Wildcat-Zirkular Nr. 25 - Mai 1996


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Neues vom BAU

In den letzten Zirkularen haben wir eine Menge Material zur Entwicklung in der Bauindustrie gebracht: Entsenderichtlinie, Mindestlohn, Razzien, Aktionen etc. waren die Stichworte. Mittlerweile hat sich einiges getan: das Entsendegesetz ist am 1. März '96 in Kraft getreten (und soll bis zum 1.9.1999 gültig sein), die IG BAU hat daraufhin in den Tarifverhandlungen im April einen Stufenplan zur Einführung von Mindestlöhnen vereinbart: im Westen beträgt er ab 1. April 15,30 Mark, ab 1.12.96 (wenn die Saison gelaufen ist!) 18,60 Mark; im Osten ab 1.4.96 14,08 Mark und erst ab 1.4.97 17,11 Mark. Im Moment ist das ganze aber sowieso nur Makulatur, da die Arbeitgeber im Ausschuß des Arbeitsmini­steriums sich gegen eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung sperren, und der Ausschuß frühestens Ende Mai wieder tagen wird. Als Ausgleich für diese Mindestlöhne hat sich die Gewerkschaft auf eine geringe Steigerung der norma­len Tariflöhne um 1,85 Prozent eingelassen (fünf Prozent waren gefordert). Die ganze Tarifrunde wurde von kraftvollen verbalen Streikdrohung und einer unsäglich rassistischen Hetze gegen ausländische Arbeiter auf den Baustellen begleitet. Für dieses Zirkular haben wir erstmal eine Reihe von Berichten und Informationen zusammengestellt − eine genauere Analyse von unserer Seite wird folgen.

Als erstes drucken wir zwei Artikel aus der Zeitschrift einer trotzkistischen Gruppe über die gewerkschaftliche Mobilisierung auf den Bau­stellen ab. Auch wenn wir die politischen Positionen dieser Gruppe nicht teilen, so sind hell­sichtige Einschätzungen wie die folgenden eine Rarität innerhalb der deutschen Linken. Sie haben ganz gut verstanden, was der Kern des gewerk­schaftlichen Kampfs um Mindestlöhne ist und sprechen dies offen aus. Dem­gegenüber begrüßt ein Großteil der Linken die Forderung nach Mindestlöhnen, und wundert sich dann über den Rassismus der Gewerkschaft (siehe unten, die Kritik der DGB-Arbeits­gruppe am Brief des Berliner Gewerkschaftssekretärs Schröder). Zum Beispiel rief die linke Arbeits­losengruppe ALSO aus Oldenburg über e-mail enthusiastisch zur Teilnahme an der Demon­stration in Magdeburg auf, ohne ein kritisches Wort über die Politik der IG-BAU zu verlieren, das ist schon peinlich: »An alle, die mit der Lohnpolitik nicht zufrie­den sind. Am Sonnabend, den 23. März 1996 ist eine Kundgebung in Magdeburg der IG-Bau geplant. Das ist die letzte Warnung an die Arbeitge­ber endlich den Mindestlohntarifvertrag der IG-Bau mit zu unter­schreiben und umzusetzen! Das Entsendegesetz ist im Bundestag in namentlicher Abstimmung von 597 Abgeordneten beschlossen worden. Jetzt sind die Arbeitge­ber am Zug. Die Kundgebung in Magdeburg ist die Vorstufe zum bundesweiten Streik! Leute kommt nach Magdeburg und macht an der Kundgebung mit, es sehr wichtig!!!!«

IG BAU läßt demonstrieren − für die Vertreibung ausländischer Arbeiter

(aus: neue ArbeiterPresse * 28.3.1996, Zeitung des Bundes Sozialistischer Arbeiter, BSA)

Zehntausende Bauarbeiter demonstrierten vergangene Woche in München und Magdeburg, um gegen die Billiglöhne auf den Baustellen und die wachsende Arbeitslosigkeit zu protestieren. Anlaß waren die gescheiterten Verhandlungen über einen Mindestlohn und den kommenden Tarifvertrag. Allein im Dezember 1995 und Januar 1996 verloren 255 000 Bauarbeiter bundesweit ihre Arbeits­plätze.

Anfang Februar verabschiedete der Bundestag auf Drängen der Gewerk­schaft mit den Stimmen der SPD ein sogenanntes Entsendegesetz, das die Verein­barungen von Mindestlöhnen auf deutschen Baustellen vorschreibt.

Damit wurde eine Wende in der Tarifpolitik der Bauindustrie eingeleitet. Ab jetzt wird nur noch über Lohnsenkung verhandelt. Die Gewerkschaft bot einen Mindestlohn von rund 19 Mark pro Stunde an, der rund 5 Mark unter dem Tariflohn liegt. Doch die Bauunternehmer lehnten ab. Sie sind überzeugt, daß sie in Zusammenarbeit mir der Gewerkschaftsspitze einen noch niedrigeren Mindestlohn durch­setzen können.

Bereits vor den Demonstrationen erklärte gegenüber der neuen Arbeiter­presse der Berliner Gewerk­schaftssekretär Wolfgang Selle, eine Mindestlohnver­ein­barung könne dazu führen, daß auch die Löhne der deutschen Bauarbeiter gesenkt werden. »Dies ist natürlich die große Gefahr«, sagte Selle.

In den parallel geführten Tarifverhandlungen lag das Angebot der Unter­nehmer von 1,5 Prozent weit unter der Preissteigerungsrate, und für die neuen Bundes­länder forderten sie eine Nullrunde. Die Verhandlungen wurden für gescheitert erklärt, und die Gewerkschaften riefen zu Demonstrationen auf und drohten mit Streiks.

Während viele Arbeiter nach einem Ausweg aus der Arbeitslosigkeit, ständig schlechteren Arbeits­bedingungen, Unfallgefahren und Lohnverlusten in der Bauindustrie suchen, versucht die Gewerk­schaft, ihre Wut über die Misere in reaktionäre Bahnen zu lenken und ausländerfeindliche Stimmun­gen gegen die vielen portugiesischen, irischen, polnischen oder ungarischen Arbeiter auf den Baustel­len zu schüren.

Trotz allgemeinen Aufrufen zur Solidarität war das Motto der Demon­stratio­nen unüberhörbar: Ausländer raus aus deutschen Baustellen. Schon der erste Blick auf die Demonstrationen machte deutlich, daß nicht ein einziger der betroffenen Bauarbeiter aus Süd- oder Osteuropa teilnahm.

Statt zum vereinten Kampf von ausländischen und deutschen Bauleuten gegen die Ausbeuter aufzurufen, verlangte der neue Gewerkschaftsvorsitzende und Hauptredner Wiesehügel ein Bündnis mit den Unternehmern, ein »Bündnis für Arbeitsplätze am Bau«. Man müsse eine »nationale Lösung« durchsetzen, und dazu sei es erforderlich, sofort das Entsendegesetz anzuwenden.

Vor den versammelten Bauarbeitern, die seit vielen Jahren Tag für Tag mit ihren ausländischen Kollegen zusammenarbeiten, bemühte sich Wiesehügel, seine rassistische Politik nach Kräften zu verbergen. Er wolle nicht der Frem­denfeindlichkeit das Wort reden. Die Gewerkschaft wolle vielmehr gegen die »Ausbeutung ausländicher Bauarbeiter« vorgehen; es gehe ihr um »gleichen Lohn für gleiche Arbeit an gleichem Ort«.

Im selben Atemzug berichtete er, daß die gewerkschaftliche Verhand­lungs­kommission unter seiner Leitung bereits angeboten habe, für ausländische Arbeiter 80 Prozent des Mindestlohns zu akzeptie­ren. Soviel über gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Doch in Wirklichkeit versuchen Wiesehügel und seine Kolle­gen der Gewerk­schaftsspitze, den Mindestlohn nicht deshalb hoch zu halten, um auch den ausländischen Arbeitern ein vernünftiges Auskommen zu ermöglichen.

Ihr Ziel ist es vielmehr, durch einen möglichst hohen Mindestlohn die Bauunter­nehmer zu drängen, ausländische Arbeiter zu entlassen und deutsche einzustel­len. Das meint Andreas Steppuhn, der Landesvorsitzende der IG BAU Sachsen-­Anhalt und zweiter Sprecher der Magdeburger Kundgebung mit seiner wie­derholten Feststellung, der Entsendelohn könne die Billiglohnarbeit stoppen.

Schließlich ließ er die Katze aus dem Sack, als er rief, es sei wohl jedem klar, daß »Arbeitslosigkeit produziert werde und die Lohnnebenkosten steigen«, wenn man zuläßt, »daß Zehntausende und bundesweit sogar Hundert­tausende an Billiglohnkräften, die keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen, tätig werden.« Also, Ausländer raus.

Wiesehügel drohte am Ende seiner Rede, daß »jeder der nahzu 200.000 entsand­ten Beschäftigten der Billiglohnkonkurrenz auf unseren Baustellen ein Tropfen Öl ins Feuer« gieße, und »daraus kann sehr leicht ein großes Feuer werden.«

Konkreter hat Wiesehügel diese Androhung Anfang Februar erläutert: Die IG BAU schloß eine »Sicherheitspartnerschaft« mit der Polizeigewerkschaft GdP, die beinhaltet, künftig IG BAU Vertrauens­leute als Hilfspolizei auf Bau­stellen einzusetzen, um »illegale« Bauarbeiter aufzuspüren und ihre Verhaftung und Abschiebung zu ermöglichen.

»Welch ein abstoßendes Schauspiel!«

Ein Bauarbeiter berichtet von der Gewerkschaftsdemonstration in München

(aus: neue ArbeiterPresse * 28.3.1996)

Als mir die Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt eine Einladung zur Demon­stra­tion mit dem Motto »Billiglohn macht Arbeitslos« zuschickte, entschloß ich mich spontan zur Teilnahme. Für den 22. März hatte die Gewerkschaft 186 Busse aus Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Würtemberg und Bayern organisiert, um die Teilnehmer nach München zu bringen.

Ich selbst fuhr mit dem Bus aus Esslingen mit, in dem neben Betriebs­räten und Gewerkschafts­angestellten vor allem Arbeiter des Bauunternehmens Wolf & Müller aus Denkendorf mitfuhren. Diese Baufirma, die bundesweit mehrere Tausend Arbeiter hat, hatte erst kürzlich im Raum Esslingen mehr als 40 Arbei­ter entlassen und weitere Entlassungen von Betonbauern für den Som­mer angekündigt.

Überraschenderweise ging die Fahrt nicht direkt zum Kundgebungsort, son­dern alle Busse sammelten sich um 11 Uhr auf der Münchner Theresienwie­se. Von dort wurden wir 10 000 Bauarbeiter in den Bussen in einer Busdemon­stration erst einmal kreuz und quer durch München kutschiert. Während der Gewerk­schaftssekretär nicht müde wurde, seine Begeisterung über die so ausge­lö­sten Autostaus am Rande der Fahrtroute kundzutun, schliefen immer mehr Arbeiter nach endloser Fahrt erschöpft ein. Um 14.00 Uhr dann endlich, nach 7 Stunden im Bus, erreichten wir die Großbaustelle für das neue Münchner Messegelände auf dem ehemaligen Rollfeld des Flughafen Riem.

Da erklärte unser Gewerkschaftssekretär: »Schaut da rüber, wenn ich das sehe, wird mir schlecht: 42 Baukräne und lauter Subs (Arbeiter von Subunter­nehmen, d. Red.)« Und - trotz Beteuerung, er wolle nicht offen die osteuropäi­schen Billiglohnarbeiter verantwortlich machen - ließen seine Worte keinen Zweifel: »Mit den niedrigen Löhnen nehmen sie Eure Arbeit weg.«

Das löste unter anwesenden Gewerkschaftsbürokraten sofort heitere Stim­mung auf unterstem Niveau aus: »Die Baracken müssen brennen!« - ge­meint waren die Wohncontainer der Billiglohnarbeiter. Ähnliche Äußerungen wurden am nächsten Tag dann auch in den Zeitungen Bild und Münchner Merkur zitiert.

Welch ein abstoßendes Schauspiel! Und was wird erreicht? Unsere Spaltung in osteuropäische und deutsche Kollegen.

Dann ging es zur Kundgebung auf dem Rollfeld. Außer ein paar Zeitungs­repor­tern hatte sich kaum jemand so weit vor die Tore ins Grüne verirrt. Wir Arbeiter mußten uns dann Christian Ude anhören, den Münchner SPD-Bürger­meister. Bei dem Pfeifkonzert für ihn schrien viele erboßt: »Warum darf der hier sprechen?« Ein Maurer aus der Pfalz sagte: »Die Frage müssen wir anders stellen - warum lädt die IG Bau den hierher ein?«

In den weiteren Reden wurde dann das sogenannte Entsendegesetz und ein Baumindestlohn von knappen 20 DM verteidigt, geltend für alle Arbeiter. Hierfür wolle die Gewerkschaft sogar ab dem 22. April streiken. Das wäre dann nicht nur der erste große Streik in der Geschichte der Bauindustrie, sondern der erste überhaupt für Lohnsenkungen!

Auch wenn die Gewerkschaft erklärt, daß der Mindestlohn natürlich nicht für die besser bezahlten Tarifarbeiter gelte, so ist doch eins sicher: Das Gegen­ein­ander-Ausspielen von billigen gegen teurere Arbeiter geht weiter. Ein Min­dest­lohn, der sich so bei 16 oder 17 DM einpendeln dürfte, öffnet Tür und Tor dazu, die Arbeiter zu billigen Jobs zu zwingen.

Die ganze Kundgebung machte jedenfalls den vollständigen Bankrott der Ge­werkschaft deutlich: Sie ist weder fähig noch gewillt, den Arbeitern eine wirkli­che Perspektive zu geben. Nach einer Stunde Kundgebung im strömenden Regen wurden alle dann auf schnellstem Wege wieder in die Busse gepackt und nach Hause kutschiert.

Skandal um einen rassistischen Brief

Im folgenden dokumentieren wir den Brief eines Berliner Gewerkschaftssekre­tärs der Baugewerkschaft an seinen »Landesvater«, der von der DGB-Arbeits­gruppe »Gewerk­schafterInnen gegen Rassismus und Faschismus« zusammen mit einem offenen Protestschreiben an die Gewerkschaft bekannt gemacht wurde. Im Anschluß daran folgt ein Kommentar von uns zu der kritischen Stellungnahme der DGB-Arbeitsgruppe.

Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt
Bezirksverband Süd-West
13.03.1996

- Arbeitslose Bauleute -

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Eberhard Diepgen!

Es ist ein Hohn, daß man in Berlin von einem Bauboom spricht, jedoch die Berliner Bauleute zu Arbeitslosengeld-, Arbeitslosen­hilfe- und Sozialhilfe­emp­fängern abgestürzt sind.

Die Zahl der arbeitslosen Berliner Bauleute hat einen Um­fang angenom­men, daß uns die Zukunft dieser Bevölkerungs­gruppe problematisch er­scheint und eine Verelen­dung vieler Berliner Familien zu befürchten ist.

Durch die Schwarzarbeit, die illegale Beschäftigung, die Kontingente für Aus­länder­arbeiter aus Osteuropa und die wirtschaftliche Öffnung für EG-­Firmen und deren Arbeit­nehmer wurde ein Sud angekocht, der nicht mehr überblickt - geschweige denn in ordentliche Bahnen geführt - werden kann.

Sie und die anderen verantwortlichen Politiker unserer Stadt müssen dort anset­zen, wo die Übel beginnen, also bei der Zulassung hier zu arbeiten. Un­abding­bar ist die schnelle Kontrolle und Bestrafung in Verbindung mit anschlie­ßenden Sanktionen gegen Wirtschaftsverbrecher: ein anderes Wort ginge an der Sache vorbei.

Wir meinen, Polizei, Grenzschutz, Zollbehörden und die verantwortlichen Ämter, wie Arbeits­ämter, Kriminalpolizei, Baugewerbe-Polizei, Landesamt für den Arbeitsschutz, Steuerfahndung, Berufs­genossenschaften u.a.m., müssen gebündelt auf dieses »Krebs­geschwür« angesetzt und verpflichtet werden zu helfen, damit unsere Baustellen wieder »sauber« werden und der geordnete Wettbewerb unter den Anbietern wieder aufgenom­men werden kann. Ordentli­che Arbeitsverhältnisse wären die Folge.

Das hätte wiederum zur Folge, daß Steuer- und Sozialabgaben wieder in die Kas­sen fließen, die wir unbedingt benötigen!

Die Haushaltsdebatte hat gezeigt, wohin uns der schlampige Umgang mit unseren Gesetzen geführt hat.

Als letzten und einzigen Ausweg sehen die Politiker die Anhebung der Mehr­wert­steuer! Dieser Weg hilft zwar den Staatskassen, zieht aber in unserem Lande Kaufkraft in Höhe von 14 Milliarden ab; dieser führt dann zeitversetzt zu weiteren Einsparungen und Entlassungen im Zuliefer- und Ver­brauchsgewerbe!

Lassen Sie diese These schnell prüfen, setzen Sie auf den Weg der or­dentli­chen Staats­führung durch die Einhaltung der Gesetze und bestrafen Sie die Schuldi­gen und Betrüger, die unsere Gesellschaft berauben!

Wir Bauleute helfen Ihnen, wenn es um die Aufdeckung solcher Machen­schaf­ten in unserem Gewerbe geht. Sorgen Sie für die notwendigen Ab­spra­chen der Ämter und Behörden sowie der Organisationen in den jeweili­gen Branchen, damit sie gemeinsam Abhilfe schaffen können.

Appellieren Sie an die Unternehmer, die Berliner Bevölkerung wieder einzustel­len, damit sich der Kreislauf schließen kann!

Durch Duldung der »Parasiten« und nicht konsequente Anwendung unserer Geset­ze ist unsere so mühsam aufgebaute Demokratie in Gefahr. Deshalb sind die Demokra­ten auch aufgerufen, die Gemeinschaft zu schüt­zen, damit wir sie erhalten und nicht zerstören lassen, was ein unverzeihli­ches Übel und eine Schande für die gesamten Politiker in unserer Republik wäre.

Schützen wir uns, damit uns die Demokratie schützen kann!

Packen Sie endlich zu und greifen Sie durch!

Klaus Schröder

Geschäftsführer

* * *

GewerkschafterInnen gegen Rassismus und Faschismus

Brunnenstr. 125-127

13355 Berlin

Berlin, den 12.4.1996

An den Landesbezirkvorstand der IG Bauen-Agrar-Umwelt

Die IG BAU befand sich in einer der wichtigsten Auseinandersetzungen, bei der es um die Durchsetzung eines Mindestlohns ging. Damit soll der Lohn­drückerei auf den Baustellen entgegengetreten werden. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist ein wichti­ges gewerkschaftliches Prinzip, hinter dem wir natürlich auch stehen.

Vor dem Hintergrund der krisenhaften Entwicklung im Bausektor sind zur Zeit immer häufiger gefährliche rassistische Töne zu hören. Wir er­achten es als selbstverständlich, daß eine Gewerkschaft sich solchen Ten­denzen entgegenstellt. Für einen Teil der IG BAU scheint dies jedoch nicht zu gelten. In einem offe­nen Brief an den Regierenden Bürgermeister von Berlin verbreitet der Ge­schäftsführer des IG BAU Bezirksverbands Berlin Süd-West, Klaus Schröder, folgendes:

»(...) Durch die Schwarzarbeit, die illegale Beschäftigung, die Kontin­gente für Auslandsarbeiter aus Osteuropa und die wirtschaftliche Öffnung für EG-Firmen und deren Arbeitnehmer wurde ein Sud gekocht, der nicht mehr über­­blickt − geschweige in ordentliche Bahnen geführt − werden kann. (...) Wir meinen Polizei, Grenzschutz, Zollbehörden und die verant­wortli­chen Ämter, wie Ar­beitsämter, Kriminalpolizei, Baugewerbe-Polizei, Lan­desamt für Arbeits­schutz, Steuerfahndung, Berufsgenossenschaften u.a.m., müssen ge­bündelt auf dieses »Krebsgeschwür« angesetzt und ver­pflichtet werden zu helfen, damit unsere Baustellen wieder »sauber« werden (...) Durch Dul­dung der »Parasiten« und nicht konsequente Anwendung unserer Gesetze (...)«

Dieser Text hätte auch in einem Flugblatt der Republikaner stehen kön­nen. Wäre es dem Geschäftsführer Klaus Schröder darum gegangen, die Ver­antwort­lichen für die Zustände am Bau zu benennen, hätte er das tun kön­nen. Das System der Subkontrakte, mit dem die Generalunternehmer ihre Profite auf Kosten aller Beschäftigten machen, ist ihm wahrscheinlich besser bekannt als uns. Stattdessen werden Arbeiter vor allem aus Ost­europa und den EG-Ländern als »Krebsgeschwür« und »Parasiten« belei­digt. Die Arbeiter, die die schlechte­sten Arbeitsbedingungen, Entlohnung und Ab­sicherung haben, werden ausge­grenzt. Sie sind derzeit die Opfer der Razzien auf den Baustellen.

Die Forderung nach einem verschärften staatlichen Vorgehen auf den Bau­stellen gegen die dort Beschäftigten ist offizielle Politik der IG BAU. Damit werden in erster Linie Menschen getroffen, die aufgrund miserabler wirt­schaftli­cher oder politischer Verhältnisse in ihren Herkunftsländern gezwun­gen sind, ihre Arbeits­kraft hier billig zu verkaufen und die durch die aus­länderrechtlichen Bestimmun­gen in der BRD zu Illegalen gemacht werden.

Wir erwarten von der IG BAU, daß sie die Interessen aller auf dem Bau Be­schäftigten vertritt. Gerade die Menschen, die keine Rechte haben, brau­chen Beratung und Unterstützung. Wir fordern von der IG BAU, daß sie die Ver­antwortlichen für die gegenwärtige Lage am Bau, die Generalunter­nehmer und die sich gegenseitig unterbietenden Subunternehmer, benennt und sich nicht übler rassistischer Stimmungsmache bedient. Ein Geschäfts­führer, der das aktiv betreibt, ist für jede Gewerkschaft untragbar!

* * *

Kommentar (Red.)

So richtig es ist, als ArbeiterInnen gegen solchen rassistischen Dreck vorzuge­hen, so wenig kann es uns wundern, wenn die Gewerkschaft, an die sich der Offene Brief wendet, keinerlei Konsequenzen gegen Schröder ziehen will (siehe taz-Berlin v. 16.4.96).

Die Forderungen Schröders sind inhaltlich eben kein Ausrutscher, sondern sie geben recht exakt den offiziellen Gewerkschaftsstand­punkt wieder. Schröder sagt halt laut, was viele IG BAU-Funktionäre so denken und was Inhalt der offiziel­len Gewerkschaftspolitik ist. Wir haben bei unseren Recherchen zu Baustellen­razzien oft Gewerkschafts­funktionäre kennengelernt, die stolz darauf waren, wenn sie bei der Jagd auf illegalisierte ArbeiterInnen mitmachen konnten (siehe »Razzia − Nix da!« in Off-Limits Nr. 11, Okt./Nov. 1995). Und der Offene Brief sagt es ja auch selber: »Die Forde­rung nach einem verschärften staatlichen Vorgehen auf den Baustellen gegen die dort Beschäftig­ten ist offi­zielle Politik der IG-BAU.« In den Verhandlungen über die Entsende­richtlinie hat die Ge­werkschaft sogar die Einrichtung eines Baustel­lenbeauf­tragten durch­gesetzt, der auf den Baustel­len rumschnüffeln und direkt denunzie­ren soll.

Daß mit der »Durchsetzung eines Mindestlohns (...) der Lohndrückerei auf den Baustellen entgegengetreten werden« soll, wie der Offene Brief behauptet, ist ein Märchen. Erstens ist der Mindestlohn für die IG-Bau eine Strategie, um die ausländischen Arbeiter herauszudrängen − statt sie in ihrem Kampf um höhere Löhne und gegen die mörderischen Arbeitsbedingungen zu unterstützen. Zwei­tens handelt es sich bei den gepriesenen Mindestlöhnen in Wirklichkeit um eine Lohnsenkung für alle Bauarbeiter, denn jetzt kann jeder neue Bau­arbeiter, ob aus- oder inländisch zu den neuen Tarif­mindestlöhnen (ca. 25 Prozent unter der niedrigsten »norma­len« Lohngruppe) eingestellt werden, und dieser Mindest­lohn kann auch wieder neu verhandelt, sprich gesenkt wer­den. In dieser Weise wird das bloß formale Prinzip »gleicher Lohn für gleiche Arbeit«, das nichts über die Lohnhöhe aussagt, heute überall von den Unternehmern benutzt: Warum soll ein Arbeiter in Deutschland nicht bereit sein, zu demselben Lohn zu arbeiten, zu dem ein Pole hier arbeitet; oder ein Arbeiter in Ungarn, oder in China ... Die sich radikal gebende MLPD-Parole »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit − welt­weit!« kann so schnell nach hinten losgehen. Außerdem beinhaltet dieses »wich­ti­ge ge­werk­schaftli­che Prinzip« auch die Spaltun­gslinien, die durch die gewerkschaftliche Anerkennung der Lohnhierarchien festgeschrieben werden: »Un­gleicher Lohn für ungleiche Arbeit«!

Daß Schröders Äußerungen keine Ausnahme sind, wird noch einmal durch den folgenden Bericht einiger Genossen unterstrichen, die zur der Demo der IG-Bau in Magdeburg gefahren waren:

Im Rahmen der nationalistischen Gewerkschaftskampagne für Entsenderichtlinie und Mindestlöhne hatte die IG Bau am 23. März zu einer bundesweiten Demon­stration nach Magdeburg aufgerufen. Es waren ca. 3 000 Menschen versammelt von denen die meisten Gewerkschaftsmitglieder waren. Fast alle trugen vor­gefertigte Gewerk­schaftsparolen mit sich rum, die häufigsten waren: »Stoppt Lohndumping«, »Für sichere Arbeitsplätze«. In den Redebeiträgen aus den Lautsprecherwagen wurde dauernd von »deutschen Bauarbeitern«, »deutschen Baustellen«, »deutscher Bauindu­strie« geredet. Die Stimmung insgesamt war ange­spannt und zum Teil aggressiv und ausländerfeindlich. Die meisten Leute, mit denen wir geredet haben, ver­traten den Standpunkt, daß die Regierung dazu da sei, unsere Probleme zu lösen. Um das zu erreichen, müsse über die Gewerk­schaft Druck gemacht werden. Die Misere auf dem Bau würde tatsächlich von ausländischen Billigarbeitern ver­ursacht, gegen die deswegen vorgegangen werden müsse. Auf der Kundgebung wurde oft mit Streik gedroht, obwohl unklar ist, ob die IG Bau genügend Leute zu einem Streik mobilisieren kann. Aus­serdem ist die Frage, was das für ein Streik sein sollte, ein Streik gegen die ausländischen Kollegen?

Aktionen gegen Razzien...

Im Rahmen eines Antifaschistischen Stadtrundgangs im November 1995 bekam der Chef des Hauptzollamts Wuppertal Besuch von einigen dutzend Menschen.

Wir dokumentieren den Text der Rede, die vor der Wohnung des Zollfahnders gehalten wurde.

»Vorsicht Menschenjäger!

Werner Beckert Vorsteher des Hauptzollamtes Wuppertal Mainstr. 35

»Tatort Baustelle: Düsseldorf − 10 Uhr − Volkardeyer Weg

Polizeimannschaftswagen parken vor der großen Baustelle, Bereitschafts­polizi­sten steigen aus, kurz darauf ist das Gelände abgeriegelt. Beamte des Einsatz­trupps »Bekämpfung illegaler Beschäftigung« des Hauptzollamtes Wup­pertal schwärmen aus − Razzia. Die Arbeiter werden in der Mitte der Baustelle zu­sammengetrieben: deutsche Arbeiter nach rechts, ausländische Arbeiter nach links. Personalien werden festgestellt. Für die Ausländer, die sich nicht aus­weisen können, wird ein Buspendeldienst unter Polizeibeglei­tung zu den Wohn­containern gleich um die Ecke eingerichtet. Dort sollen die Arbeiter, meist Portugiesen, ihre Ausweise holen. Zugleich durchkämmt ein Polizeitrupp mit zwei Hunden die Rohbauten. »Wir müssen sicher sein, daß sich keiner ver­steckt«, sagt Werner Beckert.

In einem engen Baucontainer werden die Papiere der Portugiesen über­prüft, deren Papiere in Ordnung sind, erhalten ein grünes Bändchen um den Arm und dürfen wieder an die Arbeit. Die Portugiesen, die keine Bescheini­gung nach E 101 haben, die europäische Ausländer anstelle eines Sozialver­sicherungsaus­weises haben müssen, werden gleich in ihr Heimatland ver­frachtet − mehrere Monate umsonst geschuftet − Pech!« (Westdeutsche Zeitung, Wuppertal Novem­ber 1995)

Verantwortlich für diese Razzia, für diese Menschenjagd:

Werner Beckert, Chef des Hauptzollamtes.

Rund 80 Mitarbeiter von neun verschiedenen Behörden (u.a. Polizei, Ar­beitsamt, Ausländerbehörde, Ordnungsamt, Finanzamt...) nahmen unter seiner Federfüh­rung an dieser Hatz teil.

Das Ergebnis dieser Razzien ist immer dasselbe: ArbeiterInnen werden von der Baustelle vertrieben, ohne ihren Lohn zu sehen. Die ArbeiterInnen, die keine gültigen Papiere vorweisen können, werden in Abschiebehaft genommen. Und für die ausführenden Firmen bedeuten Razzien, ne Menge Geld einzusparen. Sind die ArbeiterInnen erstmal in ihr Heimatland abge­schoben, haben sie kaum Chancen, an ihr Geld zu kommen.

Grundsätzlich sollen die Razzien die Präsenz der Überwachungsbehörden zeigen und den Druck aufrechterhalten, unter dem »Illegale« stehen. Der Druck ist oft ungeheuerlich: der deutschen Sprache nicht mächtig, nicht vertraut mit den hiesigen Vorschriften, isoliert in Baucontainern oder ande­ren miserablen Unter­künften, abhängig von der Gnade des Subunterneh­mers. Das macht den Kampf für mehr Lohn oder bessere Lebensbedingun­gen nicht leichter. Aber erst die reale Drohung mit der Hundertschaft Polizei und Abschiebehaft stellt die »Ille­ga­lität« tatsächlich her und läßt die Aus­beuter ihr Spiel treiben. Ein Spiel, daß Razzien, ausgelöst durch an­onyme Anzeigen der Subunternehmer selbst, bewußt miteinschließt.

Wir sollten Leute wie Beckert nicht außen vor lassen bei unseren Bemü­hun­gen, gegen den staatlichen Rassismus anzukämpfen. Wir reihen ihn ein in die Liste der Schreibtischtäter und Menschenjäger, die den ausländischen Menschen hier in Wuppertal das Leben zur Hölle machen.

Schauen wir hin, was tagtäglich auf den Baustellen, in Restaurants und Wohn­heimen passiert.

Greifen wir ein, wenn in aller Öffentlichkeit wieder die Menschenjagd eröffnet wird!

Schluß mit den Razzien!

* * *

Demonstration gegen DGB-Razzien-Konferenz in Hamburg

Am 27. Februar fand in Hamburg eine kleine Demonstration vor dem Gewerk­schaftshaus statt, um gegen eine an diesem Tag vom DGB organisierte nicht-öffentliche Konferenz zu demonstrieren, zu der u.a. Zollamt, Polizei, Innenbe­hörde eingeladen war. Der DGB wollte damit »effektivere Maßnahmen gegen Schwarzarbeit, illegale Beschäftigung und Sozialdumping« erreichen. »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! statt ›Bündnis gegen illegale Beschäftigte‹« forderten dagegen die KritikerInnen.

* * *

»Anschlag auf Haus von Arbeitsamt-Vize: Auf das Haus von Helmut Mach­leidt, Vizepräsident des Landesarbeitsamtes Nord in Norderstedt bei Hamburg ist in der Nacht zum Montag ein An­schlag verübt worden. Dabei seien Scheiben zu Bruch gegangen sowie Buttersäure und Farbflaschen in und am Haus verteilt worden, bestätigte die Familie. In einem gestern aufgetauchten Bekennerschrei­ben wird Mach­leidt wegen seiner Fahn­dung nach illegal auf deutschen Baustel­len arbeiten­den Ausländern als »profes­sioneller Menschenjäger und Schreib­tischtäter« bezeichnet.« (Berliner Zeitung, 17.4.1996)

Ein Flugblatt aus Bielefeld (die Vorderseite des Flugis findet ihr auf der Rück­seite dieses Zirkulars):


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