Zur Aktualität von Gewerkschaftskritik
Gewerkschaften befinden sich überall in den industrialisierten Ländern unübersehbar in der Krise. Ihre Mitgliederzahlen sinken, ihr Einfluß auf den Verlauf sozialer Konflikte geht zurück, Kapital und Staat scheinen auf ihre Rolle als »nützliche Idioten« verzichten zu wollen. Von einem revolutionären Standpunkt aus könnten wir das Problem der gewerkschaftlichen Organisierung damit als erledigt betrachten und uns den »eigentlichen« Klassenkämpfen zuwenden. In gewisser Weise ist dies auch die Haltung, die in einigen Beiträgen zu unserer politischen Diskussion eingenommen wird.
Mit dem Vorschlag zu einem »Bündnis für Arbeit« scheinen sich die Gewerkschaften hier endgültig blamiert zu haben. Opposition keimt auf, selbständiges Handeln außerhalb und unabhängig von Gewerkschaften ist auch bei vielen Gewerkschaftslinken angesagt. Tatsächlich funktioniert aber gerade diese Kritik und die Hoffnung auf neue Kämpfe gegen den Sozialabbau als Bekräftigung gewerkschaftlicher, oder syndikalistischer, Grundgedanken. (Das Schielen hiesiger Linker auf den Erfolg der innergewerkschaftlichen Oppositionsströmung in den USA unterstreicht dies.) Aus zwei wesentlichen Gründen: 1. weil die Kritik an den existierenden Gewerkschaften mit keiner grundlegenden Analyse des Charakters von Gewerkschaft verbunden ist, 2. weil die politischen Lösungsorientierungen der Linken daher weder den gewerkschaftlichen noch den staatsorientierten Rahmen verlassen.
In revolutionär orientierten Diskussionen wird gerne statt gewerkschaftlich »syndikalistisch« gebraucht, womit das Problem nur vernebelt wird. Im der französischen politischen Sprache hat »syndikalistisch« immer eine doppelte Bedeutung: gewerkschaftlich im üblichen Sinne, und als Charakterisierung eines historischen Konzepts revolutionärer Gewerkschaft im Unterschied zur politisch-ökonomischen Aufgabenteilung zwischen Partei und Gewerkschaft. Karl Heinz Roth spricht daher von »revolutionär-syndikalistisch« (280). Wie schwierig es ist, diese Gegenüberstellung durchzuhalten zeigen die Widersprüche, bei denen er eingestandenermaßen bleibt: einerseits die reale Verbürokratisierung aller neuen Gewerkschaftsansätze (252f.), andererseits der Bezug auf diese Bewegungen als ein Moment des neuen Klassensubjekts (259ff.). Die gewerkschaftliche Tendenz scheint unerbittlich zu sein.
Eine zusätzliche Schwierigkeit liegt darin, daß Gewerkschaft und ihre Publikationsmöglichkeit oft der einzige Informationszugang ist, da sie über die Mittel verfügen und mit einer internationalen Informationsbourgeoisie (zu der viele Linke gehören) zusammenarbeiten kann. Wir wissen nur zu gut, wie oft die wirkliche Geschichte von Kämpfen ungeschrieben bleibt und in grotesken publizistischen Verdrehungen endet. Bei Berichten wie dem über die LKW-Fahrer in LA oder denen aus Asien muß uns dies stets bewußt sein.
Auf »Syndikalismus« beziehen sich alle Versuche, den existierenden Gewerkschaften bessere, revolutionäre entgegenzusetzen. Dabei wird behauptet, in der Geschichte seien so unterschiedliche Dinge mit dem Begriff »Gewerkschaft« bezeichnet worden, daß sich allgemein nichts über sie sagen ließe, daher auch eine historische Offenheit für neue, gewerkschaftliche Organisationsansätze bestehe (siehe G. Soriano in Wandlitz-Reader III). In der Regel sind Begriffe keine Maskerade, sondern meinen etwas Identisches. Möglicherweise liegt es bei Gewerkschaft in einem Moment, das oft als nebensächlich gegenüber politischen und historischen Prägungen gewertet wird, nämlich in dem bloßen Fakt des abgeschlossenen oder angestrebten Vertrages. Das Moment des Vertrags enthält nämlich bereits vieles, was oft erst als nachträgliche Integration oder Bürokratisierung dargestellt wird und Rätsel aufgibt. Ein Vertrag unterstellt bereits den Bezug auf die staatliche Gewalt als rechtliche Absicherung und damit das Bestreben nach Anerkennung als kollektives Rechtssubjekt durch den Staat. Ebenso schließt ein kollektiver Vertrag von vornherein »Demokratie« aus; das Kollektivsubjekt Gewerkschaft muß den Vertrag auch gegen das einzelne Mitglied durchsetzen, sprich seine Erfüllung des Vertrags (= Arbeiten!) garantieren. Gegenüber diesem banalen Fakt ist alles Grübeln über innergewerkschaftliche Demokratie müßig. Der schon im Vertrag enthaltene Bezug auf den Staat bedeutet den Bezug auf einen territorialen (d.h. Grenzen absteckenden) und nationalen (d.h. Staatszugehörigkeit definierenden Staat). Gewerkschaftlicher Internationlismus erscheint schon von daher ein Widerspruch in sich. Das wäre auszuführen, wobei es nicht um abstrakte Ableitung historischer Besonderheiten geht, sondern darum, die inneren Grenzen jeden gewerkschaftlichen Ansatzes klarzumachen.
Wie fatal das linke Festhalten (bzw. erneute Interesse) an der Staatsorientierung ist, können wir an der Diskussion über die Bauarbeit beobachten. Auch hier geht es nicht um einen besonderen deutschen Charakter von Gewerkschaft oder einen auf sie überschwappenden Rassismus, sondern die rassistischen und nationalistischen Erscheinungen sind dem Wesen von Gewerkschaft eingeschrieben. In seiner Analyse der Dezemberbewegung in Frankreich rückt Reeves zu Recht die Frage der nationalistischen Orientierung einer Bewegung, die »ihren Sozialstaat« verteidigt, in den Mittelpunkt, wobei er nicht schwarz-weiß malt, sondern die verwirrende Widersprüchlichkeit der Bewegung betont. Das trübt die Hoffnung, in Frankreich die Lösung für die deutsche Misere zu finden, aber es macht aufmerksam auf die Fallgruben. Mit dem Abarbeiten an »Maastricht« haben wir keinen Blumentopf zu gewinnen, die Frage »Europa − ja oder nein?« ist so falsch gestellt wie die nach »Abbau oder Erhalt des Sozialstaats«. Bewegungen wird es hier in der nächsten Zeit ohnehin geben, gerade deswegen sollten wir jetzt unsere Argumente präzisieren. ■ F./Köln