aus: Zirkular 7, September 1994
Mitte August hat George Caffentzis vom Midnight Notes Collective im Rahmen des Projekts KraftWerkSommer '94 in Zürich eine Diskussionsveranstaltung gemacht zum Thema: Können Maschinen Wert produzieren? Wir haben seinen Vortrag übersetzt, weil er hier in kompakter Form seine eigene Geschichte und die politische Entwicklung von Zerowork und Midnight Notes anhand dieser Frage darstellt. Er arbeitet gut die weltweit zunehmende Ausweitung von Lohnarbeit und Arbeit überhaupt heraus und entzieht den ganzen Theorien den Boden, die sich "postmodernistisch" von der Klasse abwenden. Denn alle diese Theorien setzen implizit voraus, daß der Wert auch auf andere Art als durch menschliche Arbeit produziert werden kann. Demgegenüber macht er ganz klar, daß die Produktion von Wert der unauslöschliche antagonistische Widerspruch des Kapitalismus ist, will man das eine zerstören, muß man das andere ebenfalls zerstören.
An einigen Punkten finden wir seine Darstellung allerdings schwach oder irreführend. Nicht mal so sehr seine "mathematische Widerlegung" der Vorstellung, Maschinen könnten Wert produzieren − die könnte als Gag noch durchgehen. Aber sie hängt zusammen mit einigen widersprüchlichen politischen Konsequenzen, die im Midnight Notes-Begriff der "New Enclosures" stecken. So behauptet George Caffentzis in seinem Text, wer heutzutage von "globalem Kapitalismus" spreche, nehme den Sieg des Klassenfeindes vorweg. Der Begriff "New Enclosures" ist als historische Parallele sehr fruchtbar und anregend: Er weitet den Blick auf die Entstehung des Kapitalismus im England des 16. Jahrhundert (wir selbst haben uns mit unserer Krisentheorie gerade mal ins letzte Jahrhundert vorgearbeitet − siehe Zirkular 1 und 2) und behauptet, daß heute weltweit ähnliche Umwälzungen stattfinden. In seinen praktischen politischen Konsequenzen bleibt dieser Begriff aber sehr schwammig und beliebig, was auch in der anschließenden Diskussion in Zürich wieder deutlich wurde, wo Leute den Begriff so verstehen, daß man seine eigene Nischenökonomie aufbauen solle, um dem kapitalistischen Angriff ausweichen zu können.
Da sich noch einige andere politische Positionen (die uns allerdings längst nicht so nahe stehen!) auf verkürzte und mystifizierende Vorstellungen vom Wert beziehen, bringen wir im Anschluß an diesen Text eine Kritik des Werts.
Wir haben bei der redaktionellen Arbeit an diesem Zirkular übrigens gemerkt, daß oft der "innere Zusammenhang" der Zirkulare nicht so recht gesehen wird. Deshalb hier noch der Hinweis: Guckt Euch nochmal die Kritik der "Aufheben" im Zirkular 6 an (die sich übrigens wiederum auf sehr viele Diskussionsstränge in den vorhergehenden Zirkularen beziehen!). Hier erstmal Caffentzis' Text.
»Es wird Maschinen geben, die die Arbeit einfacher machen, aber zuerst muß man hart arbeiten, um eine zu haben« (Biefer/Zgraggen, Prophezeiungen)
Da ein "Kraftwerk" eine Maschine ist, genaugenommen eine der frühesten Versionen einer fast vollautomatischen Maschine, ist es für "KraftWerk"er angebracht, darüber nachdenken, was Maschinen machen können (und was nicht). Meine Überlegungen zu diesem Thema sind in gewisser Weise eine Ausarbeitung der von mir als Motto vorangestellten "Kraftwerks"prophezeiung. Eine echte Prophezeiung bezieht sich ja niemals nur auf die Zukunft und ist immer auch eine ARt Selbst-Reflexion. Ich beginne deshalb mit meiner eigenen Maschinengeschichte.
Vor dreißig Jahren veröffentlichten die Students for a Democratic Society (SDS, der organisatorische Ursprung der Neuen Linken in den USA) mit der "Erklärung von Port Huron" ihre Analyse des Kapitalismus. Diese hatte einen bedeutenden Einfluß auf meine politische Entwicklung als Teenager und irgendwie fangen auch meine Gedanken über Maschinen da an. Der Hauptgedanke in der Erklärung von Port Huron ist, daß es zwei in wechselseitiger Beziehung stehende Krisen gibt: eine der Automatisierung und eine des Rassismus.
Der Zusammenhang zwischen den Krisen wird so erklärt, daß der Kapitalismus die Produktion zunehmend automatisiere, somit die strukturelle Arbeitslosigkeit vergrößere, was wiederum die Spaltungen nach Rassen in den USA verschlimmere. Der SDS zog lediglich aus der Diskussion jener Zeit politische Schlußfolgerungen. Es galt die Annahme, daß die zunehmende Mechanisierung (mit den Worten von Hanna Arendt) zu einer Masse von "überflüssigen Menschen" führen würde. Der Kapitalismus könne ohne Arbeit auskommen und wirklich über den Bedarf nach Arbeit hinauswachsen. In der Konsequenz werde die Fähigkeit der Arbeiterklasse, das Kapital zu bekämpfen, zunichte gemacht.
Mitte der 70er Jahre nahm die Analyse für mich eine Wende, als ich zusammen mit anderen GenossInnen die Zeitschrift Zerowork gründete, um die "Krise" jener Zeit zu untersuchen. Ich wurde mit einem politischen und einem theoretischen Paradoxon konfrontiert: Auf der einen Seite meinte Zerowork, daß die notwendige Arbeitszeit in der Produktion gegen Null tendierte, und auf der anderen Seite begannen wir, die gewaltige Menge unentlohnter Arbeit (vor allem Frauenarbeit) zu erkennen, welche in die Mehrwertproduktion einging. Lief der Kapitalismus auf einen Null- oder einen 24 Stunden-Arbeitstag hinaus? War der Grund der Krise, daß die notwendige Arbeit auf Null zuging oder das Unvermögen, der unentlohnten Arbeit den erforderlichen Mehrwert abzupressen?
Nach langen Diskussionen, Spaltungen und Seelenerkundungen reagierten einige von uns, die eine neue Zeitschrift namens Midnight Notes gegründet hatten, auf dieses Paradoxon mit einer Art Fundamentalismus. Wir gingen zu den Grundlagen zurück und erkannten, daß der Kapitalismus zwar Industrien entwickelte, in denen die Rate des "relativen Mehrwerts" (das Verhältnis von Maschinerie zu lebendiger Arbeit) auf Unendlich zustrebte, das aber gleichzeitig die enorme Ausweitung der Produktion "absoluten Mehrwerts" (wo das Verhältnis von Maschinerie zu lebendiger Arbeit nach Null tendierte) zur Bedingung hatte, um den genug Mehrwert für jenen Griff nach den Sternen sicherzustellen. In den Worten der Propheten ausgedrückt, ging es darum, Maschinen zur Abschaffung der Arbeit (in einigen unruhigen oder wichtigen Industriezweigen) zu bekommen, aber das machte zuerst härtere Arbeit (in vielen anderen Zweigen) notwendig. Folglich mußte der große Bereich der unentlohnten Arbeit effektiver ausgebeutet werden, da hier absoluter Mehrwert in seiner reinen Form (paradigm form) vorliegt. Unser Meinung noch würden nicht steigende Löhne, Arbeitszeitverkürzung und abnehmende Belegschaftszahlen, sondern genau der umgekehrte Trend anstehen. Die zunehmende Mechanisierung in einigen Produktionszweigen würde zu mehr, und nicht weniger, Arbeit auf diesem Planeten führen.
Das nächste Teil des Puzzles fand ich in Nigeria, wo ich zwischen 1983 und 1988 lebte und arbeitete. Ich erkannte, daß ein großer Teil der Weltbevölkerung immer noch Zugang zu Subsistenzmitteln hatte und sich erfolgreich der Tendenz zur Ausbeutung der am wenigsten mechanisierten Regionen der Erde und zur Arbeitsteilung widersetzen konnte. Ich war in der Zeit von Schuldenkrise und Strukturanpassung in Nigeria und konnte so deutlicher erkennen, wie viele Maßnahmen von Weltbank und IWF eine endgültige Enteignung der ländlichen Bevölkerung Afrikas bewirken sollten. Diese hatte der Kapitalisierung ihres produktiven und reproduktiven Lebens bisher widerstanden. Anstatt sie einfach "sein" zu lassen oder weiter ihre vermeintlichen Projekte einer maschinenintensiven Akkumulation fortzuführen, scheinen die internationalen Planer eifrig darauf bedacht, die Bauern vom Land in die Städte Afrikas und noch weiter weg zu treiben, um sie für unentlohnte oder sogar Sklavenarbeit verfügbar zu machen. Warum ist das notwendig?
Meine Ansichten unterschieden sich jedenfalls von der scheinbar unumstößlichen Meinung, daß die zunehmende Mechanisierung des Kapitalismus die Arbeit für das kapitalistische System überflüssig machen würde. Einzelne Theoretiker wie Habermas in Deutschland, Lyotard in Frankreich und Negri in Italien und die mit ihnen zusammenhängenden intellektuellen Bewegungen wie die "kritische Theorie", der "Postmodernismus" und die "Arbeiterautonomie" sahen eine neue Form von Kapitalismus mit einer völlig neuen Beziehung zu Arbeit, Wert und Mehrwert voraus.
Aber gerade so wie die anwachsende kapitalistische Akkumulation in den 40er und 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts Zweifel an Nassau Seniors [Vulgärökonom, den Marx u.a. im Kapital, Bd.1 Kap.7, kritisiert] Behauptung aufkommen ließen, daß die Kapitalisten den Großteil ihrer Profite verlieren würden, wenn die Zehnstunden-Gesetze durchkämen, stellt auch die hartnäckige Weigerung der meisten kapitalistischen Staaten seit den 60er Jahren, den Arbeitstag wesentlich zu verkürzen, die Annahme in Frage, der Kapitalismus habe keinen Bedarf mehr an der Fähigkeit des Proletariats, Wert zu erzeugen. Tatsächlich haben die Kapitalisten in den USA seit der Energiepreiskrise von 1973/74 das Arbeitsjahr um etwa 10 Prozent verlängert und die Masse der LohnarbeiterInnen drastisch erhöht, indem sie durch neue Gesetze die Immigration ankurbelten und weit mehr Frauen beschäftigten. Diese Zunahme sowohl der Dauer wie der Masse der Arbeit innerhalb der letzten Generation in den USA − und wenn wir einige allgemeine Indikatoren betrachten, so gilt das auch international − geschah vor dem Hintergrund einer beispiellosen Erhöhung des technologischen Einsatzes (von der Roboterisierung industrieller Arbeit über die Computerisierung der Büroarbeit bis zur Einführung von biotechnologischen Methoden bei der Arbeit in der Landwirtschaft). Die populäre Ansicht, der Begriff des "Proletariats" sei "unzeitgemäß" und deswegen eine Analyse vom Standpunkt "sozialer Bewegungen" und "gegen das System gerichteter Kräfte" notwendig, wird durch die heutige Realität tatsächlich in Frage gestellt. Die Ereignisse seit 1973 haben unsere fundamentalistische Wertanalyse ebenso bestätigt, wie die oft verzweifelten Versuche von Nationalstaaten und internationalen Agenturen wie dem IWF und der Weltbank, mehr und mehr Menschen in den internationalen Arbeitsmarkt einzubinden und die Verwandlung von Arbeitskraft in Arbeit unter kapitalistischen Bedingungen zu intensivieren und auszudehnen. In der Tat haben wir genau die entgegengesetzten Schlüsse aus dieser Periode gezogen wie die Postmodernisten. Wir beschreiben diese Periode als eine von "neuen Enclosures" (enclosure: Einzäunung, Einhegung), womit gemeint ist, daß die Kämpfe gegen die Durchsetzung der Warenform und gegen Enteignung in den drei Ausbeutungsregionen die sozialistischen, postkolonialistischen und keynesianischen Staaten zerstörten. Dies hat zu einer Phase der Enteignung von den Subsistenzmitteln oder -garantien geführt, das heißt dem Versuch, die Warenform auf der ganzen Welt durchzusetzen, aber nicht als Form der endgültigen, unabänderlichen Ausbreitung des Kapitalismus sondern als verzweifelten Verteidigungsversuch.
Aber warum haben sich die anspruchsvollsten AnalytikerInnen der letzten Generation geirrt? Eine Ursache für diesen Irrtum könnten wir in ihrer Annahme sehen, daß Maschinen (und/oder Tiere) Wert schaffen können, also auch Mehrwert. Eine solche Sichtweise findet sich nicht nur bei den Ökonomen, die behaupten, das Kapital (als Maschinen und/oder Tiere) produziere den Wert des Produkts. Sie erscheint implizit oder explizit auch bei vielen, die mit einer marxistischen Analyse des Kapitalismus begannen und jetzt der Meinung sind, daß es irgendwann im 20. Jahrhundert eine qualitative Veränderung in der kapitalistischen Akkumulationsweise gegeben habe. Einige, wie zum Beispiel Toni Negri, finden sogar ideologische Unterstützung in geheiligten marxistischen Texten wie dem "Fragment über die Maschinen" in den Grundrissen, andere wie Donna Haraway erklären, da es nichts vom Wesen her Menschliches gäbe, oder überhaupt nichts vom Wesen her Irgendwieartiges, sei jeder Versuch, eine Theorie zu entwickeln, die zwischen Maschinen und Menschen unterscheidet, unweigerlich zum Schweitern verurteilt. Wenn Maschinen Wert schaffen könnten, wären die Szenarien der qualitativen Veränderung des Kapitalismus (wie Postmodernismus, post-industrielle Gesellschaft usw.), des Abtretens der Klassen und des "Abschieds vom Proletariat" sowie der zentralen Bedeutung des einer Analyse der "sozialen Bewegungen" sicherlich gerechtfertigt.
Aber ist diese Annahme korrekt? Laßt mich zuerst eine altbekannte Unterscheidung treffen: Reichtum ist nicht gleich Wert. Tatsächlich können in einer kapitalistischen Gesellschaft Reichtum und Wert in großem Gegensatz zueinander stehen. Ich behaupte also nicht, daß Maschinen keinen Reichtum produzieren könnten, genausowenig wie ich behaupte, daß Tiere dazu nicht in der Lage seien.
Nachdem wir diesen Vorbehalt aus dem Weg geschafft haben, würde ich jetzt gerne die Konsequenzen verdeutlichen, die sich aus der oben genannten Annahme ergeben, und zeigen, daß sie zu einem Widerspruch führen. Eine Maschine überträgt während des Produktionsprozesses einen Teil ihres Werts auf das Produkt. Im Laufe ihrer Lebensdauer überträgt sie so ihren gesamten Wert. Aber kann sie, zusätzlich zu diesem übertragenen Wert, auch Wert schaffen? Laßt uns annehmen, es gäbe eine Branche, in der die Maschinen Wert schaffen. Der Wert der Maschine ist niedriger als der Wert, der durch die Maschine auf das Produkt übertragen wird. Das heißt, in der regulären Laufzeit solcher Maschinen gibt es dank dieser Maschinen einen regelmäßigen, bestimmbaren Zusatzwert. Falls dies zuträfe, gäbe es zwei Quellen des Mehrwerts: (a) den Mehrwert, der durch die Differenz zwischen den Kosten für die Reproduktion der ArbeiterIn und dem Wert, den ihre Arbeitskraft produziert, entsteht, (b) den Zusatzwert, den die Maschine auf das Produkt überträgt. Was ist der Unterschied zwischen den beiden? Der Mehrwert ist keine notwendige Folge des Einsatzes von Arbeitskraft. Seine Realisierung ist das Ergebnis des Kampfes zwischen der ArbeiterIn, die diese Kraft verkörpert, und ihrem Besitzer, dem Boss. Notgedrungen gibt es keinen notwendigen Mehrwert. Die Geschichte des Klassenkampfes kann in diesem Spannungsverhältnis begriffen werden.
Aber was ist mit der Maschine? Hier hängt der Zusatzwert mit dem Einsatz der Maschine zusammen, die natürlich auch nicht mehr gegen die Produktion von Mehrwert kämpfte als gegen die Übertragung von Wert auf das Produkt. Deshalb müßte die Schaffung des Zusatzwerts so mechanisch und regelmäßig ablaufen wie die Übertragung des Werts, das heißt, es müßte einen konstanten Zusatzwert geben. Wenn wir aber annehmen, daß es eine regelmäßige, mechanische Wertproduktion durch eine Maschine gibt, dann müßte dies zu einer Wertproduktion führen, die in relativ kurzer Zeit zur Unendlichkeit tendiert. Nehmen wir einfach mal an, daß eine Maschine, die im ersten Stadium C(0) den Wert K hat und nach dem ersten Gebrauchszyklus C(1) den Wert K+rK produziert, wobei r zwischen 0 und 1 liegt. Wenn dieses Ergebnis dann wieder in einen weiteren Zyklus C(2) eingeführt wird, lautet das Ergebnis K+rK+r(K+rK) oder
C(2) = K(1+r)²
während
C(2) = K(1+r)³
und allgemein
C(2) = K(1+r)n
Das heißt, wir erhalten eine klassische Formel für Zinseszinsen, die sich schnell der Unendlichkeit nähert, selbst wenn r relativ klein ist. Wenn zum Beispiel r zehn Prozent beträgt und wir durch 25 Produktionszyklen gehen, ergäbe die gesamte Produktion beinahe das Zehnfache der ursprünglichen Investition.
Mit anderen Worten, wir erhielten eine automatische Form der Akkumulation, die schleunigst die Variationen des Mehrwerts ausradieren würde, die mit Kämpfen um die Länge des Arbeitstags und Reallöhne einhergehen, und die schnellstens jegliche gegebene Profitrate in der nichtmechanischen Industrie übertreffen würde. Als Folge davon würde diese Industriebranche ein Level der Mehrwertproduktion garantieren, das unabhängig wäre von dem Mehrwert, der in anderen Zweigen geschaffen wird. Aber ein solches "weißes Loch" der kapitalistischen Akkumulation ist ein Stück Zauberei, auf das nur Anhänger der unendlichen Ponzi-Schemen oder der "Magie der Zinseszinsen" hoffen. [Ponzi ist ein Erfinder von sog. Piloten- oder Schneeballspielen, bei denen Leute eine bestimmte Summe Geld einzahlen und dann z.B. fünf Andere suchen, die ihnen die Summe zahlen, welche wiederum jeweils fünf Leute ansprechen, die ihnen Geld geben usw. - entwickelt sich exponential, bis es zusammenbricht] Es existiert nicht, genausowenig wie Systeme, deren Output mehr Energie oder weniger Entropie enthält als ihr Input.
Die im vorangegangenen Abschnitt benutzte Form der Ableitung, ist den Methoden von Jahrhundert-Physikern wie Helmholtz und Carnot nachempfunden, die so die grundlegenden Grenzen der Theorie der Thermodynamik definierten. Sie gingen vom Nachweis aus, daß bestimmte Maschinen unmöglich sind (weil sie die einleuchtendsten Erkenntnisse verletzten), und begründeten damit die Gesetze der Energieerhaltung und der wachsenden Entropie. So konnten durch den Verzicht auf die "Magie" der Maschinen die Quellen der maschinellen Arbeit und Effizienz isoliert werden. Ich habe an anderer Stelle gezeigt, daß Marx diese Argumentationen kannte und bei seiner Formulierung der Werttheorie von Maschinen davon beeinflußt war. Es ist hier nicht der Ort, um diesen Punkt zu diskutieren, aber ein damit verbundener Einwand sollte festgehalten werden. Nämlich, wenn Marx die Entwicklung der Thermodynamik Mitte des 19. Jahrhunderts genau kannte und einen großen Teil seiner Maschinentheorie darauf basierte, warum sollten Kritiker des Kapitalismus im ausgehenden 20. Jahrhundert diese Theorie ernstnehmen? Schließlich ist die Physik in neue große konzeptionelle und methodologische Bereiche vorgedrungen seit die "grauen Bärte" der Thermodynamik den Widerspruch zwischen Carnot und der Energierhaltung endgültig aufgebrochen haben. Bieten Relativitätstheorie, Quantenmechanik und Chaostheorie nicht bessere und interessantere Einsichten, um die zeitgenössische Post-Realität besser zu verstehen als der arbeits- und elendsgeprägte Marxismus? Ökonomen wie Phillip Mirowski fordern ihre Kollegen der neoklassischen Ökonomie auf, ihr Vertrauen in überholte (und falschverstandene) physikalische Theorien aufzugeben und etwas Neues auszuprobieren. Ein ähnlicher Standpunkt wurde von Post-Marxisten und "Systemtheoretikern", die früher mit dem Marxismus symphatisierten, eingenommen.
Schön, warum nicht? Die Antwort ist einfach. Unsere Realität wurzelt immer noch in der Vergangenheit. Wir können nicht über die Kategorien Arbeit, Wert, Geld, Mehrwert, Ausbeutung, Kapital, Krise und Revolution hinausgehen, weil der Kapitalismus immer noch existiert. Sicher, es gibt jetzt vieles, was es Mitte des 19. Jahrhunderts nicht gab, aber ist das ein entscheidender Unterschied? Antworten auf solche Fragen sind, natürlich, komplex, aber wer könnte wirklich behaupten, daß 1994 Geld, Arbeit, Löhne, Profit, Zins und Miete nicht wirklich von Bedeutung sind? Halten wir uns einen einfachen Punkt zum Vergleich mit dem 19. Jahrhundert vor Augen, zum Beispiel die Frage des Arbeitstages. 1994 ist der Achtstunden-Tag in weiten Teilen der USA noch immer nicht gesetzlich festgelegt. Mit anderen Worten, wenn der Arbeitgeber von Dir verlangt, mehr als acht Stunden zu arbeiten, kannst Du das in den meisten Fällen nicht verweigern, ohne ihm/ihr einen legitimen Grund zu bieten, Dich zu feuern, was heißt, Dir selbst zu schaden.
In der Tat, wenn Selbst-Beschreibungen für den Beschreibenden wichtig sind, anstatt diese Periode "Postmoderne" oder "globalen Kapitalismus" zu nennen, haben wir von Midnight Notes sie als "New Enclosures" bezeichnet. Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen diesen Definitionen. "Postmodere" ist ein ironischer Kommentar oder eine Ergänzung der Totalisierung der Warenform, während "globaler Kapitalismus" die internationale Arbeitsteilung betrachtet, in der alle Bestandteile des Planeten (Arbeitskraft, natürliche Ressourcen, Wasser, Land usw.) in die Artikulation der kapitalistischen Produktion einfließen. Beide aber gehen davon aus, daß der Prozeß der Totalisierung weitgehend abgeschlossen ist, oder der Abschluß tendenziell sichtbar wird. Deswegen orten sie die Gegenwart als Endpunkt des Systems, als Aspekte des "Spätkapitalismus". Aber um die Warenform vollständig zu totalisieren und einen wirklichen globalen Kapitalismus herzustellen, muß jeder von seinen − alten und neuen − Subsistenzmitteln enteignet werden. Das erfordert einen scharfen Angriff auf die Überlebenden dieser Erde [subsisters, die von Subsistenzmitteln leben], der an die alten Enclosures im 16. Jahrhundert erinnert. Das ist besonders dann richtig, weil die Zeit zwischen 1945 und 1973 ein Rückzug der Warenform, und eine Blockade der Akkumulation in Afrika, Osteuropa und Asien war. Dieser Rückzug ging Mitte der 70er offensichtlich soweit, daß der Prozeß der Auflösung der Staaten (Keynesianismus, postkolonial und kommunistisch) begann, die zwischen dem Kapitalismus und der Unzufriedenheit austarieren sollten.
Das bedeutet, weit entfernt vom tendenziellen Ende der Arbeit, die neuen Maschinen benötigen einen enormen Anstieg des "hart Arbeitens", um diese Maschinen im kapitalistischen Sinn möglich zu machen, und diese Arbeit muß auf der Grundlage von gewaltsamer Enteignung auferlegt werden, geschrieben in den unauslöschlichen Buchstaben von 'Feuer und Blut', wie ein alter Prophet schrieb.
Was soll man also über die Maschine "Kraftwerk" sagen im Kraftfeld der Neuen Enclosures? Seine Betreiber sollten aufpassen, daß sie sich nicht ideologisch einschließen lassen. [Wortspiel mit "enclosures" und "enclose"= einschließen, einzäunen] Denn aufgrund ihres politischen Charakters müssen die Neuen Enclosures immer gleichzeitig an beiden Polen der kapitalistischen Arbeitshierarchie ansetzen. Daraus folgt ihr doppelgesichtiges, verfängliches Wesen, das an das Gebräu von wissenschaftlichem Rationalismus und religiösem Verfolgungswahn erinnert, das charakteristisch war für die Alten Enclosures im 16. Jahrhundert, und das sich am drastischsten in den Prozessen während der Hexenjagd jener Zeit ausdrückte. Die Reaganperiode war ein schönes Beispiel für diese Ideologie der Neuen Enclosures, die ein Gemisch zusammenbraute aus Computer/Gentechnik/Supraleitfähigkeit/kalter Fusion/virtueller Realität - neoliberalen Kapitalisten und christlichen Fundamentalisten. Das war eine Periode, die Silvia Federici und ich eine von "Mormomen im Weltall" genannt haben. Die Art von gleichgerichteter, positivistischer Ideologie, welche die keynesianische Periode mit ihrem totalisierenden Bestehen auf Effektivität und Produktivität auszeichnete, ist heutzutage vorbei.
Jedes Projekt, das sich gegen die Neuen Enclosures stellt − und derer sind viele, denn die große Mehrheit der Menschen auf dem Planeten sind dazu verurteilt, ihren Zugang zu den Subsistenzmitteln zu verlieren, wenn sie nicht den Kampf dagegen aufnehmen − kommt in die Versuchung, einen der offensichtlich widersprechenden Pole gegen den anderen ausspielen zu wollen. Daher die häufigen Versuche, die individualistische, warenförmige, universalistische Karte gegen die fundamentalistische, lokalistische auszuspielen oder umgekehrt. Diese Versuche führen unweigerlich zu den eingeschlossenen [enclosed] Oppositionspolitiken dieser Periode. Kraftwerk wird unweigerlich in dieser einschließenden [enclosing] Versuchung gefangen. Dem sollte widerstanden werden. Als wandernder Hellseher sehe und prophezeie ich.
Zürich, im August 1994