Wildcat-Zirkular Nr. 17 - Juli 1995 - S. 42-53 [z17natso.htm]


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Zu den Klassenkämpfen im Nationalsozialismus

Im folgenden wird ein leider inzwischen fast vergessenes Buch über die Klassenkämpfe im Nationalsozialismus zusammengefaßt. Der Autor, der englische Historiker Timothy W. Mason, hat sich mit ca 50 Jahren im März 1990 in Rom umgebracht. M. forschte ab 1964 zur Arbeiterklasse im Faschismus und wurde wegen seiner politischen Standpunkte im akademischen Milieu geschnitten. Er war Mitbegründer der Zeitschrift 'History Workshop Journal' und Mitarbeiter bei 'Past and Present' (mit Hobsbawm, Thompson). Ein ausführlicher Nachruf findet sich in der Zeitschrift 1999, Heft 2/94.

Im Vorwort zu seiner Hauptuntersuchung »Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft« von 1975, in dem ein riesiger Dokumententeil enthalten ist, steckt M. den Rahmen für seine Analyse ab:

Klassenverhältnisse sind das konstitutive Moment in der Geschichte der kapitalistischen Industriestaaten, daraus sind entsprechend die wesentlichen politischen und ideologischen Erscheinungen dieser Gesellschaften zu erklären. Die Arbeiterklasse identifiziert sich in ihrem Kampf gegen die herrschenden Klassen, wobei M. Arbeiterklasse nicht mit Arbeiterorganisationen gleichsetzt. Zwei Kampferfahrungen sind für die Klasse wichtig: einerseits der alltägliche Kampf um Löhne und die Lebensbedingungen überhaupt; andererseits die Repression des Staates und der herrschenden Klassen. Die Arbeiterklasse war auch im Faschismus Objekt der Unterdrückung und der Furcht der Machthaber.

Mason hat sich in seiner Untersuchung im wesentlichen mit der staatlichen Sozialpolitik befaßt, hat aus den Dokumenten des Klassenkampfs von oben Rückschlüsse auf den Klassenkampf von unten gezogen. Dabei gibt es jede Menge offener Fragen, auch heute noch: Karl Heinz Roth behauptet, daß sich nach Mason außer in einigen Regionalstudien niemand mehr umfassend mit diesem Thema befaßt hat (Roth selber hat kürzlich eine Untersuchung über das Arbeitswissenschaftliche Institut der Deutschen Arbeitsfront vorgelegt, in dem er sich auch noch einmal mit mit Masons Ansatz befaßt: Intelligenz und Sozialpolitik im »Dritten Reich«, München 1993).

Mason streitet vehement ab, daß mit dem Nationalsozialismus das »Ende der Geschichte« gekommen war: ab 1933 war der Arbeiterdruck/Klassenwiderstand nicht einfach vorbei, es gab nicht nur Terror, Lager, Vernichtung und Krieg. Die Verabsolutierung dieser Perspektive wirkt in den aktuellen Faschismusdebatten sicherlich eher lähmend - durch M.s Untersuchungsgegenstand, die Rolle des Klassenkonflikts innerhalb der nationalsozialistischen Sozialpolitik, kommt allerdings die Dimension von Terror, Lager und Vernichtung zu kurz, sein wesentlicher Untersuchungszeitraum, Sept. 1936 (Verkündigung des Vierjahresplans) bis Nov. 1939 (innenpolitische Niederlage), sorgt auch leider dafür, daß die Rolle der ZwangsarbeiterInnen kaum zur Debatte steht, geschweige denn die 'Ökonomisierung des rassenbiologischen Vernichtungsprinzips' (Roth beim Tunix-Kongreß 1979).

Die Realisierung der nationalsozialistischen Gesetze im sozialpolitischen Bereich verlief nicht reibungslos, im Gegensatz zu Mason ging aber »die Forschung« immer von einer umfassenden und drakonischen Unterdrückung der Arbeiterklasse aus; ab Mitte 1936 herrschte in den wichtigen Industrien Arbeitskräftemangel, aber die Klasse wollte diesen Vorteil nicht der Vorbereitung des Offensivkrieges opfern.

Kriegsvorbereitung und Expansionsbestrebungen einerseits und Loyalitätssicherung der ArbeiterInnen zur Schaffung der materiellen Grundlagen für ersteres waren von Anfang an ein unlösbarer Widerspruch. [In seinem Aufsatz 'Arbeiteropposition im nationalsoz. Deutschland' (in: Detlev Peukert/Jürgen Reulecke, Die Reihen fast geschlossen, Beiträge zur Geschichte des Alltags unterm NS, Wuppertal 1981, p.293ff) hat M. eine Zusammenfassung der verschiedenen Arten des Arbeiterwiderstands und seines Ausmaßes gegeben. - In den 'Gewerkschaftlichen Monatsheften' 9/1984 versucht Mason in seinem Aufsatz »Massenwiderstand ohne Organisation« (p.518ff) zu erklären, warum es in Deutschland während des Faschismus keine Streikwelle wie in Italien im Frühjahr 1943 gegeben hat, sondern viele verschiedene verstreute Aktionen sowie kollektiven passiven Widerstand, der ab Kriegsbeginn von oben politisiert wurde. Dabei weist er besonders darauf hin, daß erstaunlicherweise auch in den ersten Kriegsmonaten die Produktion sank. Mason erklärt das Ausbleiben von Massenstreiks im wesentlichen mit der in Deutschland existierenden Form des gut organisierten Massenterrors sowie der NS-Diktatur, die im Gegensatz zum italienischen Faschismus wesentlich länger als von innen nicht besiegbar eingeschätzt wurde, trotz aller Schwierigkeiten, die das NS-Regime hatte.]

Daß die Arbeiterklasse im gesamten NS »ganz gut gefahren sei«, von ihm profitiert habe, kann man nur behaupten, wenn man sagen will, daß die Arbeiter ab und zu auch vom Klassenkampf etwas haben. Eine andere Frage ist, ob die deutschen Arbeiter ab 1940 von der Existenz der Millionen Zwangsarbeiter profitierten (inwieweit also das Konzept, die deutschen Arbeiter zu den »Vorarbeitern Europas« zu machen, verwirklicht werden konnte) und wie sie sich innerhalb dieser neuen Klassenzusammensetzung verhalten haben. Diese Frage stellt sich M. in seiner im folgenden zusammengefaßten Arbeit nicht. [Um an dieser Stelle nicht in interessierte Glaubensbekenntnisse aller Art zu verfallen, wäre es nötig, die immer noch spärlichen, aber durchaus existierenden Regional- und vor allem Konzernstudien auf diese Fragestellung hin durchzuforsten (z.B. Barbara Hopmann, Mark Spoerer, Birgit Weitz, Beate Brüninghaus, Zwangsarbeit bei Daimler Benz, Stuttgart 1994, Zeitschrift für Unternehmensgeschichte/Beiheft 78)].

Zusammenfassung von: Timothy Mason, Sozialpolitik im Dritten Reich (Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft), Westdeutscher Verlag, Opladen 1978, 2. Auflage.

Seitenangaben stehen in runden Klammern, die eckigen Klammern bezeichnen Anmerkungen von mir.

I.

Die Erbschaft der Novemberrevolution für den NS

Im November 1936 kam eine harsche Kritik aus dem Kriegsministerium an der Deutschen Arbeitsfront (DAF): harte Arbeit bei gleichzeitigem Konsumverzicht sei die Grundlage für die Selbstbehauptung Deutschlands; dafür müsse die DAF Verständnis schaffen und nicht die Steigerung des Lebensstandards propagieren. Der Chef der DAF (und auch die Gauleiter der Partei als wichtigste Bindeglieder nach oben) fanden allerdings, daß neben der Opferbereitschaft auch eine Regenerationsmöglichkeit für die ArbeiterInnen vorhanden sein müsse, da sonst der gleiche Fehler wie im 1. Weltkrieg gemacht würde...

Eine brennende Frage des NS nach den Erfahrungen mit der Novemberrevolution und der russischen Revolution war: welche innenpolitische Konstellation würde beim angestrebten Aggressionskrieg die Gefahr einer Wiederholung der Revolution reduzieren?

Die Lage der Arbeiterklasse als Ursache für die Novemberrevolution wurde von den Nazis allerdings nicht ernst - oder nicht wahrgenommen; später wurde ihnen aber klar, daß die Ablenkung von der wirtschaftlichen Lage durch Erziehung und Propaganda (und das war die wesentliche Grundlage der ns Wirtschafts- und Sozialpolitik) nur befristet funktioniert: spätestens mit der Vollbeschäftigung 1936 wurde diese Politik durch den täglichen Klassenkampf gekippt. Trotz aller Propaganda war von vorneherein klar, daß die Verwirklichung des Ideals der totalen Volksgemeinschaft (VG) nur im Zusammenhang mit Krieg nach außen und Terror nach innen möglich sein würde; der Terror nach innen begann noch vor Anfang 1933, gleichzeitig wurde nach 1935 auf die wirtschaftliche Zufriedenheit der Arbeiterklasse große Rücksicht genommen (z.B. keine Einschränkung der Konsumgüterproduktion bis in die ersten Kriegsmonate).

Das Arbeitsministerium wollte die Kriegslasten wegen der psychologischen Tragbarkeit gleichmäßig auf alle Bevölkerungsschichten verteilt wissen, wobei die Hauptfrage immer diejenige war, wie denn die Loyalität der Arbeiterklasse im kommenenden Krieg gefestigt werden könnte: die Festigung der »Inneren Front« und die wirtschaftlichen Kriegsvorbereitungen standen gegeneinander, die Erreichung beider Ziele waren für das System aber unverzichtbar.

Der Grundwiderspruch jeder modernen imperialistischen Expansionspolitik ist die Unversöhnbarkeit der Interessen der Arbeiterklasse mit den Erfordernissen eines Eroberungskrieges; im Fall des NS schuf erst das Umschlagen in einen »Verteidigungskrieg« ab 1943 eine gewisse Resonanz für die Volksgemeinschaftsideologie, aber auch in dieser Phase blieb die Gestapo nötig, und es wurden zeitlich die Kontingente ausländischer Zwangsarbeiter erhöht, um die Kriegslasten für die deutschen Arbeiter möglichst niedrig zu halten.

II.

NS und Arbeiterklasse im Mai 1933

Ab 1925 versuchte die NSDAP unter der Parole »Gegen Kommunismus, Finanzkapital und Judentum« auf die Arbeiterklasse Einfluß zu nehmen; die Erfolge blieben jedoch bis 1930 außer in Berlin und einigen Industriestädten im Rheinland und in Westfalen gering; bei größeren Erfolgen unter den ArbeiterInnen hätte die NSDAP auch nicht von der politischen Reaktion gegen die Linken nach der Weltwirtschaftskrise profitieren können. Diese Mißerfolge waren von entscheidender Bedeutung für das spätere Verhältnis der Partei zur Klassenstruktur der deutschen Gesellschaft (44f). Die Loyalität der Arbeiter zu ihren Organisationen war ungebrochen; die Arbeiterparteien übernahmen nicht die nationalistischen Parolen ihrer Gegner (Ausnahme: KPD 1923 und 1930); v.a. der ADGB war auf seine Weise patriotisch genug, um sich die Achtung der Arbeiter zu erhalten, die auf ihren Beitrag zu den Kriegsanstrengungen stolz waren und die Versailler Verträge ungerecht fanden (47). [Hier könnte man auch andersrum sagen, die Arbeiterparteien hatten aufgrund ihres eigenen Nationalismus dem aggressiveren Nationalismus der NSDAP grundsätzlich nicht viel entgegenzusetzen].

Aber die Resonanz der FabrikarbeiterInnen auf die NS-Propaganda blieb auch deshalb gering, weil die Partei in dieser Frage halbherzig vorging: man war gegen klassenkämpferische Tendenzen innerhalb der Partei, das hätte die ideelle Volksgemeinschaft geschwächt. (49) Es gab keine Entscheidung für eine positive Strategie gegenüber den Gewerkschaften, was eine praktische Trennung von vielen Lohnarbeiterinnen bedeutete.(50) Die politische Massenbewegung war von der Weltwirtschaftskrise (WWK) beeinflußt, entsprechned bildeten Bauern und Mittelstand das NS-Potential bei den Wahlen von 1928; der NS begab sich in einen Interessengegensatz zur Arbeiterklasse durch Forderungen nach Lohn-, Wohlfahrts- und Steuersenkungen sowie höheren Lebensmittelpreisen (die neue Basis durfte nicht entäuscht werden).(51) Die lokalen NS-Eliten kamen ab 1925 aus dem Mittelstand/Bürgertum, hatten Interesse an eigenem Aufstieg; diese Kader waren funktional für die Anforderungen der neuen Massenpartei und zeigten sich im besten Fall gegenüber den Forderungen der ArbeiterInnen gleichgültig(52f). Das Machtkalkül der Nationalsozialisten gegenüber Militär und Großindustrie, die Angst vor einem neuen 1923 hatten, lautete: stärkste nationale Kraft gegenüber den Machteliten werden, ohne diese direkt zu bedrohen, klare Option auf die Zerstörung der Arbeiterklasse.(53) Die Feindseligkeit gegenüber den Arbeiterorganisationen und der aggressive Nationalismus sowie die Aussicht auf Realisierung dieser beiden Opitionen machte die Attraktivität der NSDAP für die alten Machteliten aus.(54)

Den besten Zugang fand die NSDAP zu den nicht-organisierten Teilen der Arbeiterklasse. Dort betonte sie den Gegensatz von Nation und Sozialismus.(63) Es gab folgende Gruppen »nationalsozialistischer« Arbeiter (66ff): arbeitslose jüngere Männer aus Großstädten (tendenziell Lumpenproletariat) gingen in die SA; ArbeiterInnen aus dem öffentlichen Dienst; ArbeiterInnen, die in der Provinz die sozial Bessergestellten nachahmen wollten. Entsprechend hatten die Nationalsozialisten kaum Erfolge bei Betriebsratswahlen im industriellen Bereich (68).

Die NSBO (National Sozialistische Betriebszellen Organisation)-Gründung von 1928 wurde von der Partei zwar gebilligt, die Organisation aber lediglich als politischer Stoßtrupp in den Betrieben angesehen; gemäß der VG-Ideologie konnte eine klassenspezifische Betätigung nicht erlaubt werden; die NSBO bekam bis 1932 kaum finanzielle Unterstützung von der Partei (69); Mitglieder waren v.a. Angestellte, sowie Arbeiter aus dem öffentlichen Dienst, Techniker, Vorarbeiter und Steiger aus Industrie- und Bergwerksbetrieben (70f). Ab Mitte 1932 arbeitete die NSBO eher wie eine Gewerkschaft, gewann mehr Mitglieder unter den Arbeitern und unterstützte Streiks: die Praxis führte die NSBO nach links. Trotzdem hatte die NSBO keine ernstzunehmende selbständige politische Bedeutung innerhalb der NSDAP, weil sie einerseits keine echte Konkurrenz zu den anderen Arbeiterorganisationen darstellte (Ende 1932, ADGB: 5,8 Mio; NSBO: 0,3 Mio), andererseits 70% der Parteimitglieder Eigentumsbesitzer und Gehaltsempfänger waren(71). Die NSBO konnte und sollte die wirtschafts- und sozialpolitische Grundlinie der Partei (orientiert an den bestehenden Besitz- und Machtverhältnissen) nicht infragestellen, eine Betonung des Klassenkonflikts wäre im Jahr 1932 ein Hindernis für die Parteilinie gewesen (72). Insgesamt hatten die Arbeiter nur taktische Bedeutung für die nationalsozialistische Bewegung: Volksverbundenheit, wichtig bei direkten Auseinandersetzungen mit KPD/SPD; Erpressungsmassen gegenüber denjenigen Teilen des Bürgertums, die sich nicht am NS orientierten. Außerdem wurde die NSBO noch bis ins Frühjahr 1933 vom ADGB als Gesprächspartner anerkannt, der sich darüber Hoffnungen auf den Erhalt der eigenen Organisation machte (76). Noch während der Terrorwelle der SA gegen den ADGB ab März 1933 setzte dieser auf Verhandlungen und Petitionen an die Regierung, obwohl diese bereits nicht mehr die NS-Aktivisten kontrollieren konnte und wollte (82). Der SA- und NSBO-Terror machte entsprechende Gesetze wie z.B. die Schwächung der Betriebsräte fast überflüssig (83f), NSDAP und Regierung verloren zeitweilig die Kontrolle.

Der berühmte 2. Mai 1933 war eine radikale Scheinaktion zur Beruhigung der eigenen aufgeputschten Anhänger und zur Einschüchterung der Bevölkerung: der ADGB, dessen Ortsleitungen oft mit denen der SPD in einem Haus lagen, war bereits vorher (auch und gerade durch seine abwartende Haltung) entscheidend geschwächt. (86) Dazu kam ein v.a. finanzieller Substanzverlust aus den Jahren der WWK aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit; materiell erfolgreiche Streiks hatten kaum noch stattgefunden. (92) Mason erklärt u.a. daraus die politische Kopflosigkeit der Gewerkschaftsführungen, die ihren prinzipiellen Opportunismus und ihre Angst vor einer Niederlage in einem Generalstreik ergänzte (93). Aber auch für militante, systemoppositionelle Arbeiter war im Verlauf der Krise und den damit einhergehenden krassen Verarmungstendenzen in der Klasse (89f) die Angst um den Arbeitsplatz und damit vor materieller Not größer geworden und beeinflußte letztendlich ihre Kampfbereitschaft.(96)

Die Voraussetzung für die Zerschlagung der deutschen Arbeiterbewegung durch die NSDAP waren Massenarbeitslosigkeit und Terror: das sollte das zukünftige Verhältnis zwischen Klasse und Partei/Regierung bestimmen (98).

III.

Die Neuordnung der Klassenverhältnisse

Die radikale Zerschlagung der Gewerkschaften erforderte den schnellen Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung (99). Die Partei zog die Initiative an sich, die NSBO war praktisch überflüssig geworden, bereits am 6.Mai 1933 wurde die DAF gegründet, über deren konkrete Aufgaben aber vollkommene Orientierungslosigkeit herrschte. (100) In der Praxis herrschte ein antikapitalistischer Radikalismus vieler lokaler DAF- oder NSBO-Organe, im Verlauf des Jahres 1933 kam es zu Streiks, und teilweise wurden kollektive Tarifverhandlungen - gegen die neuen Gesetze - weitergeführt (103) Der Klassenkampf war nicht durch Phrasen oder Terror zu unterbinden, die alten gesellschaftlichen Kämpfe gingen unter der Hülle der NS-Ideologie weiter (104f).

Am 19. Mai 1933 wurde das Gesetz über die Treuhänder der Arbeit (nur dem Staat verantwortlich; gegen Bestrebung gerichtet, die NSBO als nationalsozialistische Einheitsgewerkschaft aufzubauen) erlassen, die die Tarifverhältnisse ordnen und über den Arbeitsschutz sowie das Arbeitsrecht wachen sollten.(107) In der ersten Hälfte von 1933 hatte die NSBO durch Opportunisten und Unterwanderer großen Zulauf, ihre Widersprüche wurden jedoch nicht gelöst: sie war auf die Unterstützung der Arbeiterklasse angewiesen, eine eigenständige Organisierung war ihr jedoch verboten - ab November 1933 durfte sie nur noch weltanschauliche Schulungen durchführen und Nachwuchs für die DAF rekrutieren (108).

Die DAF-Führung selbst hatte kein Konzept und propagierte sowohl die VG als auch die Aufrechterhaltung der alten Lohnsätze.(110) Viele Arbeiter weigerten sich, an die DAF »Gewerkschafts«beiträge zu zahlen. Die Industrie forderte eine klare Unterordnung der Sozialpolitik unter die Wirtschaftspolitik, viele Industrielle gingen in den Staatsapparat, besonders ins Arbeitsministerium. (112) Das Ziel der DAF war es, die Kontrolle im sozialpolitischen Bereich ohne die Existenz einer Gewerkschaft zu erlangen, die Kapitalisten wollten eine klare Vormachtstellung in den Betrieben (113f). Das Abkommen über die Funktion der DAF von Ende 1933 beschränkte diese auf Erziehungs- und Schulungsfragen, für die materielle Ebene des Arbeitslebens wurde im Januar 1934 das 'Gesetz zur nationalen Arbeit' (ein Gesetz, das interessanterweise nicht von den Organisationen der nationalsozialistischen Bewegung sondern von den »unpolitischen« Technokraten in den Ministerien beeinflußt war) erlassen: in ihm wurden die Funktionen von Betriebsgemeinschaft, Betriebsführer und Gefolgschaft samt (einflußlosem) Vertrauensrat festgelegt (115ff). Die DAF sollte gar nicht und die Treuhänder nur als sozialpolitische Letztinstanz (zur Einhaltung von Mindestarbeitsbedingungen, Kontrolle von Massenentlassungen etc) in die Betriebsgemeinschaft eingreifen (118). Gleichzeitig wurde die DAF-Freizeitorganisation 'Kraft durch Freude'(KdF) gegründet.

Die Betriebsgemeinschaftsidee setzte die Vormachtstellung des Kapitals voraus, der Kern der neuen Gesellschaftsordnung beruhte auf Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit. Es blieb aber die Schwierigkeit, die geplante Aufrüstung, die ja soziale Härten mit sich bringen würde, ohne Widerstand seitens der Klasse durchzuziehen. Als »Lösung« bot sich die Senkung der Massenarbeitslosigkeit an, was aber bedeutete, die Kontrolle des Arbeitsmarktes aufzugeben (120ff).

IV.

Die Lage der Arbeiterklasse in Deutschland von 1933 bis 1936

1. Arbeitsbeschaffung

Die Aufrüstung blieb in den Jahren 1933/34 noch begrenzt, da sie geheimgehalten werden sollte und zunächst wichtige organisatorische und produktionstechnische Vorarbeiten erledigt werden mußten. (126) Die Arbeitslosigkeit wurde mit statistischen Tricks gesenkt: 400.000 Jugendliche arbeiteten für ein Taschengeld in der Landwirtschaft, 600.000 Notstandsarbeiter (7x so viele wie 1932) bezogen Hungerlöhne, die kaum höher als die Arbeitslosenunterstützung waren. Streiks und Beschwerden waren die Folge (127). Es gab 1933/34 keine planmäßige Arbeitsbeschaffungspolitik »im Interesse der Arbeiter«, Arbeitsbeschaffungspolitik wurde eher als politisches und psychologisches Problem gesehen, nicht als volkswirtschaftliches: Die Leute mußten einfach 'weg von der Straße' (127f)

Die vorhandenen Arbeitsplätze wurden nach »sozialen« Gesichtspunkten propagandistisch umverteilt: Männer anstelle von Frauen/Jugendlichen; Ehestandsdarlehen für Arbeiterinnen, die die Arbeit aufgaben; ältere Familienväter gegen jüngere ledige Männer; Ausbau der Armee mit jungen Männern (wobei gleichzeitig auch das Kapital Interesse an jungen Männern wegen deren physischer Widerstandsfähigkeit und dem Mangel an klassenkämpferischen Erfahrungen hatte). (131ff) Arbeitsplätze wurden auch nach politischen Gesichtspunkten vergeben; da aber NSDAP und SA zu viele wilde, unkontrollierbare Aktionen starteten, wurde im August 1934 eine Verordnung über die Monopolstellung der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung erlassen: selbst mit Zuzugssperren für Berlin, Hamburg und Bremen sowie ländliche Gebiete und mit der Rückführung von Arbeitskräften in die Landwirtschaft konnte der Arbeitsmarkt aber nur völlig unzureichend kontrolliert werden (137)

Zwischen Anfang 1933 und Herbst 1936 nahm die Zahl der vorhandenen Arbeitskräfte um 1,4 Mio zu. (140) Aufgrund der Regierungsprioritäten kam es zu starken Branchenunterschieden: 1936 war der Beschäftigungsstand zwar durchsschnittlich wieder auf dem Niveau von 1929, lag aber in der Abteilung I (bes. Bau, Eisen, Metall) um 5-6% höher, in Abteilung II um 15% niedriger als 1929 (141). Die Krise hatte in der Abteilung I am meisten Arbeitslose hinterlassen, durch das Aufrüstungsprogramm war dort der Aufschwung entsprechend steil (143).

2. Löhne, Lebenshaltung und staatliche Sozialpolitik

Die Lebenshaltungskosten stiegen schneller als die Löhne, nur die Arbeiter in Abt.I konnten zw. 1933 und 1936 die Reallöhne halten (153f). In diesem Zeitraum gab es keine staatliche Lohnpolitik, sondern nur Terror gegen kollektive Forderungen sowie die Übernahme der Mindestlöhne vom Mai 1933; die Tarifverträge von 1933 blieben in Kraft; die Rüstungsindustrie zog aufgrund der höheren Löhne Arbeitskräfte an, es kam zu unerwünschten Lohnsteigerungen und regelrechten Abwerbungen ab Mitte 1936, auf dem Arbeitsmarkt eröffnete sich wieder ein größerer Verhandlungsspielraum (155ff).

Der Versuch einer Lohnangleichung (Spitzenlöhne runter, Niedriglöhne rauf) in der Bauindustrie scheiterte an den Einwänden der Gauleiter [!]: sie schätzten den Versuch als politisch schädlich ein und befürchteten sinkende Arbeitsleistungen. Aus Angst vor negativen Reaktionen der Arbeiterklasse entschied die Regierung im Mai 1935: keine Änderung der Tarifsätze, keine Einschränkung übertariflicher Lohnbildung (158). Das grundsätzlich Problem blieb bestehen: Expansionspläne und Rüstungskonjunktur mit entsprechend notwendiger Einschränkung der Kaufkraft und des Lebensstandards einerseits und gewünschte politische Loyalität genau dieser (gerade terroristsich unterdrückten) Arbeiterklasse andererseits (161).

Zur Kontrolle der Mobilität (bes. in den Metallberufen) wurde auf Initiative des Kriegsministeriums im Frühjahr 1935 das Arbeitsbuch eingeführt, ohne das keine Einstellungen mehr möglich waren und dessen Kopie beim Arbeitsamt lag. (162)

Die durchschnittlichen Mietkosten blieben zwar gleich, aber der steigende Wohnungsmangel stellte eine ernsthaft Mobilitätsschranke für die arbeitende Bevölkerung dar (172).

Landarbeiter verdienten nur 50-70% der Löhne der ungelernten Industriearbeiter; durch die entsprechende Landflucht gab es bereits 1934 Probleme bei der Ernte; alle Kontrollversuche blieben unvollkommen, da die (Rüstungs)-Industrie ja Arbeitskräfte brauchte (169f).

Einschätzung des Reichstreuhänders der Arbeit für Hessen Anfang 1936: die Arbeiter sind unzufrieden und meinen, die Unternehmer werden bevorzugt; keine Disziplin gerade bei den Arbeitern der wichtigen Konjunkturindustrien; keine Bindung der Arbeiterklasse ans Regime. (173)

V.

Sozialpolitik und gesellschaftliche Ideologie von 1934 bis 1936

Die Arbeiterklasse durfte nicht sich selbst überlassen bleiben, aber auch keine selbständige Organisation aufbauen (auch die DAF hatte ja keine ökonomischen Zuständigkeiten bekommen). Kapitalistischer Antagonismus und Klassenkampf existierten entgegen der herrschenden Ideologie weiter. Die DAF sollte die Arbeiterklasse einbinden, ohne die nötige Macht zu haben und v.a. ohne die Aufrüstungspolitik und die Volksgemeinschaftsideologie in Frage zu stellen. Das führte zum Aufbau eines riesigen DAF-Apparats, der wegen der fehlenden praktisch-politischen Funktion Selbstzweck war, der Erfolgsmaßstab der DAF war die Organisationsentwicklung (175f).[ Diese Beschreibung des »Verbandsimperialismus« der DAF gibt vermutlich dem Vorwurf von Roth Nahrung, auch Mason sei zeitweise der Meinung gewesen, ein wesentliches Moment (für das Scheitern) des NS sei die Konkurrenz der verschiedenen NS-Organisationen gewesen]. 1935 lag die DAF-Mitgliedschaft bei 16 Mio, ab 1934 wurde der Beitrag direkt von den Löhnen [!] abgezogen. Der KdF-Massentourismus und die Verlängerung des Jahresurlaubs sollten die gesellschaftliche Solidarität und das Vertrauen schaffen, das zur Erhöhung der Arbeitsleistung zugunsten der Aufrüstung nötig und durch die niedrigen Löhne nicht erreichbar war. (183) KdF sollte Kontroll- und Erziehungsfunktion haben und politische Anerkennung bringen, aber die Bevölkerung nutzte KdF, um »ihre Kraft durch zuviel Freude« zu vergeuden, zu vergessen, sich gehenzulassen, was dem angestrebten und ständig propagierten Ideal des arischen Menschen ziemlich widersprach. (185f) Zumindest ist vollkommen fraglich, ob es zu irgendwelchen Leistungssteigerungen kam. (189) An den Vertrauensratswahlen im Frühjahr 1934 nahmen 60% der Wahlberechtigten nicht teil. (192)

Noch im Herbst 1936 galten »die Arbeiter« als politisch unzuverlässig, pro Monat wurden immer noch ca 1.000 kommunistische Widerstandskämpfer verhaftet. (205f)

VI.

Sozialpolitik, Aufrüstung und Krieg, Sept. 1936 bis Dez. 1939

1. Die gesellschaftlichen Folgen der Aufrüstung

Trotz Steigerung der Steuereinnahmen, Schulden und Rüstungsausgaben waren noch nicht einmal genügend kriegswichtige Rohstoffe, Munition und Fahrzeuge vorhanden, um Blitzkriege zu führen (dies wurde schon nach dem Überfall auf Polen deutlich) (212). Eine bessere Umverteilung des Sozialprodukts war unmöglich, da diese nicht verwaltungstechnisch sondern nur politisch zu bewerkstelligen war. (214). Im August 1939 lag die Arbeitslosigkeit bei 34.000, bereits seit Mai 1938 wurden Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, der Bau- und Metallindustrie dringend gesucht (215) Trotz Kontrollversuchen blieb es bei eigenständiger Mobilität der deutschen Arbeiter, aus Polen wanderten Arbeiter illegal ein.(222)

Langfristige Planungen wurden zugunsten von Sofortmaßnahmen aufgegeben, aber die Anforderungen aus den Betrieben nach qualifizierten Arbeitern konnnten nicht bedient werden.(223) Aufgrund der geringen Löhne herrschte in der gesamten öffentlichen Verwaltung und v.a. auf den Arbeitsämtern (!) Personalmangel (224). Noch nicht einmal der steigenden Zahl von Sabotage-Akten in der Rüstungsindustrie konnte durch die Überprüfung der politischen Zuverlässigkeit der Arbeiter begegnet werden: [relativer] Personalmangel bei Gestapo und Sicherheitspolizei.

Die Zahl der Landarbeiter sank und war auch nicht durch Abwanderungsverbote und Propaganda zu stabilisieren. (226) Gerade im Rüstungsbereich kam es aufgrund der Kaufkraft der Wehrmacht zu Lohnsteigerungen (229), der Pro-Kopf-Verbrauch von Nahrungs- und Genußmitteln lag 1938 höher als 1930 (232). Ab Herbst 1937 führten Friseure und VerkäuferInnen einen zweijährigen Kampf um den früheren Ladenschluß am Samstag (235). Die Rüstungsindustrie gewann ihre zusätzlichen Arbeitskräfte aus der LaWi, die sie am allerwenigsten entbehren konnte.

2. Die Reaktion des Herrschaftssystems auf die drohende Krise

Im Sommer 1938 wurden die Planziele von 1936 revidiert, die real verfügbaren Ressourcen wurden aber nicht ermittelt, eine Untersuchung der Auswirkungen der Rüstungsproduktion auf die restliche Ökonomie blieb ebenfalls aus. Die Unsicherheit der Entscheidungsträger war in dieser Phase so groß, daß weder Einschränkungen bei Konsum und Lebenshaltung noch eine entscheidende Forcierung der Rüstungsproduktion durchgesetzt wurde (239f).

Wie sahen die Beziehungen zwischen dem NS-Regime und der Arbeiterklasse aus, so daß die objektiven Schwächen der deutschen Ökonomie vergrößert wurden? (244)

Nach dem Erreichen der Vollbeschäftigung konnten die Arbeiter wieder Bedingungen für die eigene politische Unterwerfung stellen (M. spricht in diesem Zusammenhang von einer »negativen Macht« der Arbeiterklasse): Sie forderten einen Anteil an der steigenden Prosperität ein, und die DAF machte sich solche Forderungen zusehends zu eigen (245f), um weiterhin für das Herrschaftssystem brauchbar zu sein, aber auch um ihre Machtstellung innerhalb des Systems auszubauen. Der von der DAF ausgerufene »Leistungskampf der deutschen Betriebe« ließ u.a. über die zusätzlich gewährten Sozialleistungen die Lohnkosten der Industrie in den Jahren 1936-38 um 6,5% anwachsen. (251f) Die DAF begann ab 1938 immer offener, ihre Zuständigkeit über das gesamte gesellschaftliche Leben auszubreiten (das nennt M. »Verbandsimperialismus«): Wohnungspolitik, Bank- und Versicherungswesen, Alterssicherung, Konsumgenossenschaften, Berufserziehung, VW-Werk in Wolfsburg. (254) Die objektive Funktion der DAF (für Mason ist die DAF-Politik dem System angemessen gewesen) bestand darin, zu verhindern, daß Ausbeutung und Unterdrückung für die Arbeiterklasse vollkommen unerträglich wurden (urspünglicher Auftrag war: die Steigerung des Lebensstandards bremsen, Verzicht zugunsten militärischer Expansion schmackhaft machen) (261)

Auch jetzt blieb der Versuch erfolglos, die große Mobilität zu kontrollieren und den Arbeitskräftemangel zu beheben (269ff). Die Arbeitsbereitschaft verheirateter Frauen blieb wegen der niedrigen Löhne gering. Mitte 1939 gab es Arbeitsverträge mit ca 525.000 Menschen aus Italien und Polen. Der einzige Ausweg zur Produktivitäts- und Produktionssteigerung schien in der Verlängerung der Arbeitszeit zu liegen. Aber auch dieses Mittel brachte eher ein Absinken der Leistung, Krankfeiern und eine inflationäre Wirkung der höheren Wochenlöhne (aufgrund der Mehrarbeit) hervor (280). Erst Mitte 1942 wurde langsam das Zwei(!)schichtsystem eingeführt [das kann ich kaum glauben]. (281) Im Jahr 1939 war die neugeschaffene große Wehrmacht auf die Leistungen einer Industriearbeiterschaft angewiesen, die nur fünf Prozent größer war und nur wenig mehr Arbeitsstunden leistete als die der 20er Jahre. (282) Erst im Frühjar 1940 wurden die ersten Betriebe des Konsumgütersektors geschlossen (283).

Insgesamt hatte die konsequente Unterordnung der Innen- unter die Außenpolitik dort ihre Grenze, wo das Regime um die materiellen Grundlagen seiner Popularität im Innern besorgt sein mußte (285).

Ab Mai 1938 wurde die zivile Dienstpflicht eingeführt, um zusätzliche Arbeitskräfte für die Rüstungsindustrie und ähnliche Arbeiten zu finden. Bis Ende 1939 wurden 1,3 Mio Menschen verpflichtet, davon 0,5 Mio für die zu Kriegsbeginn nötigen Umstellungen der Industrie, 0,4 Mio für den Bau des Westwalls. Die Verpflichtungen waren meist nur kurzfristig, die Betroffenen blieben auch nach Kriegsbeginn prinzipiell uneinsichtig (die geplante längerfristige Trennung dienstverpflichteter Arbeiter von ihren Familien mußte zurückgenommen werden: zu viel Unruhe, »Deserteure« etc) - auch die Dienstpflicht schaffte keine dauerhafte Lösung gegen den Arbeitskräftemangel in der Rüstungsindustrie. Verschiedene Zuschläge für die Dienstverpflichteten wiesen darauf hin, daß das Regime nicht wußte, was es der Klasse zumuten konnte, und die DAF war kein so wirksamer Vermittler wie die Gewerkschaften während des 1.Weltkrieges! (289ff) [Roth geht sogar so weit, die DAF eine über den ADGB hinausreichende dynamische Einheitsgewerkschaft zu nennen].

Ebenfalls ab Mai 1938 bekamen die Reichstreuhänder der Arbeit die Vollmacht zur Festsetzung von Höchstlöhnen, was der DAF gewisse Grenzen setzte. Aber auch die Kapitalisten waren nicht begeistert über diese Maßnahme, da die Arbeitsdisziplin sank. Außerdem zahlte der Staat bei Rüstungsaufträgen sowieso alle Preise. (293) Das Reichsarbeitsministerium zog seine Zustimmung zu Lohnsenkungen auf den Tarifstand von 1933 für den Kriegfall zurück und plädierte stattdessen für einen einfachen Lohnstopp. (295) Unzufriedenheit und passiver Widerstand in den Betrieben hielten aber auch nach Kriegsbeginn an, so daß sich die Regierung im November 1939 zu sozialpolitischen Zugeständnissen (Lohnzuschläge, Urlaub, Arbeitsschutz) gezwungen sah: Die innenpolitischen Vorbereitungen für die Ausweitung des Krieges auf ganz Westeuropa bestanden in der Preisgabe wesentlicher Positionen in der Kriegswirtschaft (296).

Es war dem NS nicht gelungen, die Arbeiterklasse in ein williges Werkzeug seiner Expansionspolitik zu verwandeln (298)

3. Schlußbetrachtungen

Die Analyse der nationalsozialistischen Sozialpolitik nach 1933 legt den Schluß nahe, daß der Stand der Kriegsvorbereitungen nicht das Ergebnis strategischer und wirtschaftspolitischer Entscheidungen gewesen ist, sondern vor allem durch innenpolitische Faktoren bestimmt war: Bevölkerung /Arbeiterklasse beugte sich dem Kriegskurs nicht, und die politische Führung konnte sich gegen den Druck von unten nicht behaupten (299). Die Kriegsführungsstrategie der Nationalsozialisten bekam Selbstzweckcharakter: die Kriegsführung nach außen wurde selber zur Voraussetzung weiterer Kriegsvorbereitungen im Inneren (306) [die zugespitzte These würde lauten: das Verhalten der Arbeiterklasse habe die Nationalsozialisten in den Blitz-Krieg getrieben...].

Nach dem Überfall auf Polen übernahmen polnische Landarbeiter und Kriegsgefangene die am schlechtesten bezahlten Arbeiten in der deutschen Wirtschaft: bereits im Juni 1941 gab es 1,5 Mio ausländische Arbeiter und 1,3 Mio Kriegsgefangene, die zu niedrigstem oder gar keinem Lohn in der dt. Wirtschaft arbeiteten. (310)

Bis Ende 1938 war der offene NS-Terror gegen die tatsächlichen oder eingebildeten [aber klar definierbaren und abgrenzbaren] »Feinde des Reiches« (Juden, Kommunisten, Gewerkschafter, Sozialdemokraten) gerichtet, was gleichzeitig eine Einschüchterung breiter Kreise bewirkte und bewirken sollte. Seit dem Winter 1938/39 wurde der Terror intensiviert und ausgeweitet, da die Auflösungserscheinungen in der Gesellschaft größer wurden (Arbeitsdisziplin, »Verwahrlosung« der Jugend etc). Dieser Terror war die einzige dem Regime verbliebene Möglichkeit, da es materiell und ideell nichts mehr zu bieten hatte (312f). Trotz dieser neuen Situation sank die Arbeitsdisziplin weiter: Krankfeiern, Bummelei, Feierschichten, schlechtes Arbeiten, Aufsässigkeit etc nahmen die Form eines kollektiven Protestes an.

(314; s. auch den oben zitierten Aufsatz »Arbeiteropposition ...«) Der Krankenstand stieg, im Sommer 1939 sprach der Wehrwirtschaftsinspektor für Berlin vom »passiven Widerstand der Arbeiterklasse«. (315). Weite Teile der Jugend verwahrlosten (316) [was auch immer das heißt]. Nach Mitte 1938 wurde des gesamte Arbeitsrecht kriminalisiert: Geldstrafen und Gerichtsverfahren bei Verstößen gegen Arbeitsdisziplin etc. (320) Ab Kriegsbeginn übernahm die Gestapo die Initiative, ab 1940 kamen Arbeitsunwillige und verwahrloste Jugendliche ins KZ.

Es begann die Entwicklung von der Betriebsgemeinschaft zum Betrieb als KZ und die Vernichtung von Menschen durch Arbeit (322).

N., Juni 1995


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