Wildcat-Zirkular Nr. 26 - Juli 1996 [z26buen1.htm]


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KHD und Deutz-Fahr in Köln:

»Bündnis für Arbeit« überschattet siebentägigen selbständigen Streik

An Pfingsten 1996 ließ das Management des Kölner Maschinenbaukonzerns Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) eine Bombe platzen. Durch illegale Bilanzmanipulationen bei der im Anlagenbau tätigen Tochterfirma Humboldt Wedag sei ein Schaden von einigen hundert Millionen Mark entstanden. In der Öffentlichkeit wurde der Eindruck erweckt, damit stünden sämtliche 9400 Arbeitsplätze bei KHD, davon etwa 5500 in Köln, auf dem Spiel. Zur selben Zeit wehrten sich im rechtsrheinischen Kölner Stadtteil Kalk die 530 Beschäftigten der Traktorenfabrik Deutz-Fahr gegen die Schließung ihres Betriebes. Diese KHD-Tochterfirma war erst letztes Jahr an die mittelständische italienische Firma Same in Treviglio verkauft worden. Nach deren Willen soll die Traktorenproduktion nun nach Lauingen in Bayern verlagert werden, wo Deutz-Fahr eine Mähdrescherfertigung betreibt.

Im Bewußtsein der Bevölkerung gehören Deutz-Fahr und KHD nach wie vor zusammen. Wer in Kalk Traktoren zusammenschraubt, der ist eben bei KHD. Aufgrund der rechtlichen und organisatorischen Trennung verliefen die Konflikte in den beiden Firmen aber höchst unterschiedlich. KHD wurde im Hauruck-Verfahren und durch ein Verzichtsangebot der IG-Metall von 110 Millionen Mark innerhalb weniger Tage »gerettet«. Die ArbeiterInnen wurden erst nach dieser Operation über ihren Verzicht informiert, wie es - nicht nur bei KHD - mittlerweile üblich ist. Ähnliche »Beiträge der Belegschaft« hatte die IG-Metall auch bei Deutz-Fahr angeboten und deeskalierend auf die wütenden ArbeiterInnen eingewirkt. Als Same stur blieb, nahmen ArbeiterInnen die Sache in die eigene Hand. Am 3. Juni begannen sie selbständig einen unbefristeten Streik.

Drei Tage später titelte die Kölner Boulevardzeitung »express« (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Zeitung für Gewerkschaftsarbeit aus Offenbach!): »KHD GERETTET«. Selbst im Stadtteil Kalk wunderten sich viele, warum denn jetzt bei Deutz-Fahr weitergekämpft werde. Der Streik in der Traktorenfabrik konnte erst durch Interventionen des Betriebsrats von KHD (!) und der Kölner IG-Metall am 12. Juni abgebrochen werden - zu einem Zeitpunkt, als Same durch den Produktionsausfall zunehmend unter Druck geriet. Ein selbständiger Streik wie bei Deutz-Fahr hat Seltenheitswert in der Bundesrepublik - und er paßt nicht zum »Bündnis für Arbeit«. Als Anfang Juni die Möglichkeit bestand, an dem traditionellen Zusammenhang der KHD-ArbeiterInnen anzuknüpfen und damit die Einsamkeit der Belegschaften in der Krise zu überwinden, wurden Versuche in diese Richtung von der Kölner IG-Metall zurückgewiesen. Seit der Zerschlagung des KHD-Konzerns Ende der 80er Jahre hatten Betriebsrat und Gewerkschaft alle Rationalisierungsmaßnahmen konfliktentschärfend begleitet, warum sollte sie sich jetzt anders verhalten?

Die planmäßige Abwicklung von KHD - ein Rückblick

Vor neun Jahren übernahm die Deutsche Bank nach Fehlspekulationen der Familie Klöckner-Henle und einer Fehlinvestitionen in den USA die Regie über KHD. In Köln befanden sich ihre drei Hauptsparten: die Motorenproduktion mit angeschlossener Gießerei und Teilefertigung im Stadtteil Deutz, die Trakto-renfabrik mit Teile- und Getriebeproduktion sowie der Anlagenbau in Kalk. Mitte der 80er Jahre waren noch über 12 000 ArbeiterInnen in Köln beschäftigt. Der im Sommer 1987 von der Deutschen Bank eingesetzte Sanierer Kajo Neukirchen lagerte fast die gesamte Teilefertigung aus und stutzte KHD auf einen Montagebetrieb zurück. Der Gesamtkonzern wurde in »Strategische Geschäftseinheiten« aufgespalten, die sich einzeln reibungsloser abwickeln ließen. In nur zwei Jahren wurden in Köln etwa 6000 Arbeitsplätze beseitigt. Einige ArbeiterInnen konnten danach wieder bei KHD arbeiten - als Leiharbeiter zu wesentlich schlechteren Löhnen und ohne Absicherung, teilweise sogar von einer KHD-eigenen Leihfirma vermittelt. Wie Neukirchen auf verschiedenen Managerfachtagungen betonte, sei diese »schnellste Sanierung der deutschen Industriegeschichte« nur durch die enge Zusammenarbeit mit dem IGM-Betriebsrat möglich gewesen.

Die ArbeiterInnen kämpften gegen Arbeitsplatzbeseitigung, Umsetzungen auf schlechtere Arbeitsplätze und für höhere Abfindungen mit wilden Streiks, spontanen Belegschaftsversammlungen und Belagerung der Hauptverwaltung. Dem setzte der Betriebsrat ein wechselndes Register taktischer Mittel entgegen: Massiver Druck auf Vertrauensleute und andere Einzelpersonen (bis hin zum Versuch, einen Teil der widerspenstigen Vertrauensleute auf einer Tagung in der Eifel mit Kontakt- und Telefonverbot zu isolieren), ständige Lügen über geplante Stillegungen und Umsetzungen wechselten mit falschen Versprechungen. Eine geplante Demonstration über die Rheinbrücken zur Deutschen Bank im April '89 konnte vom Betriebsrat durch eine eilig ausgehandelte Vereinbarung verhindert werden, die sich noch am selben Abend als Makulatur herausstellte.

Zunächst reagierte auch die Firma mit Geheimhaltung der Pläne und Entlassungsdrohungen, versuchte dann mit »Informationsveranstaltungen« in die Offensive zu kommen, da sich die in »dubiosen Flugblättern« verbreiteten Interna allzuoft als richtig herausgestellt hatten - wie z.B. Neukirchens Forderung, die neue Motorenfabrik in Köln-Porz »ausländerfrei« zu halten. Gegen die »Informanten« und Flugblattverteiler wurden Privatdetektive eingesetzt, um den Informationsfluß zu kappen.

Es half nichts, die Identifikation der ArbeiterInnen mit der Firma war im Zuge der Konflikte zusammengebrochen. In Managementkreisen galt die Belegschaft als »versaut«, weiterer Druck von oben steigerte nur die Ausschußrate. Sabotage war in diesen konfliktreichen Jahren ein offenes Geheimnis bei KHD.

Für ein neues, 600 Millionen Mark teures Motorenwerk im weiter außerhalb gelegenen Stadtteil Porz wollte Neukirchen ursprünglich nur neue, junge Arbeiter - und eben keine Ausländer - einstellen, um die Kampferfahrungen von KHD fernzuhalten. Aufgrund des Drucks der ArbeiterInnen mußten doch einige übernommen werden. Die Hoffnung auf einen sicheren Arbeitsplatz in Porz wurde als Instrument zur Spaltung und zur Disziplinierung genutzt. Durch ein willkürlichen Auswahlverfahren und psychologische Einstellungstest, in denen die »Gruppenarbeitsfähigkeit« überprüft werden sollte, wurde ausgesiebt. Neu eingestellte ArbeiterInnen bekamen befristete Verträge und wurden mit vagen Übernahmeversprechungen unter Druck gesetzt. Als es auch hier wegen der Arbeitszeitflexibilisierung zu Protesten und ersten Arbeitsniederlegungen kam (z.B. wurde die Belegschaft morgens bei einem Systemausfall ohne Bezahlung wieder nach Hause geschickt), schloß der Betriebsrat eine »98-Stunden-Arbeitszeitregelung« ab. Zwei Schichten arbeiten täglich 9 Stunden, die erste Schicht am Samstag noch 8 Stunden. Zwischen den Schichten liegt eine Frei-stunde, sodaß auch die erste Schicht »nacharbeiten« kann, wenn wegen Systemausfällen nicht die geforderte Motorenzahl montiert wurde - ein aus Japan bekanntes Schichtsystem. Statt Überstundenzulagen gibt es Freizeitkonten. Eine Obergrenze für das Arbeitssoll wurde nicht festgelegt, sie soll durch den »Kontinuierlichen Verbesserungsprozeß« ständig hochgeschraubt werden. Den Wortlaut der Betriebsvereinbarung kennen die Arbeiter nicht - bei KHD durchaus üblich. Es gehört zum Prinzip der modernen Managementkonzepte, möglichst wenig zu regeln, um flexibler reagieren zu können. Nur im Konfliktfall werden Regelungen eingeführt, die aber möglichst vieles offen lassen sollen. So gibt es z.B. keine Ankündigungsfristen für produktionsbedingten Arbeitsausfall, der nicht bezahlt wird, sondern nachgearbeitet werden muß.

Ein inszeniertes Kriminalstück

Bis 1995 hatte KHD jährlich dreistellige Millionensummen an die Deutsche Bank abzuführen, und das, obwohl die neue Fabrik wegen Fehlplanungen bei der Kapazität, der Fertigungstechnik und den Motormodellen (zu aufwendig, zu teuer) nie einen Gewinn erwirtschaftete. 1995 führte dies zu einer ersten Pleite, die durch einen Kapitalschnitt und Neuauflegung von Aktien aufgefangen wurde. Die Deutsche Bank reinvestierte einen Teil des abgesaugten Kapitals.

Der Industrieanlagenbereich KHD-Wedag erweiterte in der Zeit seit der Sanierung seinen Marktanteil mit Dumpingangeboten, was KHD schon seit Jahren von Konkurrenten vorgeworfen wird. Neukirchen hatte vorgegeben, daß die in der Holding verbleibenden Sparten auf dem Weltmarkt die Nummer Eins in ihren Bereichen werden müßten. Bilanzen lassen sich im Anlagenbau besonders leicht manipulieren, da die Anzahlungen den tatsächlichen Kosten weit vorauslaufen - und bei KHD wurden schon immer Bilanzen manipuliert. »Geschichte geschrieben hat KHD in den zurückliegenden Jahren vor allem mit legalen Bilanztricks, die noch lange Stoff für Universitätsseminare bieten werden.« (FAZ, 4.6.96)

Die aus den Dumping-Praktiken resultierenden Verluste der Humboldt Wedag wurden wie üblich verschleiert - die Grenze zwischen legal und illegal ist dabei fließend. Aber diesmal wurde diese Praxis zu einem Kriminalfall hochgespielt und mit großem Geschrei ein neuer Zusammenbruch von ganz KHD an die Wand gemalt. Und es funktionierte: Kaum war das Debakel bekannt geworden und noch bevor sich Deutsche Bank, Vorstand oder sonstige »Verantwortliche« geäußert hatten, verkündete der Konzernbetriebsratsvorsitzende Scherer, die Belegschaft sei zu großen Opfern bereit, um die Firma zu retten. Natürlich waren die ArbeiterInnen nicht gefragt worden, und selbst Alternativen, die sich in der Logik des Arbeitsplatzerhalts um jeden Preis bewegen, wurden erst gar nicht diskutiert - von einer Mobilisierung der Beschäftigten ganz zu schweigen.

Bei einem Konkurs wäre die Firma entschuldet worden, Aufträge hätten in einer Beschäftigungsgesellschaft abgearbeitet und die daran interessierten Arbeiter weiterbeschäftigt werden können. Aber die Deutsche Bank und andere Anteilseigner würden dabei ihr Kapital und ihre Zinspfründe verlieren. Sie sind die alleinigen Interessenten an einer Fortführung und Weiterverschuldung dieser Firma, die schon vor der erneuten Pleite mit etwa 1,5 Mrd. Mark Schulden belastet war. Daß diese Interessenlagen nicht zur Sprache kamen, dafür sorgten Betriebsratsvorsitzender Scherer und der Kölner IG-Metall-Chef Theo Röhrig mit ihrem Geschrei nach Opfern der Belegschaft. Sie ist nach der jetzt abgeschlossenen Betriebsvereinbarung die einzige Beteiligte, die draufzahlt und keine Gewinne macht. Die Deutsche Bank behält und erweitert ihre Schuldentitel, Zinspfründe und Eigentumsrechte. Stadt und Land erwerben zur Stützung dieser Gaunerei wertvolle Grundstücke im Innenstadtbereich. Die Pensionskassenversicherung zahlt aus ihren Rücklagen einen Zuschuß und die ArbeiterInnen verzichten auf 110 Millionen Mark durch Kürzungen beim Lohn und der betrieblichen Altersversorgung, durch weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit und unbezahlte Mehrarbeit. Garantien für die Arbeitsplätze gibt es keine - wahrhaftig ein »Bündnis für Arbeit«!

Deutz-Fahr: eine brave Belegschaft radikalisiert sich

Bei den Aktionen der KHD-ArbeiterInnen Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre fiel die Belegschaft des Traktorenwerks in Kalk eher durch Zurückhaltung auf. Mitte der 80er Jahre waren neue Bänder installiert worden, die Taktzeiten wurden verschärft und durch den massenhaften Einsatz von Leiharbeitern (zeitweise kam ein Drittel der Arbeiter an den Bändern von solchen Sklavenhändlern) wurde die Belegschaft gespalten und unter Druck gesetzt. KHD suchte nach Kooperationspartnern im Traktorengeschäft und verhandelte schon 1991 unter anderem mit dem italienischen Landmaschinenhersteller Same, woraus zunächst nichts wurde.

Erst Anfang 1995 gelang es KHD, die »Strategische Geschäftseinheit« Deutz-Fahr an Same zu verkaufen. Die italienische Firma konnte dadurch ihre Produktpalette um die von Deutz-Fahr produzierten Großtraktoren ergänzen und profitierte von dem bekannten Markennamen. KHD versüßte Same das Geschäft durch günstige Bedingungen: Firmengelände und Maschinen mußte Same nicht kaufen, sondern konnte sie von KHD mieten. Same wollte sich also keineswegs auf den Standort Köln festlegen. Es gab auch keine langfristigen Versprechungen, wie der Betriebsrat später behauptete. Jedem aufmerksamem Beobachter war klar, daß KHD einen »Abwickler« gefunden hatte, der nun die Drecksarbeit übernahm - für rüde Methoden im Umgang mit ArbeiterInnen ist Same in Italien bekannt.

Im April 1996 kündigte Same an, die Produktion in Kalk wegen der zu hohen Kosten in Köln bis Ende des Jahres zu schließen und nach Lauingen zu verlagern. Den 530 Beschäftigten wurde angeboten, mit nach Bayern umzuziehen - wohl wissend, daß dies für die allermeisten nicht in Frage kommt. In Lauingen kursierte die Information, daß nur 200-250 neue Arbeitsplätze durch die Verlagerung entstehen sollten.

Unterwürfigkeit ist kein Druckmittel

Der Betriebsrat von Deutz-Fahr bemühte sich im Folgenden verzweifelt, die Qualität des Standorts Köln anzupreisen. Auf Veranstaltungen betonte er, wieviel die ArbeiterInnen geleistet hätten, um die jetzige Qualität zu erreichen. So mußten sie im Winter, wenn wenig Traktoren verkauft werden, Teile ihres Urlaubs nehmen, bei Produktionsstockungen wegen fehlender Teilezulieferungen (die sich aufgrund der Auslagerung häuften) Freizeitausgleich. Lief die Produktion auf Hochtouren, wurde Samtags und Sonntags gearbeitet. Man habe eine flexible Arbeitszeitregelung vereinbart, die ihregleichen suche: täglich zwischen 6 und 9 Stunden, in der Woche zwischen 30 und 45 Stunden, Ausgleichszeitraum 16 Monate. Seit Mitte letzten Jahres werde in der Montage täglich 9 Stunden gearbeitet, im Schnitt habe jeder Mitarbeiter 150-200 Stunden auf seinem Zeitkonto gut. Bezeichnend für das Verhalten des Betriebsrat nach der Verlagerungsankündigung war, daß er weiterhin Überstunden, Samstagsarbeit und dem Einsatz von Leiharbeitern zustimmte. Auf einer öffentlichen Veranstaltung auf diesen Widersinn angesprochen erklärte er, man suche nicht den Konflikt, sondern wolle Kooperationsbereitschaft demonstrieren. Es wurden auch keine Einwände erhoben, als schon jetzt die ersten Arbeiter aus Lauingen in Kalk angelernt wurden.

Same blieb stur. Mit einer Belegschaft, die schon bisher alles geschluckt und sich unterwürfig gezeigt hatte, schien sich leicht kurzer Prozeß machen zu lassen. Von Betriebsrat oder IG-Metall waren keine wilden Aktionen zu befürchten. Diese orientierten auf Verhandlungen, boten Zugeständnisse an und bemühten sich um Stützungsmaßnahmen von Stadt und Land. Die IG-Metall preschte mit Verzichtsangeboten vor, von denen die ArbeiterInnen überrascht wurden. Vier Millionen Mark wurden als »Beitrag der Belegschaft« geboten. Ein Arbeiter rechnete nach und wunderte sich, wie er mehr als 7000 Mark für das notleidende Unternehmen aufbringen solle.

Unabhängig von Betriebsrat und IG-Metall und von diesen argwöhnisch beobachtet hatte sich im Stadtteil eine Initiative »Arbeit in Kalk« gebildet. Die wöchentlichen Treffen und Veranstaltungen wurden zu einem offenen Diskussionsort für ArbeiterInnen, die in irgendeiner Weise selber aktiv werden wollten. Obwohl die parteipolitisch gebundenen Initiatoren der Initiative wider alle Erfahrungen bei KHD auf eine enge Zusammenarbeit mit Betriebsrat und Gewerkschaft setzten, wurde zunehmend deutlich, daß diese kein selbständiges Handeln der ArbeiterInnen oder der Initiative wünschten. Als z.B. am 10. Mai eine Aktion am Tor organisiert wurde, nach der eine Demonstration durch den Stadtteil zusammen mit den ArbeiterInnen stattfinden sollte, war Röhrig rechtzeitig zur Stelle, um die ArbeiterInnen davon abzuhalten. Die Leute von der Initiative fauchte er an, sie sollten sich gefälligst nicht in »blinden Aktionismus« stürzen. Diese Politik der Gewerkschaft und das kaltschnäuzige Auftreten der Geschäftsleitung waren möglich, weil die aktiven KollegInnen in der Minderheit blieben. Kurze Arbeitsniederlegungen, spontane Informationsveranstaltungen und Besuche beim Betriebsrat oder der Geschäftsleitung gingen von einzelnen Abteilungen aus, während in anderen weitergearbeitetet wurde. Auf den Treffen wurde immer wieder die Frage laut, wie ein längerer Streik finanziell zu verkraften sei. Die Geschäftsleitung glaubte, die Situation mit der bewährten »Zuckerbrot und Peitsche«-Strategie im Griff behalten zu können. Am 21. Mai reagierte sie auf die bisherigen Produktionsunterbrechungen mit zwei gleichzeitig verteilten Aushängen: in dem einen wurde allen Beteiligten an solchen Aktionen mit Abmahnung und Kündigung gedroht, in dem anderen wurde eine Produktionsprämie bis zum Beginn der Werksferien angekündigt. Ab einer Tagesstückzahl von 30 gibt es für jeden weiteren Traktor 5 Mark. Bei zwanzig Arbeitstagen mit einer Produktion von täglich 35 Stück wären das 500 Mark im Monat, rechnete der Aushang vor. Auch wenn diese Zettel teilweise wütend zerrissen wurden, so verfehlten sie bei einigen nicht ihre Wirkung.

Da alle Verhandlungen zwischen Firma, Betriebsrat, Gewerkschaft und Stadt Köln (10 Millionen Mark wurden geboten) zu keiner Rücknahme des Verlagerungsbeschlusses führten, willigte die IG-Metall ein, sich an einer Demonstration durch den Stadtteil Kalk am 30. Mai zu beteiligen. Die Orientierung auf Verhandlungen war nicht länger glaubwürdig. Mit der Demonstration sollte ein Ventil für den aufgestauten Unmut geschaffen werden: ursprünglich auf 12 Uhr angesetzt, was wegen des Schichten-des um 14 Uhr zumindest eine zweistündige Arbeitsniederlegung bedeutet hätte, verschob man den Beginn nach und nach auf 13.45 Uhr! Offensichtlich ging es nicht darum, mit der Demonstration die Geschlossenheit und den Mut für wirksame Aktionen zu erreichen und die Produktion zu blockieren. Ebensowenig gab es einen Aufruf der IG-Metall oder des KHD-Betriebsrats an die KHD-ArbeiterInnen, die zu diesem Zeitpunkt um ihre eigenen Arbeitsplätze fürchten mußten, zur Beteiligung an der Demonstration. Solidarisierungen zwischen den verschiedenen Belegschaften, die einmal zum selben Großkonzern gehört hatten, waren nicht erwünscht. Auf einer Veranstaltung der Kalker Initiative, die noch vor der KHD-Krise stattfand, hatte es ein KHD-Azubi gewagt, eine gemeinsame Belegschaftsversammlung der ArbeiterInnen von KHD und Deutz-Fahr vorzuschlagen, und war dafür von Röhrig aggressiv runtergeputzt worden: so was hätte doch überhaupt keinen Sinn. Da sich der KHD-Anlagenbau auf demselben Gelände wie die Traktorenfabrik in Kalk befindet, beteiligten sich dann doch viele Beschäftigte von Humboldt Wedag an der Demonstration.

Auch ohne Gewerkschaft möglich: Streik!

Am folgenden Montag, dem 3. Juni, legten etwa 300 ArbeiterInnen bei Deutz-Fahr die Arbeit nieder und blockierten bis zum 12. Juni die Produktion und den Abtransport fertiger Traktoren. Was war passiert?

Durch das Verhalten von Betriebsrat und Gewerkschaft und aufgrund der Spaltung unter den ArbeiterInnen ermutigt, hatte die Geschäftsleitung angekündigt, daß es keine Abfindungen geben werde (außer in »Härtefällen«: über 56 Jahre, mehr als drei Kinder, 50 % schwerbehindert oder eine pflegebedürftige Person zu Hause)! Schließlich habe man allen einen Arbeitsplatz in Bayern angeboten. Bei der Sanierung von KHD waren Abfindungen das wichtigste Schmiermittel gewesen, in den Kämpfen ging es oft nicht mehr um die Arbeitsplätze, sondern um die Höhe der Abfindung. Viele ältere Kollegen waren damals froh gewesen, mit Abfindung oder Frühverrentung von den verhaßten Bändern wegzukommen, bevor sie an ihnen ihr Leben völlig ruinierten. Aufgrund dieser Tradition bestand auch bei Deutz-Fahr die Erwartungshaltung, wenigstens mit einer hohen Abfindung herauszukommen. Für einige war die Verlagerung sogar ein gewisser Hoffnungsschimmer, da es zuvor so gut wie keine Abfindungen in Kalk gegeben hatte. Mit der Drohung, nicht einmal eine Abfindung zu bekommen, schlug die Stimmung um. Eine Mehrheit ließ sich von den aktivsten Kollegen für einen selbstorganisierten Streik mobilisieren, etwa ein Drittel entzog sich dem finanziellen Risiko durch Krankenschein oder Urlaub. In der Fabrik wurde ein Streikkomitee gewählt, in dem sich weder ein Betriebsrat noch ein Vertrauensmann der IG-Metall befanden.

Zunächst ließ sich die Geschäftsleitung nicht beeindrucken. Man könne auch einen längeren Streik verkraften, verkündete Geschäftsführer Graf im Lokalfernsehen und verwies auf einige Hundert fertigmontierte Traktoren auf dem Betriebshof. Der Betrieb war nicht besetzt worden, sondern die ArbeiterInnen versammelten sich während der regulären Arbeitszeit auf dem Werksgelände. Allerdings wurde versucht, den Abtransport der fertigen Schlepper durch kleine technische Manipulationen zu verhindern. Aus zwei Gründen geriet die Firma bald unter Druck. Bestellte Traktoren konnten an die Händler nicht ausgeliefert werden, was mitten in der Saison bei diesen Besorgnis auslöste und den guten Ruf von Deutz-Fahr bedrohte. Zweitens - und damit sind wir wieder bei KHD - liefert die Blechfertigung von Deutz-Fahr Teile an die KHD-Motorenproduktion. Aufgrund des streikbedingten Ausfalls wurden dort nach einigen Tagen ArbeiterInnen unbezahlt nach Hause geschickt. Die Firma verlor ihre vorgespielte Ruhe, am Ende der Woche erstattete sie Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Sabotage und Nötigung. Traktoren seien zerstört, Teile gestohlen und Arbeitswillige an der Arbeit gehindert worden. Höchste Zeit für das eingespielte Team von KHD-Betriebsräten und Kölner IG-Metall, aktiv zu werden.

Streikabbruch für ein »Bündnis für Arbeit«

Am Dienstag, den 11. Juni, soll der Betriebsratsvorsitzende von KHD beim Betriebsrat von Deutz-Fahr angerufen haben, um nachzufragen, wann denn die Blechfertigung endlich weiterarbeiten würde! So sieht »Solidarität« unter Betriebsräten aus. Parallel dazu versuchte die Geschäftsleitung, diese Abteilung aus der Streikfront herauszubrechen. Es fand sich eine Firma in Troisdorf bei Bonn, die diese Abteilung übernehmen will, und der Betriebsrat verkündete, alle 32 Arbeiter der Blechfertigung würden von dieser übernommen werden.

Am Mittwoch morgen konnte Theo Röhrig mit einem weiteren Erfolg aufwarten. Same habe den Topf für Abfindungen von 8 auf 16 Millionen Mark aufgestockt. Bei 530 Beschäftigten ergibt sich daraus ein Durchschnittsbetrag von 30.000 Mark - bitter wenig für die zumeist langjährig bei Deutz-Fahr Beschäftigten, und die Einschränkung auf »Härtefälle« gilt immer noch. Als Röhrig am Mittwoch in der Fabrik auftauchte, war sein Ziel klar: Streikabbruch. Er beginnt seine Ansprache mit Pessimismus: Der Streik sei eine große finanzielle Belastung für die einzelnen und er müsse ihnen leider sagen, daß die Zahlungen auf das eingerichtete Spendenkonto nur tröpfelnd eingingen. Von der Geschäftsleitung wurde sein Aufruf zur Wiederaufnahme der Arbeit mit einigen Zugeständnissen unterstützt: in Zukunft soll nur noch 7 Stunden täglich gearbeitet werden, der Vertrag mit einem besonders verhaßten »Motivationsmanager« wird nicht verlängert, die Streiktage werden als Freizeitausgleich abgegolten (die Forderung nach Bezahlung der Streiktage war damit vom Tisch). Schriftliche Garantien wurden nicht verlangt, so auch kein Maßregelungsverbot, obwohl einige Kollegen bis zu drei Abmahnungen erhalten hatten.

Auf dieses Manöver der IG-Metall waren auch die Aktivisten des Streiks nicht vorbereitet gewesen. Es gab niemanden, der in dieser Situation überzeugend dafür hätte sprechen können, den Streik fortzuführen, da er doch gerade jetzt Wirkung zeigte. Immerhin wurde noch erreicht, daß die Produktion erst am nächsten Tag wieder anlief. Es gab keine förmliche Abstimmung, aber die Streikführer schätzen, daß nach der Rede von Röhrig etwa 70 Prozent für Arbeitsaufnahme waren.

Auf dem abendlichen Treffen der Kalker Initiative an diesem Mittwoch herrschte Wut und Niedergeschlagenheit. Es war klar, daß der Streik zum falschen Zeitpunkt abgebrochen worden war und das Ergebnis in keinem Verhältnis zu dem schon entwickelten Druck auf die Firma steht. »Wir sind vom Röhrig verarscht worden!« Es wird zwar betont, daß der Streik nur unterbrochen sei und jederzeit wieder aufgenommen werden könne. Aber daran will niemand so recht glauben. Am deutlichsten brachten einige Frauen von Arbeitern ihre Wut zum Ausdruck. Sie waren während des Streiks ständig mit ihren Kindern am Tor gewesen und hatten die Männer unterstützt. Eine Frau schilderte, wie mies sie sich durch Betriebsrat und Gewerkschaft behandelt gefühlt habe: die hätten sie, die Frauen, doch gar nicht dahaben wollen, die hätten sie vom Betriebsgelände geschickt. Und wozu hätten sie eigentlich in der Hitze herumgestanden, wenn jetzt der Streik mit einem solchen Ergebnis abgebrochen wird! Deutlich wurde auch, daß die IG-Metall entgegen ihren Versprechungen nichts für die Solidarität aus anderen Betrieben unternommen hatte. Wie Nachfragen durch Verwandte und Bekannte ergeben hatten, waren Informationen über den Streik oder Solidaritätsaufrufe weder bei KHD noch bei Ford und anderen Metallbetrieben angekommen. Am Tag der Betriebsversammlung von KHD wurde bei Deutz-Fahr wieder gearbeitet. Die Gefahr, daß sich die zum Verzicht erpreßten ArbeiterInnen ein Beispiel an dem selbständig geführten Streik nehmen könnten, ist abgewendet.

Der Betriebsrat von Deutz-Fahr will nun weiter über einen Sozialplan verhandeln. Auf die Forderung von Arbeitern, diese Verhandlungen öffentlich zu führen, reagierte er mit der Frage, ob sie denn kein Vertrauen mehr zu ihm hätten. Albern, das noch zu fragen, sagen die Streikführer. Die Geschäftsleitung hat mittlerweile die Einigungsstelle angerufen, um Zeit zu gewinnen. Terminiert ist auf den 25. Juni.

Der Streik bei Deutz-Fahr hat den Abgrund verdeutlicht, der zwischen einem selbständigen und emanzipatorischen Handeln von ArbeiterInnen auf der einen Seite und gewerkschaftlicher Konfliktverwaltung von oben auf der anderen klafft. Auch wenn die ArbeiterInnen in Kalk Zeit brauchen werden, um die von ihnen als Niederlage erlebte Erfahrung zu verarbeiten - ihr Beispiel sollte Schule machen und nicht im Bündnis-Rummel untergehen. (21.6.1996)


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