Wildcat-Zirkular Nr. 25 - Mai 1996


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Zur Aktualität von Gewerk­schaftskritik

Gewerkschaften befinden sich überall in den industrialisierten Län­dern unüber­sehbar in der Krise. Ihre Mitgliederzahlen sinken, ihr Einfluß auf den Ver­lauf sozialer Konflikte geht zu­rück, Kapital und Staat scheinen auf ihre Rolle als »nützliche Idioten« verzichten zu wollen. Von einem revolutionären Standpunkt aus könnten wir das Problem der gewerkschaftlichen Organisierung damit als erledigt betrachten und uns den »eigentlichen« Klas­senkämpfen zuwenden. In gewisser Weise ist dies auch die Haltung, die in einigen Beiträgen zu unserer politischen Diskussion eingenom­men wird.

Mit dem Vorschlag zu einem »Bündnis für Arbeit« scheinen sich die Ge­werkschaften hier endgültig blamiert zu haben. Opposition keimt auf, selbständi­ges Handeln außerhalb und unabhängig von Gewerkschaften ist auch bei vielen Gewerkschaftslinken angesagt. Tatsächlich funktioniert aber gerade diese Kritik und die Hoffnung auf neue Kämpfe gegen den Sozialabbau als Bekräftigung gewerkschaftlicher, oder syndikalistischer, Grundgedanken. (Das Schielen hiesi­ger Linker auf den Erfolg der innergewerkschaftlichen Oppositionsströmung in den USA unterstreicht dies.) Aus zwei wesentli­chen Gründen: 1. weil die Kritik an den existierenden Gewerk­schaften mit keiner grundlegenden Analyse des Charakters von Gewerk­schaft verbunden ist, 2. weil die politischen Lösungs­orientierungen der Linken daher weder den gewerk­schaftlichen noch den staats­orientierten Rahmen ver­lassen.

In revolutionär orientierten Diskussionen wird gerne statt gewerkschaftlich »syn­dikalistisch« gebraucht, womit das Problem nur vernebelt wird. Im der französi­schen politi­schen Sprache hat »syn­dikalistisch« immer eine doppelte Bedeutung: gewerk­schaftlich im üblichen Sinne, und als Charakterisierung eines histori­schen Konzepts revolutionärer Gewerkschaft im Unter­schied zur politisch-ökono­mi­schen Aufgabenteilung zwischen Partei und Gewerkschaft. Karl Heinz Roth spricht daher von »revolutionär-syndikalistisch« (280). Wie schwierig es ist, diese Gegenüberstellung durchzuhalten zeigen die Widersprüche, bei denen er eingestandenermaßen bleibt: einerseits die reale Verbürokratisierung aller neuen Gewerkschaftsansätze (252f.), andererseits der Bezug auf diese Bewegun­gen als ein Moment des neuen Klassensubjekts (259ff.). Die gewerkschaftliche Tendenz scheint unerbittlich zu sein.

Eine zusätzliche Schwierigkeit liegt darin, daß Ge­werkschaft und ihre Publika­tionsmöglichkeit oft der einzige Informationszugang ist, da sie über die Mittel verfügen und mit einer internationalen Informations­bourgeoisie (zu der viele Linke gehören) zusammenarbeiten kann. Wir wissen nur zu gut, wie oft die wirkliche Geschichte von Kämpfen ungeschrieben bleibt und in grotesken publizistischen Verdrehungen endet. Bei Berichten wie dem über die LKW-Fahrer in LA oder denen aus Asien muß uns dies stets bewußt sein.

Auf »Syndikalismus« beziehen sich alle Versuche, den existierenden Ge­werkschaften bessere, revolutionäre entgegenzusetzen. Dabei wird behaup­tet, in der Geschichte seien so unterschiedliche Dinge mit dem Begriff »Gewerkschaft« bezeichnet worden, daß sich allgemein nichts über sie sagen ließe, daher auch eine historische Offenheit für neue, gewerkschaftliche Organisationsansätze bestehe (siehe G. Soriano in Wandlitz-Reader III). In der Regel sind Begriffe keine Maskerade, sondern meinen etwas Identisches. Möglicherweise liegt es bei Gewerkschaft in einem Moment, das oft als nebensächlich gegenüber politischen und historischen Prägungen gewertet wird, nämlich in dem bloßen Fakt des abgeschlossenen oder angestrebten Vertrages. Das Moment des Vertrags enthält nämlich bereits vieles, was oft erst als nachträgliche Integration oder Bürokrati­sierung dargestellt wird und Rätsel aufgibt. Ein Vertrag unterstellt bereits den Bezug auf die staatliche Gewalt als rechtliche Absicherung und damit das Bestreben nach Anerkennung als kollektives Rechtssubjekt durch den Staat. Ebenso schließt ein kollektiver Vertrag von vorn­herein »Demo­kratie« aus; das Kollektiv­subjekt Gewerkschaft muß den Vertrag auch gegen das einzelne Mit­glied durch­setzen, sprich seine Erfüllung des Ver­trags (= Arbeiten!) garantieren. Gegenüber diesem banalen Fakt ist alles Grübeln über innergewerkschaftliche Demokratie müßig. Der schon im Vertrag enthaltene Bezug auf den Staat be­deu­tet den Bezug auf einen territorialen (d.h. Grenzen absteckenden) und natio­nalen (d.h. Staatszugehörigkeit definierenden Staat). Gewerkschaftlicher Inter­nationlis­mus erscheint schon von daher ein Widerspruch in sich. Das wäre aus­zuführen, wobei es nicht um abstrakte Ableitung historischer Besonderheiten geht, sondern darum, die inneren Grenzen jeden gewerkschaftlichen Ansatzes klarzumachen.

Wie fatal das linke Festhalten (bzw. erneute Interesse) an der Staats­orientie­rung ist, können wir an der Diskussion über die Bauarbeit be­obachten. Auch hier geht es nicht um einen besonderen deutschen Charakter von Gewerk­schaft oder einen auf sie überschwappenden Rassis­mus, sondern die rassistischen und natio­na­listi­schen Erscheinungen sind dem Wesen von Gewerkschaft einge­schrie­ben. In seiner Analyse der Dezemberbewe­gung in Frankreich rückt Reeves zu Recht die Frage der nationalistischen Orien­tierung einer Bewegung, die »ihren Sozialstaat« verteidigt, in den Mittel­punkt, wobei er nicht schwarz-weiß malt, sondern die verwirrende Widersprüchlichkeit der Bewegung betont. Das trübt die Hoffnung, in Frankreich die Lösung für die deutsche Misere zu finden, aber es macht aufmerksam auf die Fallgruben. Mit dem Abarbeiten an »Maa­stricht« haben wir keinen Blumen­topf zu gewin­nen, die Frage »Europa − ja oder nein?« ist so falsch gestellt wie die nach »Abbau oder Erhalt des Sozial­staats«. Bewe­gungen wird es hier in der nächsten Zeit ohnehin geben, gerade deswegen sollten wir jetzt unsere Argumente präzisieren. ■ F./Köln


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