Wildcat-Zirkular Nr. 25 - Mai 1996


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Die CUT: Die neue Gewerk­schafts­bewegung an einem Wen­de­punkt1

Iram Jacome Rodrigues (Aus: NACLA-Report Mai/Juni 1995)

Brasilien ist keine Ausnahme, was die globale Umstruk­turie­rung der Produktion und die dadurch hervorgerufe­ne Frag­mentierung der Arbeit2. Diese Prozesse stellen überall eine Her­ausforderung für die gewerk­schaftli­che Macht dar. Im Unter­schied zur Situation in vielen anderen Län­dern war die Ge­werk­schafts­bewegung in Brasilien al­ler­dings in der Lage, ihren Einfluß und Umfang trotz der feindlichen ökonomi­schen Rahmenbedingun­gen auszuweiten. Die brasiliani­sche Erfah­rung läuft dem internationalen Trend des gewerk­schaftli­chen Nieder­gangs, der sich in dem weitver­breiteten Fall des Orga­nisations­grads aus­drückt, entgegen.

Die Stärke des brasilianischen Gewerkschaftswesens hängt eng mit der um­fassenderen Rolle zusammen, die die Gewerk­schaften in der brasi­lianischen Gesellschaft übernommen haben. Aufgrund der andauern­den politischen Krise des Lan­des und der daraus resultierenden Schwäche des Parteiensy­stems sind die Gewerkschaften über ihre eigenen spezifischen Interessen hinausgegangen, um wirksame gesell­schaftliche und politische Kräfte zu werden und in einem Fall eine grö­ßere politische Partei zu bilden. Die Gewerkschaften in Brasi­lien haben sich nicht auf Lohnforderungen oder andere Ar­beitsprobleme im engeren Sinne beschränkt. Stattdessen sind sie zu einem breiten Spektrum von Themen aktiv geworden, wozu Industriepolitik, Wett­bewerbsfähigkeit der Firmen, Produktivi­tät, die Auswirkungen der Tertiarisierung auf die Arbeiter, Sozialpolitik und regionale Inte­gration gehören.

Die breite Massenbewegung Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre gegen die Militärdiktatur schuf zwei größere In­strumente für die Organisierung der Arbei­ter: die Vereinigte Arbeiterzentrale (CUT) und die Arbeiterpartei (PT), die beide eine große Bedeutung für das öffent­liche Leben in Brasilien bekamen. Der Ruf der Arbeiter nach gewerk­schaftlicher Frei­heit und ihre Proteste gegen sinkende Löhne und die autori­täre Ordnung am Arbeitsplatz wurden zu einem Kampf nicht nur um neue Arbeitsrechte, sondern für tatsächliche Bürger­rech­te.

Die 1983 gegründete CUT − eine der drei Gewerkschaftsdach­verbände in Brasi­lien − war ein Produkt der massenhaften gewerkschaftlichen Organisierung, die sich in der Industriere­gion von Groß-Sao Paulo seit 1978 und vor allem unter den Metallarbeitern von Sao Bernardo do Campo entwickelt hatte. Wäh­rend die hauptsächliche Basis der CUT in den letzten 12 Jahren weiterhin dort blieb, hat sie es geschafft, sehr schnell zu wachsen und dabei ihren gesellschaft­lichen und politischen Einfluß auszuweiten. Heute ist die CUT zum Symbol des »neuen Gewerkschaftswesen« des Landes geworden.

Aus den gewerkschaftlichen Aktionen in Sao Bernardo do Campo ging auch die Arbeiterpartei hervor, die Schwester­organisation der CUT. Nach 1978 verband sich die Opposition gegen die existierenden autoritären Gewerkschafts­strukturen mit dem breiten Widerstand gegen das Militärregime. Diese Opposi­tion entstand in mehreren Anläufen zu Beginn der 60er Jahre in Form von Gruppen wie der Oppositionellen Metallarbeiterbewegung in Sao Paolo (mosmsp). Luis Inacio »Lula« da Silva war 1975 der gewählte Präsident der Metall­arbeitergewerkschaft in Sao Bernardo do Campo. Er sollte bald zum ein­flußreichsten Wortführer der Arbeiterbewegung werden. Im No­vember 1989 kan­didierte er für die brasiliani­sche Präsidentschaft und erhielt 39 Prozent der Stimmen in der Stichwahl gegen Fernando Collor de Mello, den schließli­chen Wahlsieger. In den allgemeinen Wahlen im Oktober letz­ten Jahres, bei der Lula wiederum unterlag, konnte die PT zwei Gouverneure durchbringen, Vitor Buaiz in Espiri­to San­to und Cristo­vam Buarque in Brasilia, und eine bedeutende Anzahl von Abgeordneten in den Staaten und in der Födera­tion.

Vor 1978 war die Gewerkschaftsbewegung in Brasilien zwar nicht völlig paraly­siert, aber beschränkt auf kleine, kaum sichtbare lokale Aktivitäten in bestimm­ten Sektoren der Arbeiterbewegung. Zwischen 1974 und 1978 kam es zu Ar­beitsverlangsamungen und Produktions­unterbrechungen, die aber normaler­weise auf einzelne Betriebe be­schränkt blieben. Der eiserne Stiefel der Militär­diktatur verhinderte massen­haften Widerstand. Die traditionelle Gewerkschafts­struktur war korporatistisch und autoritär.3 Die Gewerkschaftsführer − die soge­nannten »pelegos« (Kollaborateure) − hatten enge Beziehungen zur Regierung und zu den Unternehmern.

Mitte der 70er Jahre erwachten die Arbeiter aus ihrer langen politi­schen Untä­tigkeit und begannen, ihre Opposition gegen die Wirt­schaftspolitik des Militärre­gimes zu artikulieren, die Druck auf die Löhne der Armen und der Mittelklasse aus­übte. Die Arbeiter ergriffen wieder die Initiative in der Bezie­hung zum Staat und zu den Unter­nehmern. 1978 brach eine Streikwelle zunächst in Sao Bernar­do do Campo aus, die sich dann über das ganze Land ausbreitete. Im glei­chen Jahr führten die Metallarbeiter von Sao Bernado ihren ersten Kongreß durch, auf dem sie als die wichtigsten programmati­schen Prinzipien der gewerkschaftlichen Aktivität bestimm­ten: Tarifverhand­lungen, Gewerkschafts­freiheit und ein Ar­beitsgesetz, das ihre grundle­genden Rechte enthält.4

Befürworter des »neuen Gewerkschaftswesens« verurteilten die beste­hen­den Gewerkschaftsstrukturen und sprachen sich für freie Verhand­lungen zwischen Unternehmern und Arbei­tern ohne staatliche Ein­mischung aus. Die ganze Zeit über arbeiteten sie praktisch am Aufbau eines anderen Gewerk­schaftsmodells, indem sie an der Basis organi­sierten, um so die Gewerkschaften auf der Ebene der Fabrik zu stärken.

Im Übergang Brasiliens zur Demokratie wurde die Arbeiter­bewegung auf diese Weise zu einer politischen Schlüsselfigur. Die großen korpo­ratistischen Gewerk­schaften wurden wie »Unternehmen« geführt und verfügten neben ihren ökono­mi­schen und politischen Muskeln auch über beachtliche finan­zielle Res­sourcen. Als sie mit ihrer Reorganisa­tion begannen, waren sie daher in der Lage, Kon­gresse, Seminare, Schulun­gen für die Führung, Rundreisen zur Kontakt­aufnahme zwi­schen den Gewerkschaftsmitgliedern usw. zu finanzieren. Diese soziale Bewe­gung, die mit der Zeit zu einer politischen Bewegung wurde, eröffnete der Arbei­terklasse die Möglich­keit, sich in die öffent­lichen Angelegen­heiten ein­zumischen. Vor diesem Hintergrund ent­stand die CUT und gewann eine derart prominente Rolle in der brasi­lianischen Arbeitswelt.

Bei der Bildung der CUT kamen drei Strömungen zusammen: die traditio­nelle Linke, die »unabhängige« Gewerkschafts­bewegung und kirchlicher Aktivis­mus.5 Die erste Strömung bestand aus Gewerk­schaftsaktivisten, die sozialisti­schen politischen Parteien angehörten. Anfang der 70er Jahre hat­ten diese linken Aktivisten ihre militante Vergangenheit aufgearbeitet und versuchten, die »Mas­sen« zu errei­chen − entweder durch Organisierung in den Elendsvierteln oder indem sie in die Fabriken gingen. Anfang der 80er Jahre waren diese links­gerichteten Aktivisten immer noch in der Arbeiterbewe­gung aktiv und beteilig­ten sich an den kleinen alltäglichen Kämpfen sowohl in den Fabriken der großen Industriezen­tren − na­mentlich im Süden und Südosten − als auch in den ländli­chen Regio­nen wie im Norden und Nordosten. Aber sie waren zerstreut, oftmals ohne Kontakt zu ihren Parteien oder lagen im Streit mit ihnen.

Die Angehörigen der zweiten Hauptströmung des neuen Arbei­teraktivis­mus nannten sich selber »Unabhängige«. Diese Strömung spiegelte das neue Profil der Arbei­terklasse wider, das aus den ökonomischen und sozialen Veränderun­gen des Landes während der Diktatur resul­tierte. Sie wurde ange­führt von jungen Arbei­tern, von denen viele aus ärmeren Gebieten, vor allem aus dem Nordosten, zugewandert waren. Sie waren Industriearbeiter in der ersten Genera­tion, die weder Ver­bindungen zu der traditionellen Linken noch zu der nationali­stischen ideologischen Vision der populistischen Gewerkschaftsbewegung aus der Zeit vor 1964 hatten. Diese gewerkschaftliche Strömung orientierte sich größtenteils an der Metallarbeitergewerkschaft in Sao Bernardo do Campo. Nach und nach füllten diese neuen »unabhängigen« Füh­rer überall im Land das Vakuum im traditionellen Gewerk­schafts­apparat.

Beide dieser Strömungen unterhielten enge Beziehungen zum progres­siven Sektor der Katholischen Kirche. Die Kirche, eng verwoben mit der sozialen Fabrik des Landes, entwickelte eine Bewegung von christ­lichen Basisgemeinden (communida­des eclesiais de base, CEB) im ganzen Land. Anfang der 80er Jahre gab es etwa achtzigtausend Basisgemeinden, denen annährend zwei Millionen »gläubige und unterdrückte« Menschen angehörten. In diesen CEBs kam ein weitverbreitetes kollektives Gefühl von sozialer Revolte und Kritik an der bestehenden politischen Ordnung zum Aus­druck. Die CEBs waren in der all­tägli­chen Praxis der Leute verwurzelt und organisier­ten Gruppen von Men­schen, die ihre grundlegenden Rechte als Bürger forderten. Als ein Kataly­sa­tor volks­tümlicher Bestrebungen formten diese ka­tholischen Bewegungen eine der Säulen für die Reorganisa­tion der Arbeiterbewegung.6 Sie beeinflußten die Arbeiter­aktivitäten, in­dem sie von der Würde der Arbeiter sprachen, d.h. den Arbeiter nicht als bloßes Werkzeug für die Produk­tion von Reichtum, sondern als mit bestimmten Rechten ausgestattete Person betrachteten.

Mit der Gründung der CUT, die aus der Reorganisation der Arbeiter­bewe­gung Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre hervorgegangen war, erfüllte sich eine schon lange vorhande­ne Bestrebung in der brasilianischen Arbeiterbe­wegung.7 Seit ihrer Gründung 1983 ist die CUT bemerkenswert ange­wachsen. Gewerk­schaften in Brasilien vertreten alle Arbeiter in ihre Gerichtsbarkeit, un­ab­hängig davon, ob sie zahlende Gewerkschaftsmitglieder sind. 1984 hielt die CUT ihren er­sten Kongreß mit 5 000 Delegierten ab. Der zweite Kongreß, zwei Jahre später, wurde von 5 564 Delegierten besucht, deren Organisatio­nen 12 Millionen Arbeiter an der Basis repräsentieren.

Im April 1993 gehörten 1 878 Gewerkschaften (627 ländliche und 1 251 städti­sche) zur CUT, die 16,5 Millionen Arbeiter repräsentierten. Von den 5,5 Millio­nen landwirtschaftlichen Arbeitern waren über 600 000 Gewerkschaftsmit­glieder. Von den 11 Millionen städtischen Arbeitern sind drei Millionen − etwa 25 Prozent − organisiert.8 Beim Fünften Kongreß im Mai 1994 hatte die CUT etwa 2 300 Mitgliedsgewerkschaf­ten, die etwa 18 Millionen Arbeiter an der Basis vertraten.9

Von der Streikwelle 1978 bis zur Geburt der CUT 1983 war die Orga­nisierung der Arbeiter fieberhaft vorangeschritten. Zwischen 1983 und dem Dritten Natio­nalen Kongreß 1988 entwickelte die CUT erfolgreich eine organi­sierte Arbeiter­mi­litanz. Diese bewegungsartige, befreiende, sozialistische und konfliktorische Periode, die als »heroische« Phase der Organi­sation bezeichnet wird, endete mit diesem Kongreß.

Der Dritte Kongreß markiert den Beginn eine Wende in der Vision der CUT von einer Bewegung zu einer Organisation. Von diesem Punkt an begann die Organi­sation, eine vertika­le, administrative Struktur anzunehmen, die komplex und in diesem Sinne bürokratisch war. Diese Umstrukturierung führte zum Auf­bau einer rationalen »ge­schäftsmäßigen« Ge­werkschaft. Der vierte und fünfte Kon­greß, 1991 und 1994, setzte die Wende innerhalb der CUT von einer mehr kon­fron­tativen Haltung zu einer neuen Bereitschaft zum Verhandeln fort.

Der Dritte Kongreß formalisierte Veränderungen, die sich im CUT-Gewerk­schaftswesen bereits abzeichneten. Durch Sat­zungsänderungen erhielten die Delegierten des Gewerk­schaftsrats Vorrang vor den Basisvertretern und die Zahl der für den CUT-Kongreß gewählten Vertreter wurde so geän­dert, daß sie der Zahl der der CUT ange­schlossenen Gewerk­schaften und nicht der der jeweiligen Arbeiter entsprach. Das führte zu einer Verringerung des Anteils der Kon­greßde­le­gierten, die aus der Gewerkschaftsopposition der 70er Jahre stammten − im allgemeinen der mehr links orientierte Teil der CUT. Außerdem entschied der Kongreß, daß die Teilneh­mer zukünftiger nationaler Kongresse auf Kongressen in den einzelnen Staaten gewählt werden sollen. Dies wirkte als Filter für die Vertretung der Arbeiter, denn in der Praxis konnte damit ein Arbeiter an der Basis, der keiner der inter­nen Strömungen der CUT angehörte, nicht mehr zum Dele­gierten des nationalen Kongresses gewählt werden. Und schließlich ent­schied der Dritte Kongreß, nur noch alle drei statt bisher zwei Jahre einen Kongreß durchzuführen. Die linkeren Tendenzen betrach­ten diese Veränderun­gen als einen Schlag gegen die innere Demokra­tie der CUT.

Das Resultat war die Schaffung einer sogenannten »Demokra­tie der Tenden­zen«, mit der viele dieser Tendenzen nicht glücklich sind. Viele Linke haben zum Beispiel den Eindruck, daß der normale nicht-mili­tante [im Sinne von nicht zu einer Tendenz gehörend, A.d.Ü.] Arbeiter in der Organisation keine Rolle mehr spielt. Ihrer Ansicht nach wider­spricht diese »De­mokratie der Tendenzen« den demokratischen Ideen, die von der neuen Gewerkschaftsbewegung verteidigt wurden. Für andere, moderatere Kräfte in der CUT, die sich auf Arbeits­proble­me im engeren Sinn konzentrieren, bedeutet der politi­sche Hickhack zwischen den Tendenzen eine exzessive Politi­sierung. Sie befürchten dadurch den Verlust der besonderen gewerkschaftlichen Identität der CUT.

Auf dem Fünften Nationalen Kongreß der CUT im Mai 1994 wurde ein 25köp­fi­ger nationaler Exekutivausschuß gewählt. Er setzt sich zusammen aus einem Delegierten aus dem land­wirtschaftlichen Sektor, sieben aus der Industrie (drei davon Metallarbeiter), fünf Bankarbeitern (alle aus Staatsbanken), drei Ange­stellten aus Staatsfirmen und neun Beschäftigten des öffentlichen Dienstes; 17 Männer und 8 Frauen. Der bemerkenswerteste Umstand an dieser Zusam­men­setzung ist das Übergewicht der Staatsangestellten, die praktisch 70 Prozent ausmachen. Dies ist möglicherweise ein Ausdruck des starken Widerstands der Gewerkschaft gegen die Politik der Privatisierung und der Verkleinerung des öffentlichen Dien­stes. Obwohl die landwirtschaftlichen Arbeiter über ein Drit­tel der Arbeiterbasis der CUT ausmachen (etwa 6,5 von 18 Millionen), sind sie im Exekutivausschuß so gut wie nicht vorhanden und spielen daher auch keine Rolle in der inneren Demokratie.

Trotzdem verfügen die Metallarbeiter von Sao Bernardo do Campo nach wie vor über die größte Autorität und Anerken­nung innerhalb der CUT. Sie re­prä­sen­tie­ren die Mehrheits­tendenz in der Organisation, die sogenannte »Arbeiter­artiku­lation«. Die Führungsrolle dieser Tendenz drückt sich in der Besetzung des Gewerkschaftsvorstands aus. Seit ihrer Grün­dung 1983 bis zum Mai 1994 war Jair Meneguelli Präsident der CUT, ein Metallarbeiter in der Ford-Fabrik in Sao Ber­nardo do Campo und der frühere Präsident der Metallarbei­tergewerkschaft in Sao Ber­nardo do Campo und Diadema. Er trat zurück, nachdem er im Oktober 1994 zum Kongreßabge­ordneten gewählt worden war. An die Stelle von Mene­guelli trat Vicente Paulo »Vicentinho« da Silva, ein anderer Gewerk­schaftsführer aus Sao Bernardo do Campo.

Es ist auch bemerkenswert, daß die CUT-Führung sich vor­rangig aus Mittel­klasse-Arbeitern zusammensetzt. Fast 60 Prozent der Delegierten zum Kongreß von 1994 verfügten z.B. über einen Universitätsabschluß − in einem Land, in dem 32 Millionen, über 20 Prozent der brasilianischen Bevölkerung, Analphabe­ten sind. Bei dem gegenwärtigen Prozeß handelt es sich also um eine weitgehen­de Institutionalisierung und da­mit eine größere Professionalisierung und Büro­kratisierung innerhalb der CUT10. Er drückt außerdem das Übergewicht der mittleren Sektoren innerhalb der Organisation aus und damit eine wachsende Distanz zwischen Basis und Führung.

Das neue Gewerkschaftswesen ist mit einer grundle­genden Parado­xie kon­frontiert: am Punkt ihres größten Ein­flusses im breiteren politischen Prozeß scheint sie die wirksa­me Vertretung am Arbeitsplatz zu verlieren. Wenn es der CUT nicht gelingt, sich breiter innerhalb der Unternehmen zu organisie­ren, werden die Gewerkschaften und auch die CUT selber, geschwächt werden, da sie den alltäglichen Kon­takt zu den Aktivitäten der Arbeiter verlieren.

Der einzige Weg, um die Stärke des gewerkschaftlichen Han­delns zu erhal­ten, ist die Sicherung einer breiten organisier­ten Unterstützung an den Arbeits­plätzen. Dies erfordert eine gewisses Maß an Militanz. Trotz der Militanz der CUT an verschiedenen Punkten ihrer Geschichte, suchen die bestim­menden Kräfte innerhalb der Organisation heute zunehmend den Kompromiß und die Ver­hand­lung. Die CUT hat sich von einem sehr radikalen Konzept von Ge­werk­schaft, wie es in den Streiks 1978 begann und in dessen Zentrum eine massive Kritik an den traditionellen Gewerkschaftsstruktu­ren stand, wegbewegt zu einer prag­mati­scheren Konzeption.

Die Herausforderungen für die brasilianische Gewerkschafts­bewegung sind dieselben wie für ihre Schwesterbewegungen überall auf der Welt: sie müssen angesichts der unermüdli­chen Angriffe eines zunehmend mobilen internationalen Kapi­tals ihre Stärke erhalten. Gelegentlich mag dafür eine Hal­tung des Kom­promisse und der Anpassung erforderlich sein, aber keine Gewerkschaftsbewe­gung kann die Abkopplung von den Arbeitern an der Basis überleben. Noch verfügt die CUT über die Loyalität dieser Arbeiter, aber auf dem Höhepunkt ihrer Stärke steht sie innerlich vor einer Zerreißprobe. ■

[1] new unionism: wörtl. neues Gewerk­schaftswesen, also eine neue Art von Gewerk­schaft.(Anm.d.Ü.)

[3] labor: bedeutet Arbeit, aber auch Arbei­terbewegung.(Anm.d.Ü.)

[3]Das korporatistische Gewerkschaftsmodell entwickelte sich in den 30er Jahren und bindet die Gewerkschaften − trotz einiger Änderungen in der Verfassung von 1988 − noch immer an den Staat. Es beruht auf den folgen­den Elementen: a) das Vertretungs­monopol wird vom Staat zugewiesen; b) Einheitsgewerkschaft: in einem bestimmten Gebiet darf nur eine Gewerk­schaft einer bestimmten Kategorie, z.B. der Metallarbeiter, diese Arbeiter vertreten; c) die sogenannte Gewerkschaftssteuer: ein obligatorischer Beitrag, der von allen Arbeitern, den organisierten wie den unorganisierten, einge­sam­melt wird, und der einem Tageslohn im Jahr entspricht; und d) die rechtliche Macht des Arbeits­gerichtssystems.

[4]Ricardo Antunes, A Rebeldia do Trabalho (Sao Paolo: Editora Uni­camp/Ensaio, 1988), p. 17.

[5]Lencio Martins Rodrigues analysiert diesen Prozeß, seine verschiedenen Stufen und die all­gemeineren Hintergründe in »As tendencias politicas na forma ao das centrais sin­di­cais«, in Armando Boito Junior, O Sindica­lismo Brasileiro nos Anos 80 (Sao Paulo: Paz e Terra, 1991). Siehe auch Eder Sader, Quando Novos Personagems Entraram em Cena (Sao Paulo: Paz e Terra, 1988).

[6]Siehe Heloisa de Souza Martins, "Igreja e Movimento Operario no ABC (1954-1975)," doctoral thesis presented to the Department of Social Science of the Faculty of Philosophy, Literature and Human Sciences of the Univer­sity of Sao Paulo, 1986 (mimeo).

[7]Siehe Lencio Martins Rodrigues, CUT: os militantes e a ideologia (Sao Paulo: Paz e Terra, 1990), vor allem Kapitel 1, "A formacao da CUT," pp. 5-30.

[8]Zahlen des CUT-Generalsekretariats, 13. April 1993.

[9]Siehe Adriana Lopez und Alvaro Comin, »Delegados ao CONCUT: um perfil«, De Fato, Year 2, No. 4 (Sao Paulo) Juli-September, 1994.

[10]Iram Jacome Rodrigues, "Perspectivas do sindicalismo no Brasil; o caso da CUT," in Eli Diniz, Jose Sergio Leite Lopez and Reginaldo Prandi (eds.) O Brasil no Rastro da Crise (Sao Paulo: ANPOCS/­HUCITEC/IPEA, 1994), p. 40.


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