammenbruch des Ostens jedoch eine alte Wunde: es reicht nicht mehr, sich auf die Behauptung zu beschränken, der eigene Kommunismus sei anders als der im Osten. Da nun das Vergleichsobjekt fehlt, als dessen Gegensatz man sich definieren konnte, müssen diejenigen, die sich innerhalb und gleichzeitig gegen diese Produktions- und Lebensweise bewegen, langsam sagen, wie ein Alternativmodell aussehen kann, falls es überhaupt eins gibt, wenigstens für unsere Enkelkinder.

4. Kapital und Demokratie

Dieser schon viel zu lange Diskurs hat mich zu zwei sehr einfachen Thesen gebracht: der Plan war eine abgeleitete Form des Kapitalismus; umgekehrt ist der Markt, wenn er kapitalistischer Markt ist, nicht einfach das Gegenteil von Plan, sondern er lebt mit ihm in einer instabilen Dialektik, die für ihn eine Quelle von Entwicklung ist. Wir haben unser Augenmerk folglich von der Planung auf eine Analyse des Kapitalismus verschoben. Da letzterer der gesellschaftliche Horizont zu sein scheint, dem wir uns alle werden unterwerfen müssen - wenn nicht bis ans Ende aller Tage, dann zumindest für eine ganze Weile - sollten wir einen Blick auf das werfen, was uns die heutige Wirklichkeit eingibt. Zuerst sollten wir eine Frage angehen, die leider fast alle für überholt halten: die für reziprok und sich gegenseitig notwendig bedingend gehaltene Beziehung zwischen Kapital und Demokratie.

Auch in diesem Fall ist es nützlich, die Anregung von Hayek aufzugreifen. In »Der Weg zur Knechtschaft« - das ich angesichts der auf die liberale Theorie folgenden Ereignisse neu gelesen habe - wird behauptet, daß die Errichtung eines autoritären Regimes als politische Entsprechung notwendig wurde, weil eine »rationale Planung« unmöglich und Versuche, den Markt am grünen Tisch zu mimen, illusorisch waren. Im Kapitalismus ist der Individualismus des Eigentümers die Kehrseite der Vorherrschaft eines Systems von »negativer« Freiheit, in dem die Subjekte keinerlei Handlungszwängen oder -interferenzen unterliegen: deshalb sind der Staatsmacht präzise und zwingende Grenzen gezogen. Der Markt sichert durch die Konkurrenz, verstanden als Verfahren der Offenlegung, daß die Privatinteressen der einzelnen Individuen Raum lassen für eine Effizienz im Bereich der Ressourcenallokation und eine Maximierung des Wachstums. Ist jedoch das Eigentum staatlich und der Markt gehemmt, bedarf es einer Regulierung der ökonomischen Aktivität »von oben«: letztere ist nicht nur ineffektiv, sondern auch freiheitswidrig, denn sie entspricht einer gefährlichen Machtkonzentration, die unvermeidlich die Bürokratie am Kommando dazu bringen wird, jegliche Kontrolle »von unten« zu beschneiden.

Wir haben bereits gegen diese streng ökonomische Herangehensweise Einwände vorgebracht; und wir haben auch vorab signalisiert, daß wir auch eine politische Kritik an den Regimes des realen Sozialismus haben. In dieser Diskussion geht es darum, ob in den kapitalistischen Gesellschaften tatsächlich diese beiden mutmaßlichen und miteinander verbundenen Teufelskreise wirksam sind: der zwischen Freiheit und Kapital und der zwischen Markt und Demokratie. Fangen wir beim ersten an, der Verträglichkeit und gegenseitigen Befruchtung von Freiheit und Kapital. Wie bekannt, ist die negative Freiheit nur eine der beiden Annahmen von Freiheit nach Isaiah Berlin (aber schon vorher auch nach Guido de Ruggiero). [11] Nicht weniger wichtig ist die »positive« Freiheit, d.h. was eine Person in der Lage ist zu machen oder zu erhalten: sie ist umso größer, um so mehr das Individuum Herr seiner selbst, autonom ist. Wie sieht die Bilanz der kapitalistischen Gesellschaft aus, wenn wir beide Definitionen von Freiheit in Betracht ziehen? Sehen wir uns die Situation des Lohnarbeiters an, wie sie sich bis heute dargestellt hat, und zwar von beiden Sichtweisen aus: vom Warenerwerb - als Verbraucher - und von der Arbeitstätigkeit - als Arbeiter im eigentlichen Sinne.

Vom Warenkonsum her stimmt es vielleicht, daß der Lohnarbeiter als einzelner zwischen den verschiedenen Gütern wählen kann, die er auf dem Markt findet; wie wir aber gesehen haben, stimmt dies nicht aus der Sicht der Klasse, deren Konsum real von anderen Subjekten bestimmt wird, den Unternehmen und den Banken. Ein Gegeneinwand besagt, daß so wenig wie der Arbeiter frei ist im Konsum, so wenig der Unternehmer frei ist in seinen Investitionen, denn die werden ihm vom Markt mittels der Konkurrenz zwangsweise auferlegt. Dieser Einwand mag zwar plausibel sein, was den einzelnen Unternehmer betrifft, aber keineswegs, wenn man die Klasse der Unternehmer betrachtet, die in ihren Entscheidungen vom Bankkapital unterstützt wird. Unter diesem Blickwinkel betrachtet sind die Entscheidungen der Konsumenten abhängig vom Einkommen, das sie erhalten, und letztlich von den Entscheidungen der kapitalistischen Klasse in ihrer Gesamtheit, so daß die Arbeiter im doppelten Sinne des Wortes »unterworfen« bzw. »Subjekt« (Wortspiel:»soggetti«) sind, als Individuen sind sie juristisch frei, aber gleichzeitig vom Wesen her abhänging. Umgekehrt ist der Unternehmenssektor zusammen mit dem Bankensektor in der Lage, sowohl die Struktur der Akkumulation, d.h. der Güter, die er als Privateigentum erhält, als auch die Struktur des Konsums zu bestimmen.

Gleichfalls interessant ist es, die Freiheit des Arbeiters als solchem zu betrachten. Schon Marx legte seiner Analyse des Kapitalismus eine Tatsache zugrunde, die man schwerlich leugnen kann: der Arbeiter als Individuum kann sich vielleicht aussuchen, bei welchem Unternehmer er arbeiten geht, aber als Klasse hat er sicher nicht die Möglichkeit, aus der Bedingung Lohnarbeit herauszutreten. Mit anderen Worten: für die Gesamtheit der Arbeiter ist die Alternative, die einzelne von ihnen erreichen können, nämlich Selbständige oder Unternehmer zu werden, unmöglich. Die »bürgerliche« und liberale Theorie baut auf der Hypothese auf, daß die einzelnen Subjekte immer die freie Wahl haben zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Figuren: daß sie Lohnabhängige oder Unternehmer, Kleinsparer oder Kuponschneider werden können. Entscheidungen, die umkehrbar sind und sich nicht notwendigerweise gegenseitig ausschließen. Im Gegenteil, wir entdecken jetzt, daß der wohlverdiente Schutz der »negativen« Freiheit - wenn er sich zur Verteidigung des Privateigentums und der Spaltung des Kapitalismus in Klassen gesellt - unvermeidlich eine Hierarchie der »Freiheit« der Individuen zementiert, den Inhalt der »Entscheidungs«freiheit der Arbeiter entleert und aktiv ihre »positive« Freiheit verhindert, indem er sie immer abhängiger und unterschiedlicher macht. Es ist ein komischer Liberalismus, der sich bei einer genaueren Betrachtung so radikal zerlegen läßt; und es ist eine komische Linke, - wenigstens in meinen Augen -, die auf die Fahne der Freiheit als Autonomie verzichtet, eine Fahne, die ihr wie keine andere gehört.

Nicht weniger gegen den Strom sind die Schlußfolgerungen, zu denen wir bezüglich des Verhältnisses zwischen Markt und Demokratie gelangen können. Zu Recht hat Amartya Sen [12] beobachtet, daß man die beiden Begriffe nicht auf dieselbe Ebene stellen kann, weil der zweite von seiner Natur ein Grundwert ist, während der erste eine instrumentelle Rolle spielt. Es ist widersprüchlich, schreibt er, für die Demokratie zu sein, also die Wahl der Institutionen durch das Volk, und gleichzeitig den Markt für ewig und indiskutabel anzusehen und die Möglichkeit, den Gebrauch des Marktes teilweise oder vollständig abzuschaffen, von der Wahl auszuschließen. Es gibt also eine Hierarchie zwischen Demokratie und Markt, aber sie verläuft genau entgegengesetzt zu dem, was gemeinhin behauptet wird. Darüber hinaus gibt es einen prinzipiellen Gegensatz zwischen beiden in dem Maße, in dem - wie wir selbst es schon bei der Diskussion des Freiheitsbegriffs gesagt haben - der kapitalistische Markt - es ist leicht nachzuweisen, daß es keinen verallgemeinerten Markt gibt, der nicht kapitalistisch ist - Ungleichheit zwischen den Subjekten voraussetzt und zwar noch eher bezüglich der Macht als materiell. Ich glaube, daß diese Thesen von Sen noch verstärkt werden müssen. Wenn wirklich die Ungleichheit auf der ökonomischen Ebene ein Hindernis ist für die Umgestaltung der »formalen« Demokratie - also juristisch die (unverzichtbar) gleichen Rechtstitel - in »substantielle« Demokratie - also gleiche politische Macht - ist, wird der Optimismus infrage gestellt, mit dem sich Sen die mögliche Benutzung des Marktes als Instrument vorstellt: weil diesem Instrument - gerade weil es untrennbar mit dem Kapital verbunden ist - eigen ist, keinen anderen Zweck/Ziel als sich selbst zuzulassen.

Da die bestehenden Planwirtschaften gescheitert sind und alternative Modelle fehlen, wirft diese Behauptung theoretische und praktische Probleme auf, die nicht - ich sage jetzt nicht: gelöst, sondern nicht einmal - gestellt werden können, und es wäre wohl töricht zu versuchen, den Diskurs einfach zu »beenden«. Es scheint nur die folgende Alternative übrig zu bleiben. Entweder versuchen wir, im Binom Markt-Demokratie eine notwendige Kohärenz zu sehen; diese Perspektive ist aber nicht idyllisch, sondern »tragisch«, denn sie bedeutet die offene Anerkennung der Ausbeutung, welche die vom Kommunismus - und besonders von unserer Art - Konvertierten bereitwillig zugeben. Sie erkennen voll an, daß die Freiheit eingeschränkt ist, die der kohärenten Entwicklung der Marktbeziehungen in einer kapitalistischen Organisation der Produktion und der Gesellschaft innewohnt. Sie halten dies für das »kleinere Übel« gegenüber dem entfalteten Totalitarismus der realen Sozialismen. [13] Wir können aber auch im Widerspruch zwischen Markt und Demokratie eine Antinomie sehen, die sich beim gegenwärtigen Stand der Dinge nicht auflösen läßt. Wir halten sie offen und versuchen keine unmögliche Versöhnung zwischen beiden, wenn überhaupt, halten wir die Opposition dazu am Leben und weiten sie aus. Wir geben also zu, daß der Markt nicht (unmittelbar) vereinbar ist mit der Demokratie, daß es jedoch noch nicht klar ist, welche Wirtschaftsweise den Kapitalismus ersetzen soll.

Wir ziehen daraus jedenfalls den Schluß, daß Kapitalismus und Demokratie - weit davon entfernt, synonym zu sein - antagonistisch zueinander sind. Zum selben Ergebnis, aber mit einer wichtigen Qualifikation, kann man auch über eine Betrachtung der geplanten Gesellschaften kommen. Es ist gesagt worden, daß ihre Basis kapitalistisch ist, weil sie auf der Heteronomie der Arbeit gründen; oder - wie Marx sich auszudrücken pflegte - auf der Spaltung zwischen individueller und gesellschaftlicher Arbeit: eine Heteronomie, die so weit gehen kann, daß sie die Arbeit als objektive Produktionsbedingung behandelt. Dies ist eine natürliche Tendenz des Kapitalismus als kreislaufförmigem Produktionsprozeß, wo das Kapital danach trachtet, sich die Arbeit(skraft) als eigenen Teil einzuverleiben. Diesen Punkt hat zu Recht Claudio Napoleoni nachdrücklich betont und daraus eine vollkommene Unversöhnlichkeit zwischen »reinem« Kapital und Demokratie abgeleitet. [14]

Von unserem Gedankengang her kommen wir zu einer etwas anderen These, die jedoch an einem wesentlichen Punkt an der Position von Napoleoni festhält. Die undemokratische Tendenz des Kapitals ist authentisch und sie entfaltet sich voll in der Planung sowjetischen Typs, die der verabsolutierte Ausdruck jener Kreislaufförmigkeit ist; ein weiterer Gegenbeweis sind die allzu zahlreichen kapitalistischen Regimes, die ohne Demokratie florieren. Richtig ist aber auch, daß es Demokratie (nur) innerhalb der kapitalistischen Welt gegeben hat, die wir zu unserer Verständigung als »westlich« bezeichnen können, und diesem Umstand müssen wir Rechnung tragen. Der Grund ist aber ganz einfach, daß die Kausalitätskette umgekehrt gelesen werden muß, als dies gewöhnlich getan wird. Es ist nicht der Kapitalismus, der die Demokratie geschaffen hat; die Demokratie ist, wenn schon, dann der bereits erwähnten Tatsache zu verdanken, daß die Arbeit sich in antagonistischer Weise bewegen kann. Sie kann also ihr Dasein als Arbeitskraft, Teil des Kapitals, nicht als natürliches Schicksal hinnehmen; sie kann auch die Identität von Leben und Arbeit ablehnen, indem sie andere Werte dagegensetzt und sich mit solidarischen und antikapitalistischen Idealen bewegt. Wir haben gesagt, daß dies nicht nur der Krise den Weg bereitet, sondern - wenn es eine »progressive« Antwort gibt - auch der Entwicklung: diese Entwicklung scheint uns nun von der Demokratie vorgezeichnet oder besser verursacht, d.h. von einer Situation, in der die »negative« Freiheit sich zu einer tatsächlichen Ausübung von »Volks«macht gesellt.

Andererseits ist in dieser - unsicheren, aber für eine gewisse Periode zweifellos realen - Verbindung zwischen Entwicklung der Demokratie und Entwicklung der Ökonomie, zwischen gesellschaftlichem und materiellem Fortschritt kein Ruhepunkt sichtbar. Die Antwort des Kapitals auf die Arbeiterkämpfe hatte immer den Charakter, denjenigen Gemeinschaften den Boden unter den Füßen wegzuziehen, die die Subjekte des Antagonismus waren; genauso wurde immer ihre Forderung nach Gleichheit und Autonomie und nach Wohlstand in quantitatives Wachstum und Markteffizienz verdreht, um sie ins gegebene System zu integrieren. Auch hier scheint jedoch eine qualitative Schwelle überschritten worden zu sein. Die Zerstörung der Welt der Arbeit und die Veränderung im Charakter der ökonomischen Entwicklung als Folge der sozialen Konflikte der sechziger und siebziger Jahre im Westen scheinen von solcher Tragweite gewesen zu sein, daß sie die nicht pathologische Übereinstimmung/Entsprechung zwischen Ökonomie und Gesellschaft unterbrachen; daß sie das Verhältnis zwischen Kapitalismus und Demokratie schwer in Gefahr brachten, weil sie die Möglichkeit eines inneren sozialen Konflikts in der »fortgeschrittenen« Welt heraufbeschworen. Genau deshalb erweist sich die Frage nach einer anderen Produktionsweise - eine wie wir gesehen haben offene Problematik, die aber heute unlösbar scheint - als dringendes Problem. Der Dramatik dieses Engpasses sollen die letzten Überlegungen gewidmet sein.

5. Gibt es einen Ausweg?

Wir schlagen den Economist vom 16. November auf und finden eine Beilage über die südostasiatischen Tiger. [15] Südkorea scheint wie die anderen Helden dieses neuen kapitalistischen »Wunders« auf den ersten Blick ein vorzüglicher Fall für das Studium der Wunderwerke des Kapitalismus zu sein. Sicherlich, sie glänzen nicht gerade vor Demokratie: aber es tut sich dort mühsam eine Arbeiter- (und Studenten-) bewegung zusammen und wer weiß, es wird sich etwas ändern. Sie strafen den Gemeinplatz eines gewissen Marxismus über die Unmöglichkeits des Herauskommens aus der Unterentwicklung Lüge. Der größer werdende Kuchen wird gleichmäßiger verteilt als im angelsächsischen Kapitalismus. Alles scheint sich zum Besseren zu wenden, zum größeren Ruhm des Laisser faire.

Aber ist es wirklich so? Wer die Beilage aufmerksam liest, findet bestätigt, was neue Untersuchungen - wie die von Alice H. Amsden oder Robert Wade [16] - schon hervorgehoben haben. Das Wirtschaftswachstum in diesen Ländern und insbesondere in Korea ist ein klares Beispiel für die ganz »sichtbare« Hand einer Marktlenkung. Wir haben es zu tun mit einer Entwicklung, die einer regelrechten staatlichen Planung unterworfen ist, zwar sicherlich das Privateigentum garantiert und ihre eigenen Handlungen und die eigenen Zuschüsse der Performance auf dem Weltmarkt untergeordnet hat, die aber rigide die Vorzugssektoren bestimmt hat und die investierbaren Ressourcen kontrolliert hat, Preis und Höhe des Kredits gesteuert hat, um die Unternehmen zu selektieren oder zu unterstützen, die interveniert hat bezüglich der Preise, indem sie die »wahren« Preise funktional zu den objektiven divergieren ließ. Die Lenkung hat solchen Erfolg gehabt, daß die Korruption der örtlichen Bürokratien kein Hindernis, sondern sogar Schmiermittel gewesen ist. Ein optimales Beispiel also für jene Komplementarität zwischen Plan und Kapital, deren Normalität wir behauptet haben: eine ähnliche Geschichte könnte man unter anderem von Japan erzählen. Der diesmal vollkommene Gegenbeweis für die Funktionalität eines gewissen Grades an Plan im Kapital sind die Länder Lateinamerikas, die die ganzen achtziger Jahre über nicht nur von Schulden bei den amerikanischen Banken, sondern auch von jener Crème der amerikanischen Ökonomen ausgequetscht wurden, die sie das Wort »liberal« gelehrt haben, mit den für alle offen zutage tretenden Konsequenzen. Die Länder im Osten sind gewarnt.

An diesem Punkt wäre die Frage möglich, ob die Linke im Osten wie im Westen nicht, statt sich auch den Sirenen des freien Marktes zuzuwenden, beispielsweise, und sei es mit einigen Korrekturen hier und da, das südostasiatische Beispiel aufgreifen soll. Und schon erhebt man die Stimme - beispielsweise New Left Review [17] gegenüber dem Osten: floriert nicht vielleicht auch die »kommunistische« Wirtschaft der Südostküste Chinas? Hier muß man sich glaube ich zwei Dinge vergegenwärtigen. Das erste ist, daß die kapitalistische Entwicklung heute nur insoweit imstande ist, die Ungleichheiten in ihrem Innern zu reduzieren, insofern sie sie nach außen exportiert - wenn sie dies tun kann, was nicht immer möglich ist: China ist genau das lebende Beispiel für diesen Widerspruch: auf der einen Seite 850 Millionen Bauern, die von der im Westen so gewürdigten Politik von Deng Hsiao Ping »entlassen« wurden; die andere Seite der Medaille ist die Entwicklung in einigen urbanen Zonen. Das zweite ist, daß das kapitalistische Modell, das sich von Japan und Ostasien nach Europa und die USA auszubreitet, ein Modell eines erbarmungslosen Konkurrenzkampfes ist. Es ist gewiß möglich, daß die ArbeiterInnen die Vorteile der wirtschaftlichen Entwicklung genießen, die es mit sich bringt, insoweit sie sich zu bewußten und zustimmenden Mitgliedern des Unternehmenskörpers machen und insoweit sie eins werden mit dem Betriebsorganismus; genau darauf zielt im Grunde das alles andere als schwache Projekt der »totalen Qualität«, wenn es ernsthaft angegangen wird.

Im übrigen darf dies alles nicht verwundern. Wenn der Motor der Innovation und des Wettbewerbs nicht der Arbeiterantagonismus ist, der nun stillschweigend für tot erklärt ist von allen, kann der einzige alternative Antrieb zur Effizienz in ihrer reduzierten Bedeutung von Profitabilität nur die kommerzielle Aggressivität, die Liberalisierung der Konkurrenz sein. Aber wenn die Linke ein solches Terrain akzeptiert, das muß klar sein, bedeutet das, daß sie es akzeptiert, die Früchte der Entwicklung zu teilen um den Preis der Identifikation der »eigenen« Arbeiter mit den »nationalen« Unternehmen gegen die »anderen« Unternehmen, aber damit auch gegen die »anderen« Arbeiter. Es bedeutet, aktiv die Integration in das System und die Spaltung der Arbeiterklasse in ihrem Innern voranzutreiben.

Lassen wir den Widerspruch einer noch »national« ausgerichteten Linken mit einem sich immer »multinationaler« bewegenden Kapitalismus beiseite - ein Kapitalismus, der fähig ist, dem Wettbewerb Einhalt zu gebieten, indem er »Freihandelszonen« schafft, die in Wirklichkeit protektionistische kommerzielle Festungen sind, und zur selben Zeit den Staat benutzt für die strategische »Interaktion« auf dem Weltmarkt. Es handelt sich auf jeden Fall um eine Logik von Handels»krieg«, in dem nicht alle gewinnen können, und in dem die Armut, selbst wenn sie ins Ausland verbannt ist, zunimmt; in der die immer härteren ökonomischen Kontraste täglich Gefahr laufen, zu direkt oder indirekt richtiggehenden bewaffneten Konflikten zu werden. Eine Logik, von der man unmöglich annehmen kann, daß sie sozusagen im Vorübergehen mittels irgendeines Reformismus umgekehrt werden kann: diese Form der Entwicklung läßt keine Korrektive zu.

Unter diesen Bedingungen kann die Metapher des Krieges, mit der Schumpeter die kapitalistische Konkurrenz darstellte - dem zum Trotz, was er selbst über den Imperialismus als Überbleibsel des Präkapitalismus geschrieben hat - ein treues Bild dessen sein, was uns erwartet. Wenn die Dinge so liegen, stellt sich die Frage nach einem Ausweg aus dieser Situation dramatisch und unmittelbar. Ich habe sicher nicht die Antwort darauf, und ich glaube, daß ihre Elemente in einer kollektiven und geduldigen Arbeit aufgebaut werden müssen, womöglich unter dem Druck einer immer gefährlicher werdenden Situation. Ich glaube aber auch, daß der Ursprung der Schwierigkeit in jenem Versuch liegt, den unmöglichen Traum des Kapitalismus zu verwirklichen: die Reduzierung der Arbeit auf eine Ware. Eine weltliche »Rettung«, die keineswegs notwendig kommt, ist aber abhängig von unseren Aktionen hier und jetzt, nur von jenem Widerstand aus kann es zu einer solchen Kondition kommen, für die wir bisher noch keinen besseren Namen gefunden haben als Kommunismus.


Anmerkungen:

Ludwig Edler von Mises, 1881-1973, amerikanischer Volkswirtschaftler österreichischer Herkunft, Vertreter der »Wiener Schule« (Grenznutzenschule). Hayek war einer seiner vielen Schüler. In den zwanziger Jahren Professor in Jena, 1940 in die USA emigriert. Wichtige Veröffentlichungen: Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus, Jena 1922; Kritik des Interventionismus, Jena 1929; Human Action (4. Aufl. 1950); Bureaucracy (Repr. 1969); Im Namen des Staates oder die Gefahrungen des Kollektivismus, Stuttgart 1978.

Friedrich August von Hayek, * 1899, einer der bekanntesten Vertreter des Neo-Liberalismus, 1974 Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften; nach dem Krieg Prof. in London, Chicago und 1962-68 in Freiburg, wo er bis zu seinem Tod 1992 in der Urachstr. 27 gewohnt hat (!!). Wichtigste Veröffentlichungen: Individualismus und wirtschaftliche Ordnung (1952); Entnationalisierung des Geldes; Die Verfassung der Freiheit (1971); Wissenschaft und Sozialismus (1979); Der Weg zur Knechtschaft (1944 bzw. 1981); Die Verfassung freier Menschen (1981); The Fatal Conceit (1988).

János Kornai, *1928, ungarischer Volkswirtschaftler, Professor an allen denkbaren ungarischen Universitäten und Instituten, Akadamie der Wissenschaften in Budapest, Gastprofessor in Yale, Princeton und München. Veröffentlichungen: Anti-Äquilibrium (1975); Economics of Shortage (1980); Non-Price-Control (1981); The Road to a Free Economy (Dt.: Auf dem Weg in eine freie Wirtschaft)(1990); The Socialist System (1992).


Fußnoten:

[1] Außer dem Kollektiv "Altre ragioni", waren auch Norberto Bobbio, Augusto Graziani, Graziano Realfonzo und Stefano Zamagni geduldige Kritiker dieses Textes. [Bobbio ist einer der bekanntesten links-liberalen Philosophen, Graziani und Zamagni sind bekannte linke Volkswirtschaft-Professoren. D.Ü.]

[2] Ein gutes Beispiel dafür ist Il Pensiero economico del '900 (Einaudi, Torino 1963), von Claudio Napoleoni. Als Quellen für die im Text zitierte Diskussion siehe vor allem den Artikel von Mises (1920) und den von Hayek in der von Mises 1936 herausgegebenen Anthologie; die beiden Bücher von Mises: Socialismo (1922), Rusconi, Mailand 1990, und L'azione umana (1949), Utet, Torino; Lionel Robbins, The Great Depression, Macmillan, London 1934; Oskar Lange, On the Economic Theory of Socialism (1936-1937), und das Buch, das unter demselben Titel zusammen mit Fred M. Taylor 1938 (McGraw Hill, New York) veröffentlicht wurde; Abba P. Lerner, »Economic Theory an Socialist Economy«, Review of Economic Studies, Oktober 1934; idem, »Statics and Dynamics in Socialist Economics«, Review of Economic Studies, Oktober 1938; H.D. Dickinson, »Price Formation in a Socialist Community«, Economic Journal, June 1933; idem, The Economics of Socialism, Oxford University Press, Oxford 1939; E.M.F. Durbin, »Economic Caluculus in a Planned Economy«, EconomicJournal, December 1936; Maurice Dobb, Economic Theory and Socialism, 1955.

[3] Andere Versionen dieser Debatte, die der österreichischen Richtung zuneigen, geben: Karen I. Vaughn, »Economic Calculation unter Socialism: The Austrian Contribution«, Economic Inquiry, Oktober 1980, und Don Lavoie, Rivalry and Central Plannung. The Calculation Debate Revisited, Cambridge University Press, Cambridge 1985. (..)

[4] Zu den Schriften von Hayek, in denen diese Positionen dargestellt werden, erwähne ich aus einer immensen Produktion zumindest »Economics and Knowledge«, Economica February 1937, »The Use of Knowledge in Society«, American Economic Review, September 1945; allgemeiner die ausgewählten Aufsätze in Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, (1949; dt. 1952); und natürlich The Road to Serfdom (1944)(dt.: Der Weg zur Knechtschaft, 1980).

[5] Frank Hahn, »On some economic limits in politics«, in John Dunn (Hrsg.), Economic Limits to Modern Politics, Cambridge University Press, Cambridge 1990; János Kornai, Der Weg in eine freie Wirtschaft, 1990.

[6] Zum folgenden siehe vor allem Joseph Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (1911), München 1926; Kapitalismus, Sozialismus, Demokratie (1942);

[7] Vgl. dazu einen Artikel, der für die ganze Argumentation in diesem Abschnitt wichtig ist: »Efficiency Criteria at the Micro and Macro Levels", in: Rivista Internazionale di Scienze Economiche e Commerciali, Oktober 1987.

[8] Damit will ich nicht etwa behaupten - wie das beispielsweise die Quaderni Rossi taten -, daß das Kapital sich selbst planen und den Markt abschaffen könnte. Ich behaupte vielmehr, daß jenes gegenseitige Abstoßen und Anziehen der Unternehmen, das der Wettbewerb darstellt, eine besondere planende Instanz enthält, die das Ergebnis widerstreitender Entscheidungen und Kräfte ist, daß also eine Vision des reinen Kapitalismus als »nicht gesteuertem« Markt nichts als Ideologie ist.

[9] Dabei sollte man nie vergessen, daß Schumpeter nie den Unternehmer idealisiert: der Unternehmer betritt die Bühne, weil er in die Bourgeoisie eintreten und Prestige erlangen will und nicht einfach, weil er »begabter« ist oder weil er es allein auf den Profit abgesehen hat. Aus denselben Gründen ist eine Interpretation Schumpeters im Sinne eines methodologischen Individualismus ebenso fragwürdig wie eine Reduktion des österreichischen Volkswirtschaftlers zum Lobsänger der kapitalistischen »Lebensweise«.

[10] Schon nach diesen wenigen Seiten müßte eigentlich klar geworden sein, daß der heutige Triumph Hayeks wenig mit der angenommenen endgültigen Liquidation von Marx zu tun hat. Das neuerwachte Interesse der Volkswirtschaftler für die Themen Hayeks ist, aus inzwischen gut bekannten Gründen, vielmehr zeitgleich mit der Krise der Hegemonie der walrasianischen Theorie entstanden. Diese Krise hat auch »innere« Ursachen: die rigorose Formalisierung des allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewichts hat gezeigt, wie hart und unwahrscheinlich die für die Stabilität notwendigen Bedingungen waren. Die ganze orthodoxe Wirtschaftstheorie ist dadurch radikal verändert und auf weniger traditionelle Wege gebracht worden: man denke nur an die Neudefinition des Gleichgewichtsbegriffs von seiten der nicht-walrasianischen Theorien, an die jüngsten Entwicklungen in der Unternehmenstheorie und der Arbeitsökonomie. Viele Themen, auf die früher die Ketzer der Wirtschaftstheorie ein Monopol hatten - das Nebeneinanderbestehen von hierarchischen Strukturen (Unternehmen) und Märkten, die direkte und indirekte Kontrolle der Arbeitskraft, die unfreiwillige Arbeitslosigkeit, im allgemeinen die Entstehung und Veränderung von Institutionen -, werden heute innerhalb des Kreises der akademisch »anerkannten« Volkswirtschafter behandelt (eine gute Übersicht dieser neuen Entwicklungen der Theorie findet man in der Einführung von Maurizio Franzini und Marcello Messori zu ihrer Textsammlung Impresa, istituzioni e informazione. Letture di microeconomia non tradizionale, Clueb, Bologna 1991). Es ist aber noch nicht klar, wohin diese Versuche führen werden. Beispielsweise sind einige der Thesen, die wir bei Schumpeter gesehen haben - die Rolle des Unternehmers-Innovators, das Zusammenkommen von Planung im Unternehmen mit dem dynamischen Wettbewerb, die »Selektions«-Funktion des Bankensystems - in jüngster Zeit aufgenommen worden; die ersten zwei von Industrie-Ökonomen, die am Thema »Markt und Hierarchie« arbeiten, das letztere von einigen Vertretern der »Neokeynesianer« in den USA. Einige Einschränkungen werden jedoch deutlich. Zuallererst eine fehlende Synthese von Fragen, die bei Schumpeter nicht voneinander getrennt werden können, während sie nun als getrennte Unterdisziplinen dargestellt werden, deren Schlußfolgerungen im Moment nur nebeneinander gestellt werden können: das »richtige« (kapitalistische) Funktionieren des Marktes setzt nicht nur eine Planung innerhalb des Unternehmen voraus, wie es die neue Industrieökonomie unterstreicht, sondern auch eine externe Planung, wie sie die Theorie der Kreditrationierung annimmt. Außerdem hebt keine der beiden Schulen in ausreichendem Maß hervor, daß die Akkumulation, in ihrer Entwicklung und ihren Resultaten, stark vom Klassenkonflikt abhängig ist, welcher unabhängig vom Markt stattfindet und über diesen hinausgeht. Und schließlich scheinen diese neuen Ansätze vor allem noch zu sehr zu einer Interpretation der Hierarchie, der Banken und des sozialen Konflikts als Versagen des Marktes zu tendieren, während die Vorstellung des »perfekten« Marktes als unersetzlicher logischer Bezugspunkt bestehen bleibt; im Gegensatz dazu enthält der Schumpetersche (und Marxsche) Ansatz eine andere und viel weitergehende Sichtweise des »normalen« Funktionieren des Marktes.
Es versteht sich von selbst, daß in den heutigen Texten bekannter linker Volkswirtschaftler, die da eigentlich gut Bescheid wissen müßten, die Idee vertreten wird, die Wurzeln der Planwirtschaft seien im Utopismus von Marx zu suchen, in seinem Vertrauen in die Möglichkeit, der Mensch könne auf der Erde eine bessere Welt aufbauen; gleichzeitig verschweigen sie die tiefen Risse in der walrasianischen Theorie. So kommen sie dann zum guten Rat, ganz einfach Hayeks Vision des Marktes zu übernehmen und diesen mit etwas »Solidarität« abzurunden, ein schwacher Hinweis auf soziale Gerechtigkeit in keynesianischer Soße, mit der sich der (ex-)radical Volkswirtschaftler so sehr angefreundet hat. Dieser Vorschlag ist um so absurder, als der unmittelbare Widersacher von Hayek, von Walras oder Marx einmal abgesehen, Keynes gewesen ist. Die Argumentation Hayeks richtet sich nicht nur gegen die sowjetische Planwirtschaft; ganz ihren Voraussetzungen entsprechend ist sie vielmehr eine Verherrlichung des ungeregelten Marktes. Es wird also jeglicher aktive Eingriff des Staates in die Wirtschaft für schädlich gehalten: Adam Smith war im Vergleich dazu ein Erz-Interventionist. Man findet in Hayek eine kohärente und klare Kritik jeder möglichen Linken: es gibt also absolut keinen Platz für die Idee der sozialen Gerechtigkeit; höchstens für ein bißchen private Armenhilfe. Es wäre interessant, was hier jedoch nicht möglich ist, diese Frage mit einer soziologischen Untersuchung über die Intellektuellen und ihr wechselndes Glück in der Entwicklung der kapitalistischen Akkumulation zu vertiefen. Keynes gelingt es in den dreißiger und vierziger Jahren, einen Kompromiß mit der Arbeiterbewegung zu finden, zu dem eine makroökonomische Lenkung der Wirtschaft und allgemeine Tarifverhandlungen im Rahmen des Fordismus gehörten; dieser Kompromiß deplazierte in gewisser Weise die »österreichische Schule« und brachte sie zum Schweigen. Die Wiederkehr Hayeks findet zu einem Zeitpunkt statt, zu dem das Kapital seine Organisationsformen und Technologien im Sinne der Flexibilisierung und der informationellen Innovation verwandelt, und so von oben die Rahmenbedingungen des bisherigen »Gesellschaftsvertrags« verändert.

[11] Vgl. »Due concetti di libertá« (Zwei Freiheitsbegriffe) (1958) in: Quattro saggi sulla libertà, Feltrineli, Mailand, und Guido De Ruggiero, Stoffa del liberalismo europeo (Der Stoff des europäischen Liberalismus) (1925), Feltrinelli, Mailand 1980.

[12] »Socialism, Markets and Democracy« (1958), Indian Economic Journal, April-June 1990. Von den zahlreichen Veröffentlichungen von Sen sind für unsere Diskussion zumindest folgende Titel nützlich: »Equality of What?«, (1980); »The Profit Motive« (1983), in: Resources, Value and Development, Blackwell, Oxford 1984; The Moral Standing of the Market (1986); »Freedom of Choice. Concept and Content«, European Economic Review, 1988; »Commodities and Capabilities«, North Holland, Amsterdam, 1985.

[13] Gegenüber dieser Mischung aus vorgeblichem politischem Realismus und apologetischer Ineinssetzung von Kapitalismus und Demokratie scheint mir das Urteil eines zeitgenössischen »Österreichers« wie Erich Streissler ehrenwerter und weitsichtiger: »1989 haben wir den Zusammenbruch des größten Teils der kommunistischen Staaten in Europa erlebt. Die staatliche Wirtschaftsplanung war schon weit vor 1989 vom Tod geweiht; der Kollaps der Staatsmaschine hat das sichtbar gemacht. ... Aber wir müssen uns vor zwei großen Mißdeutungen hüten. Erstens, daß die Demokratien, die sich zweifellos stabilisiert haben, `Marktwirtschaften' sind. Militärdiktaturen wie in Chile können ruhig auch Marktwirtschaften sein; und die Demokratien können andererseits sozialistisch sein und eine massive wirtschaftliche Planung erfordern, wie England in der unmittelbaren Nachkriegszeit und Schweden. Es gibt keine notwendige Korrelation zwischen den wirtschaftlichen und politischen Grund`konstitutionen'. Das zweite Mißverständnis ist noch schlimmer: wir dürfen nicht denken, daß der erwiesene Kollaps der sozialistischen Ökonomien notwendigerweise den Sieg irgendeines Wirtschaftsliberalismus bedeutet. Ich sehe im Gegenteil eine baldige massenhafte Unzufriedenheit im Volk gegenüber den Ideen der unternehmerischen Freiheit voraus, weil beim jetzigen Stand der Dinge unmögliche Hoffnungen in die freien Marktwirtschaften gesetzt werden... es gibt nichts in der ökonomischen Theorie, das gegen die Möglichkeit ankämpfte, daß sich, bevor sich die Dinge verbessern, die Situation stark verschlechtern muß in der Übergangsphase.« (»What Kind of Economic Liberalism May We Expect in Eastern Europe?«, East European Politics an Societies, Winter 1991, S. 200-201).

[14] »Sraffa dopo Marx«, Rinascità Nr. 26, 5.8.90. Für eine kritische Betrachtung der ökonomischen und politischen Überlegungen des italienischen Ökonomen verweise ich auf meinen Text La passione della ragione. Scienza economica e teoria critica in Claudio Napoleoni, Unicopli, Mailand 1991.

[15] »Where tigers breed. A survey of Asias' emerging economies.«

[16] Für die erste siehe Asia's Next Giant. South Korea an Late Industrialization. Oxford University Press, New York 1989; für die zweite Governing the Market. Economic Theory and the Role of Government in East Asian Industrialization, Princeton University Press, Princeton 1990.

[17] Robin Blackburn, »Russia should be looking East, not West«, September/Oktober 1991.


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