Wildcat-Zirkular Nr. 25 - Mai 1996


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They Won't keep on Truckin'

Verärgerte LKW-FahrerInnen drohen mit der Blockierung des Hafens von Los Angeles

von David Bacon (Los Angeles View, 23.-29. Februar 1996)

Vorbemerkung des Übersetzers: Im folgenden Artikel aus der Wo­chen­zeitung LA-View geht es um einen LKW-Fahrerstreik in Los Angeles. Dabei wird auch auf die unter­schied­lichen Kämpfe und Bewe­gun­gen hinge­wie­sen, bei denen es um die Durchsetzung von Forde­run­gen und den Aufbau von Ge­werkschaf­ten von Immigran­ten-­Arbei­te­rInnen ging: Trockenbau­ern, Hausmei­ste­rInnen usw. Diese Bewe­gun­gen ver­schie­de­ner Immi­gran­ten-Arbeite­rInnen in den USA sind dort tat­sächlich verein­zelte aber wichti­ge Zei­chen von Kampf und Wider­stand. Sie versuchen vor allem, ihre schlechten mate­riellen Bedingungen über Streiks und die Orga­ni­sierung von Basisge­werk­schaf­ten zu verbessern. Auch einige Gewerkschaften im Gewerk­schafts­verband AFL-CIO haben er­kannt, daß sie die neuen Basismi­litan­ten auf­nehmen und für eine Wieder­er­star­kung nutzen könnten. Sie stehen im Mittel­punkt neuer »union organi­sing« Versuche. Was sich tatsäch­lich aus den Bewegungen ergibt, scheint mir noch unklar. Wenn dieser Schrei­berling des LA-View darüber berichtet, dann setzt er tat­sächlich darin die Hoff­nung, daß eine starke Ge­werkschaftsbewegung grund­legend was verändert. Täte sie ja auch, fragt sich nur was und in welche Richtung. Wichtig erscheinen mir erstmal die Erfah­run­gen, die diese Leute in den Kämpfen haben. Daß sie von den Be­dingungen in den USA ausgehen - wo die »Deregulierung« früher anfing und weiter ging und wo die Gewerk­schaften stärker ange­griffen wurden und in vielen Bereichen kaum noch existent sind - ist klar. Wenn sich dann die Mili­tan­ten auch auf den Auf­bau von gewerkschaftli­chen Basiss­trukturen beziehen, scheint das in ihrer Situation nahe­liegend. Inwieweit sich die in den Kämpfen neu entstehenden Strukturen dann in die sozialdemo­krati­sche AFL-CIO Strategie einbauen lassen - oder eine eigene, radi­kalere Dynamik entwi­keln - wird sich zeigen.

Einige Jobs bringen die Leute dazu, Gewerk­schaf­ten beitreten zu wollen. Einen LKW aus dem Hafen von L.A. zu fahren ist einer von ihnen. Aber nach Bestim­mungen der Bundesregierung dürfen Ha­fen­fahrer - wie Millionen anderer ArbeiterInnen auch - keiner Ge­werkschaft bei­treten. Sie mögen ja wie Arbeite­rInnen aus­sehen und sich so verhalten, aber für die Regierung sind sie un­abhän­gige Unter­nehmer. Wenn also diese Arbeite­rIn­nen-­die-kei­ne-Arbei­terInnen-sind unzufrieden mit ihrem Job sind und was dagegen tun wollen, müssen sie sich nicht nur gegen die eigenen Arbeitgeber zur Wehr setzen, sondern auch gegen die Behörden, deren Pflicht mal die Verteidigung ihrer Rechte war.

Raul Miramontes ist ein LKW-Fahrer, der für den L.A.- und den Long Beach-Hafen arbeitet. Wie die meisten FahrerInnen ist er sauer. »Um eine Ladung zu bekommen, mußt du um vier Uhr mor­gens auf­stehen. Noch im Halbschlaf steigst du in die Fahrerkabine deines LKWs. Du siehst nicht mal mehr deine Fami­lie, bevor du los­fährst. Dann gehts runter zum Hafen und du stellst dich in die Schlange. Und du wartest.«

An den Ladestationen stehen Dutzende von Zugmaschinen und leeren Lastzügen und lassen ihre Dieselmotoren laufen. Durch die Ab­gase ist die Luft stickig und beißend. Etwas weiter weg, an den Docks, liegen die großen Schiffe. Die Container darauf sind so hoch gestapelt, daß sie aussehen wie Hochhäuser. Riesige Kräne laden oder entladen die Contai­ner. Sie bewegen sie wie Spielzeug vom Kai aufs Schiff und zurück.

»Schließlich erreichst du die Spitze der Schlange und bekommst einen Container«, fährt Miramontes fort. »Du bist dann auf dem Free­way und ver­suchst die Ladung so schnell wie möglich beim Kunden auszu­liefern. Wenn du da ankommst, mußt du normalerweise noch mal war­ten, bist du abladen kannst - bevor du dann zurück zum Hafen fährst, um die nächste Fuhre zu holen. Diese ganzen Stun­den Wartezeit be­kommst du nicht bezahlt.«

Die Warterei ist nicht die einzige Sache, die den FahrerInnen auf den Nägeln brennt. Die Container, so groß wie ein Last­zug, sollten kontrol­liert werden. Das passiert aber meistens nicht. Oft sind sie viel zu schwer. Manchmal sind sie schlecht gepackt und die Ladung fängt plötzlich an zu rutschen. Da­durch kann der ganze Lastzug umkippen, was auf dem Freeway eine töt­lich Gefahr bedeutet, nicht nur für die FahrerInnen selbst, sondern auch für alle Personen in den Fahrzeugen in unmittelbarer Nähe.

Miramontes, ein untersetzter Mann aus Mexiko, äußert seine Kri­tik langsam und überlegt. Sein Freund, Kaan Ural, eine Türke, ist da genau das Gegenteil. Dünn und fahrig, kommen seine Be­schwerden wie aus der Maschinenpistole.

»Die Arbeitsbedingungen sind mies«, sagt er, mit seinen Fingern in der Luft herumfuchtelnd. »Wir warten oft zehn bis zwölf Stun­den am Tag. Manchmal arbeiten wir 24 Stunden am Stück. Wir haben keine Unfall­versicherung, keine Arbeitslosenversiche­rung, keine Krankenver­siche­rung, garnichts. Ich habe eine Frau und zwei Kinder. Wenn ich mir morgen bei der Arbeit ein Bein breche, wird sich niemand um sie küm­mern.«

Unzufriedene Arbeiter wie diese stehen im Mittelpunkt von Ver­suchen Ge­werkschaften aufzubauen. Ein solcher Versuch fin­det gerade bei den Hafenfah­rerInnen statt. Das zieht sich schon über ein Jahr hin­ und ist Teil eines Kamp­fes, der zwei Jahr­zehn­te zu­rück­geht.

Die FahrerInnen haben ein großes Problem: sie besitzen ihre LKWs. Nicht weil sie Unternehmer der oberen Mittelklasse wären, sondern vielmehr als Folge und Nebenerscheinung der Deregulie­rung. 1973 schaffte die Bundesregierung ein gesetzliches Regel­werk ab, das sowohl die Preise für den Transport von Gütern von einem Ort zum anderen als auch minimale Sicherheitsstandards für die Fah­rerInnen festlegte. In der Zeit erbitterten Wettbewerbs, die danach kam, drückten die Speditionen ihre Kosten. Die von ihnen am häufigsten angewandte Methode der Kostensenkung war die Ent­lassung von FahrerInnen. Eine Firma nach der anderen feuerte Langzeitangestellte. Dann boten sie FahrerIn­nen mit eigenen LKWs die Zahlung eines bestimmten Betrags für den Transport einer Fuhre an. Hatten die FahrerInnen einmal eine Zugmaschine gekauft, fuhren sie für die Bank und nicht für die Firma. Alle Ausgaben - Benzin, Versicherung, Kredit­zahlungen, Reparaturen - mußten sie selbst zahlen.

Für die Firmen war das ein gutes Geschäft - ein Stücklohnsystem, bei dem sie pro Ladung bezahlen und keine Risiken übernehmen. Sie kom­men nicht mehr für Berufkrankheiten, Invalidität, Arbeitslosengeld der FahrerInnen auf. Wenn die Steuern oder der Benzin­preis anzieht, müssen die FahrerInnen das ausgleichen. Wenn ein LKW liegenbleibt, geht das die Firma nichts an.

»Wir werden pro Fuhre bezahlt«, sagt Miramontes wütend, »also müssen wir Überstunden machen, um genug Fuhren zu bekommen und davon leben zu können.« Überstunden können gefährlich sein. »Wenn einer 18 oder 19 Stunden am Tag fährt, was kannst du dann von ihm erwarten?« meint Ural. »Er wird irgendjemand auf dem Freeway totfah­ren. Und wer wird dafür verantwortlich gemacht?«

Der dramatischste Verlust für die FahrerInnen war der ihrer Gewerk­schafts­mitgliedschaft. Vor der Deregulierung gehör­ten die Hafenfahrer zur Teamsters Gewerkschaft. Nach der Ände­rung des Gesetzes entschied das National Labor Relations Board (NLRB; Bundesbehörde für Arbeits­beziehun­gen), daß die Speditionen nicht verpflichtet seien, mit den FahrerInnen zu verhandeln, weil diese in den Augen des Gesetzes keine ArbeiterInnen mehr seien.

»Du würdest erwarten, daß das NLRB, das Mitte der 30er Jahre vom Kongreß gebildet wurde, um das Recht der Arbeiter auf Organisa­tions­freiheit zu schützen, auch dementsprechend handelt,« sagt Virgi­nia Rodriguez, Organisa­tionsleiterin der Communications Workers of Ameri­ca (CWA; Kommunika­tions- und Transportarbeiter Gewerk­schaft) für Region 9. »Aber das NLRB hat sich mit den Jahren mehr und mehr auf die Seite der Arbeitgeber gestellt. Jetzt ist sie eine machtlose Behörde. Das Gesetz greift nicht. Die Unternehmer können alles machen, um die Arbeiter am Aufbau einer Gewerkschaft zu hindern. Sie haben das NLRB umge­dreht.«

»Die Firmen haben uns erzählt, daß es gut wäre, ein selbständi­ger Fahrer zu sein. Einige Zeit lang haben sie uns so verarscht,« erinnert sich Ural. »Aber wie man so sagt: Du kannst nicht immer alle Leute ver­arschen. Wir haben relativ schnell kapiert, daß wir Angestellte sein müssen, um unter den Schutz des National Labor Relations Laws (Bun­desgesetz zu den Ar­beits­beziehungen) und der staatlichen Arbeitsbestim­mun­gen zu fallen. Als selbständige FahrerInnen sind wir nicht abge­sichert. Das muß geän­dert wer­den.«

In den letzten zwei Jahrzehnten haben die Hafenfahrer häufiger ver­sucht, ihre Bedingungen zu verbessern. 1984 begannen Fahre­rInnen, die mit den schlechter werdenden Bedingungen unzufrieden waren, einen spontanen Streik und blo­kierten den Hafen. Nach dem Streik versuch­ten sie eine Kooperative aufzubau­en, was aber scheiterte.

Im Dezember 1986 organisierten FahrerInnen die Waterfront and Rail­way Union (Küsten und Eisenbahn Gewerkschaft). Nachdem sie her­ausgefunden hatten, daß die Hafenfahrer in New York und New Jersey für ihre Wartezeiten bezahlt werden, klagte einer der FahrerInnen vor einem unteren Zivilgericht in Los Ange­les mit dersel­ben Forderung und kam damit durch. Danach wurden Hunderte ähn­licher Klagen einge­reicht. Nun ging es um Zehntausende von Dol­lars und die Firmen engagierten hochbezahlte Rechtsanwälte. Letztendlich gewannen sie gegen die FahrerInnen vor dem höchsten Gericht.

1988 starteten die FahrerInnen dann ihren größten Angriff. Nach­dem die Speditionen jede Verbes­serung der Bedingungen abgelehnt hatten, streik­ten die FahrerInnen sechs Wochen lang. Um den Streik zu brechen karrte eine der Spedi­tionen 300 Leute aus El Salvador heran und ver­sprach diesen einen legalen Status (in den USA). Die ArbeiterInnen, von Gewalt und Ersetzung bedroht, been­de­ten schließlich den Streik.

Steigende Benzinpreise führten dann 1993 zu einer wilden Streik­bewe­gung, die über das Land fegte. Die selb­ständigen FahrerInnen weigerten sich, irgend­welche Fuhren zu übernehmen, solange bis die Spe­di­tionen einen Teil der steigenden Kosten ausgli­chen. Im Hafen von L.A. dauerte der Streik viel länger als an­derswo. Aber die Poli­zei übte star­ken Druck auf die FahrerInnen aus, und diese kehrten schließlich zur Arbeit zu­rück.

Während die Transportkriege im Hafen abliefen, wandelte sich die (Zu­sammensetzung der) Arbeiter­schaft enorm. Heute sind über 90 Prozent der FahrerInnen, die Container vom Hafen von Los Angeles und Long Beach fahren, ImmigrantInnen, fast alle aus Mexiko oder Mittel­amerika. Die Ausein­andersetzung um den Hafen ist Teil der zunehmen­den Ar­beiter­kämpfe der ImmigrantInnen, die die Gewerk­schaftsbewe­gung in Südkalifornien grund­legend verän­dern.

Dabei handelt es sich genauso um sozialen Protest wie klassi­schen Arbeiter­kampf. Gründe für das Zusammenkommen der FahrerIn­nen sind kulturelle Verbindungen und gemeinsame ökonomischen Probleme, dieselben Kräfte die schon Ursache für die Solida­rität unter Trocken­bauern und Zimmerleu­ten, HausmeisterInnen, Farmar­beiterInnen, Hote­lange­stellten und FabrikarbeiterInnen waren - die alle in den letzten Jahren gestreikt und das Recht auf ge­werkschaft­liche Organisie­rung durchgesetzt haben (won union contracts; könnte auch heißen, daß sie einen »Closed Shop« durch­gesetzt haben, bei dem alle Arbeite­rInnen in einem Bereich in der Gewerkschaft sein müssen!).

Im Januar 1994 organisierten die Hafenfahrer die Latin American Tru­kers Association (Latein­amerikanische LKW-Fahrer Vereini­gung). Die FahrerInnen begannen auch, nach einer Gewerkschaft zu suchen, die ihnen helfen würde, den Selbständigenstatus anzu­greifen, und fanden den Local 9400 der Communica­tions Workers of America (CWA). Im Laufe des letzten Jahres wurden die meisten der 6000 FahrerInnen, die für den Hafen fahren, Mitglied in der CWA. Oft kommen 1000 von ihnen zu den wöchentlichen Treffen im CWA-Zentrum.

Im letzten Monat wurden die Häfen von Los Angeles und Long Beach von einem einige Meilen langen Korso von 1000 FahrerInnen und ihren LKWs erschüttert, der von Lynwood bis zum Rathaus von Long Beach reich­te. Hunder­te von Zugmaschinen und LKWs fuhren in einer gut organisierten Formation langsam den Hafen-­Freeway runter und durch die Straßen von Long Beach. Auf Fahnen und Transparenten wurde die gewerk­schaftliche Organisationsfrei­heit gefordert. Bei ihrer Ankunft am Rathaus ließen sie den Stadtrat von Long Beach, der den Hafen ver­waltet, wissen, daß sie von diesem die Unterstüt­zung ihrer Forderung nach einer besseren Behandlung erwarteten.

Vor dem Korso gab es eine große Kundgebung unter einer Straßen­über­führung von Freeway 105 in Lynwood. Politiker und Arbeiter­führer, darunter Los Angeles Stadtrat Richard Alarcon, der frü­here Senator des Bundesstaats Art Torres, die Führer der United Farm Workers (Land­arbeitergewerkschaft) Arturo Rodriguez und Dolores Huerta und der Vizepräsident der CWA Local 9400 Michael Hartigan sprachen den LKW-FahrerInnen ihre Unterstützung aus. Während der Kundgebung und dem Korso wiederholten die Fah­rerIn­nen ihre drei Grundforderun­gen: ein zentralisiertes Abfer­tigungssystem, das die Arbeit regeln und die langen Wartesch­langen verkürzen soll; Bezahlung der Zeit, die mit Warten auf Container verbracht wird; und genaue Inspektionen der Contai­ner selbst.

Nach einem ähnlichen Korso von den Häfen nach Downtown L.A. im letzten Oktober verabschiedete der dortige Stadtrat einstimmig eine Resolution, in der die drei Forderungen unter­stützt wurden. Die Fahre­rInnen und ihre Gewerkschaft traten nun an den Stadtrat von Long Beach heran. Ein Stadtver­treter (City Attorney; ein leitender Posten in der Stadtregierung) erklärte ihnen, daß der hiesige Stadtrat keine ähn­liche Resolution erwägen würde.

Virginia Rodriguez von der CWA beschuldigt die Stadtregierung von Long Beach, daß sie »ein offenes Ohr für die Interessen der Speditionen hat, nicht aber für die der FahrerInnen. Wir sagen, daß das arbeitende Leute sind, Men­schen, die ein Einkommen ver­dienen, das zum Leben reicht. Und der Selb­ständigenstatus wird dazu benutzt, ihnen das zu verweigern. Er sorgt dafür, daß die FahrerInnen Sklaven einer Industrie bleiben, in der sie keine Rechte haben.«

»Im letzten Streik«, folgert Ural, »brauchten wir nur einen Tag, um die Unterstützung von 3000 FahrerInnen zu bekommen. Die Spe­ditionen sollten uns genau zuhören. Entweder sie erfüllen unsere Forderungen oder wir wir werden sie überrollen.« ■


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