Geld, Krise, Arbeiterklasse und Revolutionäre Theorie, 2. Teil
Editorial
Wie im letzten Zirkular angekündigt kommen in diesem Heft die übrigen Aufsätze aus dem Buch von Werner Bonefeld und John Holloway »Globales Kapital, Nationalstaat und die Politik des Geldes« - außer dem Text von Christian Marazzi: Das Geld in der Weltkrise, den wir bereits in TheKla 10 abgedruckt haben. Aus diesem Grund ist es wieder eine umfangreichere Doppelnummer geworden. Mit den beiden Doppelnummern 28/29 und 30/31 wollen wir nicht das Wildcat-Zirkular in eine neue Buchreihe verwandeln, sondern die Diskussion um Arbeiterklasse, globale Krise und unsere Position als Revolutionäre weiterbringen. Damit nehmen wir den Faden wieder auf, mit dem wir - vor fast drei Jahren - die Herausgabe des Wildcat-Zirkulars begonnen und nach dem Zusammenhang von »Klassenkampf - Krise - Kommunismus« gefragt hatten. Damals hatten wir einen neuen Schub theoretisch-politischer Diskussion vorgeschlagen, um uns bewußt mit der eigenen Krise auseinanderzusetzen und zu einer neuen Grundlage für ein kollektives revolutionäres Projekt zurückzufinden.
Die Reaktionen auf das Zirkular 28/29 waren gemischt. Häufig wurde gesagt: ist mir zuviel, schaff' ich nicht zu lesen. Naja, dann kann man ja wenigstens mal anfangen. Die negativen Reaktionen (es gab auch einige äußerst positive!) lassen sich etwa in vier Sätzen wiedergeben:
»Wollt Ihr jetzt nur noch Theorie machen?«
»Hat nix mit meinem Alltag zu tun!«
»In diesen Texten kommt die Klasse nicht vor.«
»Akademisches Forschungsprojekt ...«(1) »Theorie?« Ja! »nur noch?« Nein! Diese Doppelnummer soll erstmal die letzte sein. Wie schon letztes Mal beschrieben, wurde im Anschluß an ein Treffen im Sommer ein kollektives Übersetzungsprojekt vereinbart, dessen Ergebnis Ihr in diesen beiden Doppelheften nachlesen könnt. Wir brauchen die Texte als Material für unsere eigene Diskussion - die fängt gerade an. Klar stimmen wir nicht mit allen vorkommenden Positionen überein, aber wir werden sie uns gemeinsam kritisch aneignen.
(2) Falsch! Das (Thema) »Geld« wird uns doch tagtäglich aufgedrängt. Alle reden von »Globalisierung«, lassen sich von der scheinbar unbesiegbaren Macht des »Finanzkapitals« in die persönlich-politische Krise treiben. Die jährlich wiederkehrenden Sparprogramme und Kürzungsdrohungen lösen nur noch Lethargie aus. Oder Aktienbesitz als Alternative zur Arbeit. Glänzender Sieg des Kapitals auf allen Ebenen oder Krise ohne Ende - wie sie Christian Marazzi schon 1976 vorhersagte (»das gesamte kapitalisische System [gerät] in den Zustand eines äußerst instabilen Dauernotstands«, TheKla 10, S. 249).
(3) Richtig, die Texte haben ihre Grenzen! Es ist zwar viel von »Arbeiterklasse«, »Arbeit«, der »Aufsässigkeit der Arbeit« usw. die Rede, die der Macht des Kapitals Grenzen setze und die eigentliche Ursache der kapitalistischen Krise sei, aber sie bleibt seltsam blaß. Zum einen wird weder zwischen Arbeiterklasse, Gewerkschaft oder Arbeiterbewegung unterschieden. Zum anderen kommen die ArbeiterInnen selbst, die ProletarierInnen mit ihrem täglichen Verhalten nicht vor: weder die Kämpfe, die sie führen, noch veränderte Verhaltensweisen zum Geld, zur Arbeit, zum Kredit, zum Staat. Die Arbeiterklasse erscheint wie ein Fluchtpunkt, der zwar noch irgendwie für die Menschlichkeit in der Welt steht, aber ihre Aufsässigkeit wird geschichtslos.
In der Wildcat haben wir jahrelang die militante Untersuchung propagiert, das organisierte Hineingehen in Ausbeutungsverhältnisse, die Verbindung von Untersuchung und Kampf, die Orientierung an der Selbsttätigkeit der Klasse, an den Verhaltensweisen der ProletarierInnen, die über dieses System der Ausbeutung und Konkurrenz hinausweisen. Wir nehmen davon nichts zurück. Auch in der Vergangenheit haben wir dazu immer wieder Phasen von theoretischer Aufarbeitung und politischem Entwurf gebraucht. Und so eine Phase ist jetzt auch wieder.
Kurz gesagt: Die fertige Anleitung zum Klassenkampf erwarten wir gar nicht von Texten; diese sind nur Mittel für unsere kollektive Debatte, mit der wir letztlich unsere Praxis politisch bestimmen wollen.
(4) Es ist uns durchaus ein Problem, daß unter den Verfassern der Texte, die wir diskutieren, immer mehr Professoren sind. Bzw. daß ihre Texte in relativ unbekannten Zeitschriften einer kleinen links-unabhängigen akademischen Gemeinde erscheinen, statt breit in einer Bewegung diskutiert und produziert zu werden. Denn revolutionäre Theorie ist nicht als Einzelleistung einer Handvoll radikaler Denker zu haben.
In der Besorgnis »akademisches Forschungsprojekt« steckt aber letztenendes ein dicker Irrtum, nämlich die große politische Bedeutung des (theoretischen Streits ums) Geld(es) nicht zu sehen; dazu folgende kurze Anekdote:
»Unter dem unscheinbaren Titel 'Vom Geldeþ erschien im Jahre 1931 (ein Jahr nach dem englischen Original) das erste 'großeþ Werk von Keynes, in dem er die orthodoxe Auffassung des Geldes kritisierte. Davon ausgehend legte er dann 1936 seine 'General Theoryþ vor, die zu dem vielleicht einflußreichsten wirtschaftstheoretischen Werk dieses Jahrhunderts wurde, was aber nicht verhinderte, daß sie vom gegenwärtigen neoklassischen Mainstream als im wesentlichen überholt betrachtet wird.
Nicht viel anders erging es einem anderen Autor, der gut 70 Jahre vor Keynes auch zunächst eine Schrift veröffentlichte, die die vorherrschenden Geldtheorien (und zwar sowohl der 'bürgerlichenþ Ökonomen als auch der sozialistischen Autoren seiner Zeit) kritisierte und einige Jahre später mit einer breit angelegten Analyse und Kritik kapitalistischer Produktionsverhältnisse an die Öffentlichkeit trat.....«
»Inzwischen ist aber durch die tatsächliche ökonomische Entwicklung vielleicht noch deutlicher geworden, daß gilt: 'money mattersþ. Im Prozeß der deutschen Vereinigung spielte die Währungsunion sicher eine wichtigere Rolle als die politische Vereinigung. Was die EU angeht, so ist auch hier die geplante Währungsunion zu dem Thema schlechthin geworden, das alles andere in den Schatten stellt....«
»Wäre Geld tatsächlich nur 'numéraireþ und bloßes 'Schmiermittelþ für die 'realenþ Transaktionen - wie es die neoklassische Geldorthodoxie will - so ließe sich die ganze Aufregung kaum verstehen.« (aus dem Editorial der Prokla-Redaktion zur Prokla 103: Vom Gelde)
Zu den Texten in diesem Heft...
Die einzelnen Aufsätze aus dem Buch werden im Einführungskapitel »Die Politik des Geldes« genauer eingeordnet. Wer sich zunächst einen Überblick verschaffen und die politische Position dieser Strömung verstehen will, sollte die Lektüre daher mit der Einführung und den »Schlußfolgerungen: Geld und Klassenkampf« beginnen. Die beiden Aufsätze von Burnham und Bonefeld (Kapitel 5 und 8) skizzieren ihren grundlegenden theoretischen Ansatz und ihren Bezug auf Marx. Einen anschaulicheren Überblick über die Politik des Geldes - von seiner gewaltsamen Durchsetzung zu Beginn der kapitalistischen Produktionsweise bis in unsere Tage - bietet der Aufsatz von Cleaver. Die dort entwickelte Diskussion hat eine enorme Bedeutung, gerade im Vergleich zu den meisten in Deutschland geführten Debatten: sie bringen die Diskussion von Anfang an auf die Ebene einer radikalen Kritik des globalen Kapitalverhältnisses, und das ist entscheidend auch für alle praktischen Versuche in der Zukunft. Zum einen fehlt es überall an einer radikalen Kritik der kapitalistischen Verkehrsformen, ob es sich nun um Geld, den Warencharakter unserer Bedürfnisse, das Recht, oder als naturhaft anerkannte Institutionen wie Ärzte und Schulen handelt. Im politischen Handgemenge beschränkt sich die Kritik auf die moralischen Inhalte dieser Formen (gute und schlechte Waren, gute und böse Ärzte), statt diese Formen selber zu kritisieren und zu zeigen, wie die einzelnen Übel dieser Welt in ihnen zusammenhängen. Zum anderen verstehen wir es noch nicht, das globalisierte Kapital- und Klassenverhältnis als die größte revolutionäre Ausgangsbasis unserer Zeit in die täglichen Kämpfe einzubringen. »Globalisierung« wird von Unternehmern und Staat zu einem angstbesetzten Dämon gemacht, mit dem sie ihre Klassenmacht zu legitimieren suchen. Auf diese Weise wird zugleich die enorme revolutionäre Potenz verborgen, die in diesen Prozessen liegt. Oder anders gesagt: In den Debatten über »Globalisierung« läßt sich die Linke die wesentliche und einzig mögliche Ebene von Revolution - die Welt! - vom Kapital enteignen, der alte »Internationalismus« der Linken wird von der »Globalisierung« des Kapitals abgelöst. In den hier übersetzten Texten wird konsequent die »Dialektik« der Globalisierung ins Spiel gebracht, sie stellen nicht einen alten Bündnis-Internationalismus von links der Globalisierung des Kapitals gegenüber, sondern zeigen, wie sich hinter den weltweiten Bewegungen des Kapitals die Globalisierung der Arbeiterklasse verbirgt. So sehr das Kapital auch versucht, in der Globalisierung dem Klassendruck zu entkommen, so sehr entwickelt es damit zugleich die notwendigen Verbindungen und die Zusammenarbeit für seinen endgültigen Untergang.
Die Beiträge von einer Veranstaltung zu Asien am Schluß des Zirkulars lenken den Blick auf diese Seite der Globalisierung. Der Diskussionbeitrag von Karl Heinz Roth, der schon im letzten Zirkular stehen sollte, bezieht sich kritisch auf die Thesen von Ingrao/Rossanda und setzt damit auch die in Zirkular 27 und 28/29 geführte Debatte um das politische Konzept des »Postfordismus« fort. Mit seinem entschiedenen Aufruf zu einer neuen Phase von »Militanter Untersuchung« endet dieses Zirkular.
Mittlerweile haben wir gemeinsam entschieden, das Wildcat-Zirkular fortzuführen - es wird in Zukunft wieder etwa monatlich erscheinen und zum üblichen Umfang zurückfinden.
(Das Bild auf dem Titel stammt aus Tahiti im Sommer letzten Jahres, nach dem ersten französichen Nukleartest. Eine tahitianische Zeitung titelte dazu: »Von der nuklearen Explosion zur sozialen Explosion«. In dieser Revolte drückte sich zugleich mit dem Haß auf die französischen Kolonialisten auch ein Aufstand gegen das soziale Elend aus - sie war Teil der Kämpfe gegen die Austerität, worin Bonefeld/Holloway die materielle Einheit des globalen Klassenkampfs sehen.)