Wildcat-Zirkular Nr. 18 - August 1995 - S. 5-11 [z18razzi.htm]


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Die Razzien des Arbeitsamts helfen nicht uns,
sondern nur den Unternehmern!

In den letzten drei Jahren hat die Zahl der planmäßig und im großen Stil durchgeführten Razzien von Fahndern des Arbeitsamtes, des Zollamts und der Polizei stark zugenommen. Sie präsentieren sich dabei als Helden im Kampf um die Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Geschickt wird in Presseerklärungen und Artikeln die Jagd auf »Ausbeuter« und »betrügerische Arbeitgeber« in den Vordergrund gestellt. »Lohndumping«, »skrupellose Menschenhändler«, »skandalöse Verhältnisse« bei der Unterbringung - diese Stichworte sollen der Öffentlichkeit vorführen, daß mit den Razzien nur die besten Absichten verfolgt werden. Dann erscheinen auch die im Nachsatz erwähnten Festnahmen und Abschiebungen von ArbeiterInnen als bedauerliche Begleiterscheinung des unermüdlichen Einsatzes gegen die »Ausbeutung«. Zum Beispiel so:

»Insbesondere auf Baustellen stießen die Ermittler wiederholt auf skandalöse Verhältnisse. Drahtzieher sind häufig skrupellose Menschenhändler: So mußten auf einer Berliner Großbaustelle 65 osteuropäische Arbeitnehmer vorläufig festgenommen werden, von denen 51 weder eine Arbeits- noch eine Aufenthaltserlaubnis hatten. Sie arbeiteten zum Teil für einen Stundenlohn von 75 Pfennigen und waren von Briefkastenfirmen verliehen worden. Aussicht auf eine leistungsgerechte und deutschem Tarifrecht entsprechende Entlohnung besteht nicht; die Arbeitnehmer wurden bereits überwiegend in ihre Heimatländer abgeschoben.« (Presse-Information der Bundesanstalt für Arbeit Nr. 66/1993 vom 14. Oktober 1993: Neue Schwerpunktaktion gegen Mißbrauch)

Das Kölner Boulevard-Blatt »Express« titelte nach einer Razzia in einer kleinen Näherei: »Razzia: Polizei befreite Kölner Arbeitssklaven.« Für zwei Arbeiter bedeutete ihre »Befreiung« die Festnahme und Abschiebehaft!

Die Ohnmacht im Klassenkampf ist (k)eine Legitimation für die Razzien

Nicht nur staatliche Stellen, sondern auch Gewerkschaften und gutmeinende Menschen halten die Razzien für notwendig, zeigen »Schwarzarbeit« und »illegale Ausländerbeschäftigung« an und hetzen den ArbeiterInnen damit die Bullen auf den Hals. Die Einrichtung einer 150 Mann starken Sondertruppe beim Berliner Arbeitsamt, die im Rahmen eines Pilotprojekts noch systematischer Jagd auf »Illegale« betreiben soll, wird von der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden ausdrücklich begrüßt. Sie hält die staatliche Kontrolle für die einzige Möglichkeit, die von ihr selber ausgehandelten Lohntarife durchsetzen zu können, und behauptet, damit in erster Linie die Unternehmer zu treffen. In einem Interview mit der jungen Welt auf die Beteiligung an der Menschenjagd angesprochen rechtfertigt sich ein Gewerkschaftsfunktionär: »Das ist ja der Vollzug einer Kontrolle, die sich im Endeffekt an den Arbeitgeber richtet. Natürlich ist der Arbeitnehmer immer in solche Kontrollen miteinbezogen.« (jW, 27.6.95) »Miteinbezogen« - welch gekonnte Verharmlosung! »Miteinbezogen« heißt konkret: Festnahme, Knast, Abschiebung. Und die Gewerkschaft weiß selber nur zu gut, daß die Razzien den Unternehmern nicht ernstlich schaden. Ein Beamter des Bundessozialministeriums auf die Bußgelder für die erwischten Unternehmer angesprochen: »Die bezahlen die locker aus der Portokasse, weil bei der Beschäftigung von Illegalen soviel herauskommt.« (in jW vom 16.6.95) In ihren Handlungsanleitungen für Betriebsräte rief die IG BSE schon früher zur Denunziation auf:

»Liegt dem Betriebsrat ein begründeter Verdacht vor, daß illegale Beschäftigung stattfindet, sollte er sich grundsätzlich mit der IG BSE in Verbindung setzen. In Zusammenarbeit mit uns werden dann die weiteren Schritte (zum Beispiel Anzeige beim zuständigen Stützpunktarbeitsamt zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung beziehungsweise Polizei oder gegebenenfalls Finanzbehörden) eingeleitet.« (BSE-inform, Nr. 2/92)

Auch in linken Kreisen herrscht Verwirrung über die Razzien: »Irgendetwas muß doch getan werden gegen das zunehmende Unterlaufen von Tarifverträgen und gegen die Billiglohnarbeit?« Oder: »Wenn ihr gegen die Razzien seid, unterstützt ihr dann nicht gerade die Unternehmer bei der Ausbeutung?« Fragen, die wir überraschend oft zu hören bekommen, seit wir den Vorschlag einer breiten Kampagne gegen die Razzien gemacht haben. Als kürzlich 300 polnische ArbeiterInnen in Frankfurt/Oder vom BGS wegen der Absicht »illegaler« Arbeitsaufnahme abgeschoben wurden, begrüßte auch die örtliche PDS diese Maßnahme. So wie in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen ruft man nach dem regulierenden Staat anstatt sich selber zu bewegen und auf die eigene Stärke zu vertrauen. Zugegeben, um die ist es im Moment nicht gut bestellt, aber ist das ein Grund auf Vater Staat zu hoffen? Und zweitens, wie vereinbart sich eine Absicherung sozialer Mindeststandards durch den Nationalstaat und seine Politik der Ausgrenzung mit dem gleichzeitigen Kampf für ein Aufenthaltsrecht von Menschen aus dem Ausland und gegen die Abschiebeknäste? In Frankfurt/Oder ließen sich die ArbeiterInnen aus Polen ihre Festnahme und anschließende Ausweisung nicht einfach gefallen. Sie besetzten die Stadtbrücke und blockierten eine Stunde den Grenzverkehr. Wäre es nicht sinnvoller, solche Kampfansätze zu unterstützen und an den Arbeitsplätzen zu diskutieren, wie wir gemeinsam gegen die Unternehmer vorgehen können? - Anstatt darauf zu hoffen, der Staat würde durch gesetzliche Mindestbedingungen und Razzien verhindern, daß die Unternehmer die Konkurrenz unter den ArbeiterInnen zur Verschlechterung der Bedingungen für alle ausnutzen!

Razzien schützen nicht die sozialen Standards, sondern befördern die Lohnsenkung und Arbeitsintensivierung für alle!

Daß dem Staat an der Absicherung eines bestimmten sozialen Standards gelegen sei und er diesen notfalls auch mit Razzien sichern wolle, ist eine verhängnisvolle Illusion. Diese oberflächliche Sichtweise fällt auf die Propaganda des Arbeitsamtes herein, das mit seinem Kampf gegen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse prahlt. Auf die konkrete Wirksamkeit von Razzien angesprochen, gestehen die Fahnder sofort ein, daß sie den Unternehmern am wenigstens weh tun. Die rechtlichen Anforderungen an eine empfindliche Bestrafung sind so formuliert, daß sie im Zweifel nicht beweisbar sein werden: Beschäftigung von mehr als fünf nichtdeutschen Arbeitnehmern ohne Arbeitserlaubnis länger als 30 Kalendertage zu Arbeitsbedingungen, »die in einem auffälligen Mißverhältnis zu den Arbeitsbedingungen deutscher Arbeitnehmer stehen« (Paragraph 227a AFG).

Was kommt also tatsächlich bei den Razzien heraus? In erster Linie die Einknastung und Abschiebung von ArbeiterInnen. Und dies betrifft nicht nur diejenigen, die bei einer Razzia erwischt werden. Die ständige Drohung schüchtert alle ein und läßt sie stillhalten. Außerdem verhindert es, daß sich die ArbeiterInnen hier dauerhaft niederlassen - was sehr schnell dazu führen würde, daß sie höhere Löhne und bessere Bedingungen fordern. Eine solche Entwicklung, wie sie im Zuge der »Gastarbeiteranwerbung« in den 60er Jahren einsetzte [1], soll heute gerade verhindert werden - und dafür sind die Razzien ein notwendiges Mittel. Die Unternehmer benutzen das damit geschaffene Klima der Angst oder erzeugen es durch anonyme Denunziation und darauf folgende Razzien selber, um die Löhne niedrig zu halten und die Arbeit zu intensivieren. Und die »legalen« ArbeiterInnen können dann wiederum damit erpreßt werden, daß sie jederzeit durch solche gefügigen (vom Staat gefügig gemachte!) ArbeiterInnen ersetzbar seien. 1990 starben 260 Arbeiter bei Unfällen auf Baustellen. 1992 und 1993 waren es zusammengenommen schon tausend! Und das sind nur diejenigen, die von der offiziellen Statistik erfaßt werden. Die Razzien machen die Baustellen nicht sicherer - im Gegenteil, erst durch die juristische »Illegalisierung« und die anschließende Verfolgung durch den Staat wird erklärbar, warum sich die ArbeiterInnen dermaßen tödliche Arbeitsbedingungen bieten lassen.

Obwohl in den letzten Jahren die »illegale Ausländerbeschäftigung« ins Zentrum der Razzien gerückt ist, zielen sie auch auf die einheimische »Illegalität«, also »Schwarzarbeit« und »Sozialbetrug« durch gleichzeitigen Bezug von Arbeitslosen- oder Sozialhilfe. Auch dies ist Flankenschutz für die unternehmerischen Bemühungen, die Arbeitsbedingungen und die Löhne grundlegend zu ihren Gunsten zu verändern. Hier taucht zuweilen ein Konflikt zwischen Staat und Einzelunternehmern auf - aber einer, der sich um den effektivsten Weg zur Durchsetzung des Arbeitszwangs dreht.

Die Unternehmer weichen vor der Weigerung hiesiger Arbeitsloser, bestimmte Jobs zu machen, auf das größer gewordene Angebot ausländischer Arbeitskraft aus und zeigen damit, was für Löhne und Arbeitsbedingungen sie auch in der BRD gerne hätten. Der Staat hat dem durch die Einführung neuer Kategorien wie Saisonstatut und durch den Abschluß internationaler Verträge seit 1988 Rechnung getragen. Verstärkt seit 1990 hat er von der Grundgesetzänderung bis hinunter zur Ausführungsverordnung ein Gestrüpp von verschiedenen Aufenthaltsgenehmigungen, Ausnahmen, Fristen, Zuständigkeiten, Querverweisen, Tatbeständen und Strafmöglichkeiten geschaffen, bei dem fast niemand mehr durchblickt. Dadurch ist eine komplizierte Grauzone entstanden, die zum Einstieg in »illegale« Verhältnisse dient, welche den »grauen« Bereich weit übertreffen. Natürlich steht in keinem Gesetz und keiner Verordnung, daß damit die Schwarzarbeit gefördert werden soll, aber Fakt ist, daß der Staat damit ein Programm der kontrollierten Illegalisierung betrieben hat. Auf der anderen Seite hat der Staat durch die sozialen Operationen und Kürzungen der letzten zehn Jahre die Zumutbarkeit und den finanziellen Druck zur Annahme jeder Arbeit gesteigert.

Um sich diesem Druck zu entziehen und ihr Einkommensniveau halten zu können, kombinieren viele Leute den Bezug von Sozialleistungen mit ein bißchen Schwarzarbeit - so wie sie Schwarzfahren oder Ladendiebstahl zum Überleben nutzen. Die Razzien richten sich auch gegen diesen, individuellen Versuch, dem intensivierten Arbeitszwang zu entfliehen. In der Konsequenz sollen die bereits ansässigen ArbeiterInnen dazu gebracht werden, verschlechterte Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, wie sie von den Unternehmern heute mit dem Einsatz ausländischer ArbeiterInnen vorgeführt werden. Das wurde in der Diskussion um den Ernteeinsatz von Arbeitslosen deutlich, oder an dem jüngsten Vorschlag, die Höhe der Arbeitslosenhilfe an dem jeweiligen »Marktwert« der Arbeitskraft zu berechnen. Mit dem letzten Einsparungsvorschlag wird vom Staat klar gesagt, daß es in der nächsten Zeit nur um eine Verschlechterung gehen kann. Und die betreibt der Staat selber, z.B. mit der Absenkung der ABM-Förderung, die fast immer zu Lohnsenkungen durch die Projektträger führt. Den Unternehmern geht dies nur nicht schnell genug. Durch die Ausbeutung ausländischer ArbeiterInnen und das Unterlaufen noch geltender Standards mit Schwarzarbeit oder Scheinselbständigkeit machen sie ihre Forderung nach einem radikaleren Umbau des Sozialstaats deutlich. Der Staat folgt diesen Forderungen, will aber die Verschlechterungen rechtlich regeln, um unkontrollierbare Konflikte zu verhindern. Er vertritt also nur den »ideellen Gesamtkapitalisten«, der bei der Intensivierung der Ausbeutung die politische Stabilität im Auge behalten muß.

Razzien und Entsenderichtlinie - Antwort auf drohende Kämpfe

Kran- und Baustellenbesetzungen durch ausländische Bauarbeiter waren im letzten Jahr nur die Spitze des Eisbergs. Unterhalb von solchen spektakulären Aktionen haben die ausländischen Arbeiter den Boom auf deutschen Baustellen dazu benutzen können, deutliche Lohnsteigerungen für sich durchzusetzen. Dieser Lohnanstieg, mehr aber noch die Gefahr, daß spontane Aktionen der Wut sich zu breiteren, unkontrollierten Konflikten entwickeln könnten, hat jetzt auch den Deregulierungsapostel Rexroth einlenken lassen. Der Staat greift ein und plant eine gesetzliche Lohnregelung auf den Baustellen. In der Begründung für den am 17. August vorgestellten Gesetzesentwurf zu einer Entsenderichtlinie, nach der allgemeinverbindliche Tarifverträge im Baugewerbe auch für ausländische Unternehmer und Arbeiter gelten sollen, heißt es: »Zudem wird die Ordnungs- und Befriedungsfunktion der Tarifautonomie durch Anwendung ausländischer Bestimmungen in einem ganzen Wirtschaftsbereich untergraben.« Mit anderen Worten: dort wo die Gewerkschaft keine wirksame Regulation und Kontrolle der Kämpfe übernehmen kann - »Befriedungsfunktion«! -, muß der Staat selber einspringen.

Bei den auch im Gesetzesentwurf befürchteten »sozialen Spannungen« geht es nicht um Konflikte zwischen deutschen und ausländischen Bauarbeitern, wie sie von IG BSE und Handwerkskammer mehr herbeigeredet werden, als daß es sie tatsächlich gibt. Es geht um spontane Kampfformen, mit denen Bauarbeiter gegen die beschissenen Bedingungen vorgehen. Eins der größten Probleme für die Bauarbeiter ist in der aktuellen Situation die Nichtauszahlung der Löhne. Täglich kommt es vor, daß die oft gar nicht klar zu erkennenden Arbeitgeber in den Sub-Sub-Subunternehmerketten am Tag der Lohnzahlung verschwunden sind. In solchen Fällen sind den Unternehmern die Razzien sehr recht. So geschehen im sächsischen Schmannewitz, wo italienische Bauarbeiter vergeblich auf den Lohn von ihrem abgetauchten Subunternehmer warteten, stattdessen aber eine Razzia auf der Baustelle stattfand - ausgelöst durch eine anonyme Denunziation. Sie seien illegal, weil ihre Firma keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlt habe. In diesem Fall wehrten sich die Arbeiter kollektiv, besetzten die Baustelle und blockierten den gesamten Bau. Vom Bauträger angeheuerte Ersatzarbeiter konnten überzeugt werden, keine Streikbrecherarbeit zu machen. Am Schluß bekamen die meisten ihr Geld. (Siehe die lesenswerte Reportage in der jungen Welt vom 17.6.95.) Das besondere an diesem Fall ist nur, daß er in die Öffentlichkeit kam und von politischen Kräften unterstützt wurde. In vielen Fällen reagieren die Arbeiter auf den Lohnraub durch direkte Aktionen der Sabotage (fertiggestellte Arbeiten werden bei Nacht und Nebel wieder zertrümmert), durch Kranbesetzungen oder tätliche Angriffe auf ihre Bosse. Eine Gewerkschaft, mit deren Hilfe sich der Konflikt in geordnete Bahnen lenken ließe, ist hier fast kaum präsent - und die ausländischen Arbeiter hätten von ihr außer Razzien auch kaum etwas zu erwarten.

Mit Ausnahme der jungen Welt und einiger lokaler (Fernseh-)Sender ignorieren die Medien die Versuche ausländischer ArbeiterInnen, sich gegen ihre Scheißbedingungen zu wehren, vollständig. Ein erster wichtiger Schritt ist also, daß wir zu allen Auseinandersetzungen hingehen, über die wir was hören. Nicht nur auf dem Bau, auch in der Landwirtschaft, in Restaurants und Kneipen, in der Gebäudereinigung, sowie im gesamten Transportbereich! Öffentlichkeit herstellen, Kontakte aufbauen hilft mit, die Abschottung in Lagern und Schlafcontainern zu durchbrechen, wohin die Unternehmer die ausländischen ArbeiterInnen gesteckt haben.

Zweitens können wir versuchen, Kontaktnetze aufzubauen, also Adressen zur Verfügung stellen, Informationen über die (Kampf-)Erfahrungen der ArbeiterInnen sammeln, übersetzen und rumgehen lassen.

So wichtig diese beiden Punkte sind, richtig Power kriegen unsere Aktivitäten aber nur im Angriff auf den Gesamtzusammenhang. Wenn wir nicht in die Ecke der betreuerischen Sozialarbeit oder (schlimmer noch!) des Aufbaus alternativer Gewerkschaftsstrukturen geraten wollen, müssen wir in der Lage sein, unseren Kampf gegen die Razzien mit der breiten Thematisierung des Gesamtangriffs auf alle Lebens- und Arbeitsbereiche zu verbinden: Kürzungen bei AL-Geld und Sozi, massive Verdichtung der Arbeit auf den Baustellen, in den Fabriken und anderswo.

Der Staat flankiert den Angriff der Unternehmer auf Alle

Die Entsenderichtlinie, auf die jetzt manche ihre Hoffnung setzen, soll dagegen diese ersten Kampferfahrungen wieder zunichte machen und das Problem dem Staat überlassen. Sie wird auch die weitere Absenkung der Löhne nicht verhindern, im Gegenteil: als Mindestlohn soll der unterste Tariflohn für unqualifizierte Bauarbeit festgeschrieben werden. Das jetzt vorgeschlagene Gesetz regelt lediglich, daß diese bei Allgemeinverbindlichkeit auch für alle Bauarbeiter aus dem Ausland gelten. Die Begründung des Gesetzes enthält einen deutlichen Fingerzeig an die Tarifparteien: Es läge nun an ihnen, entsprechende »unterste Lohngruppen« zu vereinbaren. Und warum sollte die IG Bau an dem Punkt nicht kompromißbereit sein, die untersten Tarife weiter absenken oder geringere Einstiegslöhne vereinbaren, wenn sie dafür im Gegenzug für die hier Ansässigen und von ihr organisierten Arbeiter eine etwas bessere Regelung für das gerade in der Diskussion stehende Schlechtwettergeld herausschlägt? Dem Entwurf zufolge ist das Gesetz auf zwei Jahre befristet, »da das unterschiedliche europäische Lohnniveau kein auf Dauer unveränderliches Merkmal der Baubranche darstellt«. Was ist damit wohl gemeint? Daß in zwei Jahren in Portugal, wo auf den Baustellen zur Zeit massenhaft Arbeiter aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien zu Billiglöhnen eingesetzt werden, die Tariflöhne der deutschen IG Bau gelten? Oder daß die Löhne hier weiter in den Keller sacken und sich den portugiesischen, italienischen oder irischen angleichen? Der Gesetzesentwurf muß es nicht so deutlich formulieren, denn alle wissen, wohin der Zug im Moment fährt. Die Entsenderichtlinie könnte also die Tarifstruktur im Baugewerbe nach unten aufbrechen, und das gilt dann auch noch nach den zwei Jahren!

F.


Fußnoten:

[1] »Das Dilemma liegt eben da, wo wir im Begriff sind, den Ausländer qualifizierter einzusetzen, wo wir ihm die Möglichkeit geben, aus der Gemeinschaftsunterkunft überzusiedeln in die eigene Wohnung und seine Familie nachzuholen. In diesem Moment, in dem spätestens der gleiche soziale Status erreicht ist, wie der einheimische Arbeiter ihn hat, schwindet der Effekt in arbeitsmarktpolitischer und volkswirtschaftlicher Hinsicht«, schrieb der Industriekurier am 17.7.1965 und formulierte damit klar, daß eine ständige Fluchtsituation, ein nicht legalisierter oder von vornherein befristeter Aufenthalt die besten Voraussetzungen für den gewünschten »arbeitsmarktpolitischen Effekt« sind. Die heutige Einwanderung ist anders als die in den 60er Jahren ein wesentlicher Bestandteil der Umkrempelung der Arbeitsmärkte zu mehr Flexibilität und Prekarisierung - ein breites illegalisiertes Arbeitsmarktsegment ist daher politisch gewollt.


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