They Won't keep on Truckin'
Verärgerte LKW-FahrerInnen drohen mit der Blockierung des Hafens von Los Angeles
von David Bacon (Los Angeles View, 23.-29. Februar 1996)
Vorbemerkung des Übersetzers: Im folgenden Artikel aus der Wochenzeitung LA-View geht es um einen LKW-Fahrerstreik in Los Angeles. Dabei wird auch auf die unterschiedlichen Kämpfe und Bewegungen hingewiesen, bei denen es um die Durchsetzung von Forderungen und den Aufbau von Gewerkschaften von Immigranten-ArbeiterInnen ging: Trockenbauern, HausmeisterInnen usw. Diese Bewegungen verschiedener Immigranten-ArbeiterInnen in den USA sind dort tatsächlich vereinzelte aber wichtige Zeichen von Kampf und Widerstand. Sie versuchen vor allem, ihre schlechten materiellen Bedingungen über Streiks und die Organisierung von Basisgewerkschaften zu verbessern. Auch einige Gewerkschaften im Gewerkschaftsverband AFL-CIO haben erkannt, daß sie die neuen Basismilitanten aufnehmen und für eine Wiedererstarkung nutzen könnten. Sie stehen im Mittelpunkt neuer »union organising« Versuche. Was sich tatsächlich aus den Bewegungen ergibt, scheint mir noch unklar. Wenn dieser Schreiberling des LA-View darüber berichtet, dann setzt er tatsächlich darin die Hoffnung, daß eine starke Gewerkschaftsbewegung grundlegend was verändert. Täte sie ja auch, fragt sich nur was und in welche Richtung. Wichtig erscheinen mir erstmal die Erfahrungen, die diese Leute in den Kämpfen haben. Daß sie von den Bedingungen in den USA ausgehen - wo die »Deregulierung« früher anfing und weiter ging und wo die Gewerkschaften stärker angegriffen wurden und in vielen Bereichen kaum noch existent sind - ist klar. Wenn sich dann die Militanten auch auf den Aufbau von gewerkschaftlichen Basisstrukturen beziehen, scheint das in ihrer Situation naheliegend. Inwieweit sich die in den Kämpfen neu entstehenden Strukturen dann in die sozialdemokratische AFL-CIO Strategie einbauen lassen - oder eine eigene, radikalere Dynamik entwikeln - wird sich zeigen.
Einige Jobs bringen die Leute dazu, Gewerkschaften beitreten zu wollen. Einen LKW aus dem Hafen von L.A. zu fahren ist einer von ihnen. Aber nach Bestimmungen der Bundesregierung dürfen Hafenfahrer - wie Millionen anderer ArbeiterInnen auch - keiner Gewerkschaft beitreten. Sie mögen ja wie ArbeiterInnen aussehen und sich so verhalten, aber für die Regierung sind sie unabhängige Unternehmer. Wenn also diese ArbeiterInnen-die-keine-ArbeiterInnen-sind unzufrieden mit ihrem Job sind und was dagegen tun wollen, müssen sie sich nicht nur gegen die eigenen Arbeitgeber zur Wehr setzen, sondern auch gegen die Behörden, deren Pflicht mal die Verteidigung ihrer Rechte war.
Raul Miramontes ist ein LKW-Fahrer, der für den L.A.- und den Long Beach-Hafen arbeitet. Wie die meisten FahrerInnen ist er sauer. »Um eine Ladung zu bekommen, mußt du um vier Uhr morgens aufstehen. Noch im Halbschlaf steigst du in die Fahrerkabine deines LKWs. Du siehst nicht mal mehr deine Familie, bevor du losfährst. Dann gehts runter zum Hafen und du stellst dich in die Schlange. Und du wartest.«
An den Ladestationen stehen Dutzende von Zugmaschinen und leeren Lastzügen und lassen ihre Dieselmotoren laufen. Durch die Abgase ist die Luft stickig und beißend. Etwas weiter weg, an den Docks, liegen die großen Schiffe. Die Container darauf sind so hoch gestapelt, daß sie aussehen wie Hochhäuser. Riesige Kräne laden oder entladen die Container. Sie bewegen sie wie Spielzeug vom Kai aufs Schiff und zurück.
»Schließlich erreichst du die Spitze der Schlange und bekommst einen Container«, fährt Miramontes fort. »Du bist dann auf dem Freeway und versuchst die Ladung so schnell wie möglich beim Kunden auszuliefern. Wenn du da ankommst, mußt du normalerweise noch mal warten, bist du abladen kannst - bevor du dann zurück zum Hafen fährst, um die nächste Fuhre zu holen. Diese ganzen Stunden Wartezeit bekommst du nicht bezahlt.«
Die Warterei ist nicht die einzige Sache, die den FahrerInnen auf den Nägeln brennt. Die Container, so groß wie ein Lastzug, sollten kontrolliert werden. Das passiert aber meistens nicht. Oft sind sie viel zu schwer. Manchmal sind sie schlecht gepackt und die Ladung fängt plötzlich an zu rutschen. Dadurch kann der ganze Lastzug umkippen, was auf dem Freeway eine tötlich Gefahr bedeutet, nicht nur für die FahrerInnen selbst, sondern auch für alle Personen in den Fahrzeugen in unmittelbarer Nähe.
Miramontes, ein untersetzter Mann aus Mexiko, äußert seine Kritik langsam und überlegt. Sein Freund, Kaan Ural, eine Türke, ist da genau das Gegenteil. Dünn und fahrig, kommen seine Beschwerden wie aus der Maschinenpistole.
»Die Arbeitsbedingungen sind mies«, sagt er, mit seinen Fingern in der Luft herumfuchtelnd. »Wir warten oft zehn bis zwölf Stunden am Tag. Manchmal arbeiten wir 24 Stunden am Stück. Wir haben keine Unfallversicherung, keine Arbeitslosenversicherung, keine Krankenversicherung, garnichts. Ich habe eine Frau und zwei Kinder. Wenn ich mir morgen bei der Arbeit ein Bein breche, wird sich niemand um sie kümmern.«
Unzufriedene Arbeiter wie diese stehen im Mittelpunkt von Versuchen Gewerkschaften aufzubauen. Ein solcher Versuch findet gerade bei den HafenfahrerInnen statt. Das zieht sich schon über ein Jahr hin und ist Teil eines Kampfes, der zwei Jahrzehnte zurückgeht.
Die FahrerInnen haben ein großes Problem: sie besitzen ihre LKWs. Nicht weil sie Unternehmer der oberen Mittelklasse wären, sondern vielmehr als Folge und Nebenerscheinung der Deregulierung. 1973 schaffte die Bundesregierung ein gesetzliches Regelwerk ab, das sowohl die Preise für den Transport von Gütern von einem Ort zum anderen als auch minimale Sicherheitsstandards für die FahrerInnen festlegte. In der Zeit erbitterten Wettbewerbs, die danach kam, drückten die Speditionen ihre Kosten. Die von ihnen am häufigsten angewandte Methode der Kostensenkung war die Entlassung von FahrerInnen. Eine Firma nach der anderen feuerte Langzeitangestellte. Dann boten sie FahrerInnen mit eigenen LKWs die Zahlung eines bestimmten Betrags für den Transport einer Fuhre an. Hatten die FahrerInnen einmal eine Zugmaschine gekauft, fuhren sie für die Bank und nicht für die Firma. Alle Ausgaben - Benzin, Versicherung, Kreditzahlungen, Reparaturen - mußten sie selbst zahlen.
Für die Firmen war das ein gutes Geschäft - ein Stücklohnsystem, bei dem sie pro Ladung bezahlen und keine Risiken übernehmen. Sie kommen nicht mehr für Berufkrankheiten, Invalidität, Arbeitslosengeld der FahrerInnen auf. Wenn die Steuern oder der Benzinpreis anzieht, müssen die FahrerInnen das ausgleichen. Wenn ein LKW liegenbleibt, geht das die Firma nichts an.
»Wir werden pro Fuhre bezahlt«, sagt Miramontes wütend, »also müssen wir Überstunden machen, um genug Fuhren zu bekommen und davon leben zu können.« Überstunden können gefährlich sein. »Wenn einer 18 oder 19 Stunden am Tag fährt, was kannst du dann von ihm erwarten?« meint Ural. »Er wird irgendjemand auf dem Freeway totfahren. Und wer wird dafür verantwortlich gemacht?«
Der dramatischste Verlust für die FahrerInnen war der ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft. Vor der Deregulierung gehörten die Hafenfahrer zur Teamsters Gewerkschaft. Nach der Änderung des Gesetzes entschied das National Labor Relations Board (NLRB; Bundesbehörde für Arbeitsbeziehungen), daß die Speditionen nicht verpflichtet seien, mit den FahrerInnen zu verhandeln, weil diese in den Augen des Gesetzes keine ArbeiterInnen mehr seien.
»Du würdest erwarten, daß das NLRB, das Mitte der 30er Jahre vom Kongreß gebildet wurde, um das Recht der Arbeiter auf Organisationsfreiheit zu schützen, auch dementsprechend handelt,« sagt Virginia Rodriguez, Organisationsleiterin der Communications Workers of America (CWA; Kommunikations- und Transportarbeiter Gewerkschaft) für Region 9. »Aber das NLRB hat sich mit den Jahren mehr und mehr auf die Seite der Arbeitgeber gestellt. Jetzt ist sie eine machtlose Behörde. Das Gesetz greift nicht. Die Unternehmer können alles machen, um die Arbeiter am Aufbau einer Gewerkschaft zu hindern. Sie haben das NLRB umgedreht.«
»Die Firmen haben uns erzählt, daß es gut wäre, ein selbständiger Fahrer zu sein. Einige Zeit lang haben sie uns so verarscht,« erinnert sich Ural. »Aber wie man so sagt: Du kannst nicht immer alle Leute verarschen. Wir haben relativ schnell kapiert, daß wir Angestellte sein müssen, um unter den Schutz des National Labor Relations Laws (Bundesgesetz zu den Arbeitsbeziehungen) und der staatlichen Arbeitsbestimmungen zu fallen. Als selbständige FahrerInnen sind wir nicht abgesichert. Das muß geändert werden.«
In den letzten zwei Jahrzehnten haben die Hafenfahrer häufiger versucht, ihre Bedingungen zu verbessern. 1984 begannen FahrerInnen, die mit den schlechter werdenden Bedingungen unzufrieden waren, einen spontanen Streik und blokierten den Hafen. Nach dem Streik versuchten sie eine Kooperative aufzubauen, was aber scheiterte.
Im Dezember 1986 organisierten FahrerInnen die Waterfront and Railway Union (Küsten und Eisenbahn Gewerkschaft). Nachdem sie herausgefunden hatten, daß die Hafenfahrer in New York und New Jersey für ihre Wartezeiten bezahlt werden, klagte einer der FahrerInnen vor einem unteren Zivilgericht in Los Angeles mit derselben Forderung und kam damit durch. Danach wurden Hunderte ähnlicher Klagen eingereicht. Nun ging es um Zehntausende von Dollars und die Firmen engagierten hochbezahlte Rechtsanwälte. Letztendlich gewannen sie gegen die FahrerInnen vor dem höchsten Gericht.
1988 starteten die FahrerInnen dann ihren größten Angriff. Nachdem die Speditionen jede Verbesserung der Bedingungen abgelehnt hatten, streikten die FahrerInnen sechs Wochen lang. Um den Streik zu brechen karrte eine der Speditionen 300 Leute aus El Salvador heran und versprach diesen einen legalen Status (in den USA). Die ArbeiterInnen, von Gewalt und Ersetzung bedroht, beendeten schließlich den Streik.
Steigende Benzinpreise führten dann 1993 zu einer wilden Streikbewegung, die über das Land fegte. Die selbständigen FahrerInnen weigerten sich, irgendwelche Fuhren zu übernehmen, solange bis die Speditionen einen Teil der steigenden Kosten ausglichen. Im Hafen von L.A. dauerte der Streik viel länger als anderswo. Aber die Polizei übte starken Druck auf die FahrerInnen aus, und diese kehrten schließlich zur Arbeit zurück.
Während die Transportkriege im Hafen abliefen, wandelte sich die (Zusammensetzung der) Arbeiterschaft enorm. Heute sind über 90 Prozent der FahrerInnen, die Container vom Hafen von Los Angeles und Long Beach fahren, ImmigrantInnen, fast alle aus Mexiko oder Mittelamerika. Die Auseinandersetzung um den Hafen ist Teil der zunehmenden Arbeiterkämpfe der ImmigrantInnen, die die Gewerkschaftsbewegung in Südkalifornien grundlegend verändern.
Dabei handelt es sich genauso um sozialen Protest wie klassischen Arbeiterkampf. Gründe für das Zusammenkommen der FahrerInnen sind kulturelle Verbindungen und gemeinsame ökonomischen Probleme, dieselben Kräfte die schon Ursache für die Solidarität unter Trockenbauern und Zimmerleuten, HausmeisterInnen, FarmarbeiterInnen, Hotelangestellten und FabrikarbeiterInnen waren - die alle in den letzten Jahren gestreikt und das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung durchgesetzt haben (won union contracts; könnte auch heißen, daß sie einen »Closed Shop« durchgesetzt haben, bei dem alle ArbeiterInnen in einem Bereich in der Gewerkschaft sein müssen!).
Im Januar 1994 organisierten die Hafenfahrer die Latin American Trukers Association (Lateinamerikanische LKW-Fahrer Vereinigung). Die FahrerInnen begannen auch, nach einer Gewerkschaft zu suchen, die ihnen helfen würde, den Selbständigenstatus anzugreifen, und fanden den Local 9400 der Communications Workers of America (CWA). Im Laufe des letzten Jahres wurden die meisten der 6000 FahrerInnen, die für den Hafen fahren, Mitglied in der CWA. Oft kommen 1000 von ihnen zu den wöchentlichen Treffen im CWA-Zentrum.
Im letzten Monat wurden die Häfen von Los Angeles und Long Beach von einem einige Meilen langen Korso von 1000 FahrerInnen und ihren LKWs erschüttert, der von Lynwood bis zum Rathaus von Long Beach reichte. Hunderte von Zugmaschinen und LKWs fuhren in einer gut organisierten Formation langsam den Hafen-Freeway runter und durch die Straßen von Long Beach. Auf Fahnen und Transparenten wurde die gewerkschaftliche Organisationsfreiheit gefordert. Bei ihrer Ankunft am Rathaus ließen sie den Stadtrat von Long Beach, der den Hafen verwaltet, wissen, daß sie von diesem die Unterstützung ihrer Forderung nach einer besseren Behandlung erwarteten.
Vor dem Korso gab es eine große Kundgebung unter einer Straßenüberführung von Freeway 105 in Lynwood. Politiker und Arbeiterführer, darunter Los Angeles Stadtrat Richard Alarcon, der frühere Senator des Bundesstaats Art Torres, die Führer der United Farm Workers (Landarbeitergewerkschaft) Arturo Rodriguez und Dolores Huerta und der Vizepräsident der CWA Local 9400 Michael Hartigan sprachen den LKW-FahrerInnen ihre Unterstützung aus. Während der Kundgebung und dem Korso wiederholten die FahrerInnen ihre drei Grundforderungen: ein zentralisiertes Abfertigungssystem, das die Arbeit regeln und die langen Warteschlangen verkürzen soll; Bezahlung der Zeit, die mit Warten auf Container verbracht wird; und genaue Inspektionen der Container selbst.
Nach einem ähnlichen Korso von den Häfen nach Downtown L.A. im letzten Oktober verabschiedete der dortige Stadtrat einstimmig eine Resolution, in der die drei Forderungen unterstützt wurden. Die FahrerInnen und ihre Gewerkschaft traten nun an den Stadtrat von Long Beach heran. Ein Stadtvertreter (City Attorney; ein leitender Posten in der Stadtregierung) erklärte ihnen, daß der hiesige Stadtrat keine ähnliche Resolution erwägen würde.
Virginia Rodriguez von der CWA beschuldigt die Stadtregierung von Long Beach, daß sie »ein offenes Ohr für die Interessen der Speditionen hat, nicht aber für die der FahrerInnen. Wir sagen, daß das arbeitende Leute sind, Menschen, die ein Einkommen verdienen, das zum Leben reicht. Und der Selbständigenstatus wird dazu benutzt, ihnen das zu verweigern. Er sorgt dafür, daß die FahrerInnen Sklaven einer Industrie bleiben, in der sie keine Rechte haben.«
»Im letzten Streik«, folgert Ural, »brauchten wir nur einen Tag, um die Unterstützung von 3000 FahrerInnen zu bekommen. Die Speditionen sollten uns genau zuhören. Entweder sie erfüllen unsere Forderungen oder wir wir werden sie überrollen.« ■