aus: Zirkular 7, September 1994
»Für Marx ist Arbeitswert eine politische These, eine revolutionäre Losung; nicht aber ein Gesetz der Ökonomie oder ein Mittel der wissenschaftlichen Interpretation gesellschaftlicher Phänomene.« (Mario Tronti: Marx, Arbeitskraft, Arbeiterklasse, in: Thekla 9, S. 173)
In seinem Vortrag »Maschinen können keinen Wert schaffen« (übersetzt in diesem Zirkular) versucht Caffentzis die politische Bedeutung herauszuarbeiten, die eine genaue Auffassung vom »Wert« hat. Er schildert uns seinen eigenen politischen und theoretischen Werdegang − von der Zeitschrift »Zerowork«1 über den neuen marxistischen »Fundamentalismus« in den »Midnight Notes«2 bis zu seinen Erfahrungen in Nigeria −, um die politische Dimension der aufgeworfenen Frage klarzumachen. Die Frage nach dem Ursprung des »Werts« ist zugleich die Frage nach den politischen Triebkräften der historischen Entwicklung und ihren Perspektiven. Es geht ihm darum, gegenüber den »Post-Modernisten«, der »kritischen Theorie« usw. an der Zentralität des Klassenkampfs festzuhalten. Wenn das Kapital auf die lebendige Arbeit als einzige Quelle von Wert angewiesen ist, dann zerplatzen alle harmonischen Vorstellungen von einer allmählichen Abschaffung des Mühsals der Arbeit durch das Kapital selber wie Seifenblasen. Dann bleibt der Zwang zur Arbeit und seine Durchsetzung der zentrale politische Konflikt.
Damit hat Caffentzis eine Basis geschaffen, um die Debatte um den »Wert« aus seinem akademischen Dornröschenschlaf zu wecken. Auf der einen Seite sind sich die »marxistischen« Linken einig, daß der »Wert« irgendwie auf Arbeit beruht − die sogenannte »Marx'sche Arbeitswertlehre«. Auf der anderen Seite scheint diese Frage aber so unwichtig zu sein, daß z.B. die ursprünglich als Weiterentwicklung des »Marxismus« begonnene Theorie der Regulation ohne großes Aufheben auf die Bestimmung des »Werts« durch die Arbeit verzichten kann. Daß sich die Regulationsschule damit theoretisch auf die andere Seite der Barrikade begeben hat, wurde in den kritischen Anmerkungen im Zirkular 2 (Seite 20f.) zwar betont, aber nicht ausgeführt. Auch in den Wildcat-internen Diskussionen hat diese Frage in den letzten Jahren keine große Rolle gespielt und ich denke nicht, daß wir in der jetzt angelaufenen Zirkular-Debatte irgendeinen dogmatischen Konsens á la »Arbeitswertlehre« unterstellen sollten. Mit solchen Unterstellungen haben wir uns selber allzuoft um die Diskussion herumgedrückt − und entdecken dann immer wieder, daß es den behaupteten Konsens gar nicht gibt. Ich will anhand von Caffentzis und einigen anderen Beiträgen zu diesem Thema die Diskussion anregen. Dabei geht es mir vor allem darum, wie bestimmte Auffassungen vom »Wert« mit den jeweiligen politischen Vorstellungen zusammenhängen. Dafür ist es notwendig, ein paar Punkte der Marx'schen Kritik der ökonomischen Kategorien anzudeuten. Wobei es mir hier gleichgültig ist, was Marx an anderen Stellen für einen Unsinn geschrieben haben mag (das Problem, Marx zu verteidigen, kennen nur religiöse »Marxisten«). Es geht nur darum, seine Kritik der ökonomischen Kategorien wieder verständlich zu machen, nachdem sie in hundert Jahren Marxinterpretation und Ideologisierung erfolgreich in ein dogmatisches Kategoriengebäude zurückverwandelt wurde.
So wichtig die Fragestellung ist, die George Caffentzis aufwirft, so unbefriedigend bleibt seine Antwort − was möglicherweise mit seinen politischen Perspektiven zusammenhängt (siehe Punkt 4.). Ohne uns auch nur mit einem Satz zu sagen, was »Wert« ist oder sein soll, präsentiert Caffentzis eine scheinbar mathematische Herleitung, warum Maschinen keinen »Wert« produzieren können. Daraus ergibt sich dann nach Caffentzis im Umkehrschluß, daß nur menschliche Arbeit »Wert« produzieren kann. Schon da läßt sich fragen: Und die Millionen Kühe und Schweine auf der Welt − könnten sie nicht den vielen »Wert« produzieren? Das ist kein Witz − vor der Wertlehre von Adam Smith glaubte man ganz ernsthaft, daß ausschließlich der Bodenertrag zur »Wertschöpfung« beitrage (Physiokraten). Oder könnte sich das »Midnight Notes Collective«, das die große Bedeutung des Erdöls so genau untersucht und betont hat, nicht vorstellen, daß der »Wert« ausschließlich aus Erdöl stammt? Schon dieser Hinweis zeigt, daß der »Beweis« von Caffentzis gar nichts beweist − jedenfalls nicht, daß Arbeit die Quelle von »Wert« ist.
In seiner ganzen Beweisführung unterstellt Caffentzis schon Resultate der Marxschen Kritik des »Wert«, die alle darauf beruhen, daß Marx zunächst zeigt, warum »Wert« nichts anderes als geronnene Arbeitszeit ist: z.B. daß der Wert der Maschinerie an das Produkt weitergegeben wird. Genausogut könnten wir sagen, daß sich der Wert der Maschine bei ihrem Gebrauch aufzehrt und nur bei äußerst planmäßiger und schneller Anwendung der Maschinerie der Kapitalist die Chance hat, daß der mithilfe der Maschine neuproduzierte Wert größer als der in der Maschine enthaltene Wert ist. Deswegen die vielen Schwierigkeiten mit den Arbeitern, weil sie die armen Maschinen daran hindern könnten, genügend neuen Wert zu produzieren usw.. Indem er den Unterschied zwischen einem von den Arbeitern und einem von Maschinen produzierten »Wert« durch das bei der Maschine fehlende Konflikt- und Kampfverhältnis bestimmt, riecht er zwar, wo der Braten hängt. Aber er konzentriert seine »Beweisführung« nicht auf dieses soziale Verhältnis, sondern argumentiert im Folgenden nur mit der Wertgröße, der Quantität des »Werts«, nicht seiner Qualität. Dabei unterstellt er nebenbei eine Idealmaschine, die von sich aus funktioniert und »Wert« produziert. Aber in der Wirklichkeit muß noch jede Maschine von Menschen/ArbeiterInnen bedient werden, bei diesen realen Maschinen könnte das Arbeiterverhalten also sehr wohl die Wertproduktion auch dann beeinflussen, wenn der Wert selbst nur aus der Maschine stammt. Mit anderen Worten, er widerlegt nur die Existenz dieser Idealmaschine, so wie es die Thermodynamik tut, worauf er sich bezieht.
Und wieso soll der Faktor r, der den Grad der maschinellen Wertproduktion ausdrückt, zwischen null und eins liegen? Genauso gut könnte er zwischen 0 und 0,0001 liegen in einer überzeugenden Theorie der maschinellen Wertschöpfung. Die bürgerliche Wirtschaftstheorie, die an die Stelle der Arbeitswertlehre die Theorie der verschiedenen Produktionsfaktoren (Kapital, Arbeit und Boden) gesetzt hat, kann in ihren mathematischen Modellen die Beiträge dieser drei Faktoren zum Gesamtwertprodukt einigermaßen plausibel berechnen. Es kommen weitere, empirische Unterstellungen hinzu. Bei nur 25 Zyklen hätten wir schon das zehnfache an Wert. Die Wörtchen »schnell« und »zehnfach« klingen beeindruckend, aber was besagen sie in der Wirklichkeit? Die durchschnittliche Maschinennutzungszeit liegt bei 10-20 Jahren, das macht bei 25 Zyklen über 250 Jahre. Mal ganz abgesehen davon, daß es damals die hier in Rede gestellten Maschinen noch gar nicht gab − hat sich denn die Wertsumme in dieser Zeit nicht tatsächlich verzehntfacht?
Der »Beweis« von Caffentzis bleibt tautologisch, d.h. er leitet etwas her, was bei der Herleitung schon stillschweigend vorausgesetzt wird. Setzte ich die Wertbestimmung durch Arbeit voraus, so machen seine Aussagen einen Sinn; wenn nicht, dann »beweisen« seine Ausführungen auch nichts. Es zeigt sich daran nur die Unsinnigkeit, durch quantitative Betrachtungen die besondere Qualität einer Sache bestimmen zu wollen. Auf der rein quantitativen Ebene ist der bürgerlichen Vulgärökonomie, für die es keine Ausbeutung und daher keinen Klassenantagonismus gibt, nicht beizukommen.
In der Linken hat sich die Behauptung, daß der Wert einer Ware die Menge der in ihr enthaltenen Arbeit ausdrücke, entweder als unhinterfragtes Vorurteil festgesetzt − oder es interessiert gar nicht. Daher war ich überrascht, ausgerechnet in einer Publikation der VSP einen Artikel zu finden, der die verbreitete linke »Wertlehre« gründlich kritisiert.3 Überrascht war ich, weil diese Kritik eigentlich zu radikaleren politischen Schlußfolgerungen führen müßte, als wir sie aus der praktischen Politik der VSP kennen. Wir werden sehen, wie sich der Artikel von Thaler an dieser Konsequenz vorbeidrückt.
Zunächst räumt Thaler ganz richtig mit der Vorstellung auf, die Idee, daß der Wert auf Arbeit beruht, stamme von Marx. »Wir sehen jetzt, daß Marx den Wert nicht (...) »entdeckt« hat, sondern daß er erkannt hat, daß sich in dem Begriff ein gesellschaftliches Verhältnis niederschlägt, welches durch seine Erscheinungsformen verschleiert wird. Das ist auch von vielen MarxistInnen nicht verstanden worden, die in Marx den Begründer der Arbeitswerttheorie erkennen wollen oder, noch schlimmer, ihm die Formulierung eines »Wertgesetzes« zuschreiben, als habe er uns ein Glaubensbekenntnis verordnet. Blanker Unsinn, Marx hat gesellschaftliche Prozesse analysiert und gezeigt, in welchen Begriffen diese notwendig vorgestellt werden. Er hat erstmals den Wert als eine Kategorie verstanden, in der das gesellschaftliche Bewußtsein den ihm verborgenen Produktionszusammenhang erfaßt. Der Wert ist insofern ein ideologischer Begriff, als er Ausdruck eines falschen Bewußtseins ist, dem die Verhältnisse unter den Menschen als Eigenschaften der Dinge erscheinen. Indem Marx den ideologischen Gehalt des Begriffs bloßlegt, entdeckt er uns zugleich den darin aufgehobenen wahren Produktionszusammenhang.« Marx geht nicht vom Wert, sondern von der Ware aus, weil sich der Reichtum in kapitalistischer Gesellschaft als ungeheure Warenansammlung darstellt. Er zeigt dann, daß die Besonderheit von Gebrauchsgegenständen Ware zu werden, eine bestimmte historische Form ist, in der sich die Menschen auf die Produkte ihrer Arbeit beziehen, also ein soziales Verhältnis ausdrückt. Der »Wert« der Ware kann dann nur die abstrakte und verdinglichte Vorstellung dieses sozialen Verhältnisses sein. Dies ist das entscheidende Argument gegen die Vorstellung, Maschinen könnten »Wert« produzieren. Maschinen gehen keine sozialen Beziehungen ein, sie dienen der Herstellung von Gebrauchswerten − egal, ob diese sich später als Waren darstellen, vom Arbeiter direkt konsumiert werden oder einem Feudalherren abgetreten werden. Maschinen können stofflichen Reichtum produzieren, so wie die »Natur« es auch tut − aber sie produzieren keine sozialen Beziehungen zwischen den Menschen. Das können diese nur selber tun − auch wenn es den einzelnen in ihrem Alltag so erscheint, als würden sie von Dingen und in der Arbeit von Maschinen beherrscht.
Die Frage ist nun aber, welches bestimmte soziale Verhältnis sich in der Form der Ware und dem »Wert« ausdrückt. An diesem Punkt verläßt Thaler den zunächst eingeschlagenen kritischen Weg. Er sagt, daß die Ware nicht ein Ding ist, »sondern daß Dinge zu Waren werden, indem wir sie als solche behandeln«. Diese allgemeine Reflexionsbeziehung muß festgehalten werden, aber sie sagt noch nichts über die Besonderheit der Ware aus. Auch ein Tisch wird nur dadurch Tisch, daß wir ihn als solchen (und nicht als Brennholz) behandeln. Als zweites führt er die Arbeitsteilung ein. Mit zunehmender Arbeitsteilung »stellt sich aber die Frage nach den Regeln und der Form des nun notwendigen gesellschaftlichen Austausches«. Diese Regeln können völlig unterschiedlich sein − gemeinsamer Konsum im Kollektiv, Tausch zwischen einzelnen, Sklavenarbeit. Aus der Arbeitsteilung geht immer noch nicht hervor, warum sich die Produkte als Waren darstellen sollten und was die besondere Qualität des »Werts« ist. In seiner Not bringt Thaler das Geld ins Spiel: »Der Übergang zur Warenproduktion wird von der Gesellschaft nicht mit Bewußtsein vollzogen, sondern durch das Eindringen des Geldes in den internen Austausch bewirkt (...)« Damit scheitert Thaler dann endgültig an seiner Fragestellung, ähnlich wie Caffentzis. Denn Geld ist nur die abstrakteste Form von Ware, die allgemeine Ware, die sich mit allen anderen Waren austauscht. Er erklärt also die Ware durch die Ware! Thaler hält zwar richtig fest, daß die Warenform und der Wert eine gesellschaftliche Beziehung zwischen den Menschen in verdrehter Weise zum Ausdruck bringen, aber er kann nicht sagen, welche Beziehung unter den Menschen es ist. Zufall?
Die vorhergehende Ausgabe des SoZ-Magazins hatte sich die Frage nach dem »Sinn der Arbeit« gestellt und eine »sozialistische Emanzipation der Arbeit« gefordert. Der einleitende Artikel schließt mit der Forderung nach einer »emanzipatorischen Perspektive der Gestaltung von Technik und Arbeitsorganisation« und im weiteren wird nach den Gefahren und Chancen, den Vor- und Nachteilen der Gruppenarbeit gefragt. Marx hatte sich über diese Vorstellungen einer »Befreiung der Arbeit« lustig gemacht und sie als Illusion zurückgewiesen. »Nicht allein das Privateigentum als sachlichen Zustand, das Privateigentum als Tätigkeit, als Arbeit, muß man angreifen, wenn man ihm den Todesstoß versetzen will. Es ist eines der größten Mißverständnisse, von freier, menschlicher, gesellschaftlicher Arbeit, von Arbeit ohne Privateigentum zu sprechen. Die ›Arbeit‹ ist ihrem Wesen nach die unfreie, unmenschliche, ungesellschaftliche, vom Privateigentum bedingte und das Privateigentum schaffende Tätigkeit.« (Karl Marx, Über F.Lists Buch »Das nationale System der politischen Ökonomie«, S.25 − dieser Gedanke taucht bei Marx immer wieder auf. Ich weiß, es gibt eine Reihe von Stellen, die auch anders gelesen werden können, aber es geht mir hier nicht um Marx-Exegese, sondern um die innere Konsequenz der Kritik, und in die paßt nur seine Ablehnung der »freien Arbeit«, nicht irgendwelche anthropologischen Bemerkungen zur Bedeutung der Arbeit für »die« Menschen.) Vielleicht kann Thaler aufgrund dieses positiven Bezugs seiner Partei auf die Arbeit trotz gründlichem Marx-Studium nicht zum wesentlichen Gehalt der Kritik vordringen.
Das bestimmte soziale Verhältnis, das sich in der Ware ausdrückt, sind die sozialen Beziehungen, die die Menschen in der Arbeit zueinander eingehen (und nicht erst ihr Verhalten auf dem Markt als Warenbesitzer, Käufer und Verkäufer!). Was Marx von der politischen Ökonomie trennt ist die Beziehung, die er zwischen dem Doppelcharakter der Ware (Gebrauchswert und Tauschwert) und dem Doppelcharakter der Arbeit herstellt: konkrete, nützliche Arbeit und allgemein-menschliche, abstrakte Arbeit. Im ersten Kapitel des »Kapitals« sieht es so aus, als würde Marx die abstrakte Arbeit aus der Abstraktheit des Werts »ableiten«, d.h. als ergäbe sich diese Bestimmung und Kategorie durch eine Schlußfolgerung aus der Ware. Im Unterschied zu den diversen »Ableitungsschulen« verwechselt Marx nie den logischen Entwicklungsgang in der Darstellung mit der Wirklichkeit. Einen Sinn macht der »Schluß« auf die abstrakte Arbeit nur, weil es sie wirklich gibt, weil sie ihm als ein ungeheures gesellschaftliches Phänomen aufgefallen war. Er hatte es bei dem neuen Industrieproletariat gesehen, wie scheißegal und fremd ihnen die Arbeitstätigkeit war. Und ihm war klar, daß er erst aufgrund dieses lebendigen Gegensatzes der ArbeiterInnen gegen die Arbeit enthüllen konnte, was sich hinter diesem mystischen Begriff »Wert« verbirgt. Aber diese reale Abstraktheit der Arbeit stellt er erst in späteren Kapiteln dar. Im ersten Kapitel »Die Ware« untersucht er sowieso nur die allgemeine Form der Ware, er kommt hier noch nicht zu ihrem vollständigen Begriff. Den faßt er erst im letzten Abschnitt des dritten Bandes zusammen:
»Es sind zwei Charakterzüge, welche die kapitalistische Produktionsweise von vornherein auszeichnen. Erstens: Sie produziert ihre Produkte als Waren. Waren zu produzieren, unterscheidet sie nicht von andern Produktionsweisen; wohl aber dies, daß Ware zu sein, der beherrschende und bestimmende Charakter ihres Produkts ist. Es schließt dies zunächst ein, daß der Arbeiter selbst nur als Warenverkäufer und daher als freier Lohnarbeiter, die Arbeit also überhaupt als Lohnarbeit auftritt. (...) Das zweite, was die kapitalistische Produktionsweise speziell auszeichnet, ist die Produktion des Mehrwerts als direkter Zweck und bestimmendes Motiv der Produktion.« (MEW 25, S. 886f.)
Die »ganze Wertbestimmung und die Regelung der Gesamtproduktion durch den Wert« ergibt sich erst aus dem Charakter der »Ware als kapitalistisch produzierter Ware« (ebd.) Die im allerersten Satz des »Kapitals« aufgeworfene Frage, warum der gesamte Reichtum als »ungeheure Warenansammlung« erscheint, kann also erst beantwortet werden, wenn die kapitalistische Ware betrachtet wird, und deren Wert enthält nicht nur abstrakte Arbeit, sondern Mehrarbeit, Arbeit für andere, die Arbeit einer Klasse von Proletariern für eine Klasse von Kapitalisten. Das ist das bestimmte soziale Verhältnis, daß die Ware dort enthält, wo sie zum allgemeinen Kennzeichen der Reichtumsproduktion geworden ist. Deshalb betont Marx, daß allgemeine Warenproduktion erst da existiert, wo die Arbeitskraft selber zur Ware geworden ist. Arbeitskraft als Ware bedeutet, daß ich mein Arbeitsvermögen verkaufen muß, um leben zu können − d.h. die gesamten Reproduktiz07wert2onsmittel (Wohnung, Nahrung, Kleidung, Haushaltsgeräte, Fernsehen usw.) muß ich einkaufen. Dafür muß ich mein Leben lang mein Arbeitsvermögen gegen Geld anderen zur Verfügung stellen. Dies beinhaltet ein zweites: Daß den Arbeitenden die konkrete Arbeit völlig gleichgültig wird uns sie ihr fremd gegenüberstehen. Denn die Güter, die sie herstellen, produzieren sie nicht für sich. Sie arbeiten nur für Geld, mit dem sie sich dann andere Güter kaufen. Erst in einer solchen Gesellschaft wird die Arbeit wirklich abstrakt, gleiche unterschiedslose menschliche Arbeit. Das bestimmte soziale Verhältnis, das im Kapitalismus im ökonomischen Begriff des »Werts« abstrakt und verkehrt zum Ausdruck kommt, ist daher die Ausbeutung anderer durch den allgemeinen Arbeitszwang. Die Arbeit als solche ist es, die damit in den Mittelpunkt der Kritik rückt. Ohne die Arbeit abzuschaffen, ohne eine Gesellschaft zu begründen, in der die Beziehungen der Menschen untereinander nicht mehr durch ihre Stellung zur Arbeit reguliert werden, wäre nichts gewonnen, würden die Mystifikationen »Wert«, »Geld« und »Kapital« immer wieder aufs neue entstehen.
Es ist also kein Zufall, wenn die »Freunde der Arbeit« von der VSP und anderen linken Parteien, nicht zu einer Kritik des Wertbegriffs vordringen. Dasselbe gilt übrigens auch für Robert Kurz, der sich als Wiederbeleber der Marxschen Kritik sehen möchte, aber in Wirklichkeit an dieser Fetischisierung des Wertbegriffs mitstrickt, wenn er z.B. in soziologischem Jargon von der »Warenform« als »gesellschaftlicher Basisform« spricht. An der Ware ist nichts »Basis«, sie ist reine Mystifikation des grundlegenden Ausbeutungsverhältnisses, das die Existenz der antagonistischen Klassen voraussetzt. Seine Kritik der »Warenform« bleibt auf der Ebene dieser ersten dürren Analyse der Ware im ersten Kapitel des »Kapitals« und gelangt daher nicht zur Kritik der kapitalistischen Ware. Weil er nicht kapiert, daß »Ware« und »Wert« keine andere »Basis« als den Zwang zu abstrakter und allgemeiner Arbeit, also Arbeit überhaupt, haben, mag er auch nicht von der Arbeit als dem eigentlichen Skandal dieser Gesellschaft sprechen, sondern hält sich ein Hintertürchen offen. In jüngsten Publikationen schleicht er dann durch dieses aus dem revolutionären Anspruch hinaus und in die grün-alternative Idylle der »kleinvernetzten Reproduktionsformen« hinein − während sich das Proletariat mit Entsetzen von diesem neugetünchten Arbeitszwang abwendet. Noch schlimmer wird's, wenn Kurz mit seiner »Warenkritik« dem VW-Management ideologisch unter die Arme greift, indem er dessen Plan zur Intensivierung der Arbeit durch die sogenannte »Vier-Tage-Woche« in der »konkret« als bahnbrechenden Einstieg in die Arbeitszeitverkürzung feiert. Noch nicht einmal die Tatsache, daß die ArbeiterInnen bei dieser Entscheidung kein Wörtchen mitreden durften, hat ihn stutzig gemacht.
Angesichts seiner politischen Schlußfolgerungen wenden sich auch frühere Anhänger der Theorieproduktionen der »krisis«-Gruppe von Kurz ab. Dabei übersehen sie meistens, daß diese katastrophalen politischen Vorschläge keineswegs Ausrutscher einer ansonsten revolutionären Theorie sind, sondern sich allesamt sehr gut mit seiner Verballhornung der Kritik der politischen Ökonomie vertragen. Wenn die Arbeit nicht im Mittelpunkt der Kritik steht, sondern die allgemeinste gesellschaftliche Erscheinungsform, die Ware, unter der die zarten kulturkritischen Seelen der Bourgeoisie ebenso leiden wie die ArbeiterInnen, dann gibt es keinen Klassenkonflikt mehr (bzw. hinter den Vermittlungsformen wie Gewerkschaft, Sozialstaat, Arbeitsrecht usw. kann kein Antagonismus mehr gesehen werden), und es bleibt nur der Intellektuelle und damit tendenziell die bürgerliche Bündnispolitik als historisches Subjekt übrig. Denen muß man natürlich mit solchen realitätstüchtigen, politikfähigen Vorschlägen kommen, wie der Wiederentdekung der Alternativökonomie oder dem genialen Coup des VW-Managements − denn sonst drohe uns: ein »Bürgerkrieg«. So hat die bürgerliche Intelligenz schon immer ihre Furcht vor der rohen Gewalt des Proletariats, vor der revolutionären Drohung, ausgedrückt.
Im Vergleich zu den angesprochenen deutschen Linken sind sich Caffentzis und die »Midnight Notes« über das Klassenverhältnis als dem grundlegenden Ausgangspunkt jeder Kritik der ökonomischen Kategorien völlig im klaren. Mit seiner Kritik der Vorstellung, Maschinen könnten Wert schaffen, will Caffentzis den Blick auf das Phänomen der »New Enclosures« lenken, d.h. einer neuen Phase der »Einzäunung« von Land, der Losreißung der Produzenten von ihrem unmittelbaren Produktionsmittel, dem Boden. Überall auf der Welt toben heute neue Kämpfe um Land: in China, Südafrika, Brasilien, Mexiko ... Die Härte der Konfrontation dieser Kämpfe mit dem internationalen Kapital liegt darin, daß nur die lebendige Arbeit den Wert, sprich die Profite des Kapitals erzeugen kann. Die gewaltsame Losreißung der Menschen von ihrem Boden, die Zerstörung des gemeinschaftlichen Bodenbesitzes im Dorf ist heute weltweit genauso existentiell für eine kapitalistische Entwicklung, wie es die Einzäunung von Land und die Vertreibung der Kleinbauern seit dem 14. Jahrhundert für die Entstehung des Kapitalismus in England war (was Marx im 24. Kapitel, in dem er die Vorstellung einer »ursprünglichen Akkumulation« kritisiert, beschrieben hat).
1990 veröffentlichten die »Midnight Notes« den Artikel »Die neuen Enclosures«4, der ausgehend von dieser Beobachtung eine globale revolutionäre Strategie entwirft. Wir fanden den Artikel damals auch deswegen wichtig, weil er in einer verbreiteten linken Ohnmachtsstimmung angesichts des historischen Bruchs der »oppositionellen Blöcke« gerade daran die neuen Möglichkeiten von Weltrevolution aufzeigt. Wir hatten dem Artikel zwar einige kritische Bemerkungen vorangestellt, ihn aber nicht gründlich diskutiert. Uns fehlte der Mut, mit ihm oder in einer Diskussion um ihn in den hiesigen Debatten auf eine globale revolutionäre Perspektive zu drängen. Der Vorschlag von Karl-Heinz Roth und sein Versuch, in den unterschiedlichen Situationen auf der Welt das gemeinsame Drängen nach Revolution auszumachen, ist auf mehr Resonanz gestoßen. Der Entwurf der »Midnight Notes« von 1990, dessen Ideen im Vortrag von Caffentzis wieder auftauchen, hat gewisse Ähnlichkeiten mit dem von Roth. Wie er suchen sie nach den gemeinsamen Erfahrungen und Konfrontationen der ProletarierInnen auf der Welt, um eine materielle Basis für einen gemeinsamen Prozeß von Weltrevolution bestimmen zu können. Dazu weiten sie den Begriff der »Enclosure« über seine unmittelbare Bedeutung (Losreißung vom Boden) aus und fassen unter ihn den Angriff auf alle Formen von Existenzgarantien: auf die Subsistenz (3. Welt), auf die »sozialistischen Rechte« (2. Welt) und auf die »sozialen Rechte« (1. Welt). Darin sehen sie die gemeinsamen und vereinigenden Erfahrungen der ProletarierInnen in den drei Welten. Lassen wir einmal die jeweils besonderen Terminologien (»Enclosure« etc.) beiseite, dann ist dieser Versuch nicht so weit von dem von Roth entfernt. In der Debatte um den neuen Text von Roth sollte er mit aufgenommen werden und ich denke, daß sich in der Auseinandersetzung mit ihm einige Fragen genauer diskutieren lassen. Dazu nur ein paar Anmerkungen:
In den kritischen Vorbemerkungen hatten wir darauf hingewiesen, daß bezeichnenderweise kein einziges Mal die Frage der »Verwertung« und die Frage der Macht der ProletarierInnen im Inneren des Kapitals im Text der »Midnight Notes« auftaucht. Ich sehe darin auch den Grund für die Oberflächlichkeit und Tautologie des »Beweises« von Caffentzis. Es geht ihm nicht darum, den Wert selber als prozessierenden Antagonismus, als verdinglichte Kategorie des zugrundeliegenden Klassenkonflikts zu fassen, sondern nur darum, die Wichtigkeit des kapitalistischen Zugriffs auf lebendige Arbeit zu betonen, also den Prozeß der Trennung der Produzenten von ihren Produktionsmitteln. Dafür reicht die Aussage, daß Maschinen keinen Wert produzieren aus; welche Prozesse, Kämpfe in der Produktion des Werts enthalten sind, ist für diesen Konflikt der Lostrennung von den unmittelbaren Produktionsmitteln unwesentlich.
Auf der einen Seite versuchen die »Midnight Notes« den Begriff der »Enclosure« so weit zu fassen, daß alle Formen proletarischer Kämpfe hineinpassen, auf der anderen Seite schwingt der ursprüngliche Begriff der Enclosure immer mit, wodurch der Konflikt im Inneren des Kapitals und sein politischer Stellenwert für die Machtfrage übersehen wird. Wenn Marx betont, daß erst die Abhängigkeit des Kapitals in seinem Produktionsprozeß von der Arbeiterklasse die Möglichkeit einer weltweiten Überwindung des Kapitals eröffnet, dann ist das immer wieder falsch verstanden worden. Als sei damit etwas über die politische Wichtigkeit oder Unwichtigkeit der verschiedenen Konflikte ausgesagt, oder als habe Marx damit die Durchsetzung des Kapitalismus an allen Punkten der Erde zur Voraussetzung der Weltrevolution gemacht. Dieses Mißverständnis schleicht sich auch in dem Text der »Midnight Notes« ein, wenn sie zu seiner Darstellung im 24. Kapitel schreiben: »Folglich sind alle die Leiden und Morde, das "Blut und Feuer" der alten Enclosures unvermeidlich und letztlich historisch gut, weil sie »die Auflösung des Privateigentums, das auf der Arbeit seines Besitzers beruht« vollenden.« (S. 48) Marx wollte nicht sagen, ob dieser Prozeß gut oder schlecht oder aus irgendeinem allgemeinen geschichtsphilosophischen Prinzip heraus notwendig ist. Er ging von diesem realen Prozeß aus und fragte sich, welche Möglichkeiten sich damit für einen revolutionären Bruch mit der kapitalistischen Produktionsweise ergeben. Mit diesem Mißverständnis, das er durch seine eigenen Formulierungen nahegelegt haben mag, mußte er sich schon zu seiner Zeit auseinandersetzen.
Im Oktober 1877 erschien in der russischen Zeitschrift »Otetschestwennyje Sapiski« ein Artikel des Volkstümlers Michailowski, in dem er Marx vorwirft, er habe im Kapital − im 24. Kapitel über die sogenannte ursprüngliche Akkumulation − behauptet, jedes Land müsse zwangsläufig zuerst die Phase der gewaltsamen Lostrennung der bäuerlichen Produzenten von ihren Produktionsmitteln und den Eintritt in die kapitalistische Produktionsweise durchmachen, bevor es zu einer revolutionären Entwicklung kommen könne. Marx schrieb daraufhin eine Erwiderung an die Redaktion der Zeitschrift, in der er den historischen Stellenwert des 24. Kapitels betont, sich gegen jedes starre, philosophische Phasenschema der Entwicklung verwahrt und ausdrücklich der damals in Rußland von Tschernyschewski formulierten Position anderer Entwicklungsmöglichkeiten zustimmt: »Dieser [Tschernyschewski] hat in bemerkenswerten Artikeln die Frage behandelt, ob Rußland, wie die liberalen Ökonomen verlangen, mit der Zerstörung der Bauerngemeinde anfangen und dann zum kapitalistischen Regime übergehen muß, oder ob es im Gegenteil, ohne die Qualen dieses Systems durchzumachen, sich alle Früchte desselben aneignen kann, indem es seine eignen geschichtlich gegebenen Voraussetzungen weiterentwickelt. Er spricht sich in diesem letzteren Sinne aus.« Danach versucht er, den Stellenwert seiner Aussagen im Kapital zu klären: »Das Kapitel über die ursprüngliche Akkumulation will nur den Weg schildern, auf dem im westlichen Europa die kapitalistische Wirtschaftsordnung aus dem Schoß der feudalen Wirtschaftsordnung hervorgegangen ist. Es stellt also die geschichtliche Bewegung dar, die, indem sie die Produzenten von ihren Produktionsmitteln trennte, die ersteren in Lohnarbeiter (Proletarier im modernen Sinne des Wortes) und die Besitzer der letzteren in Kapitalisten verwandelte. (...) Am Schluß des Kapitels wird die geschichtliche Tendenz der Produktion auf folgendes zurückgeführt: daß sie ›mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation erzeugt‹, daß sie selbst die Elemente einer neuen Wirtschaftsordnung geschaffen hat, indem sie gleichzeitig den Produktivkräften der gesellschaftlichen Arbeit und der allseitigen Entwicklung jedes individuellen Produzenten den größten Aufschwung gibt, daß das kapitalistische Eigentum, das in der Tat schon auf einer Art kollektiver Produktion beruht, sich nur in gesellschaftliches Eigentum verwandeln kann. An dieser Stelle liefere ich hierfür keinen Beweis, aus dem guten Grunde, daß diese Behauptung selbst nicht anderes ist als die summarische Zusammenfassung langer Entwicklungen, die vorher in den Kapiteln über die kapitalistische Produktion gegeben worden sind.
Welche Anwendung auf Rußland konnte nun mein Kritiker machen von dieser geschichtlichen Skizze? Einfach nur diese: Strebt Rußland dahin, eine kapitalistische Nation nach westeuropäischem Vorbild zu werden − und in den letzten Jahren hat es sich in dieser Richtung sehr viel Mühe kosten lassen −, so wird es dies nicht fertig bringen, ohne vorher einen guten Teil seiner Bauern in Proletarier verwandelt zu haben; und dann, einmal hineingerissen in den Wirbel der kapitalistischen Wirtschaft, wird es die unerbittlichen Gesetze dieses Systems zu ertragen haben, genauso wie die anderen profanen Völker. Das ist alles. Aber das ist meinem Kritiker zu wenig. Er muß durchaus meine historische Skizze von der Entstehung des Kapitalismus in Westeuropa in eine geschichtsphilosophische Theorie des allgemeinen Entwicklungsganges verwandeln, der allen Völkern schicksalsmäßig vorgeschrieben ist, was immer die geschichtlichen Umstände sein mögen, in denen sie sich befinden, um schließlich zu jener ökonomischen Formation zu gelangen, die mit dem größten Aufschwung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit die allseitigste Entwicklung des Menschen sichert. (...)« Marx erwähnt dann kurz die Entwicklung der Plebejer im alten Rom, deren Trennung von ihren Produktionsmitteln nicht wie bei dem gleichartigen Prozeß im 16. und 17. Jahrhundert zur Herausbildung einer kapitalistischen Produktionsweise führte. »Wenn man jede dieser Entwicklungen für sich studiert und sie dann miteinander vergleicht, wird man leicht den Schlüssel zu dieser Erscheinung finden, aber man wird niemals dahin gelangen mit dem Universalschlüssel einer allgemeinen geschichtsphilosophischen Theorie, deren größter Vorzug darin besteht, übergeschichtlich zu sein.« (MEW 19, S. 108ff., Hervorhebungen von mir)
Die »Midnight Notes« ziehen eine direkte Linie zwischen Marx' angeblichem »Gutheißen« der Enclosures zu den Entwicklungsdiktaturen sozialistischer Nationalbourgeoisien, die selber den Prozeß der Lostrennung vom Land betrieben und beschleunigt haben. Gegen solche Entwicklungsregimes hat Marx im Fall von Rußland aber ausdrücklich seine Stimme erhoben und auf die Bedeutung von Kämpfen gegen die Enclosures für die Einleitung eines weltrevolutionären Prozesses hingewiesen. Im Vorwort zur russischen Ausgabe des »Kommunistischen Manifest«, die 1882 erschien, schrieb er: »Das ›Kommunistische Manifest‹ hatte zur Absicht, die unvermeidlich bevorstehende Auflösung des modernen bürgerlichen Eigentums zu proklamieren. In Rußland aber finden wir, gegenüber rasch aufblühendem kapitalistischen Schwindel und sich eben erst entwickelndem bürgerlichen Grundeigentum, die größere Hälfte des Bodens im Gemeinbesitz der Bauern. Es fragt sich nun: Kann die russische Obschtischina, eine wenn auch stark untergrabene Form des uralten Gemeinbesitzes am Boden, unmittelbar in die höhere des kommunistischen Gemeinbesitzes übergehn? Oder muß sie umgekehrt vorher denselben Auflösungsprozeß durchlaufen, der die geschichtliche Entwicklung des Westens ausmacht?
Die einzige Antwort hierauf, die heutzutage möglich ist, ist die: Wird die russische Revolution das Signal einer proletarischen Revolution im Westen, so daß beide einander ergänzen, so kann das jetzige russische Gemeineigentum am Boden zum Ausgangspunkt einer kommunistischen Entwicklung dienen.«
Was Marx nur betonen wollte, ist die Bedeutung des Klassenkampfs innerhalb der kapitalistischen Produktion für die endgültige Zerschlagung der Macht und politischen Herrschaft des weltweit agierenden Kapitals. Was den Auftakt dieses Prozesses angeht, setzte er die größten Hoffnungen auf den Kampf gegen die weitere Zerschlagung gemeinschaftlicher Strukturen. Es geht mir nicht um eine »Ehrenrettung« der Person Marx, sondern darum, daß die Kritiken, die sich im Grunde auf die Verkehrung seiner Überlegungen in einen »Marxismus«, in Partei- und Staatsideologie beziehen, das Kind mit dem Bade ausschütten. Der berechtigte Haß auf die Benutzung formelhafter marxscher Sätze für die Festigung von Ausbeutungsstrukturen verwirft zugleich seine Überlegungen zur praktischen Kritik des Kapitals. Bei den »Midnight Notes« wird dies am Schluß ihres Textes deutlich, wenn sie das kommunale Land und den kommunalen Raum zur Energiequelle proletarischer Macht verklären (S. 48), ohne sagen zu können, wie die begrenzten kommunalen Zusammenhänge eine revolutionäre Macht gegen das internationale Kapital entfalten sollen. Sicher wird es ein »Freudenfest« (S. 54) werden, aber dazu bedarf es einer materiellen Basis für die proletarische Angriffskraft.
Möglicherweise sind die Kämpfe in Südafrika, China oder Mexiko und die in ihnen handelnden ProletarierInnen schon weiter als unsere Debatten, weil in ihnen die Auseinandersetzung in den Fabriken und die Frage des Lands in der politischen Konfrontation zusammenwachsen können.5 Das Charakteristische des Aufstands in Chiapas ist gerade seine Bezugnahme auf die Probleme in der ganzen Gesellschaft, ihr Versuch in ihren Forderungen das gesamte mexikanische (und weltweite) Proletariat anzusprechen. »Bei diesem Aufstand handelt es sich um keinen indigenen Aufstand, bei dem ausschließlich Forderungen der Inigénas erhoben werden, sondern um eine indigene Rebellion, die einen Wandel der gesamten Gesellschaft erreichen will. (...) Von außerhalb wird das Autonomiebestreben aus einem bestimmten paternalistischen Blickwinkel betrachtet, nach dem Motto: Laßt doch die Indios autonom sein. Nicht diese Art Autonomie fordern sie. Sie fordern Partizipation, die Teilhabe an der nationalen Gesellschaft (...) Die Zapatisten wollen nicht in die Vergangenheit zurückkehren. Sie wollen nicht in dem Elend leben, in dem sie 500 Jahre lang gelebt haben. Sie wollen Erziehung, ein kleines aber sauberes Haus, sie wollen einen Kühlschrank, ihren Fernseher, elektrisches Licht. Sie sind keine traditionalistischen Indios, sondern sie sind sehr modern. Ich glaube, daß das 20. Jahrhundert in Mexico 1910 begonnen hat und am 31. Dezember 1993 beendet wurde.« (Antonio und Liza García de León, in: Schwarzer Faden 3/94)
@fener
[1] Übersetzt in: Thekla 10, Politische Materialien aus den USA von 1975 und 1977 zum nordamerikanischen und internationalen Klassenkampf, Berlin 1988.
[2] Einige der wichtigsten Texte der Zeitschrift Midnight Notes wurden von uns ins Deutsche übersetzt: Arbeit, Entropie, Apokalypse, und andere Texte, Thekla 12, Berlin 1989; s. auch die Besprechung in Wildcat 36, 1985; Ölwechsel, Klassenkampf und »neue Weltordnung«, Thekla 14, Berlin 1991; Golfkrieg und Klassenkampf, Wenn Kreuzfahrer und Assassinen sich zusammentun muß das Volk sich in acht nehmen, Beilage zu Wildcat 54, 1991; Midnight Oil, Arbeit, Energie, Krieg, Thekla 17, Berlin 1993; siehe auch die kritische Besprechung der Zeitschrift »Aufheben« in Wildcat-Zirkular Nr. 6, 1994.
[3] Gustav Thaler, Wie kam der Wert in die Welt? Vorzüge und Fallstricke der Darstellungsweise im Kapital, in: SoZ-Magazin Nr. 14/15, Sommer 1994, S. 25-28.
[4] Abgedruckt in TheKla 14, S. 37-54.
[5] ndem Karl-Heinz Roth in seiner neuen Ausarbeitung der in Hamburg Mitte letzten Jahres vorgestellten Thesen diese Zusammenführung der verschiedenen Kämpfe auf der Welt als wesentliche revolutionäre Dynamik bestimmt, bricht er die ideologischen Streitigkeiten auf und versucht, sich und uns wieder einen Blick auf die Weltrevolution freizuschaufeln. Siehe die Vorstellung und Zusammenfassung seines Textes in diesem Zirkular.